Ein lesenswerter Artikel in "Die Zeit", geschrieben von einem tendenziell Linken, der grundlegend das Wesen der Solidarität (mit Griechenland bzw. den PIIGS) beleuchtet sowie Nutzen und Schaden der Sparprogramme gegeneinander abwägt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Austeritätsprogramme allen Beteiligten schaden - wie wir es ja auch aus USA von vermeintlichen Wirtschaftslinken wie Krugman laufend hören.
Die entscheidende Frage lässt der Autor jedoch offen. Wer soll das bezahlen? Soll es zu dauerhaften Transferzahlungen aus den Steuerkassen der Nordländer in den Süden kommen? - was bei hiesigen Steuerzahlern auf nahezu Null Akzeptanz stieße. Oder soll Draghi ersatzweise verteilbares Geld aus dünner Luft drucken? - was letztlich auf dasselbe hinausliefe, weil über kurz oder lang die Nord-Steuerzahler die resultierenden Schieflagen bei der - langfristig dadurch Bailout-anfälligen - EZB ausgleichen müssten. Draghis "Druck-Rettung" könnte man daher auch als "aufgeschobene Transferunion" bezeichnen.
Hier der Zeit-Artikel, den ich am Ende des Postings ausführlich kommentiert habe.
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www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/griechenland-euro-schaeuble-varoufakis
Alle auf die Kleinen
Solidarität wird in Europa zum Fremdwort. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem agiert wie der Anführer einer Schulhofgang – die Schwachen werden bedroht und erpresst. von Robert Misik
....Was bedeutet all das nun im Zusammenhang mit den festgefahrenen Verhandlungen um das griechische Sparprogramm? Nun: Es wäre solidarisch, den Griechen entgegenzukommen. Eine Abkehr vom gescheiterten Austeritykonzept in Europa würde eben nicht nur den Griechen wieder Luft zum Atmen geben, sondern böte die Möglichkeit, dass die Eurozone selbst aus der Depression kommt. Um das in den Worten von Finanzminister Yanis Varoufakis zu sagen: Man sollte das machen, "einfach weil es richtig ist". Und zwar intellektuell richtig, politisch richtig und für alle zusammen richtig.
Warum aber wird es dann nicht getan? Warum wird im Gegenteil sogar ein gefährlicher Showdown inszeniert, mit allen möglichen schmutzigen Tricks, wie etwa Montagabend, als der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem den Entwurf einer für die Griechen maximal demütigenden Abschlusserklärung aus der Schublade zog, offenbar um sicherzustellen, dass sie nicht zustimmen können? Warum das alles im Duktus des Ultimatums, der Erpressung, im Ton, wie man ihn eher von Kriegserklärungen kennt? Wieso agiert der Eurogruppenchef wie der Anführer einer Gang und nicht wie der Moderator eines konsensorientierten Gespräches?
Einfach deshalb, weil es weder um Solidarität noch um ökonomische Vernunft geht, sondern um viele andere Dinge. Die Merkel-Schäuble-Regierung will offenbar zeigen, dass sie "in Europa das Sagen hat". Sie spielt allein für ihre Wähler daheim genauso wie ihre Verbündeten in den Niederlanden und anderswo. Die spanische Regierung wiederum muss alles tun, damit eine Linksregierung scheitert, weil demnächst Wahlen sind und die Chance groß ist, dass die spanischen Konservativen ihrerseits von einem Linksbündnis abgelöst werden.
Merkel und Schäuble ist es völlig unmöglich einzugestehen, dass ihr ökonomischer Kurs in Europa gescheitert ist, und es an der Zeit ist, einen Kurswechsel vorzunehmen....
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A.L.: Was tatsächlich gescheitert ist, ist das utopische Konzept einer Gemeinschaftswährung ohne gemeinsame Wirtschaftsregierung. Hätte es letztere schon bei der Geburt des Euro gegeben, wäre es zu den vielen Finanz-Exzessen in den PIIGS, die dortige Politiker hedonistisch - und wider ökonomische Vernunft - durchwinkten, gar nicht erst gekommen.
Das fehlerträchtige Abenteuer-Konstrukt Euro kann nun aber auch nicht nachträglich auf Passform getrimmt werden, da die Verschuldung (privat und staatlich) in den PIIGS in den letzten 15 Jahren bereits gelaufen ist und der Karren dort allerorten tief im Dreck steckt.
Eine "solidarische Lösung", die letztlich auf ein "Weiter wie bisher" hinsichtlich der Verschuldungsorgien hinausläuft, ist letztlich eine Form der Konkursverschleppung. Die Eurozone würde nur im Großen nachvollziehen, was Griechenland bereits im Kleinen vorexerziert hat: Schon 2010 war Griechenland, beim Stand von 120 Mrd. Miesen, faktisch pleite. Heute ist Griechenland mit 320 Mrd Schulden - aufgetürmt durch fortlaufende Hilfskredite - "pleiter ist als je zuvor".
Würde die bisherige (Dauer-)Rettungspolitik fortgesetzt, ließe sich kaum verhindern, dass letztlich ganz Europa finanziell vor die Hunde ginge. Daran hätte auch Draghi seinen Anteil, wenn er, was er bereits angekündigt hat, via Euro-QE die ihm per Maastricht-Kriterien verbotene "Staatsfinanzierung aus der Notenpresse" betreibt. Konkursverschleppung ist keine Heilung, sondern macht den Schaden am Ende nur noch schlimmer.
Es gibt zwei - ähnlich unangenehme - reale Lösungen:
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1. Nachbesserung der fehlenden Gemeinschaftsregierung
Alle Landesregierungen der Eurozonenländer geben ihre staatliche Souveränität auf. Wahlen finden zwar weiter statt. Zur Wahl steht aber nur noch eine Zentralregierung in Brüssel, die direkt von allen Eurozonen-Wählern gewählt wird.
Brüssel könnte dann z. B. in Griechenland "durchregieren". Dies wäre freilich politisch kaum praktikabel. In Athen würde es zu Dauer-Demonstrationen gegen "diktatorische" Sparmaßnahmen kommen, und zwar noch schlimmer als heute. Eine gesamteuropäische Regierung würde von den Griechen nicht als "ihre Interessen vertretend" akzeptiert. Auch in Nordeuropa stieße die Zentralregierung auf Ablehnung: Hiesige Wähler, aber auch z. B. finnische und holländische, würden gegen die Daueralimentation der PIIGS aus ihren Staatskassen oder via EZB auf die Barrikaden gehen.
2. Abschaffung der nicht haltbaren Gemeinschaftswährung
Die Rückkehr zu den alten Landeswährungen wäre eine langfristig tragfähige Lösung für Länder, für die der Euro zu stark ist. In Griechenland würde eine Wiedereinführung der Drachme das ökonomische Elend sicherlich kurzfristig nicht lindern, sondern sogar verschlimmern. Es gäbe aber keinen "europäischen Schwarzen Peter" mehr, dem das eigene Unglück (genauer: die eigene Misswirtschaft) angelastet werden könnte. Die Griechen würden demokratisch wählen, wen sie wollen, und die Gewählten würden Versprechungen machen, wie sie können. Doch bei der Umsetzung dieser Versprechungen müsste den ökonomischen Realitäten eigenverantwortlich Rechnung getragen werden: Würde Tspiras den alten Beamtenapparat wieder einsetzen - unter Jubel seiner Landesleute -, dann würde zugleich der Drachme-Kurs deutlich fallen, und die Kurse griech. Staatsanleihen gingen tiefer in den Keller: Grund: Der Bondmarkt hätte unter diesen Bedingungen an griech. Staatsanleihen erst recht kein Interesse mehr.
Eine stark fallende Drachme würde Griechenland zugleich aber auch wettbewerbsfähiger machen. Es kämen weitaus mehr Touristen, wenn ein Souflaki in der Taverna nicht mehr 25 Euro kostet, sondern den Gegenwert von 5 Euro in Drachmen. In Euro-Zeiten ist der Griechenland-Tourismus u. a. deshalb zurückgegangen, weil z. B. die Türkei eine unter Preis/Leistungsaspekten weit interessantere Urlaubsalternative bietet.
FAZIT: Jegliche Rettungsmaßnahmen, die entweder auf Kreditaufstockung oder einer faktischen Dauertransfer-Union (auch "versteckt" via EZB-Gelddrucken) basieren, sind mittelfristig zum Scheitern verurteilt - und zwar sowohl politisch als auch ökonomisch. "Schuld" daran haben weder die Griechen noch die Deutschen, sondern das hanebüchene Konstrukt eine Gemeinschaftswährung ohne gemeinsame Wirtschaftsregierung. Die voreilige und hedonistische Einführung des Euros hat Schäden verursacht, die bereits derart belastend geworden sind, dass sie sich nachträglich nicht mehr rückgängig machen lassen. Der Reparaturbetrieb via Rettungsschirme startete, als der Karren bereits zu tief im Dreck stak.
Da das nachträgliche Einführen der "dem Euro fehlenden" Gemeinschafts-Rregierung politisch nicht akzeptabel wäre, bleibt als einzig realistische Lösung nur, diejenigen Länder, die die den Euro ökonomisch nicht verkraften, aus der Währungsunion zu entlassen - zu aller Vorteil. Das wäre übrigens auch im Sinne der Definition der ZEIT-Autors "solidarisch" - eben weil es ALLEN nützt.