psychologische Reaktanz. Abhilfe kann geschaffen werden bei Verinnerlichung des folgenden.
- erlebt eine Person, die glaubt, sich in einer bestimmten Situation grundsätzlich frei verhalten zu können, eine Einengung, so daß die Freiheit geringer oder ganz aufgehoben wird, entsteht psychologische Reaktanz
- Reaktanz ist ein motivationaler Erregungszustand mit dem Ziel, eine bedrohte oder abnehmende oder gänzlich eliminierte Freiheit wiederherzustellen.
- dies kann durch kognitive Verarbeitungsstrategien (Aufwertung/Abwertung), bis zu aggressivem Verhalten geschehen
- R. ist umso stärker,
- je mehr Freiheiten bedroht sind
- je wichtiger die bedrohte Freiheit ist
- je stärker die Freiheitsbedrohung ist
- Die Wichtigkeit der Freiheit bestimmt sich an der Erwartung dieser Freiheit und von der Befriedigung durch diese Freiheit
- die Attraktivität der verlorenen Freiheit steigt
- Freiheitseinengung mit bedrohlichen Implikationen für die Zukunft führt zu stärkerer Reaktanz
- dies kann auch der Fall sein, wenn eine Person als Zeuge die Einengung anderer Personen beobachtet, oder davon erfährt, und impliziert, daß dies sie selbst auch betreffen könnte
- gleiches gilt für vorgewarnte Personen, die z.B. informiert sind, daß sie mittels einer Radiosendung zu einer bestimmten Meinung überredet werden sollen (Petty & Cacioppo, 1979)
- Integration der Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Seligman, 1975) :
durch fortgesetzte Freiheitseinengung kommt es nach anfänglichen Widerstandsreaktionen mangels Kontrollerlebens zum Gefühl der Hilflosigkeit und passivem Verhalten
- Reaktionsunterschiede begründen Wortman & Brehm durch die Erwartung, Kontrolle ausüben zu können, determiniert
-ist die Kontrollerwartung hoch, so führt ein unkontrollierbares Ereignis zu Aktivität, um die Kontrolle wiederzuerlangen
- ist diese Aktivität wiederholt erfolglos, führt diese Erfahrung zu Hilflosigkeit.
- hier besteht ein direkter Bezug zu den Kontrolltheorien
- Erstreaktionen bei Freiheitseinengung sind Widerstand und Aggression (negativistisches Verhalten)
- subjektive Effekte:
kognitive Umstrukturierung -----> kaum (nicht) kontrollierbar= höhere Auftretenswahrscheinlichkeit
- Verhaltens-Effekte
Aktionen gegen den Einenger ---> Verhalten oft anti-sozial auf Wiederherstellung des eigenen Freiheitsspielraumes gerichtet
Verlassen der Situation
- aggressives, anti-soziales Verhalten wird i.d.R. nicht von einer sozialen Gemeinschaft akzeptiert, daher wird R. eher im Denken als im "Tun" abgebaut
- wenn R. als motivationale Erregung definierbar ist, müßten physiologische Veränderungen meßbar sein
- Baum, Flemming,& Reddy (1986)
- Personen mit hoher Kontrollerwartung (keine oder erst kurze Arbeitslosigkeit) hatten nach Erfahrung mit
Nicht-Kontingenzen (eben negativen Ergebnissen) höhere Norepinephin und Epinephin-Konzentrationen im Urin.
- Problem: Operationalisierung ist sehr schwierig und sollte immer in der Konzeptbeschreibung enthalten sein.
- latente Reaktanz: Vpn zeigen keinen Widerstand, sondern nur weniger starkes Nachgeben gegenüber einem sozialen Einfluß (Supermarktexperiment)
- Romeo & Julia-Effekt: Intensivierung der Liebesgefühle bei einem Verbot einer Beziehung ebenso wie beim "hard-to-get"-Phänomen. Die Freiheit wird durch Aufwerten der bedrohten Freiheit (hier Partner) wieder hergestellt, im Verhalten zeigt sich Opposition.
- Experimente mit Keksen (Worchel, Lee & Adewole 1975): Knappheit, Abnehmen des Vorrates und große Nachfrage vergrößern den Wert eines Gutes
- Akzeptanz (z.B. aus sozialen Gründen, aus Glaubwürdigkeitsgründen oder selbstauferlegter Freiheitseinengung) ruft keine psychologische Reaktanz hervor
Manifestationen von Reaktanz
1. Direkte Wiederherstellung der Freiheit
- bei Vorgabe, man dürfe heute nur Brot der Marke X kaufen, wird die Freiheit durch Kauf der Marke Y wiederhergestellt
- dies gilt nicht
wenn kein Brot der Marke X mehr vorhanden ist
wenn offener Widerstand negativere Folgen hätte, als es die Freiheitseinengung darstellt
2. Indirekte Wiederherstellung der Freiheit:
- Ausweichen auf eine dem bedrohten Verhalten ähnliche Handlung (Kauf Brotsorte Z)
- Kauf Brot X, wenn Alternative vorgegeben (Kaufe dieses oder jenes)
- Motivation einer anderen Person, Brot Y zu kaufen, oder Person 2 dabei beobachten
3. Aggression
- R. führt zu einer Abnahme der sozialen Orientierung
- R. ist oft mit Aggression verbunden
- Aggression gegen Personen: soziale Quelle der R. wird bekämpft (functional aggression / reflexive fighting)
- Aggression gegen unbelebte reaktanzerzeugende Freiheitseinenger deuten auf Erregungsabfuhr hin (Ventilfunktion)
4. Attraktivitätsveränderungen
- wenn Freiheitswiederherstellung durch Handlung nicht möglich
- besonders bei Freiheits-Ausschaltung zu beobachten
- Reaktanz als Folge der Bedrohung einer Alternative führt zur Attraktivitätssteigerung dieser Alternative
Delay- oder Sleeper-Effect: die Reaktanz wird gespeichert, bis sich die Möglichkeit ergibt, die verlorene Freiheit wieder herzustellen
- bei Mißerfolgserlebnissen zeigen Personen mit hohem Selbstwert Reaktanz, solche mit niedrigem Selbstwert dagegen Hilflosigkeit
- Reaktanzfragebogen von Merz (1983): 18 Items in Ich-Form.
-macht Aussagen über die Bereitschaft einer Person, psychologische Reaktanz zu mobilisieren
- hoher Testwert= niedrige Toleranzschwelle = viel Reaktanz/ niedriger Testwert: Unempfindlichkeit gegen Reaktanzerzeugung
- Korrelation des Fragebogens mit Autonomie- und Dominanzstreben, Nervosität, emotionaler Labilität, Unsicherheit und Gehemmtheit, Depression und ähnlichen Attributionsmustern
- besonders unsichere Personen müssen zum Schutz des eigenen Freiheits- und Kontrollspielraumes rebellierend reagieren
Reaktanz bei Hilfeersuchen
- Fall Genovese: 38 Personen beobachteten die Ermordung einer Frau ohne einzugreifen
- Berkowitz (1970) erklärt dies: wenn die um Hilfe gebetene Person sich durch die Bitte um Hilfe in ihrer freien Entscheidung eingeengt fühlt, entsteht Reaktanz.
Schwartz (1974) wies in einem Experiment nach, daß starke Bedeutung der Hilfe (und der zukünftigen Konsequenzen derselben) wie illegitimer Druck wirkt. Sind die Konsequenzen bewußt, sinkt die Reaktanz-Schwelle, und es kommt leichter zur Hilfeverweigerung
- Jones (1969/1970): einer abhängigen Person wird weniger Hilfe geleistet, wenn es möglich war, Hilfe zu verweigern
- generell zeigt sich stärkere Hilfeverweigerung, wenn man sich eingeengt oder moralisch verpflichtet fühlt
- besondere Form der Freiheitseinengung, wenn der Hilfesuchende zuvor dem Helfer einen Gefallen getan hat - auch hier entsteht durch den Gefallen für den später Helfenden ein "Bestechungsversuch", der dessen Entscheidungsfreiheit einengt, so daß dieser demonstrativ die Hilfe verweigert.
- Harris & Meyer (1973) differenzieren nach öffentlich kontrolliertem Verhalten (keine Hilfeverweigerung möglich) und nichtkontrolliertem Verhalten. In den Arbeiten von Jones (1969,1970) wurde die Hilfe nur verweigert, wenn dies möglich war.
- dennoch bleibt die Annahme, daß bei starkem normativem Druck das private Reaktanzverhalten anders ausfällt, als ohne öffentliche Kontrolle.