Mein Gefühl ist nach wie vor, dass die Insolvenz zu früh oder zu leichtfertig ausgesprochen worden ist (aber sobald sie ausgesprochen wurde war es eine sich selbst erfüllende Prophezeiung). Dass WDI heftig überschuldet ist, ist klar. Aber man hat aus den Bankkreisen gehört, dass eine Einigung möglich gewesen wäre und dass selbst die Banken von der Insolvenzverkündung überrascht wurden.
Das Europageschäft von Wirecard existiert, bzw. existierte bis vor der Insolvenz. Das kann man nachprüfen. Ein riesiger Webshop wie bspw. Rakuten hat (oder hatte) Wirecard als Zahlungsdienstleister eingebunden (kann man einfach auf deren Website nachsehen). Wenn die das gemacht haben, dann beweist, dass das Produkt existiert, funktioniert und zwangsläufig auch Kunden gehabt haben muss, weil 5.000 Mitarbeiter ja auch irgendwas getan haben müssen.
Dieses Europageschäft, ob profitabel oder nicht, hätte man wunderbar an Ayden oder sonst wen verkaufen können. Damit hätten Milliarden erlöst werden können, weil es den Käufer wohl zum Herrscher über Europa und damit zum Weltmarktführer macht. Von diesen Milliarden hätten Gläubiger befriedigt werden können.
Dafür hätte man allerdings erstmal das vermeiden müssen, was am Mittwoch geschehen ist. Denn jetzt ist völlig klar, dass alle Kunden wegrennen. Jetzt gibt es nicht mehr viel zu verkaufen. Man hätte nach dem Skandal seine Kunden sorgfältig beruhigen müssen. Das hätte man auch verargumentieren können: Die Bezahlströme gehen über die Wirecard Bank, und diese wäre tatsächlich von einer Insolvenz der Mutter unberührt, d.h. kein Kunde hätte Angst haben müssen, dass sein Geld auf einmal Teil der Insolvenzmasse wird.
Stattdessen wurde mehr oder weniger voreilig, nach gerade mal 6 Tage nach dem Knall eine Insolvenz ausgesprochen. Abgesegnet von einem CEO, der gerade einmal seit 5 Tagen im Amt ist und dem es völlig egal sein kann ob das Unternehmen weiterbesteht oder nicht, weil er weder Anteile noch sonst etwas hat dass ihn mit dem Unternehmen verbindet - stattdessen aber große Angst davor, dass sein Name in irgendeiner Form vom Wirecard-Skandal beschmutzt werden könnte.
Mein Eindruck ist, dass Freis und der AR mit der schnellen Insolvenz ein Signal an den Kapitalmarkt senden wollte. Er hatte vermutliche panische Angst davor ihm könne jetzt auch noch vorgeworfen werden dass er etwas verschleppt hätte oder irgendwelche falschen Erwartungen geweckt hätte. Das ist insofern nachvollziehbar, weil er ja, wie oben dargelegt, eine Person ist, die in der Situation nichts zu gewinnen, aber seinen Ruf zu verlieren hat.
Für alle Beteiligten an der Geschichte, also Banken, Mitarbeiter und Aktionäre wirkt die rasante Insolvenz aber wie die schlechteste Lösung überhaupt. Freuen darüber tut sich Ayden und Co., die die alten Wirecardkunden jetzt umsonst einsammeln, anstatt sie zu einem angemessenen Preis von den Eigentümern von Wirecard abzukaufen.