Für langjährige Thyssen-Aktionäre ist es wie verhext...
Alle namhaften Peers... Arcelor, Salzgitter, Voestalpine... sind vom Coronatief nach oben explodiert...
ThyssenKrupp war von allen Peers am tiefsten gefallen und hat sich seither am wenigsten erholt.
Woran liegts?
Das Problem heißt Stahlsparte und das ist bitter für einen Konzern , der den Namen des vielleicht bedeutendsten Stahlpioniers "KRUPP" trägt.
Thyssen hat die Stahlsparte nicht einmal im besten Stahljahr seit einem Jahrzehnt cashflowpositiv bekommen. Während Arcelor und Salzgitter 2022 nicht nur phantastische Gewinne erzielt, sondern auch hohe Netto-Cashzuflüsse generiert haben, hat Thyssen aus einer 20 MRD EUR Umsatz-Sparte - unter bestmöglichen Rahmenbedingungen im weltweiten Stahlgeschäft - nicht einmal 1 MRD EUR Nettogewinn herausgepresst und den operativen Cashflow erneut durch enorme Investitionen in der Stahlsparte komplett vernichtet.
Offensichtlich ist die Infrastruktur bei Thyssen in den letzten zwei Jahrzehnten derart auf Verschleiß gefahren worden und man hat einen derart hohen <Investitionsstau aufgebaut, dass man einfach nicht mehr wettbewerbsfähig ist und gegen Arcelor und Salzgitter beständig das Nachsehen hat.
Die einzig richtige Lösung scheint mir zu sein, die Stahlsparte - komme was wolle - abzustoßen oder zu liquidieren. Es wäre betriebswirtschaftlich Wahnsinn, 8 MRD EUR in die Erneuerung von Hochöfen zu investieren, ohne Aussicht auf hohe Nettorenditen. Die Politik sieht einzig und allein nur 25000 Arbeitsplätze der Stahlsparte. Die Interessen der Aktionäre sind der Politik herzlich egal, was auch ok ist. Nicht ok ist allerdings, dass der Thyssen Vorstand, der zuallererst den Aktionären verpflichtet ist, die Interessen der Aktionäre ebenfalls seit Jahren mit Füßen tritt.
Kein einziger Vorstand hat sich bislang getraut, den Mitarbeitern und vor allem auch der Politik eine glasklare Ansage zu machen, dass die Zeit jahrelangen Cashburns JETZT endet, entweder durch Verkauf der Stahlsparte an einen Wettbewerber oder den Staat, oder durch Schließung.
Statt dessen erzählt man sich weiterhin Märchen von einer profitablen Stahlsparte. Die Wahrheit ist, dass Thyssen mit der Stahlsparte 10% bis 12% Nettorendite erzielen müsste, um die Eigenkapitalkosten zu erwirtschaften. Damit wäre der ökonomische Gewinn noch immer Null. Von hoher Rentabilität im Sinne eines Übergewinns wäre betriebswirtschaftlich erst die Rede, wenn die Nettorendite oberhalb der Kapitalkosten läge.
Das Ergebnis des Fakts, dass Thyssen seit Jahren die Kapitalkosten nicht einmal annähernd erwirtschaftet sieht man in einem unter 40% liegenden Kurs-Buchwert-Verhältnis.
Das Unternehmen vernichtet ökonomisch permanent Geld, was man unschwer erkennen kann, da selbst im Rekord-Stahljahr 2020 der Nettokonzerngewinn um Welten unterhalb der Eigenkapitalverzinsung lag. Bei 14,2 MRD EUR EK lt. Konzernabschluss 30.09.2022 und 10% EK-Kosten müsste der Konzern 2023 einen Nettogewinn von 1,42 MRD EUR erzielen, um die EK-Kosten zu verdienen. Tatsächlich wird wohl kaum mehr als eine schwarze Null erzielt, was bedeutet, dass im Geschäftsjahr 2023 erneut 1,4 MRD EUR Aktionärsvermögen vernichtet wurde.
Aus Sicht der Arbeitnehmer, des Vorstands und der Politik könnte dieses Spiel der Umverteilung von Aktionärskapital an die Belegschaft wohl endlos weitergehen. Dass der Kapitalmarkt diesem betriebswirtschaftlichen Wahnsinn nicht längst Einhalt geboten hat, dürfte an der Aktionärsstruktur und dem unerhört starken Einfluss der Politik und der Gewerkschaften auf ein nach wie vor zu den traditionsreichsten und das industrielle Bild der deutschen Wirtschaft am stärksten prägenden Industriegiganten zählendes Unternehmen liegen.
Die betriebswirtschaftlichen Gründe des anhand der Entwicklung der Marktkapitalisierung unübersehbaren Bedeutungsverlusts deutscher Industriekonzerne sind nirgendwo besser erkennbar als bei ThyssenKrupp. Wenn soziale Marktwirtschaft seit Jahrzehnten immer stärker zur reinen Umverteilungsmaschine wird und eherne betriebswirtschaftliche Wettbewerbsprinzipien wie "Mindestrenditeziel = EK-Kosten" als kapitalistischer Nonsens aus der neoliberalen Mottenkiste verhöhnt werden, muss man sich nicht wundern, wenn internationale Anleger und Hedgefonds deutsche Industrieaktien immer stärker als Nobrainer-Shortgelegenheit wahrnehmen und Aktien mit langjähriger Arbeitnehmer-Versorgungsmentalität wie ThyssenKrupp, K+S oder VW zu rein charttechnisch getriebenen Kursfristzocker-Papieren mit über Jahre immer stärker steigender Vola mutieren, während eine vollständige Entkopplung der Entwicklung des bilanzierten Eigenkapitals von der Marktkapitalisierung stattfindet, was irgendwann selbst die härtesten Langfristanleger aus besagten Aktien vertreibt, weil die Börse diesen Aktien selbst bei einem DAX nahe Allzeithoch nicht den Hauch einer Chance lässt und der nächste charttechnisch bedingte Abverkauf immer nur eine Frage der Zeit ist. Fundamental positive Nachrichten wie Nucera-IPO, gute Aussichten für Marine-Systems, die Automotive Sparte oder auch den Industriebereich mit gigantischen Zahnrädern für Windkraftanlagen etc. werden von Zockern für kurzfristige Trades genutzt und binnen Tagen abverkauft. Solange der unstillbare Cashburn namens Stahlerzeugung nicht endlich versiegt, kann keine Subventionsnachricht und kein IPO die Aktie nachhaltig nach oben treiben, was bei stetig wiederholten Kurszielen internationaler Analysten für die Thyssen-Aktie nahe 6 EUR - zur Frustration vieler langjähriger Thyssen-Aktionäre wie meiner Person - mehr als deutlich zum Ausdruck kommt.
Der Grund, warum ich mich noch immer nicht endgültig aus dieser Aktie verabschiedet habe, ist die Hoffnung auf eine den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen endlich Rechnung tragende massive Strategieänderung des neuen Vorstands. Wenn die Politik meint, dass trotz hoher Energie- und Arbeitskosten und stetig steigender Umweltstandards in Deutschland weiter Stahl produziert werden soll, während das Tor für chinesischen Billigstahl nach Europa weiter offen bleibt, soll sie die Stahlsparte übernehmen und als Staatsunternehmen führen.
Als Aktionär bin ich nicht mehr bereit, unkalkulierbare Risiken der Stahlproduktion ohne auch nur näherungsweise adäquate Renditeaussichten fortzuführen.
Wie gesagt, m.E. ist die Sache betriebswirtschaftlich einfach. Wenn der Börse ein glaubhaftes Unternehmenskonzept vorgelegt wird, wo bezogen auf 14,2 MRD EUR bilanziertes EK nachhaltig die EK-Kosten von 10% bis 12% erwirtschaftet werden, können sie das Unternehmen gern weiterführen.
Ich bezweifle, dass die Stahlsparte ohne ein knallhartes Restrukturierungskonzept auf ein betriebswirtschaftlich vernünftiges Rendite-Risiko-Profil getrimmt werden kann.
Daher ist mein Szenario ein Verkauf mit einer signifikanten Mitgift (2 bis 3 MRD EUR)!
Lieber ein Ende mit Schrecken... die bisherigen Vorstände hatten nicht die Kraft, den Badwill der Stahlsparte schonungslos offenzulegen und der Politik, den Mitarbeitern und den Gewerkschaften klar zu machen, dass die schönen Zeiten permanenter Tariflohnerhöhungen der IG Metall ein Ende haben und dass spätestens Ende 2023 über den Fortbestand der Stahlsparte endgültig entschieden werden muss. Wie gesagt, ich hoffe auf die Einsicht des Vorstands in betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten!