WIRTSCHAFT
WEGEN GREEN DEAL
Rekordpreise für Gas und Strom sind nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt
Stand: 06:52 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
Tobias Kaiser
Von Tobias Kaiser
Korrespondent in Brüssel
Die Energiepreise steigen massiv an. Das liegt an dem aktuell weltweit hohen Gaspreis und der Co2-Abgabe. Die EU-Kommission will deshalb Menschen mit geringen Einkommen entlasten und auch bei den Sondierungen sind die Energiepreise ein Thema.
Quelle: WELT
AUTOPLAY
Die hohen Energiekosten betreffen nicht nur arme Haushalte, sie werden mehr und mehr auch zum Problem der Mittelschicht. Ökonomen warnen jetzt vor dauerhaft volatilen Preisen Grund dafür ist auch die Energiewende.
118
Anzeige
Die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas sind längst nicht mehr nur ein Problem für ärmere Haushalte und Unternehmen mit hohem Energieverbrauch. Die Preissprünge der vergangenen Wochen sorgen auch in der Mittelschicht für Ärger. Kann ich meine nächste Rechnung noch bezahlen? Wie lange geht das noch? Und was können wir dagegen tun? So fasste EU-Energiekommissarin Kadri Simson die Sorgen vieler Europäer zusammen.
Die estnische Politikerin stellte am Mittwoch Empfehlungen ihrer Behörde vor, wie Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten Verbraucher und Unternehmen vor den Folgen der stark gestiegenen Energiepreise schützen können, ohne gegen EU-Regeln zu verstoßen. Dieser Werkzeugkasten listet eine ganze Reihe möglicher Maßnahmen auf, etwa Ausgleichszahlungen für ärmere Haushalte, Zahlungsaufschub bei der Stromrechnung und maßvolle Unterstützung für Industrieunternehmen.
EU-Staaten könnten auch die Steuern und Abgaben auf Strom, Gas und andere Energieträger zeitweise aussetzen oder absenken, erklärte die Kommissarin. Längerfristig denkt die EU auch darüber nach, künftig gemeinsam Erdgas einzukaufen oder gemeinsame strategische Reserven anzulegen.
Verbrauchern droht ein Winter mit hohen Strom- und Gaspreisen
HOHE ENERGIEPREISE
Jetzt droht Europa ein Winter der Knappheit.
Solche Strategien sind angemessen. Die derzeit hohen Preise sind nach Ansicht von Beobachtern zwar nur ein vorübergehendes Phänomen und dürften bis Mitte kommenden Jahres wieder sinken, denn verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel an Marktentwicklungen und unglücklichen Umständen.
Experten warnen aber, dass die Entwicklung nur ein Vorgeschmack auf künftige Preisspitzen sein könnte. Probleme bei der Umsetzung des europäischen Green Deals und der Energiewende könnten auch künftig dafür sorgen, dass sich derartige Episoden in den kommenden Jahren wiederholen.
Gegenwärtige Entwicklung zeigt, wie: Haupttreiber der aktuellen Energiepreis-Inflation ist vor allem der Preis für Erdgas. Die hohe Nachfrage in der wirtschaftlichen Erholung nach dem Ende der Corona-Maßnahmen trifft auf leere Gasspeicher, gedrosselte Lieferungen aus Russland und einen harten internationalen Kampf um das verfügbare Flüssiggas.
Zwar wird nur rund ein Fünftel der in der EU hergestellten Elektrizität mit Gas erzeugt und in Deutschland zuletzt nur 16 Prozent des Stroms, trotzdem treibt der Gaspreis auch den Strompreis auch weil sich dieser auf dem europäischen Großhandelsmarkt an den Kraftwerken mit den höchsten Erzeugungskosten orientiert und so an den Gaspreis gekoppelt ist.
GREEN DEAL DER EU
Der Energiepreis-Schock gefährdet von der Leyens Klimapaket
Zudem lieferten Windräder und Solarparks in diesem Jahr weniger Strom als erwartet und der Preis für Verschmutzungsrechte im europäischen Emissionshandel ETS hat sich rasant verteuert, weil Marktteilnehmer bereits die strengen Klimaschutzgesetze des Fit for 55-Pakets aus Brüssel einpreisen. Mit anderen Worten: Engpässe auf dem internationalen Gasmarkt haben dafür gesorgt, dass die Energiepreise in Europa steigen und die Energiewende hat den Effekt noch verstärkt.
Solch ein Szenario könne sich in den kommenden Jahren wiederholen; nicht nur in Europa, sondern weltweit, warnen Experten. Es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass Energiepreise in einer Welt mit geringerem CO2-Ausstoß weniger volatil sein werden, sagt etwa Nikos Tsafos vom Center for Strategic and International Studies (CSIS), einer Denkfabrik in Washington-
Das Problem: Fossile Brennstoffe, allen voran Erdgas, werden eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen. Obwohl der Ausbau von Sonnen- und Windenergie in der EU schnell vorangeht, wird Europa noch auf Jahrzehnte auf fossile Brennstoffe angewiesen sein.
Die EU-Kommission etwa setzt darauf, dass Erdgas als Übergangsbrennstoff bis 2050 relevant bleibt. Dann soll die EU klimaneutral wirtschaften. Auch die Internationale Energie Agentur (IEA), eine Organisation reicher Staaten, geht davon aus, dass Öl und Gas, selbst wenn die Welt bis 2050 klimaneutral werden sollte, immer noch ein Fünftel des weltweiten Energiemixes beitragen werden.
Keine Investitionen in Erdgas erwartet
Obwohl Erdgas als Energiequelle noch mehrere Jahrzehnte gebraucht wird, rechnen Beobachter nicht damit, dass Unternehmen in der EU im großen Stil in neue Gaskraftwerke, Pipelines oder LNG-Terminals investieren, weil sie fürchten müssen, auf Investitionsruinen sitzen bleiben, die sich nicht mehr vollständig rentieren.
Wenn Investoren und Unternehmen aber kein Geld mehr in die Infrastruktur zur Produktion, Verteilung und Nutzung von Öl und vor allem Gas stecken, entwickelt sich ein weniger stabiler Energiemarkt, auf dem unvorhergesehene Schocks wie die Erholung nach der Corona-Krise immer wieder zu Knappheit und kurzfristig stark steigenden Preisen führen können.
Die Preise für fossile Brennstoffe werden volatil bleiben, vielleicht sogar noch stärker als heute, weil das Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage größer ist in einem Markt, der schrumpft und wo es kaum Argumente für zusätzliche Investitionen gibt, sagt CSIS-Experte Tsafos. Das könnte für kurzfristige Preis-Rallyes sorgen.
Der deutsche Wasserstoff-Plan wird schon im Keim erstickt
Zudem dürfte die Nachfrage nach Erdgas in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weltweit stark steigen. Die Zeit des billigen Erdgases ist vorbei, sagt etwa Simone Tagliapietra, Energieexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Künftig wird Erdgas viel teurer sein, vor allem weil die Nachfrage aus Asien beständig zunimmt. Tatsächlich wird vor allem China in den kommenden Jahren mehr Erdgas einkaufen als bisher. Gegenwärtig nutzt das Land noch Kohle für ungefähr die Hälfte seines Energiemixes. Um schmutzige Kohlekraftwerke zu ersetzen, sind aber große Mengen von Erdgas und Erneuerbaren Energien nötig.
Tagliapietra plädiert denn auch dafür, die Energiewende entschlossener voranzutreiben: Preisspitzen wie die gegenwärtigen werden ein wiederkehrendes Phänomen sein, wenn wir die Investitionen in Erneuerbare und Energieeffizienz nicht beschleunigen, sagt er. Die Investitionen müssen auch zu unseren Klimazielen passen. Wenn wir Erneuerbare nicht schneller ausbauen, wird die EU sich in einer Situation wiederfinden, in der Erdgas knapp ist und sie zu wenige Erneuerbare hat, um die Energiewende zu vollenden.