Ich wurde von einem Mitleser per BM gebeten, nochmal hier im Forum die Frage zu beantworten, ob ein Gammasqueeze auch nach "hinten" losgehen kann. Mache ich gerne.
(Hinweis: das folgende habe ich nach meinem besten Wissen und Gewissen zusammengeschrieben, so wie ich das verstehe, also wer kann soll bitte gerne korrigieren, aber nagelt mich nicht auf jedem Detail fest, ich bin kein Profi, sag ich gleich ;-) und es soll keineswegs eine Handelsempfehlung oder so sein):
In einem meiner früheren Posts hatte ich das schon eigentlich geschrieben, aber hier nochmal zusammenfassend (zur Abkürzung kann man auch zu Nr. 6 springen):
1. Delta
Eine Option hat ein Delta, das ist eine Zahl zwischen 0 und 1 und je nachdem ob Call Option oder Put Option positiv oder negativ. Das Delta leitet sich aus der Black-Schole'schen Differentialgleichung zur Berechnung von Optionspreisen ab, ist also kein willkürlicher Wert, sondern ein mathematisch berechneter. Er wird hauptsächlich durch den Kurs des Basiswerts bestimmt. Häufig wird der Wert als Ganzzahl und nicht als Dezimalbruch angegeben, das liegt daran, dass 1 Option immer (bzw. fast immer) 100 Aktien umfasst, daher wird die Kommazahl mit 100 multipliziert.
2. Was bedeutet das Delta genau?
Das Delta hat verschiedene Bedeutungen, die darauf zurückzuführen sind, dass es mathematisch die erste Ableitung (partielle Ableitung wie ein Mathematiker hier im Forum erklärt hat (danke)) der Differentialgleichung nach dem Basiskurs ist.
2a. Eigentliche Interpretation anhand eines Beispiels: Delta von 0,25 bedeutet: steigt der Basiswert (z.B. AMC) um genau 1$ und sind alle anderen Parameter der Differentialgleichung unverändert (Zeitwert, Volatilität insbesondere) so steigt der Preis für die Option um 0,25$. Entsprechend bedeutet ein negatives Delta, dass der Optionspreis dann sinkt. Daher ist das Delta insbesondere für reine Optionshändler besonders interessant.
2b. Eine etwas weiter hergeholte und nur annähernde (!) Interpretation des Deltas (absolut, also bei negativem Delta ist das Minus wegzudenken) ist die Wahrscheinlichkeit, dass zum Verfallstag der Basiswert den Strikepreis erreicht und überschreitet, sprich die Option im Geld liegen wird.
3. Änderungen des Deltas
Das Delta bleibt nicht fest, es ändert sich andauernd.
4. Handel mit Optionen
Bei Optionen gibt es "vier Grundrechenarten": Es gibt Calls und es gibt Puts. Jeder Call oder Put kann ge-kauft oder ver-kauft werden. Jeder Optionshändler kann damit handeln.
Der Käufer einer Option bezahlt eine Prämie an den Verkäufer, das ist der Optionspreis zu dem Zeitpunkt des Handels.
Der Käufer erkauft sich damit ein bestimmtes RECHT, während der Optionsverkäufer damit eine PFLICHT eingeht. Das ist also eine Art Vertrag die man abschließt, daher heißt es auch oft "Optionskontrakt" oder einfach Kontrakt.
4a. Rechte des Käufers:
Der Käufer einer Option hat das Recht, diese jederzeit bis zum Verfallstag auszuüben (engl. exercice). (Exkurs: Damit mich niemand daran festnagelt: das gilt für Optionen nach "amerikanischem" Ausübungstyp, beim "europäischen" Ausübungstyp darf nur zum Verfall ausgeübt werden. Achtung: das hat nichts mit Geografie zu tun, sondern sie werden einfach so bezeichnet. Aktienoptionen - auch in Europa - sind in der Regel vom amerikanischen Typ, während z.B. Indexoptionen meist amerikanisch sind).
Man unterscheidet bei der Ausübung zwischen Calls und Puts:
Übt der Käufer einen Call aus, so bekommt er 100 Aktien (wenn der Basiswert die Aktie ist natürlich) zum Preis des Strikes eingebucht. Also bei Ausübung eines 40er Calls auf AMC bekommt der Call-Käufer 100 AMC-Aktien je 40$ eingebucht. Und zwar völlig unabhängig davon, wie hoch der tatsächliche Kurs gerade ist! Natürlich lohnt sich das für ihn nur, wenn der Kurs tatsächlich höher als 40 steht (man sagt dann die Option ist im Geld, "in the money", ITM), weil er die Aktien dann günstiger bekommt, als auf dem markt und er könnte sie nach Ausübung auf dem Markt teurer verkaufen. Er hat dafür ja schließlich die Prämie bezahlt (wie bei einer Versicherung). Gelegentlich kommt es vor, dass es Sinn macht eine Option aus dem Geld auszuüben (bspw. wenn man eine Dividende erwartet oder eine Shortposition glattstellen muss) passiert aber eher sehr selten.
Bei Put Optionen hat der Käufer bei Ausübung das Recht 100 Aktien für den Strike Preis zu verkaufen. Hier gilt natürlich, wenn er mehr als 100 Aktien im Depot hatte, werden 100 davon ausgebucht, wenn er keine hatte ist er danach 100 Aktien short. Wenn nicht geshortet werden kann, muss er in der Regel einen monetären Ausgleich zahlen.
4b. Pflichten des Verkäufer:
Der Verkäufer eine Option nimmt die Prämie ein, die der Käufer als Optionspreis bezahlt hat. Wie eine Versicherung, der man die Versicherungsprämie zahlt, um bspw. sein Auto gegen Schäden zu versichern, geht der Verkäufer eine Pflicht ein. Bei Versicherungen ist es der Schadensfall, mit dem der Versicherer rechnen muss, den er bezahlen muss. Beim Optionsverkäufer ist es der Fall, dass die Option für ihn ungünstig ausgeht. Sowohl beim Optionsverkäufer als auch bei der Versicherung ist die Versicherungsprämie abhängig vom Risiko bzw. der Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden wirklich eintritt, daher sind Optionen mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit auch entsprechend teurer.
Bei Calls: Wenn der Käufer eine Call-Option ausübt, dann MUSS der Verkäufer dem Käufer die 100 Aktien liefern, er ist dazu verpflichtet.
Bei Puts: Wenn der Käufer eine Put-Option ausübt, dann MUSS der Verkäufer dem Käufer die 100 Aktien abkaufen, er ist dazu verpflichtet.
In beiden Fällen zum vereinbarten Strike Preis.
4c. Kann man vom Vertrag bzw. Optionskontrakt "zurücktreten"?
Ja, man kann eine offene Position, egal ob gekauft oder verkauft auflösen: einen gekauften Call kann der Käufer wieder verkaufen. Genauso einen Put. Einen verkauften Call oder Put kann der Verkäufer zurück-kaufen. Wird oft "Glattstellen" genannt.
Aber nicht vergessen: der Optionspreis ändert sich andauernd abhängig von Basiswert, Restlaufzeit und impliziter Volatilität. Es kann also sein, dass man eine gekaufte Option billiger verkaufen muss und damit Verlust macht, umgekehrt kann man damit aber auch Gewinn machen.
5. Wer sind die Options-Verkäufer? Und warum müssen sie sich hedgen?
Es gibt einige wenige "retail" Optionsverkäufer (wie ich bspw.), hauptsächlich sind es die Market Maker. Prinzipiell darf aber jeder in jede Richtung mit Optionen handeln.
Wie oben beschrieben, geht der Verkäufer aber gewisse Pflichten ein, in dem Fall die Market Maker. Sie müssen also im Fall des Falles ihre Pflichten erfüllen. Wie können sie das aber sicherstellen, ohne Verluste machen zu müssen? Market Maker machen kein Geld mit Spekulationen, sondern vor allem mit Spreads und damit dass sie, wenn jemand einen Handel eingehen möchte, dieser auch stattfinden kann, damit sie mit dem Spread wiederum bzw. mehr Geld machen können. Wenn also jemand eine Option kaufen möchte und sich kein passender Verkäufer findet, dann tritt der Market Maker als Verkäufer auf.
6. Hedgen
Die Market Maker hedgen sich, das machen sie laufend, bei Eröffnung einer Position und bei Änderung der Position oder auch Änderung des Risikos.
Wenn wir jetzt alles obige zusammenbringen, so ist das Delta ein guter Indikator für das Risiko, was eintreten kann und wird daher so oder zumindest so ähnlich (ich weiß es nicht 100%) als Indikator für den Hedge benutzt. Nennt sich Delta-Hedging.
Beispiel:
Ein Call mit Delta 0,25 wird mit 25 Aktien gehedegt, d.h. der MM als Verkäufer kauft sich bei Delta 0,25 sofort 25 AMC Aktien. Ein Put mit Delta -0,25 wird ebenfalls gehedgt, der MM verkauft 25 Aktien. Hätte der MM also nur diese 2 Optionen verkauft bräuchte er zum Hedgen 0 Aktien, da sich die Positionen aufheben. Daher ist übrigens das P/C Verhältnis hier auch so interessant: mehr Calls bedeutet in etwa, dass mehr Aktien vom MM gekauft werden müssen zum Hedgen. Andersrum gilt das aber natürlich auch: bei mehr Puts, werden mehr Aktien verkauft als gekauft.
Wie ich oben geschrieben habe, ändert sich das Delta andauernd, vor allem durch Kursbewegungen, das gleicht der MM ständig mit entsprechenden Käufen und Verkäufen aus.
Ein Gammasqueeze wird durch eine übermäßige Kursbewegung ausgelöst, die natürlich nach oben oder nach unten gehen kann. Je nachdem in welche Richtung der Kurs sich stark bewegt und ob es einen Überhang auf Put oder Call Seite gibt und genau genommen auch wie viele von jeder Option gehandelt werden, kann also ein Gammasqueeze die Kursbewegung in die eine oder andere Richtung beschleunigen, oder auch abbremsen (ich glaub dann spricht man aber nicht mehr von Squeeze).
Da wir lange Zeit einen Überhang an Call Optionen, vor allem ITM haben und der Kurs seit Januar in Summe steigend ist, wird allgemein ein Gammasqueeze eher in die positive Richtung erwartet, daran hat sich nach aktuellen Zahlen nichts geändert. Im After Market findet kein (regulärer) Optionenhandel statt, daher meine ich, dass auch kein Hedging bei den MMs stattfindet. Wann und ob so ein Squeeze stattfindet ist schwierig vorherzusagen, ich kann es gar nicht vorhersagen. Allerdings kann sich jeder überlegen, was passiert, wenn es irgendwann zu wenig oder nicht genug Aktien auf dem Markt gibt, die aber zum Hedgen benötigt werden, der Preis steigt und steigt theoretisch unbegrenzt und wird irgendwann durch den Rückkauf der Shorts noch beschleunigt. In die negative Richtung ist der Gamma-Squeeze allerdings weniger gravierend (aus meiner Sicht): es kann nicht unendlich weit runtergehen wie auf dem Weg nach oben, es kann also nur eine Abwärtsbewegung vorübergehend beschleunigen. Ist aber meiner Meinung nach definitiv nicht das, was wir gestern gesehen haben (da zu lasch), ich lasse mich aber auch eines besseren belehren.
7. Bonusfrage
Wenn man sich Optionen am Geld oder auch im Geld anschaut, merkt man dass diese kein Delta von 1 oder -1 haben wie man jetzt denken könnte, sondern immer darunter. Woher nimmt der MM also im Fall der Ausübung einer Call durch den Käufer die Aktien?
Antwort: Der MM hedgt ja nicht nur die ITM Optionen sondern alle Optionen (!), dadurch hat er in Summe immer genug, um im "Versicherungsfall" seine jeweilige Pflicht einzugehen.
Ich hoffe das hilft dem ein oder anderen, und wie gesagt, wenn etwas nicht klar ist bitte fragen oder falls ich was falsch beschrieben habe bitte ergänzen und korrigieren. Das dient auch nur der allgemeinen Info und ist keine Handelsempfehlung.