Um einer Fehlinterpretation meines letzten Postings entgegenzuwirken: Ich halte Steinhoff nach wie vor für ein massiv unterbewertetes Unternehmen mit guten Zukunftsaussichten. Alleine die Tatsache, dass Steinhoff auf dem afrikanischen Kontinent einer der größten, wenn nicht sogar DER größte Einzelhändler ist, sollte die Aktie schon bei jedem auf der Watchlist landen lassen. Was im Rahmen der Migrationsdiskussion Horrorvisionen sein mögen, nämlich die weitere Bevölkerungsexplosion in Afrika, sind für Steinhoff glänzende Zukunftsaussichten. Was allein ein großer Staat wie Nigeria für ein Potenzial hätte! Dennoch markiert die Aktie fast täglich ein neues ATL.
Warum?
Weil seitens des Managements derzeit absolut gar nichts für den Shareholder Value, für ein positives Sentiment oder für rosige Zukunftsaussichten getan wird. Ich glaube, hier sind wir uns noch fast alle einig.
Die entscheidende Frage ist aber, warum das Management das nicht tut. Hier spalten sich die Arivaner in 2 Lager: Die einen, die an den großen Bluff glauben, und diejenigen, die es nicht (mehr) tun.
Die im Forum diskutierte Theorie vom großen Bluff besagt, dass Steinhoff sich derzeit absichtlich arm rechnet und sich widerstandslos via PIK-Zinsen von alten Gläubigern aussaugen lässt, um aus dieser Position der finanziellen Schwäche heraus den Schadenersatzklägern eine geringe Vergleichssumme abzuringen.
Hier nun eine ungeordnete und unvollständige Liste von Gründen, Punkten und Indizien, die in meinen Augen für und gegen die Theorie vom großen Bluff in Stellenbosch sprechen:
Was für den großen Bluff spricht
- Die Fassade vom siechenden Konzern ist makellos: MF halb entglitten, Confo halb entglitten, 12 Monate harte Verhandlungen mit Altgläubigern, horrende Zinsen, negatives Eigenkapital, laut CEO keine Aussicht auf Besserung. Welcher Kläger will es angesichts dieser Lage wirklich darauf ankommen lassen, eine hohe Entschädigungssumme durchzusetzen, Steinhoff damit in die Insolvenz zu treiben und anschließend mit leeren Händen auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben? Denn im Falle einer Insolvenz werden die Assets des Konzerns verwertet und der Erlös daraus den Altgläubigern überlassen, die damit ihre CVA-Kredite besichert haben. Der Rest würde dann per Quote auf alle übrigen Gläubiger aufgeteilt, also auch auf diejenigen, die einen Schadenersatzanspruch haben. Absehbar ist diese Quote nach Abzug der Gerichtskosten 0 oder sogar negativ. Angesichts dessen kann ein Schadenersatzkläger gar nicht anders, als sich zügig auf einen kleinen Vergleich einzulassen.
Was gegen den großen Bluff spricht:
- Große Konzerne können grundsätzlich nicht über Monate und Jahre hinweg bluffen, weil es viel zu viele Manager, Berater, Mitarbeiter und sonstige Wissende gibt, so dass auch interne Sichtweisen und geheime Informationen eher früher als später immer nach draußen sickern. Die Gegenseite bekäme davon auch Wind und die Wirkung des Bluffs wäre dahin.
- Mir ist kein großer Konzern bekannt, der sich jemals über einen Zeitraum von 1-2 Jahren hinweg gegenüber Schadenersatzklägern arm gerechnet hätte, dadurch angenehme Vergleichzahlungen verhandelt hätte und sich dann binnen kürzester Zeit wieder zu einem ertragreichen Konzern gewandelt hätte. Die Idee vom großen Bluff durch einen ganzen Konzern und das über einen längeren Zeitraum hinweg ist beispiellos. Wer doch ein Beispiel kennt, immer her damit!
- Der Aktienkurs ließe sich börsentäglich mit kleinen Beträgen im sechstelligen Bereich bereits stabilisieren. Soll wirklich keiner, also echt und ehrlich absolut gar keiner der Mitarbeiter in Stellenbosch oder der Mitarbeiter angeheuerter Beratungsunternehmen Wind vom großen Bluff bekommen und seinem Schwippschwager oder seiner Tanzpartnerin im Suff auf einer Fete erzählen, was da läuft, woraufhin Schwippschwager und Tanzpartnerin ihr Erspartes in Steinhoff-Aktien umschichten und ihrem besten Kumpel und ihrer Nachbarin davon erzählen, die dann ebenfalls spekulativ mit kleinen Beträgen einsteigen? Seit Monaten gibt es offenbar keine einzige undichte Stelle, denn gäbe es sie, dann würde der Kurs nicht unter Miniumsätzen mathematisch monoton fallen.
- Die Fassade vom siechenden Konzern ist makellos: MF halb entglitten, Confo halb entglitten, 12 Monate harte Verhandlungen mit Altgläubigern, horrende Zinsen, negatives Eigenkapital, laut CEO keine Aussicht auf Besserung. Wäre all das ein Bluff, es wäre ein Bluff gigantischen Ausmaßes, bei dem seit mehreren Quartalen unzählige Beteiligte fehlerfrei ihre Rolle spielen und das auf filmreifem Niveau. Wodurch wäre dieser gigantische Aufwand gerechtfertigt? Wie hoch wäre denn am Ende die letztinstanzliche(!) Schadenersatzsumme? Und wie klein wäre bei erfolgreichem Bluff die Vergleichsumme. Rechtfertigt die Differenz beider Zahlen den für den Bluff betriebenen Aufwand und das Risiko, dass der jederzeit auffliegen könnte, wenn es ihn denn gäbe? Kann ein seriöses Management angesichts dieses Aufwands für den Bluff und angesichts des Risikos, damit jeden Tag auffliegen zu können, eine solche Strategie überhaupt fahren? In meinen Augen wäre diese Strategie abenteuerlich und nichts für das Management eines Großkonzerns!
- Wieso sagte Sonn im September(?) 2018 vor dem südafrikanischen Parlament sinngemäß "Die Krise ist vorbei" und "Restore Shareholder Value", während ein knappes Jahr und einen halbierten Aktienkurs später der CEO berichtet, dass in den nächsten Jahren keine Gewinne gemacht werden können? Spricht das eher für ein Management, das einen genialen Bluff durchzieht, oder eher für eine Gruppe überforderter Laiendarsteller? Und spricht die wirre DGAP-Meldung am Abend der Veröffentlichung der 2017er-Bilanz eher für ein Management, das einen genialen Bluff durchzieht, oder eher für eine Gruppe überforderter Laiendarsteller?
- MF lief in Rekordzeit durch CH11 und ist augenscheinlich auf gutem Weg, die bereits ambitionierten Ertragsziele aus dem Business Plan noch zu überbieten. Ist das Zeichen der Genialität des Steinhoff-Managements (die sich sonst aber bisher nirgendwo gezeigt hätte) oder ein Zeichen dafür, dass MF leicht zu sanieren war? Mir scheint, dass MF leicht zu sanieren war, denn es ist im Kern ein Matratzenhändler! Machen wir die Sache mal nicht komplizierter, als sie ist. Man kauft Matratzen in großen Stückzahlen billig ein und verhökert sie mit dicker Marge in unzähligen Läden weiter. Sofern die Kosten für den Ladenbetrieb überschaubar sind, macht man damit fast automatisch Gewinn. MF ist offenbar allein dadurch gesundet, dass man durch CH11 fristlos unrentable Läden schließen konnte. Ich will diese Leistung nicht kleinreden, aber sie war auch nicht nobelpreisverdächtig. Wenn ich aber mit meiner Meinung richtig liege, dass MF einfach zu sanieren war (und dafür spricht wie gesagt einiges), dann frage ich mich, wie das Steinhoff-Management einfach mal so die Hälfte dieses Unternehmens an die Altgläubiger abgeben konnte. Auf Basis der aktuellen MF-Zahlen billige ich dem Gesamtunternehmen einen Verkaufswert von mindestens 2 Mrd. EUR zu. Die an die Altgläubiger abgegebene Hälfte von MF wäre also schon heute rund 1 Mrd. EUR wert. Und die Gegenleistung dafür? Ein CH11-Exit-Kredit über 400 Mio zu 10% Zinsen! Das passt hinten und vorne nicht zusammen! Und es fügt sich keineswegs in das Bild eines Managements, das clever einen genialen Bluff durchzieht, sondern in das Bild einer überforderten Gruppe Laiendarsteller, die sich bei jeder Gelegenheit zulasten der Aktionäre über den Tisch ziehen lassen. Kann natürlich auch sein, dass das CH11 von MF unfassbar komplex und schwer war, vorher keiner an den Erfolg glaubte, es daher auch keine andere Finanzierungsmöglichkeit als diesen toxischen MF-Deal mit den Altgläubigern gab und man mit der aktuellen Entwicklung von MF einfach nur unfassbares Glück hatte, aber die Indizienlage für diese Variante erscheint mir sehr dünn.
- Im Nachhinein betrachtet hat der CVA-Prozess gefühlte 3 Monate am Einspruch von Seifert gehangen. Das war Anfang des Jahres hier im Forum wochenlang das große Thema. Ein Arivaner hatte damals in einem guten Posting dargelegt, dass Seifert gar nicht anders konnte, als darauf zu bestehen, dass seine potenziellen Ansprüche im CVA berücksichtigt werden. Bei all den Experten, die für teuer Geld für Steinhoff arbeiten, und bei dem großen Bluff, der hier zur Diskussion steht: Hätte man nicht vorher wissen können und wissen müssen, dass Seifert das CVA torpedieren würde? Hätte man die Seifert-Kuh nicht schon hinter den Kulissen Ende 2018 vom Eis schaffen können und sich so 3 Monate Zeit sparen können? In diesen 3 Monaten liefen nämlich PIK-Zinsen auf, wie es im Halbjahresbericht steht. Wenn man am großen Bluff arbeiten würde, dann müsste man dessen zeitliche Ausdehnung doch so gering wie möglich halten, um das Risiko zu minimieren, dass der Bluff durchschaut wird. Wenn das so wäre, wieso hat man dann 3 Monate mit diesem absehbaren Seifert-Einspruch vertrödelt? Das passt alles nicht zusammen.
Weitere Argumente und Indizien für und gegen den großen Bluff dürfen gerne ergänzt werden. Mir fiele sicherlich noch mehr ein, aber ich muss jetzt in einen wichtigen Termin.