Jeder Bilanzanalyst, Controller oder sonstige Erbsenzähler muss sich die Haare raufen, wenn er einen Blick in die Unternehmenszahlen des Autoherstellers Tesla wirft. Diese Firma geht gigantische Risiken ein. Das hat sich auch in der letzten Woche wieder bestätigt, als CEO und Verwaltungsratspräsident Elon Musk die jüngsten Zahlen präsentiert hat.
Das Unternehmen schreibt seit Jahren Verluste, die überdies auch noch zunehmen. 2013 waren es 74 Millionen Dollar, 2014 bereits 294 Millionen und im letzten Jahr sogar 889 Millionen Dollar. Im ersten Quartal 2016 allein belief sich der Verlust auf 282 Millionen Dollar.
Die Verschuldung ist enorm und sie steigt laufend an: Die Nettoverschuldung (Fremdkapital abzüglich Cash und Debitoren) ist von 2,7 Milliarden Dollar 2014 bis zum ersten Quartal 2016 auf 6,4 Milliarden Dollar angestiegen. Die gesamte Verschuldung (Fremdkapital) macht mittlerweile beinahe 90 Prozent am gesamten Kapital aus. Ende 2014 belief sich dieser Anteil noch auf 83 Prozent.
Die Firma verbrennt bisher mehr Cash, als sie generiert. Im Jahr 2015 belief sich der operative Cash Flow (Stufe Nettoumlaufsvermögen) auf -524 Millionen Dollar, 2013 lag dieser Wert mit 265 Millionen noch im positiven Bereich.
Die Aufnahme neuer Gelder nach Rückzahlung von Schulden (Nettofinanzierung) steigt ebenfalls jährlich weiter: 635 Millionen Dollar waren es 2013, 1,5 Milliarden Ende 2015, allein im ersten Quartal kamen erneut 715 Millionen Dollar dazu.
Um per Kredit Geld aufzunehmen, das er dann in seine Unternehmen Tesla, SolarCity und SpaceX steckt, hinterlegt Elon Musk Aktien dieser Unternehmen in seinem Bestand als Sicherheit. Damit erhöht er sein Risiko im Fall eines ungünstigen Geschäftsverlaufs oder eines Preiszerfalls der Aktien allerdings erst recht. Denn in diesem Fall muss er weitere Sicherheiten liefern, bzw. hinterlegte Aktien verkaufen.
Schaut man nur die Bilanz, die Erfolgs- und die Geldflussrechnung an, müsste daher klar sein: Hier sieht alles nach Scheitern aus. Wie viel besser stehen mit Blick auf die Zahlen andere Firmen, sogar aus der IT-Branche, da. Etwa Anbieter von Onlinedienstleistungen aller Art, die zuweilen eine hohe Marge abwerfen, weil es wenig kostet, sie einem grösseren Nutzerkreis zugänglich zu machen.
Gerade das Beispiel von Tesla zeigt, wie wenig Zahlen für sich gesehen über die Perspektiven eines Unternehmens aussagen, und mehr noch: Das Beispiel steht auch für das Gute am Kapitalismus – oder, um einen weniger belasteten Begriff zu verwenden: Es steht für ein Beispiel echten Unternehmertums, für das, was den wirtschaftlichen Fortschritt ausmacht. Das heisst:
Ein Unternehmer setzt alles auf eine Karte, er glaubt an seine Produkte und tut deshalb alles dafür.
Er geht Risiken ein und macht auch gar keinen Hehl daraus. Und die Risiken werden nicht – wie so oft – verschleiert.
Die Risiken geht Elon Musk auch persönlich ein. Seine einzige – von ihm wieder ins Unternehmen investierte – Bezahlung besteht in einem Lohn von 37’500 Dollar pro Jahr, weil das die Mindestlohnvorschriften des Staates Kalifornien so vorschreiben. Ansonsten lässt er sich Optionen auf das eigene Unternehmen gutschreiben, womit er sich noch mehr an dessen Erfolg bindet.
Risiken eingehen, heisst nicht, verrückt zu sein: Die Autos von Tesla stellen echte Innovationen auf dem höchsten verfügbaren technologischen Niveau dar und können daher nicht so rasch kopiert werden. Zudem stossen sie auf grosses Interesse und sie können international abgesetzt werden.
Für die Chancen spricht auch, dass der Bruttogewinn bei Tesla positiv ist. Das heisst, wenn man vom Erlös der verkauften Autos die unmittelbaren (variablen) Herstellungskosten abzieht, bleibt ein Überschuss zurück. Was ungedeckt bleibt, sind die Fixkosten: Hauptsächlich für Forschung und Entwicklung, Administration und Marketing. Dazu kommen noch die Zinsen für das aufgenommene Geld und die Steuern. Das Risiko besteht letztlich darin, die Fixkosten auch langfristig nicht decken zu können. Je grösser aber der Absatz – und Musk ist hier sehr ambitioniert – desto geringer wird der Anteil der Fixkosten und je grösser das Gewinnpotenzial.
Nun ist Elon Musk als Milliardär nicht jemand, der sich um sein tägliches Brot sorgen muss. Doch das ist hier nicht der Punkt. Wenn es ihm nur um viel Geld geht, warum der ganze Stress, das ganze Risiko? Und es geht im Kern auch nicht um Musk oder um Tesla. Wie schon die Pioniere der Verhaltensökonomie Daniel Kahnemann und Amos Tversky festgehalten haben, werden echte Unternehmer nicht durch nüchterne Berechnung angetrieben – in ihren Worten vielmehr durch eine Art Selbstüberschätzung – und gerade dies bringt die Menschheit weiter, obwohl viele Unternehmen tatsächlich scheitern.
Das unternehmerische Denken und Handeln steht im Gegensatz zu einer besonderen Bürokratie, wie sie in grösseren Unternehmen, unter Buchhaltern, Controllern und Beratern besonders verbreitet ist, die einen übermässigen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Hier zählen Excel-Tabellen mit gesicherten Zahlen: sicheren Gewinnen, sicheren Margen, sicheren Umsätzen. Mit «sicher» sind hier Geschäftsmodelle gemeint, die bereits Erfolg hatten.
Die Folge ist, dass solche «sicheren» Geschäftsmodelle gerne kopiert oder gekauft werden und das Beschreiten von Neuland wenig Anhänger hat. So wird dann in Bereiche investiert, die gerade deshalb wiederum leicht kopiert werden können und werden, sodass die schönen Zahlen sehr schnell ihren Glanz verlieren können. Kein Risiko einzugehen, erweist sich dann auf die Dauer als das grösste Risiko überhaupt.