knapp werden
Das verflüssigte Erdgas soll Europas Abhängigkeit von Russland verringern. Aber auch bei LNG droht in den kommenden Jahren eine Versorgungslücke.
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Düsseldorf Europa will bei der Energieversorgung unabhängiger aus Russland werden. Möglich machen soll das vor allem mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den USA, Katar, Australien und anderen Ländern. Jetzt warnt jedoch der britische Öl- und Gaskonzern Shell: Auch LNG könnte ab 2025 knapp werden. In seinem am Montag vorgestellten jährlichen Marktbericht analysiert Shell die weltweite Entwicklung von Angebot und Nachfrage. Das Energieunternehmen ist selbst einer der größten LNG-Händler der Welt.
Wael Sawan, Direktor des Geschäftsbereichs Integrated Gas, Renewables and Energy Solutions bei Shell, erwartet, dass die Nachfrage nach Erdgas und LNG in den kommenden Jahren stark steigen wird. Treiber seien die Bemühungen vieler Länder, aus fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle auszusteigen. „Ab 2025 wird eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage entstehen“, sagt Sawan. Bereits im vergangenen Jahr habe der Handel mit LNG um sechs Prozent zugelegt.
Der Bedarf könne sich bis 2040 von heute knapp 400 Millionen Tonnen pro Jahr auf über 700 Millionen Tonnen fast verdoppeln. Bislang sind nur Produktionskapazitäten von etwas über 400 Millionen Tonnen LNG weltweit in Betrieb oder in Planung.
Bereits jetzt ist der Bedarf an Gas nach kalten Wintern und wegen leerer Speicher weltweit groß – und der Wettstreit um die Tanker, mit denen Gas in verflüssigter Form weltweit gehandelt wird, hart. Europa, das LNG als Alternative zu russischem Pipelinegas etablieren will, konkurriert vor allem mit der stark gestiegenen Nachfrage aus Asien.
Um Erdgas mit Tankern weltweit zu verschiffen, wird es in den Förderländern bei Temperaturen von minus 160 Grad Celsius verflüssigt. In den Importländern wird das LNG dann wieder zu Erdgas aufbereitet. Die Nachfrage nach LNG dürfte auch langfristig hoch bleiben, weil Gas nicht nur in Europa, sondern auch weltweit bei der Energiewende und der Abkehr von Kohle als bevorzugte Brückentechnologie gilt.
Zwar verursacht LNG hohe Ausstöße des Treibhausgases Methan, das um ein Vielfaches klimaschädlicher ist als Kohlendioxid (CO2). Doch in Summe sind die Emissionen bei Erdgas insgesamt nur halb so hoch wie bei Kohle. Zudem gilt Flüssigerdgas auch in der Schifffahrt als Treibstoff der Zukunft und als Alternative zu Schweröl und Diesel.
Auch für Deutschland wird Erdgas immer wichtiger
In seiner aktuellen Energieprognose geht der britische Ölkonzern BP davon aus, dass Gas in den kommenden 20 Jahren nach den Erneuerbaren die am schnellsten wachsende Energiequelle sein wird – und LNG wird dabei eine große Rolle spielen. Besonders für Deutschland könnte das verflüssigte Erdgas mit Blick auf den geplanten Atom- und Kohleausstieg wichtig werden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kündigte am Montag in einem Handelsblatt-Interview an, die Gasabhängigkeit von Russland mit einer Diversifizierung auf Lieferantenseite verringern zu wollen. „LNG-Terminals sind ein zusätzlicher Bypass. Sie helfen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen“, sagte der Grünen-Politiker. Zusätzlich könne die Infrastruktur in Teilen auch für Wasserstoffimporte genutzt werden. „Die Situation in diesem Winter ist eng gewesen, daraus muss man eine politische Konsequenz ziehen“, so Habeck.
Der geplante Bau und Betrieb eines eigenen Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel rückt derweil allerdings weiter in die Ferne. Rund vier Jahre nach Präsentation des Vorhabens gibt es noch keinen Termin für eine endgültige Investitionsentscheidung. Es handele sich um eine sehr komplexe, kostenintensive und langfristige Investition, heißt es vonseiten des Projektträgers German LNG Terminal.
Aktuell laufen die deutschen LNG-Importe größtenteils über die Niederlande. Rotterdam verfügt neben Spanien über die größten Kapazitäten in der EU. Der LNG-Anteil dürfte bei den Importen im Februar zwar weiter steigen, deckt aber noch nicht einmal ein Viertel des europäischen Gasverbrauchs ab.
Zuletzt hatten steigende Preise in Europa dazu geführt, dass LNG-Tanker aus den USA verstärkt EU-Häfen angesteuert haben. Die USA haben im Dezember Katar knapp überholt und sind erstmalig größter LNG-Exporteur der Welt. Nach Informationen von Bloomberg haben im vergangenen Jahr 1043 Schiffe mit Flüssigerdgas die USA verlassen. Die Hälfte davon ging nach Asien, ein Drittel nach Europa.
LNG-Preise bleiben auf hohem Niveau
Sollte LNG wirklich knapp werden, dürften Asien und Europa noch stärker um das verflüssigte Erdgas konkurrieren. Laut den Analysten von Shell treibt Asien, allen voran China, in den kommenden Jahren mehr als zwei Drittel der weltweiten LNG-Nachfrage. Bereits im vergangenen Jahr hat China seine Importe von zwölf Millionen Tonnen auf 79 Millionen erhöht und damit Japan als weltweit größten Flüssigerdgas-Importeur abgelöst.
„China hat sich allerdings schon einen großen Teil seiner Nachfrage mit langfristigen Lieferverträgen gesichert“, sagt Shell-Manager Sawan. In Europa hingegen herrsche noch Unsicherheit über Finanzierung für fossile Projekte mit Blick auf die Dekarbonisierung und die genaue Rolle von Gas für den Übergang. Das mache Investitionen und langfristige Lieferverträge im Moment schwierig.
Die Unabhängigkeit von Russland dürfte damit teuer werden. Denn der LNG-Preis könnte mit Blick auf die steigende Nachfrage hoch bleiben, warnen die Experten von Shell. Schon 2021 erreichte sie vor allem in Europa Rekordhöhen. Ohne langfristige Lieferverträge sei die EU dem volatilen Gasmarkt mit einem deutlich größeren Risiko ausgeliefert, heißt es in dem Bericht.