Fetisch Auto: «Vehikel der persönlichen Sinngebung» und Sexsymbol
Von Antje Schmid, dpa =
Stuttgart (dpa) - Was wären die Deutschen nur ohne ihr «bestes
Stück» - das Auto? Kein zärtliches Polieren bei der wöchentlichen
Autowaschorgie, kein aufgeregtes Prickeln bei Tempo 200 auf der
Autobahn? Längst ist das Gefährt nicht mehr wegzudenken im Autoland
Deutschland, wo es einst entwickelt und später in alle Welt hinaus
exportiert wurde. Psychologen, Marketingstrategen und
Verkehrspolitiker sind sich einig: Das Auto dient schon lange nicht
mehr nur zur Fortbewegung, vielmehr steht es für Status und
Individualitat.
Es ist Inbegriff der hohen individuellen Mobilität, es ist Produkt
eines der umsatzstärksten Bereiche von Industrie und Wirtschaft und
Ausdrucksmittel für das Geltungsbedürfnis - kurz: «Es ist ein Vehikel
der persönlichen Sinngebung», wie der Autor Martin Strauß die
vielseitigen Bedeutungen von «Fetisch Auto» definiert.
Die Förderung der intensiven Zweierbeziehung zwischen Auto und
«Herrchen» steht für Werbeprofis und Produktdesigner im Zentrum ihrer
Konzepte: Kleinwagen beispielsweise werden inzwischen so gebaut, dass
sie dem Kindchenschema entsprechen: Pummeliger Körper, hohe Stirn,
kleines Näschen. «Klar, dass dies Schutzbedürftigkeit auslöst»,
erklärt Valentin Herzog vom «Smart»-Club. So ein «Kind» müsse
schließlich geliebt, geschützt und geschont werden.
Ein schnittiger Sportwagen soll den Erwachsenen Kinderträume
erfüllen: «Wenn ich groß bin, dann kaufe ich mir einen Porsche»,
lautet das Klischee, das der Stuttgarter Prestige-Autobauer in seiner
Werbestrategie berücksichtigt. «Für unsere Kunden ist ihr Auto ein
Stück Lebensphilosophie und Stil», sagt Jürgen Pippig, Pressesprecher
bei Porsche. Für viele sei ein Sportwagen eine «Belohnung für harte
Arbeit» und ein Zeichen von «Souveränität».
Die besondere Rolle des Vehikels als Symbol repräsentiert auch die
zunehmende Popularitat des Rennsports. Nach einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts EMNID interessiert sich heute jeder
zweite Deutsche für die Formel eins. «Schumi & Co. leben
stellvertretend die von Staus und Tempo-30-Zonen unterdrückten Triebe
aus», schreibt das Deutsche Entertainment Magazin. «Nach dem
Abklingen des Tennis-Booms sind die Männer aus der Vollgas-Branche
die neuen Helden der Nation.»
Psychologen bringen persönliche Identität und Fahrzeug in direkte
Beziehung zueinander. «Das Auto ist für viele der verlängerte Teil
des Selbst; die Blechhaut fungiert als eine zweite äußere Haut des
Fahrers», meint der Aachener Psychologe Micha Hilgers. Die «Autohaut»
vermittle das Gefühl von Stärke. «Sie stimuliert das Selbstwertgefühl
und baut so eine illusionäre Hierarchie auf.» Wer noch nie «Chef»
war, habe auf der Autobahn plötzlich Größen- und Herrschaftsgefühle.
Die Wahrnehmung für Fehlverhalten gehe den oft jugendlichen Rasern
hinter dem Steuer dabei verloren.
Nicht nur am Männerstammtisch wird über Pferdestärken und Spoiler
zuweilen heftig diskutiert. Auch Frauen identifizieren sich zunehmend
mit ihrem Gefährt. «Das Auto vermittelt Stabilität und Sicherheit,
dies schätzen besonders Wagenlenkerinnen», meint Hilgers. Auch für
berufstätige Frauen werde das Vehikel immer mehr zur «sozialen
Visitenkarte» und «Imageangelegenheit».
Umweltexperten machen auch Politik und Wirtschaft für die
Entstehung des «Fetischs Auto» verantwortlich. Das Auto sei zu groß,
zu schnell, zu unrationell, schreibt Karl Otto Schallaböck,
Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. «Der
durchschnittliche Benzinverbrauch von zehn Litern pro hundert
Kilometern ist nicht durch den Verkehr bedingt, sondern ergibt sich
durch andere Zweckbestimmungen: Ästhetik, Status und Funktionalität
als kleiner Lastwagen für Transporte.»
Unverständlich, dass der Weg zum 3-Liter-Auto trotz vorliegender
Pläne noch so weit sei, resümiert er. Deswegen wird es auch am
nächsten Wochenende für viele Autonarren wieder heißen: Waschen,
Trocknen, Liebkosen.