Gerhard, mir kaufet nix!

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Gerhard, mir kaufet nix! Wolkenstein
Wolkenstein:

Gerhard, mir kaufet nix!

 
24.06.02 18:11
#1

Sie sind nicht faul, sondern sparsam: Die Bundesbürger konsumieren immer weniger. Ihre Angst vor dem Kaufhaus gefährdet den eigenen Wohlstand - und könnte Kanzler Schröder den Job kosten


Wenn es stimmt, dass sich Sozialdemokraten nicht anders verhalten als die Durchschnittsdeutschen, dann liegt es auch an den 717 513 Mitgliedern der SPD, sollte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 22. September die Wahl verlieren. Denn die Durchschnittsdeutschen haben in diesen Tagen eine folgenschwere Angewohnheit: Sie knausern.
Die Umfragen sprechen für CDU/CSU und den Kandidaten Edmund Stoiber. Trotzdem könne man den Sieg noch schaffen, meint SPD-Fraktionschef Peter Struck - aber nur, wenn die Konjunktur rechzeitig anspringe. Nur, wenn die heimischen Unternehmen bald wieder steigende Umsätze melden. Die Wahl hängt an der Wirtschaft.
Und die hängt an den deutschen Verbrauchern. Das Ausland betreibt längst Wahlhilfe für Schröder. Franzosen, Amerikaner, Briten, Italiener kaufen wieder teutonische Produkte en masse. Im Mai übertrafen die Exporte hiesiger Unternehmen den Vorjahreswert um fast sechs Prozent. Leider hilft das nicht viel. Globalisierung hin oder her: Die Ausfuhren tragen nur rund ein Drittel zur Wirtschaftsleistung bei. Den großen Rest müssen immer noch die Deutschen kaufen. "Ohne den privaten Konsum bleibt das Wachstum niedrig", sagt Jörg Hinze, Konjunkturforscher beim Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv.

So erlebt die Republik in diesen Tagen die Bedeutung einer ökonomischen Binsenweisheit. Mit neuen Produkten und innovativen Strategien, mit Cost Cutting und Knowledge Management allein ist der deutschen Wirtschaft nicht geholfen. Damit die Autokonzerne und Elektrounternehmen, die Möbelfirmen und Textilbetriebe ihren Umsatz steigern können, brauchen sie Verbraucher, die mit Lust ihr Geld ausgeben. Die Regierung braucht sie auch. Wissenschaftler bezeichnen den Zusammenhang als "Popularitätsfunktion": Die Beliebtheit der Regierung entwickelt sich regelmäßig parallel zur Konsumentenzuversicht. Weshalb SPD-Generalsekretär Franz Müntefering schleunigst eine neue Wahlkampfparole ausgeben sollte: "Shoppen für Schröder!" Denn die Bundestagswahl wird diesmal nicht an den Infoständen in den Fußgängerzonen gewonnen. Sondern ein paar Meter weiter. Bei Kaufhof und bei C&A.

Oder bei Karstadt. Zum Beispiel in Hamburg, in der Mönckebergstraße. Dort stehen, fast nebeneinander, das zweitgrößte Kaufhaus Deutschlands und das größte Sporthaus Europas, mit zusammen über 1000 Mitarbeitern, 280 000 verschiedenen Artikeln, 42 000 Quadratmetern Verkaufsfläche - und einem Chef: Michael Senger, ein Veteran. Seit 40 Jahren ist er im Unternehmen, hat sieben Kaufhäuser geleitet. Sagt: "Ich lebe und leide mit Karstadt." Jeden Morgen geht er an den Computer und druckt sich die Listen aus, auf denen steht, wie viel seine Leute am Vortag verkauft haben. "Unseren Erfolgsmesser" nennt er den Papierstapel. Bettwäsche, Fernseher, Joggingschuhe, Fahrräder, Lippenstifte. Hinter jeder Produktgruppe steht eine Prozentzahl: die Veränderung der Verkäufe zum Vorjahr. Derzeit steht ziemlich oft ein Minus davor. "An so eine schlechte Phase können wir Einzelhändler uns kaum erinnern", sagt Senger.

Die Deutschen im Konsumstreik: Ob Möbelhäuser, Elektrohändler oder Textilgeschäfte - nach Schätzung des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels sind die Umsätze seit Anfang des Jahres um bis zu 20 Prozent eingebrochen. Während die großen Ketten das oft noch verkraften, bedeutet es für manch alteingessenes Haus das Ende. "Die Traditionskaufhäuser sterben reihenweise", sagt Johann Hellwege, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels.

Laut einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie in Allensbach stellt derzeit jeder dritte Bundesbürger größere Anschaffungen zurück. In Dänemark, Finnland oder Großbritannien ist die Zahl der neu zugelassenen Pkw in den vergangenen zwölf Monaten um bis zu 13 Prozent gestiegen, in Deutschland aber um 14 Prozent gefallen - stärker als irgendwo sonst in der EU, mit Ausnahme von Griechenland. Selbst große Touristikkonzerne, noch vor kurzem vom Erfolg verwöhnt, melden zweistellige Buchungseinbrüche. Und daran ist nicht der Terrorismus schuld: In den hiesigen Hotels ist die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent gesunken, in den Restaurants und Cafés fielen die Umsätze um 5 Prozent. Kurz, die Deutschen kaufen weniger ein, sie fahren nicht mehr so oft weg, sie gehen seltener essen.

Viele von ihnen müssen auch angesichts der vielen Firmenpleiten um ihren Job fürchten. Herlitz, Holzmann, Kirch, vielleicht bald Mobilcom: Die Wirtschaft steckt in der Krise, in den vergangenen Jahren sind die Löhne kaum gestiegen. Dafür stiegen angeblich oder tatsächlich die Preise - wegen des Euro. Das sind die gängigen Begründungen für den schwachen Konsum.

Die neue Währung allerdings taugt kaum als Erklärung. Der Euro kam am 1. Januar. Der private Konsum aber sinkt in Deutschland seit zehn Monaten. Sogar seit 22 Monaten, sieht man vom kurzen Anstieg Anfang 2001 ab, als die Steuerreform den Verbrauchern ein wenig Geld aufs Konto spülte. So missmutig war Otto Normalverbraucher nach dem Krieg noch nie.

Bleiben als Ursache noch die Firmenpleiten, die Wirtschaftskrise. In der Rezession sinken die Konsumausgaben - ein gängiger Mechanismus. Zumindest in Deutschland. In Amerika platzte vor nicht allzu langer Zeit die Börsenblase, Flugzeuge rasten in das World Trade Center, die Konjunkturforscher sagten eine schwere Rezession voraus. Die amerikanischen Verbraucher aber gingen weiter einkaufen.

Schon für den amerikanischen Jahrhundertboom Ende der Neunziger waren nicht das Internet, nicht die New Economy verantwortlich. Sondern ebenfalls: die Verbraucher. Deren Kaufrausch sorgte damals laut US-Regierung für 85 Prozent des Wirtschaftswachstums.

Lässt sich das in Deutschland nicht nachmachen? Kann man nicht auch die Deutschen zum Kaufen bringen?

Kann man, antworten die meisten Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitiker. Aber dafür müsse man erst den deutschen Arbeitsmarkt reformieren und für mehr Beschäftigung sorgen. Dann könnten auch die Löhne wieder steigen. In Deutschland liegt die Arbeitslosigkeit bei 9,5 Prozent, in Amerika bei 5,8. Die Wirtschaft dort ist trotz Krise stärker als die Wirtschaft hier. Und solange sich das nicht ändert, so das endlos wiederholte Argument, werden die Deutschen weniger Autos und Anzüge kaufen als die Amerikaner.

Nun steht außer Zweifel, dass ein Arbeitsloser, der wieder einen Job findet, anschließend mehr Geld ausgibt. Und natürlich würde auch in Deutschland der private Konsum steigen, wenn wieder mehr Menschen mehr Geld verdienten. Trotzdem können die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Wirtschaftslage allein den Konsumstreik nicht begründen. Denn über alle wirtschaftlichen Konjunkturzyklen hinweg, im Aufschwung wie im Abschwung, zeigen die Deutschen seit Jahren ein bestimmtes ökonomisches Verhalten: Sie sparen mehr als andere.

Ihre Sparquote ist im internationalen Vergleich eine der höchsten. Zwar ist sie in den vergangenen Jahren ein wenig gefallen, denn die Deutschen werden älter, und alte Menschen sparen weniger. Dennoch liegt sie mit 10,2 Prozent noch immer über dem EU-Durchschnitt und ist fünfmal höher als in den USA. In guten wie in schlechten Zeiten: Die Bundesbürger legen einen größeren Teil ihres verfügbaren Einkommens beiseite als die Bürger der meisten anderen Nationen. Dafür kaufen sie nicht so viel.

Und das, obwohl sie weniger Grund zum Sparen haben. Wenn die Deutschen alt, krank oder arbeitslos werden, bekommen sie Geld vom Staat - und zwar mehr als in den meisten übrigen Ländern. Trotzdem scheuen sie davor zurück, Kredite aufzunehmen, trotzdem legen sie so eifrig Geld beiseite, als wollten sie das Klischee vom sparsamen Schwaben auf die ganze Republik übertragen. Wenn der durchschnittliche Deutsche in den Ruhestand geht, hat er ein finanzielles Vermögen angehäuft, von dem allein er zehn Jahre bequem leben könnte. Als ob es keine staatliche Rente gäbe. Der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan nennt dieses Verhalten "das deutsche Spar-Rätsel".

Im vergangenen Jahr hat Börsch-Supan rund 2000 Haushalte befragt. Selbst jene, die angaben, "am Monatsende hat das Geld nie gereicht", schafften es noch, sieben Prozent ihres Einkommens zurückzulegen. Was beweist, dass die Deutschen sogar ihre regelmäßigen Überweisungen aufs Sparbuch als Ausgaben empfinden. Auch dafür muss das Geld reichen.

Solange sich das nicht ändert, bleibt das Land auf Exporte als Wachstumsquelle angewiesen. So lange lassen höhere Einkommen die privaten Konsumausgaben weniger stark steigen als in anderen Ländern. Da kann die Bundesbank, wie zuletzt Anfang dieser Woche, noch so sehr klagen, die Schwachstelle der deutschen Wirtschaft sei die Binnennachfrage.

Der Deutsche als Wirtschaftssubjekt: Im Zeitalter der digitalen Marktwirtschaft ist er offenbar noch immer das, was Karl Marx einst einen "Schatzbildner" nannte - nämlich der entwicklungsgeschichtliche Vorläufer des Kapitalisten. Den Wert seines Geldes will er dadurch erhöhen, dass er es vor der Zirkulation bewahrt.

Das unterscheidet die Konsumenten an Rhein und Elbe von Dänen, Finnen oder Iren. Als der amerikanische Ökonom Barry Bosworth der Frage nachging, weshalb die Sparquoten international so stark voneinander abweichen, fand er kaum ökonomische Ursachen. Und folgerte, die Unterschiede müssten wohl mit kulturellen und psychologischen Faktoren zu tun haben. Mit Mentalitäten.

In Amerika rief George W. Bush nach dem 11. September das Volk zum Massenkonsum auf. In Washington brachten die U-Bahnen ihre Fahrgäste kostenlos in die Stadt. Damit diese einkaufen gehen - und der Wirtschaft helfen konnten. Was sie prompt taten (siehe Interview). In Deutschland dagegen lässt sich Finanzminister Hans Eichel gern mit dem Satz zitieren: "Sie wissen ja, ich bin ein Konsummuffel."

Nun ist es natürlich nicht so, dass man nicht auch zu viel Geld ausgeben könnte. Die Amerikaner sind mittlerweile so verschuldet, dass die ausländischen Investoren ihr Kapital abziehen und der Dollarkurs kräftig sinkt. Allerdings, zwischen dem amerikanischen Kaufrausch und der deutschen Sparsamkeit ist ziemlich viel Platz. Wäre die deutsche Sparquote um drei, vier Prozentpunkte niedriger - dann stiegen die Konsumausgaben, die Arbeitslosenquote fiele, und auf dem Weltmarkt fänden die deutschen Unternehmen immer noch genug billige Kredite. "Aber das Sparverhalten lässt sich natürlich nicht verordnen", sagt Gustav Horn, Konjunkturchef beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Als Ludwig Erhardt sagte, Wirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie, hatte er also Recht - aber anders, als der Satz meist verstanden wird. Nicht, weil sich die Leute durch psychologische Kniffe manipulieren lassen. Sondern weil sie, genau umgekehrt, über Jahre und Jahrzehnte störrisch bei sich selbst und ihrem Volksempfinden bleiben. "In gewisser Weise hat letztlich jedes Land das Wirtschaftswachstum, das seine Menschen wollen", sagt Ullrich Heilemann, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. "Und vielleicht sind die Deutschen ja ganz zufrieden mit ihrem Konsumniveau."

Jetzt muss es Gerhard Schröder nur noch fertig bringen, das den Wählern begreiflich zu machen.
Gerhard, mir kaufet nix! Wasserauto

BUNDESWEITER KONSUMSTREIK

 
#2
12.06.02

EURO-Preiswucher: BUNDESWEITER KONSUMSTREIK am 1. Juli 2002! :) Einkäufe, die am 1. Juli geplant waren, bitte auf den 2. Juli verschieben! Bitte per email weitersagen!



fG


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