Der gestrige Handelstag an Wall Street war ein herausragendes Lehrstück dafür, wie die meisten Marktteilnehmer immer noch denken ... und wie wunderbar jemand, der mit diesen Denkweisen zu spielen versteht, sie dazu bringen kann zu tun, was er gerne hätte. Prächtig! Weltklasse!
Dabei mögen die Bären, welche gestern einen sicher geglaubten Sieg entschwinden sahen, nicht von Manipulation reden. Solche Meinungen erhalte ich oft in Form von Leserbriefen. Nein, dieser gestrige Turnaround an der Street war zwar eine Mogelpackung ... aber keine Manipulation. Man ließ nur zwei Elemente bewusst zusammenwirken: Intraday-Tradingmarken und Gerüchte.
Dieses Spielchen ist uralt, Börsenlegende Jesse Livermore berichtet davon zu Zeiten des frühen 20. Jahrhunderts ... und nur, weil clevere Akteure mit den Reaktionen der Anleger zu spielen verstehen, ist das noch keine Manipulation. Es ist nichts verbotenes ... und es ist keine Seltenheit.
Was war passiert? Nun, zunächst sackten die US-Börsen nach der Herunterstufung der Bonität von Merrill Lynch durch Standard&Poors scharf weg, die schwachen Immobilienmarkt-Daten taten ihr übriges. Dabei wurde gegen 17:15 Uhr unserer Zeit ein vorläufiges Tagestief erreicht. Da die Indizes kurzfristig überverkauft waren, gab es eine seichte Gegenbewegung nach oben.
Diese wurde aber an für Daytrader wichtigen kurzfristigen Linien (im Intraday-Chart zu sehen, Quelle www.bigcharts.com) abgewiesen. Bis dahin war alles völlig normal.
Es sah danach aus, als würden später neue Tiefs markiert ... und dann begann das Spielchen:
2. Akt: Ein wenig anschubsen
Um 20:15 Uhr wurden bei Nasdaq 100, Dow Jones und S&P die bisherigen Tagestiefs erreicht. An diesen Levels wird immer versucht, spekulativ zu kaufen. Ist der Druck zu groß, geht es dennoch durch, und dann fällt es umso schneller weiter. Wenn man aber gezielt in diesem Moment den spekulativen Tradings etwas unter die Arme greift, geht es erst einmal rauf. So ...
... das Praktische war, dass diese kurzfristigen Durchschnittslinien, an denen sich Intraday-Trader orientieren, sehr nahe lagen. Nachdem diese durch den Schub an den Tagestiefs gleich mit überwunden wurden, liefen die Kurse weiter. Denn der Break über diese Linien bedeutete ein erneutes kurzfristiges Kaufsignal, zugleich wurden die Kurse durch Eindecken von Shortpositionen zusätzlich angefeuert, denn dort liegen dann für Kurzfrist-Trader ihre Stop-Loss-Marken. Der erste Streich war vollbracht.
Aber wer auch immer an den Tagestiefs ein wenig mitgeholfen hat will natürlich nicht nur Verkaufssignale in den Indizes verhindern. Die wären nämlich definitiv entstanden, wären die Kurse auf neue Tiefs gefallen. Nein, man möchte ja auch das in diese Aktion investierte Kapital in die Gewinnzone bringen. Nur:
Das Dumme war, dass die Pferde immer noch nicht recht saufen mochten. Schon kurz nach dem Anstieg über diese Durchschnittslinien setzten wieder Verkäufe ein. Wenn die Indizes wieder unter diese Linien zurückgefallen wären, wäre die Aktion daneben gegangen. Also greift man erneut in die Trickkiste und findet das „Werkzeug“ Gerüchte!
3. Akt: Gerüchte
Genau auf den Punkt um 20:45 wurde das Gerücht verbreitet, die US-Notenbank werde eine Notsitzung durchführen und den Diskontsatz noch weiter senken. Das brachte die Kurse sofort in den Rallye-Modus. Zinssenkungen. Habenhabenhabenhaben!! Jaja ...
Alleine der Gedanke, die Notenbank werde nur eine Woche vor der nächsten Sitzung noch schnell eine Notsitzung einschieben, ist wirr. Aber selbst wenn es so wäre, würde das nicht bedeuten, dass der Himmel voller Geigen hängt, sondern dass die Lage an den US-Finanzmärkten fatal sei. Würde das wirklich nötig sein, wäre keine Rallye, sondern ein Kursrutsch erster Güte eine logische Konsequenz. Aber:
Wer dieses Gerücht verbreitet hat, wusste sehr wohl die Urinstinkte der Trader zu kitzeln. Die erste Reaktion ist immer: Zinssenkungen? Toll! Natürlich hat die US-Notenbank sofort dementiert. Aber da waren die Kaufsignale schon entstanden und die Intraday-Trader von der Bären- auf die Bullenseite gewechselt. Das Resultat dieser unstrittig cleveren Aktion:
Und plötzlich sieht es bullish aus ... oder?
200 Punkte-Minus im Dow Jones aufgeholt. Damit verlief ein zweiter Test der Unterstützungszone 13.400/13.500 erfolgreich. Bearishe Signale verhindert, positive Vorgabe für den heutigen Handelstag.
Das selbe gilt für den marktbreiten S&P 500: 2%-Minus fast völlig aufgeholt. Damit verlief ein zweiter Test der Unterstützungszone 1.485/1.505 erfolgreich. Bearishe Signale verhindert, positive Vorgabe für den heutigen Handelstag.
Und zuletzt der Nasdaq 100, nach der Wende bei amazon.com vorher mit Abstand am stärksten unter Druck: Nach einem Minus von in der Spitze –3% nur noch ein Abschlag von harmlosen –0,75%. 20 Tage-Durchschnitt erneut verteidigt, erneut wieder innerhalb des August-Trendkanals geschlossen.
Eine Mogelpackung
Passt. Alles wieder bullish ... oder? Nun, Sie sehen in den Charts, wie knapp das war. Und das ist der Punkt! Es ist nichts, aber auch gar nichts Positives geschehen, was diese Wende ausgelöst hat. Es war ausschließlich Intraday-Trading, gezielt geführt und durch ein eigentlich idiotisches Gerücht verstärkt. Das heißt, es ist im Endeffekt eine Mogelpackung: Sieht gut aus, ist aber nichts drin. Gut, richtig ist:
Wie beim Fußball ist es am Tag danach egal, wie der Sieg zustande kam. Das würde normalerweise bedeuten, dass die Trader morgen auf den Zug erneut aufspringen und kaufen, kaufen, kaufen. Aber:
Wäre irgendetwas wirklich Gutes passiert, ich würde der Sache ein paar Tage Potenzial nach oben einräumen. So aber, ohne jede Substanz, ist die Chance auf weiter steigende Kurse nur mehr ein zittriges „könnte sein“. Denn bitte sehen Sie sich doch nur in den Charts das Ergebnis der Aktion vom Mittwoch der Vorwoche an:
Vorsicht vor den „Gehenkten“
Das selbe Spiel, der selbe „Hammer“, der nach einem Abwärtstrend bullish zu werten wäre. Doch ein Tag nach unten ist kein Abwärtstrend. In diesem Fall, nach zwei Monaten Rallye, ist diese Candle ein so genannter „hanging man“ (der Gehenkte), ein Warnsignal. Er heißt so weil dich der, der diesem Signal folgt, auch gleich aufhängen kann .. so sagt man zumindest. Das muss nicht negativ wirken. Aber letzte Woche hat es negativ gewirkt. Keine 48 Stunden später lagen die Kurse tiefer als das Niveau, von wo aus man die Indizes wieder nach oben gepeitscht hat.
Fazit: Es war ein brillante Aktion. Aber in diesem momentan volatilen Umfeld, der zunehmenden Verunsicherung ... würde ich (ich und Konjunktiv ... d.h. das ist meine Meinung, mehr nicht) niemandem raten wollen, diese Intraday-Trendwende als Basis zu nutzen, einzusteigen.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag – bis morgen!
Ronald Gehrt
The Daily Observer