24. Juni 2008, 04:00 Uhr
Indien, China, Russland und Kanada bauen neue Atomkraftwerke - Analysten erwarten stark steigende Nachfrage
Sydney - Der Preis für Uran wird nach Ansicht von Experten gewaltig anziehen. Der groß angelegte Neubau von Atomkraftwerken in Indien und China werde die Nachfrage nach dem Kernbrennstoff massiv erhöhen und den Preis voraussichtlich um 58 Prozent vorantreiben, erwarten Goldman Sachs und Rio Tinto Group.
Die Investmentbank und der weltweit drittgrößte Bergbaukonzern prognostizieren eine Preisrallye auf 90 Dollar je Pound (0,45 Kilo). Derzeit kostet Uran 59 Dollar je Pound und damit 57 Prozent weniger als beim Rekordhoch Mitte Juni 2007. Von 2003 bis vergangenen Sommer hatte sich Uran noch um das 13-fache verteuert.
Druck auf den Markt brachte eine leicht rückläufige Nachfrage im vergangenen Jahr. Wegen Betriebsstörungen mussten in Großbritannien und Deutschland mehrere Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. In Japan beschädigte ein Erdbeben einen Reaktor. Die Kernkraft-Branche verbrauchte daher im Jahr 2007 zwei Prozent weniger Uran als im Vorjahr, wie Statistiken des Energiekonzerns BP zeigen. Seit den 70er-Jahren war der Uranverbrauch bis 2007 lediglich in zwei anderen Jahren rückläufig gewesen.
Auch nach Ansicht der Deutschen Bank wird die weltweite Urannachfrage in diesem Jahr wieder deutlich zulegen. In Indien werden in diesem Jahr drei neue Kernreaktoren in Betrieb gehen. Bis zum Jahr 2009 sollen in Indien, China, Russland und Kanada insgesamt weitere sechs Atomkraftwerke den Betrieb aufnehmen. Bis Jahresende sieht die Deutsche Bank die Urannachfrage 0,8 Prozent anziehen, was der zu erwartenden Zunahme bei der Ölnachfrage entspricht.
Zur Renaissance der Kernenergie trägt neben dem steigenden Energiebedarf Asiens auch die Debatte um die Klimaerwärmung bei. Einige Fachleute sehen Kernkraft als effiziente Alternative, um den Kohlendioxid-Ausstoß bei der Stromerzeugung zu senken. Nach Ansicht der Internationalen Energieagentur (IEA) müssen jährlich 32 neue Atomkraftwerke gebaut werden, damit die CO2-Emissionen bis 2050 halbiert werden können.
Ein Ausbau der Förderkapazitäten wäre beim derzeitigen Uranpreis allerdings wirtschaftlich undenkbar. Einige Uranbergwerke können derzeit kaum noch rentabel arbeiten, wie Merrill Lynch anmerkt. Wie bedenklich die Situation ist, zeigt das Beispiel der kanadischen Cameco. Der weltgrößte Uran-Lieferant musste im ersten Quartal rund 45 Kanada-Dollar (44 US-Dollar) aufwenden, um ein Pound Uran zu fördern. Der am Markt erzielte Preis betrug dagegen nur durchschnittlich 40,85 Kanada-Dollar je Pound. "Viele Bergbau-Projekte leiden unter dem Preisrückgang", erklärte Kevin Smith, Leiter Uranhandel beim New Yorker Rohstoffbroker Traxys. Damit die Uranförderung die steigende Nachfrage decken könne, müssten die Preise wieder zulegen.
Ein Umdenken am Markt setze allerdings bereits ein, berichtet Fondsmanager Jon Wong vom Vermögensverwalter CQS UK, der ein Siebtel seines Anlagekapitals in Uran investiert hat. "Kohle, Gas, Öl - alles wird im Energiebereich teurer. Allmählich fragen sich die Marktteilnehmer, wie es mit dem Uranpreis weitergeht." Bis 2020 wird die Urannachfrage um 55 Prozent anziehen und ein Jahresvolumen von 102 000 Tonnen erreichen, schätzt die australische Investmentbank Macquarie Group. Das Angebot von wieder aufbereitetem Uran schrumpft derweil rapide, wie die Analysten der Deutschen Bank schreiben. "Während es immer wieder Lieferprobleme gibt, dürften die Kraftwerksbetreiber immer mehr Uran benötigen. Dies sollte den Uranpreis am Tagesmarkt im dritten Quartal nach oben treiben", so die Bank.
Ein Großteil des Uranbedarfs wird derzeit durch aufbereitetes Material aus alten Brennstäben und abgerüsteten Atomwaffen gedeckt. Russland liefert aber nur noch bis zum Jahr 2013 Brennstäbe an die USA, die aus Kernsprengköpfen hergestellt wurden. Bloomberg
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