Querdenker Kenneth Rogoff
„Europa ist Ground Zero“
Kenneth Rogoff wurde bekannt als Chefökonom des IWF, jetzt ist er Wirtschaftsprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge. Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er, warum Staatspleiten nichts Bedrohliches sind, das globale Wachstum zurückkehren wird und vor welchen Herausforderungen die Euro-Zone steht.
Wie bedrohlich sind die explodierenden Staatsschulden?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Im laufenden Jahr wird das globale Wachstum zurück kehren. Die Panik und die Angst vor einer zweiten großen Depression sind vorbei. Allerdings bleiben die Probleme bei der Arbeitslosigkeit und den Immobilien bestehen. Die Regierungen der entwickelten Länder stehen vor dem großen Problem der Verschuldung und müssen mit den Folgen der Stimulierungsprogramme fertig werden. In Europa ist auch die externe Verschuldung gegenüber dem Ausland ein Problem. Viele Länder haben hier 200 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht, während die Schwellenländer mit ihren Schuldenquoten unter 50 Prozent liegen.
Nach einer Bankenkrise folgt eine Welle an Verschuldungskrisen von Staaten, das haben unsere historischen Untersuchungen ergeben. Im Schnitt ist drei Jahre nach der Bankenkrise die Verschuldung fast drei Mal so hoch. Wenn die Schuldenquote im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung über 90 Prozent steigt, wirkt das wie eine Bremse. Der Staat muss die Steuern erhöhen und Ausgaben kürzen. Die Inflationsgefahren sind allerdings nicht sehr hoch, nur in den Emerging Markets. Jenseits der historischen Betrachtungen könnte der Anstieg der staatlichen Verschuldung Inflation zu einer Herausforderung werden lassen. Auf jeden Fall stehen die fiskalischen Ressourcen weltweit unter beispiellosem Druck.
Staatspleiten hat es gegeben, seit es Kredite gibt. Frankreich ging neun Mal pleite, Spanien 13 Mal. Griechenland ist nur das letzte Beispiel für eine solche Diskussion. Das Land ist in einer sehr schwierigen Lage. Der IWF wird eingreifen und damit Zeit erkaufen. Sicher wird die Lösung des Problems Jahre benötigen. Die Schuldenlage ist völlig außer Kontrolle; das Wachstum wird vielleicht sehr gering ausfallen. Die meisten Länder werden den Gürtel enger schnallen müssen. Dazu gehören auch die US-Konsumenten und die US-Regierung. Das Kernproblem hier ist: Die kurzfristige Verschuldung muss radikal gesenkt werden.
Die Probleme sind politischer Art, nicht ökonomischer Natur. Viele Länder sind in Schwierigkeiten, auch in Osteuropa. Mit Blick auf die Zahl der Länder ist Europa "Ground Zero". Es sind große Anpassungen nötig, in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Lettland, Ukraine und so weiter. Alle diese Länder haben eine sehr hohe öffentliche Verschuldung und eine sehr hohe Verschuldung gegenüber dem Ausland.
Wie entwickeln sich die Währungen?
Der Euro ist eine anfällige Währung, weil die Schuldenprobleme hier in näherer Zukunft nicht gelöst werden können. Der Euro wird überleben, aber einige Länder könnten ein "Sabbatical" nehmen. Die Kern-Länder sind allerdings sehr gesund. In den nächsten ein bis zwei Jahren könnte der Euro schwächer tendieren gegenüber dem Dollar. Deutschland ist kaum in der Lage, alle Probleme in Europa zu schultern.
Die staatliche Schuldenquote inklusive der Bundesländer läuft Richtung 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Alterungsprobleme der Bevölkerung sind größer als etwa in den USA. Aber in drei Jahren könnte es wieder anders aussehen, könnte der Dollar das größere Risiko sein. Die Amerikaner müssen einen Ausweg aus der Null-Zins-Politik finden, Länder und Kommunen leiden, die Häuserpreise bleiben schwach, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Übrigens glaube ich nicht an eine von Hedge-Fonds initiierte Euro-Schwäche, das ist lächerlich, dazu sind die Devisenmärkte viel zu groß.
Die Währungen der Schwellenländer sind am attraktivsten. In den Ländern haben die Marktteilnehmer die geringste Anfälligkeit aus ihrer Verschuldung heraus, außerdem haben diese Staaten das höchste Wachstum.
Die Leitzinssätze werden für sehr lange Zeit niedrig bleiben. Die EZB hat wegen des geringen Wachstums in Europa und der schwachen Banken wenig Spielraum für eine Erhöhung. In allen entwickelten Ländern sehe ich keine große Inflationsgefahr. Langfristige Renditen sind dagegen schwer zu prognostizieren. Sie können in beide Richtungen gehen. Die Sätze für die zehnjährigen US-Staatsanleihen oder die Bundesanleihen könnten leicht eineinhalb Prozentpunkte nach oben oder unten laufen. Nach zwei oder drei weiteren Jahren mit hohen Ausgaben und Defiziten könnten sie tatsächlich steigen. Der Ausstieg aus den Stimulierungsanstrengungen ist ein potenzielles Problem.
Wohin steuern die Aktienmärkte?
In einer Krise beginnen die Aktienmärkte wieder zu laufen. Aus historischer Sicht sind sie nach zwei bis drei Jahren wieder bei ihren Höchstkursen. Es gibt eine Ausnahme: Japan. Momentan sind die Aktienmärkte nicht überbewertet, aber ich bin auch nicht so optimistisch wie die meisten Analysten an der Wall Street. Persönlich bin ich übergewichtet bei Schwellenländer-Aktien, würde Immobilien untergewichten. Am wenigsten attraktiv sind chinesische Immobilien, denn die Preise haben sich weit von der Realität entfernt und sind absurd hoch. China muss schnell die schwächeren Exporte durch Binnenkonsum ersetzen und ist deshalb anfällig.
Welche Anlagen können Sie empfehlen?
Eine schwächere Konjunktur in China könnte die Weltwirtschaft nur schwer verdauen. Wenn sich die globale Wirtschaft erholen sollte, würde ich auf die Schwellenländer und insbesondere nach Brasilien schauen.
Bei den anfälligen Ländern gibt es einen Zyklus: Die Zinsvorsprünge steigen, dann kommt beispielsweise der IWF mit Programmen zu Hilfe, die Zinsvorsprünge sinken. Später erkennen die Marktteilnehmer, dass das betroffene Land gar nicht den Gürtel enger geschnallt hat, die Zinsvorsprünge steigen wieder. Es gibt neue Sparprogramme, die Zinsvorsprünge sinken wieder. Vielleicht ist dieser Staat dann einige Jahre später wirklich auf gutem Weg.
Zur Person: Kenneth Rogoff wurde bekannt als Chefökonom des IWF. Jetzt ist er Wirtschaftsprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge, USA. Mit der Co-Autorin Carmen Reinhart hat er den aktuellen Bestseller "This
time is different" veröffentlicht. Darin untersuchen die beiden Autoren die Finanzkrisen der vergangenen Jahrhunderte.
http://www.handelsblatt.com/finanzen/...opa-ist-ground-zero;2543738;0