FTD: Autokonzerne unter Strom
12.01.2009 - 09:02
Im Kampf gegen den Untergang klammern sich die US-Autobauer in Detroit an ihre jüngsten Entwicklungen: Elektrofahrzeuge. Für 2010 versprechen General Motors und Chrysler serienreife Neuwagen. Doch aus der aktuellen Krise wird sie das nicht führen.
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Solche Auftritte sind ganz nach dem Geschmack von Tom LaSorda. "Wir sind viel weiter, als die Branche bislang dachte", verkündet der Chrysler-Präsident stolz. "Wir haben unser Geheimnis gut gehütet." Dann dreht er sich langsam um. Hinter ihm stehen drei Autos, denen äußerlich nichts Ungewöhnliches anzusehen ist. Aber unter der Haube steckt eine Entwicklung, die Chrysler ganz unbescheiden als "Revolution" bezeichnet: Die drei Fahrzeuge fahren mit Strom.
In guten Zeiten wäre dieser Tag im September längst wieder vergessen. Die Ingenieure würden in Ruhe weiterbasteln -
und eines Tages könnte Chrysler den nächsten Prototyp präsentieren. Doch die Zeiten sind nicht gut. Die Zeiten sind katastrophal.
General Motors, Ford und Chrysler, die als Big Three amerikanische Autogeschichte geschrieben haben, kämpfen ums Überleben. Vor Weihnachten konnten GM und Chrysler die Insolvenz nur mit einer staatlichen Nothilfe von 13,4 Mrd. $
abwenden. Nun fordert Chrysler nochmals 3 Mrd. $. Vor 2010 sei in den USA keine Erholung in Sicht, sagt Ford-Chef Alan Mulally. Der neue Präsident Barack Obama fordert ein überzeugendes Zukunftskonzept. Doch genau dieses Konzept bleiben die Konzerne bislang schuldig.
In ihrem Kampf gegen den Untergang klammern sich die Autobauer an ihren letzten Trumpf: Elektrofahrzeuge. Auf der Messe in Detroit zelebrieren General Motors und Chrysler den Aufbruch. Schon im kommenden Jahr sollen die neuen Wagen serienreif sein - das wäre eine Revolution Doch retten wird das die Konzerne nicht. Die Nachfrage ist zu gering, die Autos viel zu teuer. "Vorerst ist das Ganze ein reines Imagethema für die Konzerne", sagt John Wolkonowicz, Autoanalyst beim US-Marktforscher Global Insight.
Der Chevy Volt, der für GM den Weg in die elektrische Zukunft bahnen soll, "kann 40 Meilen fahren, bevor er überhaupt Benzin braucht", schwärmt der Konzern. Erst danach schaltet sich der Generator zu, der die Batterie wieder auflädt. Drei Viertel aller Amerikaner könnten damit täglich zur Arbeit fahren, ohne je einen Tropfen Benzin zu verbrauchen. Abends kommt der Wagen einfach zum Auftanken an die Steckdose - und acht Stunden später ist der Akku wieder voll.
Kein Benzin, keine Abgase. Ausgerechnet Chrysler und GM, die ihren technologischen Fortschritt bisher fast ausschließlich in Hubraum und Pferdestärken gemessen haben, entdecken plötzlich ihr grünes Gewissen. "Wir haben eine gesellschaftliche Verpflichtung, umweltfreundliche und effiziente Elektroautos zu liefern", sagt Chrysler-Chef Robert Nardelli. "Und wir haben die Absicht, dieser Pflicht schneller und umfangreicher nachzukommen als jeder andere Hersteller."
Die drei Konzernmarken Chrysler, Jeep und Dodge sollen ab 2010 insgesamt fünf Elektromodelle auf den Markt bringen: Familienkutschen, Geländewagen und Sportflitzer. GM setzt seinen "Volt" dagegen. "Dieses Auto schenken wir uns selbst zum 100. Geburtstag", sagte Europachef Carl-Peter Forster im Oktober feierlich. Doch wirklich überzeugt ist Forster offensichtlich selbst nicht: "Ob es auch die Welt als Geschenk empfinden wird, werden wir vielleicht später einmal sehen", fügte er hinzu.
Die jüngsten Marktdaten, die jenseits der großen Show-Bühne von Detroit ermittelt werden, lassen jedenfalls keine Euphorie aufkommen. Nicht einmal ein Prozent der neuen Autos werden 2015 weltweit mit einem reinen Elektromotor fahren, sagen die Marktstrategen des Zulieferers Bosch voraus.
Wer ums Überleben kämpft, kann sich keine Zweifel leisten. "Chrysler kann viel versprechen, die haben ja nichts mehr zu verlieren", lästert ein führender Ingenieur eines deutschen Rivalen am Rande der Detroiter Autoshow. "Die werden die Einführung ihrer eigenen Elektroautos wohl kaum noch selbst erleben."
Zumindest in der Politik herrscht Optimismus. Obama ist fest entschlossen, die Abhängigkeit der USA vom Öl anderer Länder zu verringern, und gibt deshalb ein klares Ziel aus: Bis 2015 will der neue Präsident auf Amerikas Straßen eine Million Autos sehen, die alternativ zum Benzin auch mit Strom fahren können. Auch Deutschland will da mithalten: Eine Million Elektroautos bis 2020, so die Vorgabe der Bundesregierung. Zehn Jahre später sollen es bereits fünf Millionen sein.
Nach dem Ölpreis-Schock vom vergangenen Sommer, als die Benzinpreise weltweit rasant in die Höhe schossen, steigt zumindest das allgemeine Interesse an alternativen Antrieben. "Bislang haben die Amerikaner Elektromotoren höchstens im Rasenmäher akzeptiert", sagt ein amerikanischer Branchenkenner. "Das könnte sich jetzt ändern."
Wäre da nicht die Sache mit dem Preis. "Wir wissen, dass die Autofahrer heute bereit sind für solche Lösungen", sagt GM-Europachef Forster. "Nur ob sie auch bereit sind, dafür zu bezahlen, wissen wir noch nicht." Gregor Matthies, Berater und Autoexperte bei Bain & Company schätzt das weltweite Marktpotenzial für Elektroautos derzeit auf 350.000 Stück Auf absehbare Zeit werden Elektroautos nur zu einem Premiumpreis angeboten werden können, denn die nötige Technologie des Antriebs und der Batterie ist noch nicht industrialisiert", sagt er. Noch sorgen die Hochleistungsbatterien für ein Kostenplus von rund 10.000 Euro pro Auto. "Hätten Elektroautos ein vergleichbares Preisniveau wie jetzige Fahrzeuge, wäre bereits heute ein Absatz von weltweit mehr als 1,5 Millionen Autos möglich", sagt Matthies. "Den Massenmarkt aber können Elektroautos frühestens am Ende der nächsten Dekade erobern."
Daimler und BMW, die bei der Entwicklung neuer Elektroautos den Anspruch der weltweiten Führerschaft erheben, schicken zunächst einmal ihre Kleinstmodelle Smart und Mini mit Elektromotoren auf die Straße - als Botschafter. In London, Berlin und auch in Amerika sollen sie öffentlich für Aufsehen sorgen. Den Nachfolger, der auf der Plattform der B-Klasse gebaut wird, präsentierte Daimler jetzt in Detroit - als Konzept. Für 200 Kilometer soll die Batterie, die unter dem Innenraum im Boden verstaut wird, reichen. Was der Wagen später einmal kosten soll, mag Daimler noch nicht sagen. "Keiner von uns wird in den nächsten fünf Jahren mit Elektroautos auch nur 1 Euro verdienen", sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche.
Schließlich ist das größte Problem nach wie vor nicht gelöst: die Stromversorgung. Die Batterien sind zu groß und zu schwer. Zugleich ist die Reichweite vergleichsweise gering. Auch die Kühlung ist noch nicht ausgereift. Gemeinsam mit dem Essener Industriekonzern Evonik entwickelt Daimler nun ein eigenes Batteriesystem, das ab 2012 massentauglich sein soll.
GM und Chrysler beobachten diese Entwicklung mit Sorge. Auf ihrem eigenen Heimatmarkt gewinnen die Rivalen aus Europa und Asien Jahr für Jahr Marktanteile hinzu. Auf der Automesse in Detroit präsentiert nun auch Toyota einen Kleinstwagen mit Elektroantrieb. Der "Urban Commuter" soll 2012 in den USA auf den Markt kommen, kündigten die Japaner an.
Doch die angeschlagenen Autobauer aus Detroit bekommen auch Druck aus dem eigenen Land. In Kalifornien, wo das Umweltbewusstsein besonders groß und die Abgasnormen besonders streng sind, basteln zahlreiche Mittelständler an der benzinfreien Zukunft der Autobranche.
Mit spektakulären Rennen verpassen einzelne Hersteller dem Elektroauto sogar ein sportliches Image. Die Stromflitzer Tesla Roadster und Wrightspeed X1 lassen bei Beschleunigungsrennen selbst einen Porsche oder Ferrari ziemlich schwerfällig aussehen. "Das Sportwagensegment ist das richtige, um in den Markt zu kommen, denn dort akzeptieren die Käufer hohe Anschaffungskosten", sagt Tesla-Chef Elon Musk seine Strategie.
Auf der Kundenliste für einen Tesla Roadster, der gut 100.000 $ kostet und jetzt erstmals auf der Messe in Detroit präsentiert wird, stehen auch Gouverneur Arnold Schwarzenegger und Hollywood-Schauspieler George Clooney. Die Zeit sei reif für neue Hersteller und für neue, elektrische Autos: "Und wo werden die gebaut?" , fragt Musk, "im Silicon Valley, nicht in Detroit."
Ein bisschen Öko, ein bisschen Hollywood, ausgefallen und schnell: Mit dieser Mischung kommen die Gründer aus Kalifornien mit ihren Elektroflitzern zumindest bei der zahlungskräftigen Kundschaft gut an. Von einem Massenmarkt kann aber auch hier noch keine Rede sein. Zehn Autos baut Tesla derzeit pro Woche, in Zukunft sollen es 30 werden.