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Völker Europas, steht auf“
In aller Welt haben am Samstag zahlreiche Menschen gegen die Auswüchse des Finanzmarktes demonstriert. Die Beteiligung an der Aktion in 1.000 Städten war sehr unterschiedlich. In Rom versammelten sich Zehntausende, die Veranstalter rechneten mit weit über 100.000 Teilnehmern.
Unter dem Motto „People of Europe, rise up“ („Völker Europas, steht auf“) startete der Demonstrationszug durch Rom. „Wir sind einfach zu viele“, zitierten italienische Medien die Organisatoren aus der Hauptstadt. Einige vermummte Demonstranten zündeten mehrere Autos an, wie italienische Medien berichteten. Andere verbrannten die italienische und die europäische Fahne eines Hotels. Am Rande der Proteste setzten Demonstranten auch einen Anbau des Verteidigungsministeriums in Brand. Die Polizei setzte in der italienischen Hauptstadt Wasserwerfer gegen die etwa hundert zum Teil vermummten Demonstranten ein.
Stimmung nach Berlusconi-Sieg aufgeheizt
Nach einem überraschenden erneuten Sieg des umstrittenen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bei einer Vertrauensabstimmung hatte die Polizei mit Zwischenfällen gerechnet. 750 Autobusse aus 80 italienischen Regionen waren erwartet worden. Die Organisatoren rechneten mit mindestens 100.000 bis 200.000 Demonstranten. Ersten Fernsehbildern zufolge war die Teilnahme enorm.
Die von der spanischen Protestbewegung der „Empörten“ und der US-Bewegung „Occupy Wall Street“ inspirierte Aktion richtet sich gegen „die Zerstörung der Rechte, des Allgemeinguts, der Arbeit und der Demokratie durch eine Anti-Krisen-Politik, die den Profit und die Finanzspekulation beschützt und rechtfertigt“.
„Die Straßen gehören uns“
In London versammelten sich Tausende Finanzmarktkritiker an der St. Paul’s Kathedrale und der Börse. Die Demonstranten skandierten „die Straßen gehören uns“ und „wir sind die 99 Prozent“ - als Ausdruck dafür, dass ein Prozent der Bevölkerung auf dem Rücken der 99 restlichen Prozent reich geworden sei. Die Aktion „Besetzt die Londoner Börse“ („Occupy London Stock Exchange“) wurde von einem Zusammenschluss von Organisationen veranstaltet wie UK Uncut und OccupyLSX.
Aktivisten wollten später von der St. Paul’s Kathedrale in Richtung Börse ziehen. „Warum zahlen wir für eine Krise, die die Banken verursacht haben? Banker fahren weiterhin Milliardengewinne ein und genehmigen sich enorme Boni, nachdem wir sie mit 850 Milliarden Pfund gerettet haben“, kritisierte die OccupyLSX-Unterstützerin Laura Taylor. Die Polizei riegelte den Platz vor der Börse ab.
„Jesus“ unter Demonstranten
Ein als Jesus verkleideter Demonstrant hielt auf den Stufen der St. Paul’s Kathedrale ein Protestschild in die Höhe: „I threw out the moneylenders for a reason“ (etwa: „Ich habe die Geldwechsler aus gutem Grund hinausgeworfen“). Auch WikiLeaks-Gründer Julian Assange kam mit einer Entourage an Begleitern und hielt eine kurze Ansprache, in der er sagte, Ziel der Protestbewegung sei nicht „die Zerstörung, sondern die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit“.
In der spanischen Hauptstadt Madrid, von der im Mai mit der Bewegung der „Indignados“ („Empörten“) die Proteste ihren Ausgang nahmen, kamen im Stadtzentrum mehr als 10.000 Menschen zusammen. Insgesamt gab es in Spanien Proteste in rund 60 Städten.
Tausende Deutsche auf den Straßen
Auch in Deutschland gingen Tausende aus Protest gegen die Finanzindustrie auf die Straße. Mit Kundgebungen in Frankfurt, Berlin und Hamburg schlossen sich die Demonstranten den weltweiten Protesten gegen den Einfluss von Banken und Aktienmärkten an. Die globalisierungskritische Organisation ATTAC sprach von mehr als 40.000 Teilnehmern, andere Schätzungen lagen indes deutlich niedriger.
„Es geht gegen die Banken, gegen die finanziellen Machthaber im System, es geht darum, dass Profite vor den Menschen stehen“, sagte der Sprecher der Bewegung „Occupy Frankfurt“, Wolfram Siener, bei der Kundgebung vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Finanzmetropole Frankfurt. ATTAC-Sprecher Alexis Passadakis warf den europäischen Regierungen vor, mit ihrer Politik die Krise noch zu verschärfen, den Sozialabbau voranzutreiben und über die Rettungspakete für die Banken die Demokratie zu schädigen.
In Berlin verhinderte die Polizei das Aufstellen von Zelten für einen längeren Protest vor dem Reichstag. In Frankfurt vor der EZB-Zentrale durften Demonstranten Zelte aufbauen, weil sie anders als in Berlin dafür die Genehmigung eingeholt hatten.
„Ein Alarmsignal“
Unterstützung erhielten die Demonstranten auch von etablierten Organisationen wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Dieser weltweite Protest vieler Tausender vorwiegend junger Menschen ist ein Alarmsignal“, sagte DGB-Chef Michael Sommer. Die Demonstranten brandmarkten zu Recht das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich. „Jenseits jeglicher demokratischer Legitimation und ohne Verantwortung für die Allgemeinheit sind skrupellose Investmentbanken dabei, unsere Gesellschaft zu spalten und aus den Angeln zu heben.“ Es gehe um nichts geringeres als die Zukunft der demokratischen Gesellschaften.
„Wir wurden ausverkauft, die Bank rausgekauft“
In New York marschierten tausende Menschen - umringt von einem starken Polizeiaufgebot - zum Gebäude der JP Morgan Chase Bank im Finanzdistrikt und skandierten dabei „We got sold out, banks got bailed out“ („Wir wurden ausverkauft, die Banken rausgekauft“). Aktivisten riefen die Teilnehmer dazu auf, ihre Konten bei der Bank aufzulösen.
Auch in der Hauptstadt Washington gingen tausende Menschen auf die Straße. Über 300 Mitglieder der Bewegung „Besetzt DC“ - also den Hauptstadtbezirk - versammelten sich am Vormittag zunächst vor dem Weißen Haus und dem Finanzministerium, um gegen die „Finanzmafia“ zu demonstrieren. Sie schlossen sich darauf einer Demonstration mit zwei- bis dreitausend Teilnehmern an, zu der rund 20 Organisationen und Verbände aufgerufen hatten.
Wenig Zulauf in Asien
Die „New York Times“ berichtete, dass zuvor in zahlreichen Städten Asiens Proteste stattfanden, dort aber durchwegs wenige Leute anzogen. Die größte Demonstration habe es im australischen Sydney mit rund 800 Teilnehmern gegeben. Bei der Demo vor der Zentrale der australischen Nationalbank wurden die Teilnehmer mit einer Blasmusikkapelle und Straßenkünstlern unterhalten. Trotz Protestslogans wie „Kapitalismus bringt unsere Wirtschaft um“ hätten die Teilnehmer weit auseinandergehende Forderungen oder würden sich schwertun, diese überhaupt zu formulieren, so die „New York Times“.