Staat gegen Markt: Das Match ist nicht entschieden
Der Fall Irland scheint zu zeigen, dass die Märkte die Staaten im Griff haben. Der Eindruck täuscht: Die Regulierung kommt voran.
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Jean Pisani-Ferry leitet das Wirtschaftsforschungsinstitut Bruegel in Brüssel. Quelle: Pressebild
Mit Irland ist - nach Griechenland im vergangenen Mai - zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein Euro-Staat in einer kritischen finanziellen Lage. Irland muss seine Anleihen wesentlich teurer bezahlen, wegen seiner verschlechterten wirtschaftlichen Lage und den hohen Kosten der Bankenstützung. Dabei hatten vor zwei Jahren die Staaten die Finanzmärkte vor einem Debakel gerettet. Heute dagegen scheinen die Märkte die Staaten in Schach zu halten.
Der Fall nährt das latent vorhandene Gefühl, dass sich nichts zum Besseren gewendet hat, die richtige Gelegenheit verpasst wurde, um zu handeln, und die Regierungen nun von der Gnade derer abhängen, die gestern noch um Rettung flehten. Dieser Eindruck muss korrigiert werden. Erstens stimmt es nicht, dass mit Blick auf die Finanzregulierung nichts geschehen sei, und zweitens täuscht die simple Gegenüberstellung von Staaten und Märkten.
Der Reihe nach: In einer kürzlich von Bruegel veröffentlichten Studie haben Stéphane Rottier und Nicolas Véron versucht, die Fortschritte bei der Finanzmarkt-Regulierung zu messen. Sie haben das Programm als Maßstab genommen, das beim ersten G20-Treffen im November 2008 in Washington vereinbart wurde. Sie zeigen, dass es nur teilweise verwirklicht wurde, was auch darauf zurückgeht, dass in manchen Fällen starke internationale Organisationen beauftragt wurden und in anderen lediglich an die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden appelliert wurde. Doch insgesamt ist das Ergebnis absolut nicht gleich null. Die Vereinigten Staaten haben im Juli eine große Finanzmarktreform verabschiedet, Europa hat sich auf eigene Reformen verständigt, und die internationalen Bankenaufseher haben die Regeln deutlich verschärft, die für Kreditrisiken gelten.
Das Programm von Washington, das noch George W. Bush als Präsident unterzeichnet hat, war allerdings weder sehr ehrgeizig noch besonders gut strukturiert. Es zielte nicht darauf ab, den Finanzsektor zu zähmen, und baute nicht auf einer tiefen Analyse der Krise auf. Die Staaten wollten in aller Eile handeln und wussten nicht so genau, in welche Richtung sie gehen sollten. So kam eine recht heterogene Liste zusammen.
Keine Rolle spielten die radikaleren Ideen, die erst später in der Debatte auftauchten wie etwa die "Volcker Rule", die eine strikte Trennung zwischen Banken und Hedge-Fonds einführte - und ihren Weg in die amerikanische Gesetzgebung gefunden hat. Ähnliches gilt für einen Mechanismus für Bankeninsolvenzen, bei dem Forderungen an Banken quasi automatisch in Aktien umgewandelt werden, was mehrere Länder gegenwärtig ernsthaft prüfen. Ebenfalls noch keine Rolle spielte die Kontroverse über die Größe von Banken - Stichwort: zu groß, um zu scheitern.
Die Finanzreform ist also noch unvollendet. Eine der positiven Entwicklungen der letzten Monaten ist, dass stärkere öffentliche Institutionen geschaffen wurden. Die Zeiten liegen hinter uns, in denen London stolz auf seine "leichte Regulierung" hinwies. Europa und die USA sind nun dabei, Institutionen zu schaffen, die dauerhaft die Reformen vorantreiben und verwirklichen können.
Hier kommen wir zur zweiten Frage: Haben die Staaten nicht zu lange gegrübelt, haben sie es versäumt, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war? Haben die Finanzmärkte wieder die Oberhand über die Staaten gewonnen? Das Kräfteverhältnis ist sicher nicht mehr so wie vor zwei Jahren. Das liegt auch daran, dass die Staaten verstärkt Kredite aufnehmen müssen. Doch ihre Rolle als Schuldner hindert sie nicht daran, Regeln zu setzen. Griechenland hat fast keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt, Deutschland konnte sich nie zu besseren Bedingungen finanzieren. Hindert das die EU oder die G20 etwa daran zu regulieren? Nein.
Wir haben lernen müssen, zwischen dem Staat als Aktionär und dem Staat als Regulator zu unterscheiden - vor allem, weil die Initiativen des einen nicht unbedingt mit den Interessen des anderen übereinstimmen. Ähnlich müssen wir heute eine Unterscheidung machen zwischen dem Staat als Schuldner und dem Staat als demjenigen, der den Rahmen für die Finanzmärkte setzt. Es wäre ein schwerer Fehler, wenn die Regierungen einerseits von den Banken mehr Umsicht beim Eingehen von Risiken verlangten, andererseits die Risiken verniedlichten, die von ihrer eigenen Verschuldung ausgehen können. Auch wenn es ungerecht erscheinen mag - folgerichtig ist es, dass die Ratingagenturen, die sich bis zum Ausbruch der Finanzkrise zu lax bei der Bewertung von Risiken gezeigt haben, heute rigoros zu Werke gehen, auch bei den staatlichen Risiken.
Noch ist die Geschichte nicht geschrieben. Noch steht der Sieger nicht fest. Die Finanzreform kann sich festfahren. Doch es ist zu früh, um ihr Scheitern zu verkünden.
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