Freitag, 28.06.2019 18:00 von Klaus Stopp | Aufrufe: 783

Weidmann weichgespült?

Damals, als sich die Europäische Zentralbank (EZB) aufmachte, ihr umstrittenes Ankaufprogramm OMT („Outright Monetary Transactions“) auf den Weg zu bringen, stand Jens Weidmann ganz alleine. Der Bundesbank-Präsident war im September 2012 der einzige wichtige europäische Notenbanker, der sich gegen diese Maßnahme expansiver Geldpolitik im EZB-Rat stellte. Damit zeigte sich Weidmann als Mann mit Prinzipien. Ihn habe die Sorge umgetrieben, dass die Geldpolitik ins Schlepptau der Fiskalpolitik geraten könne, sagte er nun „Zeit Online“. Aber, nachdem der Europäische Gerichtshof das Anleihekaufprogramm als rechtmäßig eingestuft hat, sehe er sich daran gebunden. Ob Weidmann damit seine Prinzipien verrate, wie die „Welt“ fragte, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass solche Aussagen vor dem Hintergrund des Gerangels um die Chefposten der Europäischen Union (EU) getätigt werden.

Bundesbank-Chef versucht Kritikern entgegenzukommen

Denn nun hat Weidmann, der einer der Kandidaten für die Nachfolge von Mario Draghi an der Spitze der EZB ist, gegenüber seinen Kritikern signalisiert, dass er das OMT-Programm nicht zurücknehmen wird, sollte er denn den EZB-Chefposten erhalten. Seine bisherige Kritik am OMT und die Ablehnung des Einsatzes quantitativer Lockerungen der Geldpolitik (QE) sind vor allem den südeuropäischen EU-Staaten ein Dorn im Auge. So sieht das bislang noch nie eingesetzte Rettungsprogramm OMT vor, im Notfall unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder zu erwerben.

Draghi lässt die Muskeln spielen

Bei der Bundesbank heißt es nun, Weidmann habe bisher immer ökonomisch und nie rechtlich argumentiert. Bei allem Respekt vor dem Bundesbank-Präsidenten, der als fachliche Spitzenbesetzung gilt, klingen solche Deutungsversuche wie eine weichgespülte Version seiner bisherigen Haltung. Ob dies reicht, die Südländer in der EU zu überzeugen, Weidmann mit der Nachfolge des bisherigen EZB-Chefs Mario Draghi zu betrauen, ist offen. Sollte es aber so weit kommen, wird es ohnehin schwer für den Bundesbanker. Denn Draghi, unter dessen Führung die EZB nur die Zinsen gesenkt, aber nie erhöht hat, ließ in der vergangenen Woche nochmals die Muskeln spielen. Im portugiesischen Sintra machte er klar, dass der EZB alle Mittel zur Verfügung stünden, um ein Absacken der Inflation zu verhindern. Damit eröffnete er die Spekulation auf weitere Zinssenkungen auch unterhalb der Nulllinie. Auch einen neuen Anlauf der Nettoankäufe für Staatsanleihen schloss der scheidende EZB-Chef nicht aus.

Geschacher um weitere EU-Chefposten

Dabei ist die Neubesetzung der EZB-Spitze ohnehin im Rahmen des Geschachers um weitere Chefposten der EU zu sehen. Der wichtigste davon ist das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will im Ringen um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker vom sogenannten Spitzenkandidatenprinzip abweichen, was eher nach Hinterzimmer-Diplomatie schmecken würde als nach Respekt vor dem Wählerwillen. Die Chancen des ohnehin als „zu brav“ geltenden Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), sind dadurch weiter gesunken. Ihn würde wohl Kanzlerin Angela Merkel bevorzugen, würde es für Deutschland auf die Wahl „Weber oder Weidmann“ hinauslaufen. Natürlich hätte Berlin mit einem EU-Kommissionspräsidenten Weber größeren Einfluss auf langfristige Gesetzgebungsprozesse in der Gemeinschaft. Für den Kapitalmarkt aber wäre ein Mann wie Weidmann an der EZB-Spitze allemal die willkommenere Option. Und dabei wird unterstellt, dass der Bundesbank-Chef ungeachtet aller neuen Rhetorik seine Aversion gegenüber einer extrem expansiven Geldpolitik beibehalten hat.

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Baader Bank AG
Klaus Stopp ist Head of Market Making Bonds bei der Baader Bank AG. Baader betreut an den Börsenplätzen Berlin, Frankfurt und München u.a. den Handel mit Anleihen und betreut Deutschlands führende Anleihen-Website Bondboard.
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