Der kollektive Wahn

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Der kollektive Wahn zit1
zit1:

Der kollektive Wahn

 
20.01.02 18:59
#1
Vorwort
Die New Economy entlarvt sich als das, was sie immer schon war: ein Spuk, eine Fata Morgana, eine Totgeburt, deren Eltern Ignoranz und Arroganz waren... Weshalb das (= E-Anwendungen) zu einer neuen Wirtschaft mit ganz anderen Gesetzmäßigkeiten führen soll, ist von Anfang an unerfindlich gewesen. Zu glauben, dass die New Economy nicht nur neu, sondern auch ganz und gar paradiesisch sein sollte, erforderte besondere Naivität.

Neuorientierung
Nur unverbesserliche Anhänger der bisherigen Denkweise versuchen, mit Zweckoptimismus und Zurechtbiegen sämtlicher Tatsachenden Eindruck hochzuhalten, als sei alles noch beim Alten. Die jetzt ständig gebetsmühlenartig beschworene Frage des Vertrauens der Konsumenten ist der am wenigsten wirksame Faktor. Es fehlt nicht an Vertrauen, sondern an ganz anderen Dingen. In Wahrheit ist die Situation eine Folge von zu viel Vertrauen in die Fehlprognosen von Analysten und gewissen Ökonomen.

Das Dramatische ist, dass wir es hier nicht - wie allgemein erwartet - mit einer moderaten Abkühlung zu tun haben, mit dem als sicher angenommenen , sondern mit völlig anderen Erscheinungen.

So sind zum Beispiel die Gewinne der NASDAQ 100 Firmen nicht einfach zurückgegangen, sondern sie sind zusammengebrochen. Diese Unternehmen haben bisher im Jahr 2001 gleich viele Verluste gemacht, wie sie in Summe 1996 bis 2000 an Gewinnen erzielten.  

Mein Vorschlag ist, sich vollständig von den Denkweisen der letzten fünf Jahre zu trennen, sowohl bezüglich der New Economy, als auch bezüglich der Funktionsweise der Börsen und vor allem im Hinblick auf die als Folge dessen entstandenen Irrlehren betreffen die Corporate Governance, Shareholder Value und Wertsteigerungsstrategien waren von Anfang an falsch.  

Sie haben zu kollektiven Irrtümern geführt.
 
 

(2) Unverstand und Dogmatismus

1. Unverstand und Dogmatismus
Selten zuvor und selten auf einem anderen Gebiet wurde so viel Unverständnis bewiesen, wie mit den Denksyndromen der letzten 5 oder 6 Jahre ... Wissenschaft kann ... nicht an Fehlerfreiheit und Wahrheit beurteilt werden, sondern an den Fragen, ob sie sich der Diskussion stellt, welche Gewicht das Argument hat und an der fortwährenden kritischen Prüfung von Behauptungen.

Gemessen daran ist die New Economy-Szene, die jetzt mit brachialer Wucht kollabiert, finsteres Mittelalter gewesen, bar jeder kritischen Auseinandersetzung, ein Sammelsurium von ungeprüften Behauptungen, deren hervorstechendes Merkmal die stete Wiederholung war ... inquisitorisches Totschweigen und Ächtung von Leuten, die es wagten, die Dogmen zu bezweifeln. Mit etwas zeitlichem Abstand wird wohl die zweite Hälfte der 90er Jahre als eine Periode wirtschaftlicher Kollektivirrtümer und allgemeinen Wahns in die Geschichte eingehen.
 

2. Ein Grundirrtum

Der vor sich gehende Wandel ("Grosse Transformation") ist tiefgreifend und geht an die Grundstrukturen der Gesellschaft. Sein sichtbarstes Ereignis ... war der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme. Schon damit waren Voraussagen, Hoffnungen und Behauptungen verbunden, denen jeglicher Realismus fehlte. Die These des deutschen Altkanzlers Helmut Kohl von den in wenigen Jahren entstehenden "blühenden Landschaften" ist nur eine der bekannteren Ausformungen dieses Denkens gewesen.

Die treibenden Kräfte der "Großen Transformation" sind ... Technologie, Demographie, Ökologie und die weltweite Verschuldung.

Die erzwungene Einsicht in (die) Steuerungsfähigkeit ... hat zur Deregulierung geführt und zu dem, was Globalisierung genannt wird, beides in eine Form von primitivem und hemmungslosem, weil eben unregulierten Finanzkapitalismus mündend, den keiner der Denker des Liberalismus je gewollt hat und den auch keiner je verteidigt hätte.
 

(3) Nie mehr arbeiten müssen

3. Irrungen des ökonomische Denkens
Ein Faktor, der in dieser Situation Dominanz erlangen konnte, ist eine weit verbreitete, zuletzt alleinherrschende Art eines technokratischen ökonomischen Denkens. Es besteht ... aus einer Mischung von übersimplifizierter monetaristischer Theorie und naiver Statistik- und Zahlengläubigkeit. Eine der wesentlichen Kennzeichen dieser Denkweise ist die weitgehende Unkenntnis der ökonomischen Lehrmeinungen einerseits und - viel schwerer wiegend - der Wirtschaftsgeschichte andererseits. Das ist die entscheidende Ursache für die Fehleinschätzung des wirtschaftlichen Geschehens, für die Unfähigkeit zu vergleichen und somit für das Fehlen jeden Sinnes für vernünftige Proportionen.

Das Fehlen von Kenntnissen der Wirtschaftsgeschichte zusammen mit dem für den Monetarismus typischen Mangel an realwirtschaftlichen Kenntnissen ist auch der Grund dafür, dass die Möglichkeit von langfristigen Wirtschaftszyklen, wie etwa dem Kontratieffzyklus geleugnet wird.

4. Falsche Logik und kollektiver Wahn
Die durchaus richtige These des fundamentalen Wandels und der grundlegenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft von einer Industriegesellschaft zu einer auf Wissen basierenden Gesellschaft führte zu der dramatisch falschen Schlussfolgerung, dass dieser Wandel auch zu einer neuen Art von Wirtschaft führe, in der die bisher gültigen Gesetzmäßigkeiten aufgehoben seien.

Darüber hinaus wurde die Meinung propagiert, dass diese New Economy die schönste aller vorstellbaren Wirtschaften sein werde. ständiges Wachstum mit hohen Raten, jedoch ohne Inflation stete Produktivitätssteigerungen, aber ohne Arbeitslosigkeit; leichte Finanzierbarkeit jeder Geschäftsidee, freudige Aufnahme jeglicher Innovation auf den Märkten; ständig steigende Aktienkurse ... Vor allem und am wichtigsten:

die Konjunkturschwankungen sind für tot erklärt worden, auch dies zwar ohne jede Begründung, dafür aber umso lauter und öfter.

Schließlich glaubte jeder, an der Börse rasch reich werden zu können, ohne dafür arbeiten zu müssen - und in Folge überhaupt nie mehr arbeiten zu müssen. Woher die Wertschöpfung kommen sollte, wurde nicht gefragt. Der kollektive Wahn erfasste zum Schluss - und daher zu Höchstkursen - auch die konservativsten Pensionskassenverwalter, Pensionisten und Kleinsparer.

Es entstand ein perfektes Spiegelbild der späten Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, inklusive der Schlagzeilen in den Medien. Wenn damals von einer "New Era" gesprochen wurde, gestützt auf die Innovationen von damals - Automobil und Radio - so war es diesmal die "New Economy" - mit Internet und Telekom.

Nur war diesmal alles "noch größer, noch schneller, noch höher..." Die Bewertungsexzesse waren unlimitiert... und die Gier von Publikum, Financiers , Analysten und nicht wenigen Managern war nicht nur ohne Maß, sondern wurde auch zur Tugend stilisiert.

Und ebenso salonfähig war es plötzlich, dass Ökonomen nicht mehr neutrale Beobachter und Kommentatoren waren, sondern auf den Lohnlisten der Wallstreet-Firmen standen, de facto zu deren Salesforce gehörten und ihre legitime Aufgabe in der Propagierung von verkaufsfördernden Gefälligkeitsmeinungen sahen. An die Stelle von kritischer Analyse und rechtzeitiger Warnung traten Schönfärberei, Schönrednerei und Schönrechnerei.

Es wird auch erinnerlich, dass es während dieser ganzen Zeit des kollektiven Irrglaubens Leute mit guter ökonomischer Ausbildung, klarem Verstand, kritischer Analysefähigkeit und dem Mut zur Publikation gab. Sie wurden genau so wenig gehört und ebenso schnell geächtet, wie Giordano Bruno und Galileo Galilei.
 

(4) Niemand macht Gewinne

5. Amerikas Zahlen sind falsch
o Das vielgepriesene und naiv bestaunte amerikanische Wirtschaftswunder hat nie stattgefunden. (Massiv aufgebläht durch den Effekt des "hedonic price indexing")

o Es gab nie ein Produktivitätswunder, außer in dem kleinen Segment der Herstellung von Computern. (Verweis auf die Arbeiten von Prod. Robert Gordon, Northwestern University, Chikago).

o Die amerikanischen Gewinne waren kreativer Buchhaltung zu verdanken, aber nicht realer Wirtschaftsleistung (Stock Options und kreditfinanzierte Aktienrückkaufprogramme).

o Die Börsenhausse war nie auf echte Wertschöpfung gestützt, sondern auf die exorbitante Verschuldung aller amerikanischen Wirtschaft5segmente (3 Dollar Schulden = 1 Dollar zusätzliches BIP).

o Auch das vielgepriesene amerikanische Budgetwunder (gab es) nie. Die öffentliche Verschuldung Amerikas steigt nach wie vor und ist heute höher als zu jedem früheren Zeitpunkt.

o Die gesamten amerikanischen Wirtschaftszahlen der letzten 5 Jahre sind falsch oder wurden falsch interpretiert  und medienmäßig propagiert. (Werden inzwischen rückwirkend korrigiert)

o Es gibt keinen Punkt, in dem das amerikanische Management überlegen wäre.
 

6. Das Neue ist uralt
Das einzig Neue an der "New Economy" ist etwas Uraltes. Deregulierung, Globalisierung und Digitalisierung führen mehr als jede andere technische oder soziale Entwicklung bisher in die Nähe des ökonomischen Modells der vollkommenen Konkurrenz.

Dessen Hauptelemente sind - für jeden Ökonomiestudenten im dritten Semester bekannt - friktionsfreie Anpassung aller wirtschaftlichen Prozesse, Minimierung des Zeitbedarfs und Maximierung der Transparenz.

Ebenso klar sind aber auch die Folgen in diesem Modell: die Preise pendeln sich auf dem niedrigst-möglichen Niveau ein und niemand macht Gewinne.
 

(5) Politische Radikalisierung7. Schuldenwirtschaft, Asset-Bubble, Deflation
Dass (der Zusammenbruch der Illusion) solange hinausgezögert und aufgeschoben werden konnte, ist in der historisch beispiellosen Schöpfung von Liquidität durch die US-Notenbank zuzuschreiben, zusammen mit den nachweislich seit langem getätigten direkten Eingriffen zur Stützung der Aktienbörse.

Dies hat zu einer vorher nie beobachteten Kreditausweitung und in Folge zu einer "Asset-Bubble" gigantischen Ausmaßes geführt, die durch keinerlei reale Wirtschaftsleistung gerechtfertigt war, sowie gleichzeitig zu jener massenpsychologischen Stimmung, in der jedes Risiko gering erschien, und der Glaube entstehen konnte, dass die FED immer als Retter bereitstehen würde und können.

FED-Chairman Alan Greenspan, von der Finanzwelt und den Medien heroisiert wie vor ihm nur Abraham Lincoln und John F. Kennedy, hat gute Chancen, als Zerstörer der amerikanischen Wirtschaft in die Geschichteeinzugehen.

(Zusammenbruch der Finanzmärkte) ... mit all den Folgen, die mit Regelmäßigkeit an ein solches Ereignis geknüpft waren: eine langanhaltende Rezession, möglicherweise Depression und die Vernichtung eines Großteils der Vermögenswerte in einer Periode der Deflation.

Wie die Geschichte lehrt, bleiben solche Ereignisse nicht auf die ökonomische Sphäre beschränkt, sondern haben tiefgreifende Auswirkungen auf das soziale Gewebe der Gesellschaft, unter anderem dadurch, dass Alters- und Sozialversorgung gefährdet sind. Sie führen außerdem und aus diesem Grunde zum Risiko der politischen Radikalisierung.

Die Lehren hätten seit langem gezogen werden können, hätte man Japan und seine Wirtschaft studiert... nur einer dieser Faktoren wegfallen,
 

8. Gesetze der Wirtschaft sind Gesetze

Warum sich (wegen der "Grossen Transformation") aber die Gesetze der Wirtschaft verändern sollen, ist nicht zu verstehen. Die Preisbildung wird trotz aller Neuerungen durch Angebot und Nachfrage erfolgen; Verträge werden zu halten und Rechnungen zu bezahlen sein: Schuldner werden zu besichern und zu bedienen haben; Gläubiger werden exekutieren oder abschreiben müssen (etc.)

Gute Manager müssen unterschieden werden von Abenteurern und Egomanen.
 
 

9. Wahrer und falscher Liberalismus

Vor allem wird erneut zu lernen sein, dass eine freie Wirtschaft nicht durch Verzicht auf Regeln zu haben ist. Liberalismus hat noch nie Regellosigkeit bedeutet, sondern im Gegenteil...

Die Kernsysteme von Wirtschaft und Gesellschaft ... dürfen weder zum Spielball von intellektuellen Abenteurern und ihren ökonomischen Illusionen werden, noch der Gier der Finanzwelt, und auch nicht dem Größenwahn von Managern überlassen sein.

Wenn die größte Chance der Menschheit auf Frieden, Freiheit und Wohltand, die es je gab, nicht leichtfertig verspielt werden soll muss der Pseudoliberalismus durch den wahren Liberalismus ersetzt werden.
 

10. Fazit

In der gesamten Wirtschaftsgeschichte gibt es nicht einen einzigen Fall, wo finanzwirtschaftliche Exzesse gut ausgegangen wäre, wo es eine Stabilisierung auf hohem Niveau oder ein Softlanding gegeben hätte.

Es gibt auch keinen Fall, in dem die Exzesse, die jeweils auf der Hand lagen und leicht erkennbar waren, nicht damit gerechtfertigt worden wären, dass diesmal alles neu und daher ganz anders ist.  

Zusätzlich haben immer auch drei Turbotreiber an den Finanzmärkten eine entscheidende Rolle gespielt - Schulden, Gier und Angst.

Das Grundmuster ist immer dasselbe, nur die Erscheinungsform, die Verpackung, ist jeweils anders. Es ist schwer vorstellbar, dass die Professionalität des Entertainments, mit der die Börsen- und Finanzszenerie präsentiert wird, noch wesentlich übertroffen werden kann.  

Das wir erst zu Ende sein, wenn das programmierte Desaster perfekt ist.  

Dann werden n-tv, Bloomberg und CNBC leise die Tickerbänder abstellen, sagen wir, in zwei bis drei Jahren, weil bis dahin jedes Bearmarket-Rally noch Hoffnungen wecken wird.  

Quelle: Prof. Fredmund Malik

Der kollektive Wahn ecki
ecki:

Das ist meines erachtens der entscheidende Satz:

 
20.01.02 19:08
#2
So sind zum Beispiel die Gewinne der NASDAQ 100 Firmen nicht einfach zurückgegangen, sondern sie sind zusammengebrochen. Diese Unternehmen haben bisher im Jahr 2001 gleich viele Verluste gemacht, wie sie in Summe 1996 bis 2000 an Gewinnen erzielten.

Nur zum Vergleich, was die 1996 Gewinne machenden Firmen Wert waren. Als Index ca. 1000. Jetzt als Verlustbringer sind sie knapp 2000 Wert. Ganz schön herb. Wobei von Verlust, bzw. nur kleinen Gewinnen aus große Gewinnsteigerungen möglich sind, wenn die Realwirtschaft wirklich dreht.
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Der kollektive Wahn zit1
zit1:

Die USA stecken in der unmäßigsten Kreditinflation

 
20.01.02 19:14
#3
aller Zeiten


Die Revolution in der US-Wirtschaft hat nicht stattgefunden

Im Lichte der Daten, an denen die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes heute hauptsächlich gemessen wird, liegt die amerikanische Wirtschaft seit mindestens vier Jahren unter strahlendem Sonnenschein. Das reale Sozialprodukt erhöhte sich in dieser Zeit im jährlichen Durchschnitt um 3,6% bei gleichzeitiger Zunahme der Beschäftigung um insgesamt fast sieben Millionen oder 1,3% jährlich. Was den Glauben an einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der amerikanischen Wirtschaft aber vor allem schürte, war die Tatsache, dass bei hohem Wachstum gleichzeitig die Inflationsraten für Konsumenten- und Produzentenpreise fielen. Das war für viele normalerweise unvorstellbar.

Schnell hatte man die passende Erklärung parat: Im internationalen Vergleich liege die amerikanische Wirtschaft insbesondere aus zwei Gründen weit an der Spitze: Erstens hat sie einen großen Vorsprung in der Entwicklung und Anwendung der neuen Informationstechnologie, und zweitens habe das von Wall Street gesetzte Leitbild vom Shareholder Value in Corporate America gesammelte Management-Energien freigesetzt, die zu gründlichen Verbesserungen in den Gewinnen und im Produktionsfortschritt geführt haben.  

Shareholder Value über alles

Auf eine kurze Formel gebracht: Die ausdrückliche Verpflichtung des Managements, unter allen Umständen und in erster Linie den Shareholder Value zu maximieren, wird als die wirksamste Methode betrachtet, die Leistung in der Wirtschaft zum Besten der Allgemeinheit zu maximieren. Stichwort und Schlagwort: Corporate Restructuring. Indem sich dieses Leistungsprinzip inzwischen über die gesamte amerikanische Wirtschaft ausgebreitet hat, sei letzten Endes der gegenwärtige, lange wirtschaftliche Aufschwung mit all seinen hervorragenden Eigenschaften zustande gekommen. Aus dieser Sicht werden andere Länder inzwischen weitgehend daran gemessen, inwieweit sie die angeblich bewährten amerikanischen Methoden übernommen haben.

Hausse zieht blinden Glauben nach sich

Es passt alles wunderschön zusammen. Doch vor allem haben wohl die endlosen hohen Kursgewinne an Wall Street für eine allgemein hohe Bereitschaft gesorgt, diesen und anderen wohlklingenden Erklärungen fast blinden Glauben zu schenken. Zu einer ersten Diskussion über die Ursachen der Aktienhausse und der glänzenden Performance der amerikanischen Wirtschaft in den letzten Jahren ist es nie gekommen. Die wenigen kritischen Stimmen, die sich meldeten, wurden nicht widerlegt, sondern einfach überhört. Was spricht gegen diesen Glauben an ein Wirtschaftswunder in Amerika? Erstens die Tatsache, dass die angeblich schlüssigen Beweise in Wahrheit alles andere als schlüssig sind, und zweitens die vorliegenden monetären Daten, die klar und deutlich besagen, dass Herr Greenspan über die unmäßigste Kreditinflation präsidierte, die es je in der Welt gegeben hat. Das nämlich ist der Stoff, aus dem regelmäßig Bubbles entstehen.

Bis auf den heutigen Tag ist stets und ständig zu hören und zu lesen, eine "asset bubble", also eine Inflationsblase in Finanz- oder Sachanlagen, sei sehr schwer zu erkennen, bevor sie platzt. So Greenspan und viele andere in ständiger Wiederholung. Das ist einfach eine faule Entschuldigung für diejenigen, die nicht sehen wollen. Theoretische Erkenntnis wie geschichtliche Erfahrung geben in dieser Beziehung eine ebenso einfache wie klare Antwort:
Entscheidendes Kriterium für eine inflatorische Entwicklung jeglicher Art ist die jeweils stattfindende Kreditexpansion, und zwar Kreditexpansion im Vergleich mit zwei volkswirtschaftlichen Aggregaten: erstens dem inländischen Sparaufkommen und zweitens dem Anstieg des nominalen Sozialprodukts, das die gesamtwirtschaftliche Aktivität misst. Noch in den achtziger Jahren gehörte diese Einsicht zu den Binsenweisheiten in der Nationalökonomie.

Greenspan übergeht sinkende Ersparnis

Die Kreditausweitung der letzten Jahre in den USA ist ohne Vergleich und Beispiel in der Geschichte, weil sie von einem völligen Kollaps der persönlichen Ersparnisbildung begleitet war. Es ist zur Norm geworden, dass die privaten Haushalte beständig mehr ausgeben, als sie verdienen. Fast ein Drittel des Anstiegs der Konsumausgaben in diesem Jahr ging auf das Konto sinkender Ersparnis. In seinen zahlreichen Reden hat Herr Greenspan nicht einmal auch nur ein einziges Wort über die Tatsachen verloren. Zum Vergleich sei bemerkt, dass Japan in seinen Bubble-Jahren der späten achtziger Jahre eine persönliche Sparquote von 12 bis 13% hatte, nach vorher 15 bis 16%.

Ein nicht weniger tolles Bild bietet sich beim Vergleich der laufenden Kreditexpansion mit dem gleichzeitigen Anstieg des nominalen Sozialprodukts. Dieses stieg im vergangenen Jahr um 400 Mrd. Dollar und in der ersten Hälfte dieses Jahres um 200 Mrd. Dollar. Dem stand eine Kreditaufnahme des privaten nicht-finanziellen Sektors, also von Konsumenten und   Unternehmen zusammen, von 995 Mrd. Dollar beziehungsweise 532 Mrd. Dollar gegenüber. Auf einen Dollar Anstieg des Sozialprodukts kam von deren Seite damit rund 2,5 Dollar Neuverschuldung. Wohlgemerkt, dies ist alles private Verschuldung, denn die Regierung macht in ihrem Haushalt einen Überschuss.

Schuldenberge gebären Blasen

Daneben ist aber die explosionsartig zunehmende Kreditaufnahme eines dritten Sektors in Betracht zu ziehen, und zwar des Finanzsektors. Er borgte im vergangenen Jahr 1,068 Mrd. Dollar und 557 Mrd. in der ersten Hälfte dieses Jahres. Das ergibt in der Terminologie des Federal Reserve "net flows through the credit markets" von 2120 Mrd. Dollar im Jahre 1998 und von 1080 Mrd. Dollar in der ersten Hälfte des Jahres. (Nebenbei bemerkt, die jüngsten Zahlen sind nicht auf Jahresrate hochgerechnet).

Um die Brisanz der Inflationsblase in den amerikanischen Finanzmärkten zu verstehen, ist es notwenig, sich die Brisanz der Schuldenblase vor Augen zu führen, aus der jede Bubble letztlich hervorgeht. In den vergangenen viereinhalb Jahren bis Mitte 1999 hat die Neuverschuldung in den amerikanischen Kreditmärkten insgesamt um mehr als 7200 Mrd. Dollar oder um 40% auf 24428 Mrd. Dollar zugenommen. Das sind 363% des derzeitigen jährlichen Sozialprodukts. Von dieser Gesamtverschuldung entfielen 25% auf die privaten Haushalte, 24% auf Unternehmen, 15% auf die Regierung und 29% auf den finanziellen Sektor.

Im Rückblick erscheint es sonnenklar, dass das amerikanischen Kreditsystem vor allem von 1997 auf 1998 vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Die Neuverschuldung des privaten nicht-finanziellen Sektors, also der Konsumenten und Unternehmen, schnellte von einem Jahr zum anderen um 41% und die des finanziellen Sektors um sage und schreibe 64% in die Höhe. Obwohl dies wirklich ein ungeheuerlicher Sprung war, nahm ihn niemand zur Kenntnis, denn Kreditzahlen sind für Alan Greenspan und Wall Street grundsätzlich ohne Interesse. Das einzige, was sie im monetären Bereich aber auch nur gelegentlich beachten, sind die Geldmengen. Immerhin beschleunigte sich das Wachstum der Geldmenge M3 auf 11%, nach 9% im Vorjahr. Doch auch das erschien irrelevant angesichts sinkender Inflationsraten.

Für die meisten ausländischen Betrachter ist es ein Rätsel, was die explosionsartige Zunahme der Kreditaufnahme des finanziellen Sektors in den USA zu bedeuten hat. Es handelt sich in der Hauptsache um so genannte "non-bank financial intermediaries", die sekurisierte Hypotheken und alle Arten von Konsumkrediten kaufen und finanzieren. Die Verbindlichkeiten der größten Institute in dieser Gruppe sind "Federal government-related"  und genießen infolgedessen Staatsgarantie, die ihre Refinanzierung erleichtert und verbilligt. Hauptsächliche Refinanzierungsquelle sind der amerikanische und der internationale Geldmarkt, die sie mit verschiedenartigen kurz- und mittelfristigen Instrumenten anzapfen. Letztlich wurden sie zur unerschöpflichen Quelle für den unersättlichen Konsumkredit.

Kaum jemandem scheint klar zu sein, dass sich hier inflatorische Kreditschöpfung reinsten Wassers in phantastischen Ausmaßen abspielt. Im Unterschied aber zur Kreditgewährung der Banken findet in diesem Falle keinerlei Geldschöpfung in Gestalt einer gleichzeitigen Vermehrung der Bankeinlagen, sondern eine Beschleunigung der Geldumlaufsgeschwindigkeit statt. Was diese Institute über die Geldmärkte von ihren Kreditgebern ausleihen, um damit Kreditpapiere zu kaufen, sind letzten Endes bestehende Bankeinlagen, das heißt bestehende Kassenbestände von Unternehmen und institutionellen Anlegern. Die unsichtbare monetäre Expansionswirkung findet durch schnelleren Umschlag der Einlagen statt.  

Man führe sich vor Augen, dass die Käufe dieser Institute von "sekuritisierten" Krediten von 550 Mrd. Dollar im Jahre 1996 auf mehr als 1000 Mrd. Dollar im Jahre 1998 zugenommen haben. Diese Summen, um nicht zu sagen Unsummen, lassen keinen Zweifel daran, dass diese Institute bei der Bildung der großen amerikanischen Kredit- und Finanzblase in den letzten beiden Jahren direkt und indirekt eine absolut entscheidende Rolle gespielt haben.

Kreditpyramide führt zu Illiquidität

Eine der Folgen dieser Entwicklung ist natürlich, dass Kreditschöpfung und Geldschöpfung in den USA wie nie zuvor auseinander klaffen. In der Wirkung auf Wirtschaft und Märkte besteht keinerlei Unterschied zur Kreditschöpfung der Banken, die mit Geldvermehrung verbunden ist. Wohl aber wird das Finanzsystem auf längere Sicht zwangsläufig illiquider, indem im Verhältnis zur Geldmenge eine immer größere Kreditpyramide entsteht. Ebenso sollte klar sein, dass die Bewegungen der Geldmengen unter diesen veränderten institutionellen Bedingungen ein völlig unzulänglicher Maßstab für die Geldpolitik geworden sind.

Womit wir zur wichtigsten Frage überhaupt in diesem Zusammenhang kommen:
Was genau war und ist die entscheidende treibende Kraft hinter dem langen Boom der amerikanischen Wirtschaft und der stürmischen Hausse des Aktienmarktes gewesen? War es die Kreditblase, die wir beschrieben haben? Oder ist es der berühmte Paradigmenwechsel in der Wirtschaft als Folge von High Tech und Corporate Restructuring, den Wall Street und Herr Greenspan beschwören?  
Halten wir als erstes nochmals fest:
Die Kreditexpansion, die in den letzten Jahren in den USA stattgefunden hat, ist ohne Beispiel in der Geschichte. Sie stellt alle bisherigen Bubble-Erfahrungen in den Schatten. Ebenfalls einmalig in der Geschichte ist es, dass alle Welt, nicht nur unabhängige Beobachter und Kommentatoren, sondern vor allem auch die verantwortlichen Geldpolitiker, über die entfesselten Kreditfluten einfach hinwegsehen. Sie werden nicht einmal zur Kenntnis genommen.

Dazu sei festgestellt, dass sich die Fed in den zwanziger Jahren über den haussierenden Aktienmarkt bereits anfangs 1928 Sorgen zu machen begann und von da an bemüht war, ihn durch Zinserhöhungen frühzeitig zu bremsen. Erst recht aber wäre in der damaligen Fed niemand auf die Idee gekommen, die Aktienhausse gar mit den großen Errungenschaften der industriellen Revolution zu rechtfertigen, wie Greenspan es immer wieder mit Bezug auf Computer- und Informationstechnologie getan hat. Wall Street schwärmte zwar von einer neuen Ära, niemand aber in der Fed. Dabei erzielte die Industrie mit einer damaligen neuen Technologie, die primär die Produktionsanlagen verbesserte, ungleich höhere, messbare Produktivitätsgewinne als es heute mit der neuen Informationstechnologie geschieht.

Kein Verständnis für Mises und Hajek

Die Meinungsverschiedenheiten über die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung in den USA gehen letztlich jedoch weit über die Frage hinaus, ob die Aktienhausse der letzten Jahre eine inflatorische Bubble darstellt oder aber einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der Wirtschaft widerspiegelt. Anhaltende, größere Inflationsblasen in den Sach- und Finanzanlagen haben erfahrungsgemäß die unangenehme Eigenschaft, dass sie je nach Dauer und Ausmaß mehr oder weniger starke Verwerfungen in der ganzen Wirtschaft bewirken, die langwierige und schmerzvolle Anpassungsprozesse nach sich ziehen, nachdem die Bubble geplatzt ist.

Das ist allerdings eine Erkenntnis der Österreichischen Schule (Mises, Hayek), wofür die große Mehrheit der amerikanischen Nationalökonomen kein Verständnis hat. In der gängigen amerikanischen Wirtschaftsgeschichte hatte die Depression der dreißiger Jahre absolut nichts mit den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen der späten achtziger Jahre zu tun.
Schuld war allein eine zu restriktive Geldpolitik der Fed, nachdem die Aktienblase geplatzt war. Im gleichen Sinne werden die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Japan allein einer falschen Geldpolitik in der Gegenwart, nicht aber den wirtschaftlichen und finanziellen Auswüchsen und Verzerrungen aus den vorangegangenen Bubble-Jahren zugeschrieben.

BoJ mit selben Trivialitäten bombardiert

Für diesen Gedanken, für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung könne es zuerst eines möglicherweise langwierigen und schmerzvollen Anpassungsprozesses bedürfen, haben in Amerika weder Politiker noch Nationalökonomen etwas übrig. Jede wirtschaftliche Stockung ist ihrer Ansicht nach leicht und schnell zu beheben, indem die Notenbank einfach "Geld druckt". Das einzige, was ihnen dabei in den Sinn kommt, sind massive Offenmarkt-Käufe der Notenbank von Staatspapieren. Mit dieser simplizistischen Forderung wird die japanische Notenbank von maßgebenden amerikanischen Nationalökonomen seit Monaten bombardiert.

Dummes Zeug

Zurück zur Ausgangsfrage: Bubble oder neue Ära in den USA? Wie gesagt, die übliche Behauptung, eine Anlagen-Bubble sei schwer zu erkennen, bevor sie platzt, ist dummes Zeug. Entscheidendes und spielend leicht erkennbares Kriterium ist, wie gesagt, die jeweils laufende Kreditexpansion. Typisches, ins Auge springendes Kennzeichen jeder Inflationsblase in Sach- oder Finanzanlagen ist eine Kreditexpansion, die das Sozialproduktwachstum deutlich übersteigt. Es mag manchmal Grenzfälle geben, aber die gegenwärtige Entwicklung in den USA ist kein Grenzfall, sondern der extremste Fall, den es in dieser Hinsicht je gegeben hat, womit die Aktienhausse der vergangenen Jahre als besonders schlimme Inflationsblase oder Bubble qualifiziert ist.

Aber solche Bubbles finden nicht im luftleeren Raum statt. Wie gesagt, in aller Regel führt die inflatorische Kreditvermehrung direkt und indirekt zu mehr oder weniger starken Verzerrungen in den Strukturen der Wirtschaft. Aus der "asset bubble" wird auf diese Weise die "bubble economy". Im Falle Japans bewirkte die Bubble der späten achtziger Jahre im Aktien- und Immobilienmarkt einen Investitionsboom ohnegleichen in Industrieanlagen und kommerziellen Bauten. Selbst nach zehn Jahren haben die japanischen Unternehmen noch mit den damaligen massiven Fehl- und Überinvestitionen zu kämpfen. Von völlig anderer Art sind die Bubble-Auswirkungen der vergangenen Jahre auf die Wirtschaft in den USA. Auf dem Weg über die gewaltigen "wealth effects" des haussierenden Aktienmarktes zugunsten der privaten Haushalte ist vor allem der Konsum überstimuliert worden, übrigens ähnlich wie schon in den zwanziger Jahren, als in den USA der Konsumkredit erfunden wurde.

Wahrzeichen Handelsbilanzdefizit

Doch Herr Greenspan und die meisten amerikanischen Volkswirte sind außer Stande, in der maßlosen Kreditvermehrung, dem Zusammenbruch der privaten Ersparnisbildung sowie dem explodierenden Handelsbilanzdefizit bedenkliche Ungleichgewichte zu sehen, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Das riesige Defizit im Außenhandel wird ganz im Gegenteil als das Wahrzeichen einer vor Kraft strotzenden Wirtschaft gesehen und hingestellt. Handelsbilanzüberschüsse werden verächtlich als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche abgetan. Dass Volkswirtschaften mit starkem Wachstum dank hoher innerer Ersparnisbildung in der Regel starke Handels- und Zahlungsbilanzen aufweisen, ist ihnen völlig unbekannt.

Beispielloses Nebeneinander

Um es zu wiederholen und zu unterstreichen: Amerika ist der extremste Fall von "asset bubble" und "bubble economy", den es je gegeben hat. Das hat seinen Grund in dem beispiellosen Nebeneinander von völlig unkontrollierter Kreditexpansion und völligem Zusammenbruch privater Ersparnisbildung. Es bedeutet, dass die amerikanischen Märkte letztlich von zwei ungewöhnlichen und unsicheren Finanzierungsquellen abhängen. Das eine ist pures finanzielles Leverage, also kreditfinanzierte Anlagen, und das andere sind Auslandskäufe. Wobei das finanzielle Leverage bekanntlich in großem Umfang durch Refinanzierung in niedrig verzinslichen ausländischen Währungen stattgefunden hat, in Yen, Euro und Schweizer Franken. Hat die amerikanische Wirtschaft aber in puncto Ertragskraft und Produktivität erheblich gewonnen, wie Wall Street unter Berufung auf Hightech und Shareholder-Value-Primat zu behaupten pflegt? Darüber muss es doch objektive und unbestreitbare Statistiken geben. Ja, es gibt sie, aber ...

Gewinnentwicklung gibt nichts her

Was die Gewinne betrifft, so haben es die Analysten geschafft, mit verschiedenen Vergleichskniffen den anhaltenden Eindruck eines besonderen Gewinnbooms in diesem Aufschwung zu erwecken. In der Tat war dies in den Jahren 1993/94 der Fall, nicht aber aus Gründen erhöhten Produktivitätsfortschritts, sondern als Folge scharfer Zinssenkungen. In den folgenden Jahren setzte sich der Gewinnanstieg zwar fort, aber mit stark rückläufiger Tendenz. Vom 3. Quartal 1997 bis zum 1. Quartal 1999 herrschte dann Gewinnstagnation. Erst im zweiten Quartal dieses Jahres kam es zu neuem Gewinnanstieg (siehe Chart 1 und 2). Kurz gesagt, in der Gewinnentwicklung der vergangenen Jahre gibt es nichts, absolut nichts, was zu euphorischem Gerede von Paradigmenwechsel und neuer Ära in der Wirtschaft berechtigt. Eher haben sich die Gewinne in diesem Aufschwung unterdurchschnittlich entwickelt, obwohl zwei außergewöhnliche, stark Gewinn steigernde Einflüsse zur Wirkung kamen: massive Verwendung von Stock Options und hohe Kursgewinne der Pensionsfonds im Aktienmarkt.

Stock-Options 1 Billion Dollar schwer

Es wird geschätzt, dass die ausstehenden Stock-Options heute einen Marktwert von etwa einer Billion Dollar haben. Im Grunde sind es Gehaltszahlungen, die aber nicht als Kosten in die Gewinn-und-Verlust-Rechnung eingehen. Was sodann die Kursgewinne der Pensionsfonds betrifft, so haben sie die Unternehmensgewinne dadurch erhöht, indem sie den Unternehmen die sonst notwendigen erheblichen Einzahlungen zur Fundierung der Pensionsverpflichtungen ersparen. Nicht wenige Unternehmen gehen allerdings noch weiter und kassieren einen Teil der Kursgewinne für eigene Rechnung.

Manipulation ist oberste Pflicht

Im Übrigen ist es ein offenes Geheimnis, dass zahlreiche Unternehmen jeden Buchhaltungstrick ausnutzen, um ihre Gewinne zu verschönern. Zu den wenigen, die dies offen kritisieren, gehört Warren Buffet, Amerikas meistbewunderter Investor, der sich  kürzlich wie folgt äußerte: "Eine wachsende Zahl sonst hochgradiger Manager - die man gerne als Vater seiner Kinder oder als Treuhänder seines Nachlasses sähe - sind zur Ansicht gekommen, dass es völlig legitim ist, die Gewinne zu manipulieren, um die Wünsche von Wall Street zu befriedigen. Viele Manager halten solche Manipulationen in der Tat nicht nur für zulässig, sondern für ihre Pflicht." Es sollte klar sein, was letztlich hinter dieser merkwürdigen Einstellung steht: die allgemeine Besessenheit gegenüber der erklärten Notwendigkeit, den Shareholder Value unablässig zu steigern.

Und was hat es mit der viel gerühmten Steigerung des Produktivitätsfortschritts in der amerikanischen Wirtschaft auf sich? Jawohl, sie hat sich in den letzten Jahren praktisch verdoppelt, von 1% auf gut 2% jährlich. Ohne viel zu fragen wurde diese Verbesserung von vornherein dem gestärkten Computereinsatz und selbstverständlich dem um sich greifenden Corporate Restructuring zugeschrieben.

Computer verfälschen Statistik

In der Wirklichkeit hatte diese Verbesserung der Produktivität einen ganz anderen, und zwar einen rein statistischen Grund. Entscheidend war letztlich eine Umstellung in der Statistischen Bemessung der Computerinvestitionen der Unternehmen. Da die Leistungskraft der Computer bei zudem rapide fallenden Preisen exponentiell zunahm, kamen die amtlichen Statistiker auf den Gedanken, für die Bemessung dieser Investitionen einen Index zu entwickeln, der die beiden Vorgänge im Computerbereich - höhere Leistung zu sinkenden Preisen - erfassen und widerspiegeln sollte. Er fand die Bezeichnung "hedonischer" Preisindex.

Dieser Index wird nun seit Ende 1955 angewendet. (Hinweis des Webmasters: soll wahrscheinlich "1995" heißen)  Es waren sicherlich vernünftige Überlegungen, die zu dieser Umstellung in der gesamtwirtschaftlichen Statistik führten, aber das schließliche Ergebnis ist grotesk. Mit der Leistungskraft der Computer explodierten - in der Statistik - die Investitionen der Unternehmen, was dann seinerseits in entsprechendem Ausmaß das reale Sozialproduktwachstum erhöhte. Dazu eine Kostprobe: Im vergangenen Jahr erhöhte sich das reale Sozialprodukt der USA - gerechnet in so genannten "chained" Dollars - um 282 Mrd. Dollar beziehungsweise um 3,9%. Alle Welt bestaunte diese hohe Wachstumsrate. Den wenigsten war klar, dass davon 137 Mrd. Dollar oder 48% auf das Konto der auf diese Weise berechneten Computerinvestitionen der Unternehmen gingen. Die tatsächlichen Mehrausgaben der Unternehmen hatten dagegen lediglich 14 Mrd. Dollar betragen. Im ersten Halbjahr 1999 kam der Computeranteil auf volle 81 Mrd. Dollar oder 65% innerhalb eines Sozialproduktzuwachses von 125 Mrd. Dollar. Glatte zwei Drittel des Anstiegs des Sozialprodukts errechnete sich aus Ausgaben, die nicht stattgefunden haben. Im Grunde sind es statistische Phantomdollars.

Doch zwangsläufig hatten diese statistischen Umstellungen noch eine weitere bedeutsame Folge. Indem sie das Sozialproduktwachstum erhöhten, stieg in gleichem Maße der gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt. Da die amerikanische Sozialproduktstatistik die Computerinvestitionen der Unternehmen separat ausweist, konnte jeder allerdings mit Leichtigkeit nachrechnen, dass die für die Gesamtwirtschaft ausgewiesene Produktivitätsverbesserung in Wirklichkeit nicht überwiegend auf gewaltige Produktivitätssprünge im Computersektor selbst zurückgeht, auf den gerade 1% des Sozialprodukts in den USA entfällt, das hieß letztlich auf besagte statistische Umstellung. Wer jedoch hatte ein Interesse daran, dies offen zu legen? Niemand, leider nämlich hätte es den einzigen Anhaltspunkt für den Paradigmenwechsel in der amerikanischen Wirtschaft widerlegt.

Immerhin, vor einigen Monaten veröffentlichte ein führender akademischer Experte in Produktivitätsfragen, Prof. Robert J. Gordon, Northwestern University, eine umfassendere Studie über genau diese Frage - mit vernichtendem Urteil über die angeblichen großen Produktionsgewinne in der neuen Ära.

Vernichtendes Urteil zur Produktivität

Die Studie gipfelte in der Feststellung, das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA werde durch die besondere Art der statistischen Erfassung des Computersektors völlig verzerrt. In den 99% der Wirtschaft außerhalb der Computerindustrie habe keinerlei Produktivitätsverbesserung stattgefunden, so dass für eine "new-economy"-Revolution nicht der geringste Raum bleibt. Die Explosion in der Herstellung und Nutzung von Computern hatte außerhalb der Computerindustrie, die auf 1% des Sozialprodukts entfällt, keinerlei messbare Produktivitätswirkungen. Im Gegenteil habe sich ansonsten das Produktivitätswachstum eher etwas verlangsamt. Wörtlich: "When stripped of computers, the productivity performance of the durable manufacturing sector is abysmal, with no revival at all and a further slowdown in 1955-99 (Hinweis des Webmasters: soll wahrscheinlich "1995-1999" heißen) compared to 1970-95."

Dieses vernichtende Urteil von Prof. Gordon erklärt einiges, insbesondere die enttäuschende Gewinnentwicklung. Zugleich drängt sich die Frage auf: Wo ist eigentlich der Boom, wenn die aufgeblähten Computerzahlen nicht wären? Für 99% der Wirtschaft verbliebe ein reales Wachstum von knapp 2% jährlich. Ein mehr als mageres Ergebnis, wenn man die riesige Kreditblase bedenkt. Trotzdem, der Boom existiert, aber er findet eben größtenteils außerhalb des Sozialprodukts in den Anlagemärkten statt: im Aktienmarkt, im Anleihemarkt, im Immobilienmarkt, während von dem nicht in Frage stehenden Konsumboom der größere Teil inzwischen durch das Riesenloch in der Handelsbilanz ins Ausland abfließt.

Bubble oder neue Ära? Über die Antwort auf diese Frage kann nach diesen Ausführungen kein Zweifel bestehen. Die Revolution in der amerikanischen Wirtschaft hat nicht stattgefunden, weder durch die Informationstechnologie noch durch das Shareholder-Value-Primat. Und sie wird auch niemals stattfinden, denn beide sind von ihrer  Natur her dazu nicht geeignet. Der Druck, unablässig höhere Gewinne auszuweisen, drängt die Unternehmen vor allem zu Kostensenkungen, dies aber auf Kosten von Neuinvestitionen, und das führt insgesamt zu sinkenden Gewinnen.

Neue Technologie leider nur Wunder

Und was ist mit der Prosperität, welche die neue Technologie hervorbringen soll? Es ist ein technisches Wunder, ohne Frage, nur leider ein Wunder, das nicht die notwendigen Eigenschaften besitzt, daraus ein wirtschaftliches Wunder zu schaffen. Ein Vergleich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der industriellen Technologie macht dies klar und deutlich. Die industrielle Technologie hatte sehr starke Produktivitätswirkungen, die Arbeitskräfte freisetzte. Aber aus der arbeits- und kapitalintensiven Herstellung der Anlagen und Maschinen dieser Technologie entstanden große neue Kapitalgüterindustrien, die den Menschen andere, neue Arbeit gaben. Es war ein wunderbares Zusammenspiel von Arbeitsteilung und Kapitalbildung, das die große Prosperität des industriellen Zeitalters hervorbrachte.

Maßlose Konsumentenverschuldung

Nichts davon gilt für die Informationstechnologie. Auch sie setzt Arbeitskräfte frei. Aber die Herstellung der Hightech-Ausrüstung ist mit minimalem Arbeits- und Materialeinsatz verbunden. Hightech ist vorzüglich geeignet, die Phantasie der Aktienanleger anzuregen, jedoch völlig ungeeignet, die Ausgaben- und Einkommensströme in der Wirtschaft zu vergrößern. Weder neue Technologien noch Shareholder-Value-Primat haben die amerikanische Wirtschaft in den letzten Jahren vorangetrieben, sondern es war ein ganz primitives Rezept: maßlose Konsumentenverschuldung.  
 

Dr. Kurt Richebächer
 


Zur Person: Dr. Kurt Richebächer (81) ist schon seit vielen Jahrzehnten mit den Finanzmärkten vertraut. Begonnen hat er als Korrespondent deutscher Zeitungen in London, ehe er 1964 - nach Zwischenstationen bei der damaligen Berliner Bank und dem Bundesverband deutscher Banken - unter Jürgen Ponto als Generalbevollmächtigter in die Dienste der Dresdner Bank trat, wo er in fachlicher Unabhängigkeit einen eigenen Monatsbrief herausgab. Im Jahre 1982, nachdem er sich selbständig gemacht hatte, führte er diesen Brief als "The Richebächer Letter" weiter. Richebächers vertritt die Meinung, das Amerika der bisher extremste Fall von "asset bubble" und "bubble economy" ist.
 
 
 

Der kollektive Wahn flamingoe
flamingoe:

Wahnsinn - nur 66 mal gelesen!

 
06.02.02 20:09
#4
sex sells - Fakten nur wenn Sie positiv sind!  
Der kollektive Wahn Schnorrer
Schnorrer:

Vielleicht ist es einfach auch nir Betrug gewesen.

 
06.02.02 20:36
#5
Hier eine Geschichte im kleinen, sozusagen sehr privat: einen von den erwähnten High-Potentials kenne ich persönlich.

www.bizzcontact.com/de/who.jsp?action=viewProfile&l=&u=&p=6297

Diese Firma gibt es heute nicht mehr. Durch Umsatzsteuerbetrug über Einkauf in England hatten sie anfangs Margen und konnten an die Börse. Die stock options haben meinem Bekannten mehrere Millionen und eine Villa in Grünwald beschert. Zunächst. Dann kamen die Staatsanwaltschaft und die Steuerfahndung. Und weil ihn kein Wässerchen trüben kann, hat er noch schnell ein teueres Gutachten bei Haarmann, Hemmelrath und Partner bestellt, das ihn entlasten soll. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft auch bei denen.

Nebenbei bemerkt: das war ein ähnliches Geschäftsmodell wie das von ACG. Wenn ich einmal genügend Brezen geschnorrt habe, werde ich ihn in der Untersuchungshaft besuchen.
Der kollektive Wahn Depothalbierer
Depothalbierer:

So ist es! Das müßte mal als Leitartikel in allen

 
06.02.02 20:38
#6
großen Zeitungen stehen.
Ich kenne einen ca. 50-jährigen überdurchschnittlich intelligenten Mann, der auch Fondberatungen anbietet. Auch er ist der festen Überzeugung, daß der DOW Ende 2002 bei ca. 12000 steht!! Ich habe gewettet 8000 und tiefer, mal sehen, wer Recht behält.  
Der kollektive Wahn MOTORMAN
MOTORMAN:

@depot: hoffentlich

 
06.02.02 20:40
#7
der 50-jährige ;-)

Der kollektive Wahn Digedag
Digedag:

@Depothalbierer: 8000 - du bist aber zaghaft,

 
07.02.02 03:15
#8
Du solltest bei den von deinem Bekannten genannten 12000 einfach mal eine Null wegstreichen, dann kommen wir der Sache schon näher.

Der "leichte" Kursrückgang von März 2000 bis September 2001 war doch nur das Vorgeplänkel.
Bekanntlich erwischt es die "guten" erst zuletzt. Und die ganzen dicken DOW-Klopse, wo die Pensionsfonds mit unendlich vielen Anteilen drin stecken, hat es bisher (seit März 2000) eigentlich noch nicht "erwischt". Aber die fortschreitende "Enronitis" wirds schon richten, siehe GE.

Und wenn erst mal alle Pensionsfonds gleichzeitig zur Tür raus wollen, dann wirds aber eng ...

Armes Amerika .....

Aber dafür haben sie ja den Bush. Der wird schnell feststellen, daß die ausländischen Investoren schuld sind, die heimtückisch terroristisch ihr Kapital abziehen ....

Das wird eine Bombenstimmung, wenn London, Frankfurt, Paris, usw. als Hort des Amerika zerstörenden (Finanz-)Terrors ausgemacht werden.
Der kollektive Wahn zit1
zit1:

Der DJIA könnte noch lange kraftvoll von der FED

 
07.02.02 10:44
#9
gestützt werden, daß wissen auch die market maker ganz genau.
Irgendwann wird ihr aber die Kraft ausgehen. Es könnte ein ganz langsamer, schleichender Niedergang werden... aber die asset bubble wird platzen, egal wie.
Der kollektive Wahn furby
furby:

Puh, düstere aber interessante Kost

 
07.02.02 19:09
#10
da hast Du ja dunkle Bilder skizzieren lassen Zit. Obwohl ich in vielem zustimme, bin ich mir nicht ganz sicher, ob die US Börsen z.B. wirklich ein ähnliches Schicksal wie das der japanischen Börsen ereilen könnte.

Viele Gedanken sind sehr allgemein vorgetragen in den obigen Artikeln und passen wohl auch irgendwie allgemein, weil es ja immer nur Menschen sind die handeln.

Ein paar kleine Punkte will ich aber anmerken:

Eine gigantische Blase gab's vor allem mit Aktienwerten, die mit dem Internet zutun hatten. Ansonsten sehe ich nur vereinzelt auch in anderen Werten eine Blase. Ich frage mich derzeit, ob die Bewertung der Biotechwerte zu hoch oder zu niederig ist - ich tendiere zu zu niedrig und halte den Internethype mit dem Biotechhype nur für bedingt vergleichbar.

Zum anderen will ich bei Nasdaq 100 Index vergleichen vom Maxima bis zum Minima nicht unerwähnt lassen, daß zwischen Maxima und Minima etwa 1,5 Jahre dazwischen liegen und die Werte des Nasdaq 100 aus dem sich der Index berechnet inzwischen nadere sind als zu Zeiten des Maxima. Deshalb ist die Schlußfolgerung, daß wir bei einem Indexstand von 5500 von sprudelnden Gewinnen ausgingen und nun bei 2000 von starken Verlusten hören und den Nasdaq 100 bei 2000 noch immer als eine Überbewertung darstellen, nicht passend. Und wenn diese Autoren Autoritäten solche Äpfel mit Birnen Vergleiche anstellen, dann rüttelt das für mich auch ein wenig an der Brauchbarkeit des ganzen Artikels.

Gruß furby  

Der kollektive Wahn Digedag
Digedag:

@furby - wer redet denn hier vom NASDAQ? - Der DOW

 
07.02.02 20:45
#11
... der DOW gehöhrt geschlachtet.

Dass NASDAQ und DAX dabei einen leichten "Kollateralschaden" nehmen werden, ist leider nicht ganz zu vermeiden... ;-))

Der kollektive Wahn Depothalbierer
Depothalbierer:

Bewertungsmäßig würde ich Dir zustimmen, Digedag,

 
07.02.02 20:54
#12
der DOW könnte noch viel tiefer fallen, aber man sollte die Macht der Medien nicht unterschätzen. Wenn dem Volk in USA nämlich erzählt wird, wie toll es wieder aufwärts geht mit der Wirtschaft, dann werden die schon wieder Aktien kaufen.
Der kollektive Wahn Monika
Monika:

@ Zit : Ein sehr, sehr guter Beitrag !

 
07.02.02 20:59
#13
Ein weiteres Beispiel:

In Dänemark, einen Land mit 4% Arbeitslosigkeit und
`echtem` Wirtschaftswachstum sowie breitem Wohlstand
ohne Schulden interessiert sich fast NIEMAND für die
Börse, in den beiden grossen Hauptnachrichtensendungen
des dänischen TV kommen nie Aktienkurse vor, Laufbänder
gibts sowieso nicht, Aktienmagazine auch nicht. Nur eine
Zeitung `Börsen` die es seit 100 Jahren gibt (etwa wie
Handelsblatt). Allerdings ist die AKTIENQUOTE höher !!!
Aber es wird nicht gezockt.

Der Beitrag über die amerik. Wirtschaft ist gut analysiert,
ich erwarte für die USA die`Neuauflage` der 70er (wie in
Star Wars I ): nichts funktioniert, keine Produktivität
und viele Arbeitslose.


be inspired

M
Der kollektive Wahn furby
furby:

Hi Digedag

 
07.02.02 22:07
#14
ich bezog mich mit meinem Nasdaq Kommentar auf die Stellungnahmen in Zit's Artikel und ecki's Charts zum Nasdaq 100.

was den DJ betrifft, denke ich das es schon sehr schlimm um die US Wirtschaft bestellt sein müßte, um eine "Schlachtung" zu sehen. Soweit nichts ungewöhnliches passiert, erwarte ich das dieses Jahr nicht, zumindest keinen DJ kleiner 8800.

Gruß furby
Der kollektive Wahn Schwachmat
Schwachmat:

was haben wir gelernt?

 
27.01.03 12:37
#15
Interview mit Dr. Kurt Richebächer


Vorwort
Dr. Kurt Richebacher hat eine unheimliche Fähigkeit demonstriert, zukünftige wirtschaftliche Probleme zu identifizieren. Der frühere Chefvolkswirt der Dresdner Bank warnte vor der Rezession und dem NASDAQ-Crash Monate, bevor es geschah. Er sagte den Zusammenbruch der asiatischen Tiegerstaten 1998 voraus und lies lange vor Enron die Alarmsirenen ertönen, was die Tricks um die Unternehmensgewinne anging. Als beinahe jeder sich einer V-förmigen Erholung sicher war, behauptete er, daß dies unmöglich sei.

Als Meister der klassischen Volkswirtschaft und vielleicht der beste analytische volkswirtschaftliche Denker der heutigen Welt schreibt Dr. Richebacher einen monatlichen Rundbrief, den "Richebacher-Brief". Bei seinem beeindruckenden Rekord genauer Warnungen und Voraussagen angesichts der meist einstimmigen Opposition aus stablishment-Volkswirtschaften denken wir, daß das folgende Interview mit voller Konzentration und Kombinationsfähigkeit gelesen werden sollte.
 

Interview

Damals im März'97 warnten Sie, daß ernste Probleme die schwer verschuldete Wunderwirtschaft im Fernen Osten bedrohen. Warum hatten Sie dieses Problem ins Licht gerückt?
- Ihr Boom war kreditinduziert. Sie gerieten schwer in Schulden, um exzessiv zu bauen.

Die gleiche alte Geschichte?
- Ja, Abgezogene Gelder und Kreditwachstum und die typischen Symptome von sich überhitzenden Volkswirtschaften - Inflation, Spekulation und finanzielle Exzesse.

Dann, im Juni'98 sagten Sie, "Später dieses Jahr wird sich die US-Wirtschaft abrupt verlangsamen". Was hatten Sie wahrgenommen?

- Die Gewinne gaben nach und Unternehmen neigten zu selbstzerstörerischen Finanztricks und Buchhaltungsmanövern einschließlich schwerer Spekulationen und Leveraging. Ich schrieb, daß einige durch explodierende Papierwerte unglaublich reich wurden, aber Ersparnisse und Kapitalbildung erbärmlich seien.

Dann sagten Sie den Zusammenbruch des Aktienmarktes und der Technologieblase voraus. Wie konnten Sie das?
- Die großen spekulativen Manien der Geschichte waren mit Neuerungen verbunden, die große öffentliche Begeisterung auslösten. Das war auch der Fall beim Internet, und damit einhergehend hatten wir die allgegenwärtige Überschwemmung mit Geld und Kredit. Ja, ich schrieb, ein Bärenmarkt sei unausweichlich.

Ende 1999 nannten Sie es eine klassische spekulative Blase. Warum nur Sie, sonst niemand? Ich denke, Lawrence Kudlow sagte, das Internet sei wichtiger als die Fed und der Dow müsse auf 30.000, 50.000 oder höher steigen.
- Ja, die Art von Unsinn half, den Boom an der Wallstreet zu fördern. Wir erwarteten, daß ein scharfer Einbruch in Technologiewerten der Todesstoß für die größere US-Aktienmarktblase sein würde, wie es dann auch kam.

Im Herbst 2000 war der Glaube weit verbreitet, daß die US-Volkswirtschaft eine weiche Landung haben würde. Was war Ihre Meinung hierzu?
- Nun, ich schrieb, daß Hoffnung auf eine weiche Landung in der US-Wirtschaft völlig fehl am Platze sei. Die Kreditexzesse der späten 90er waren viele male schlimmer als die der 80er oder gar der 20er. Ebenso die Unausgewogenheit in der Volkswirtschaft und dem Finanzsystem. Sie brauchten bloß die private 0%-Ersparnis-Quote und das erstaunliche Handelsbilanzdefizit betrachten. Angesichts dieser katastrophalen Tatsachen von exzellenten Fundamentaldaten der US-Volkswirtschaft zu sprechen erfordert schon eine ziemliche Dummheit.

War es die schlimmste Kreditblase der Geschichte?
- Absolut richtig.

Was sagten sie damals zu der V-förmigen Erholung, die alle diese Experten voraussagten?
- Ich schrieb, daß es eine große Überraschung geben würde, wie schnell die US-Volkswirtschaft in naher Zukunft schwächer würde.

Worauf basierte Ihre Voraussage?
- Die Gewinne brachen ein, die schwerverschuldeten Unternehmen schränkten ihre Ausgaben ein und neue Investitionen in Kapitalgüter wurden zurückgestellt. Ernste Probleme überall.

Das bringt uns in die Gegenwart. Werden wir wider in die Rezession geraten?
- Ja. Die drastische Schwäche der US-Volkswirtschaft wird wie ein großer Schock über die Welt hereinbrechen. Ein fallender Dollar wird daraus einen Alptraum machen.

Was macht Sie so sicher? Die meisten Volkswirtschaftler sehen eine Erholung.
- Ich bin bestürzt über das niedrige Niveau von volkswirtschaftlichem Denken in den USA. Jahrhundertealte Grundlageneinsichten in volkswirtschaftliche Prozesse sind unbekannt, verworfen oder sogar auf den Kopf gestellt. Die Fakten sind, daß Sie ernsthafte strukturelle Probleme haben, die jegliche Möglichkeit einer längern wirtschaftlichen Erholung ausschließen.

Welche wären?
- Der Gewinnrückgang, die Rekordknappheit an Ersparnissen, ein Zusammenbruch der Kapitalausgaben, ein nie dagewesenes Konsumenten-Kreditkaufgelage, ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit, wüste Bilanzen und rekordhohe Schuldenstände.

Klingt ja furchtbar. Sind sie alle gleich schlimm?
- Die schlimmsten sind die Depression bei den Gewinnen und den Kapitalausgaben. Sie treiben sie gegenseitig weiter abwärts im Teufelskreis.

Warum hört man so was nicht von den Mainstream-Volkswirtschaftlern?
- Nicht nur die Volkswirtschaftler, sondern die Politikmacher der USA und die Öffentlichkeit leugnen die Schwere der volkswirtschaftlichen und finanziellen Situation.

Aber warum?
- Das Hauptproblem ist das fehlende Verständnis und ein blindes Vertrauen in die Omnipotenz der Federal Reserve.

Nun, die Fed hat die Zinssätze aggressiv gesenkt. Das hat in der Vergangenheit gewirkt, oder?
- Dieser Rückgang unterscheidet sich dramatisch von allen anderen Rezessionen nach dem zweiten Weltkrieg. Er wurde nicht durch ängstliches Geld, sondern durch unerträgliche Ausgabenexzesse ausgelöst, welche ein überdehntes Finanzsystem zurücklassen.

Sie meinen, die niedrigen Zinssätze wirken nicht?
- Zum ersten mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind die US-Volkswirtschaft und sogar der Aktienmarkt zusammengebrochen, und das vor dem Hintergrund der aggressivsten Zinssatzsenkungen durch die Federal Reserve und dem wuchernsten Geldmengen- und Kreditwachstum aller Zeiten. Die Kräfte, welche die US-Volkswirtschaft diesmal herabdrücken, unterscheiden sich radikal von denen der letzten Rezessionen.

In welcher Hinsicht?
- Die Implosion der Gewinne ist der offensichtlichste und wichtigste Aspekt.

Die Fed hat die Zinssätze gesenkt, um die Ausgaben zu erleichtern. Sie sagen, die niedrigen Zinssätze würden nicht wirken, aber das Volk nutzt doch den Vorteil der niedrigen Zinssätze, um weiter auszugeben, oder etwa nicht?
- Das stimmt. Amerika bekämpft die Rezession mit einfach noch mehr Konsumexzessen.

Können die Konsumenten das Schiff über Wasser halten?
- Das Verbrauchervertrauen fällt bereits. Noch wichtiger, die Volkswirtschaftlichen Eckdaten für die letzten paar Monate lassen einen schlußfolgern, daß der Amerikanische Verbraucher sich bereits zurückzieht.

Davon hört man nichts.
- Niemand will es wahrhaben. Ein Grund könnte sein, daß einfach nichts mehr in Sicht ist, um die US-Wirtschaft zu fördern.

Aber das Einkommen der Verbraucher wächst doch, oder nicht?
- Nein, das Wachstum ist zum Stillstand gekommen, und ein Großteil des Wachstums kam durch die Steuersenkung.

Also könnten die Konsumentenausgaben auch stagnieren?
- Vor allem wenn die Verbraucher fortfahren, ihre Ersparnisse neu aufzubauen, was seit kurzem erst mit drei bis vier Prozent des frei verfügbaren Einkommens geschieht. Dies wird in Zukunft möglicherweise zunehmen. Das ist die Art von Dingen, welche die Kreditkaufexzesse des Booms beenden werden.

Warum?
- Jeder Zuwachs in den Ersparnissen übt eine Gegenkraft auf das Wirtschaftswachstum aus, drückt die Gewinne.

Nun, bis jetzt hat der Verbraucher nicht spürbar nachgelassen.
- Er hat den Tag der Abrechnung verschoben, indem er sich mit mehr Schulden belädt. Viele dieser Schulden werden nicht zurückgezahlt werden können.

Sie sagen, das Volk habe Vertrauen in seine Währungsbehörden. Das sei ein Grund für sie, weiter Geld auszugeben.
- Dieser Glaube ist äußerst verblüffend. Er verdrängt die Tatsachen. Er basiert darauf, daß die Federal Reserve ohne Sinn und Verstand Geld und Kredit erzeugt, und daß der Verbraucher ohne Sinn und Verstand Geld leiht und ausgibt. Niemand scheint die außergewöhnlichen Exzesse dieser beiden zu verstehen und wie sie für die jetzige volkswirtschaftliche und finanzielle Misere verantwortlich sind.

Da stimme ich Ihnen zu. Die Leute sehen keine Vorboten dieser Entwicklung.
- Es wird Zeit, daß sie es tun. Die Wirtschaftsnachrichten werden schlimmer und schlimmer. Niemals zuvor hat die Welt solch eine massive Vernichtung von Aktienvermögen gesehen, und niemals zuvor haben die Unternehmensgewinne und Kapitalausgaben der Unternehmer solch scharfe Einbrüche erlebt.

Sie sehen die Unternehmergewinne als einen Schlüssel der ganzen Krise, oder?
- Wir haben in den früheren Boom-Jahren fortwährend vor der unüblich schwachen Gewinnperformanz der Volkswirtschaft gewarnt. Als sie 2001 scharf verlangsamte, entwickelte sich daraus praktisch eine Gewinnimplosion. Die Gewinnmargen sind die niedrigsten seit der Depression in den 30ern. Zudem ist nichts in Sicht, was diese zunehmende Gewinnerosion umkehren könnte.

Was sind die Konsequenzen?
- Generaldirektoren haben gegenüber dem Gewinndesaster kapituliert. Ihre Lösung ist eine radikale Kürzung ihrer Investitionsausgaben.

Warum sind Investitionsausgaben und Kapitalbildung so wichtig?
- Im Grunde dreht sich alles um Kapitalinvestition. Sie ist die kritische Masse im Prozeß des volkswirtschaftlichen Wachstums, welcher all die Dinge erzeugt, die Wohlstand und Lebensstandard anheben. Kapitalinvestition bedeutet die Errichtung neuer Gebäude, Anlagen und Maschinen. Dies erzeugt Nachfrage, Beschäftigung, Einkommen, Gewinne und greifbares Vermögen. Die Installation dieser Kapitalgüter erzeugt wachsende Nachfrage, Produktivität, Beschäftigung, Einkommen und Gewinne, welche nebenbei auch die Kredite tilgen. Man merke sich, daß Kapitalbildung strategisch wichtig ist, um allgemeinen Wohlstand zu erzeugen.

Verstehe. Was also verursacht den Gewinnrückgang, welcher die Kapitalinvestition ruiniert?
- Lassen Sie mich zunächst sagen, wenn Sie die Schlüsselrolle der Gewinne bei der Gestaltung der volkswirtschaftlichen Aktivität bedenken, ist es verwunderlich, wie wenig Aufmerksamkeit dieses außergewöhnliche Blutbad bei den Gewinnen erhält. Vor allem da nichts in Sicht ist, was die Profitabilität der US-Unternehmen verbessern und die kommerzielle Kapitalinvestitionen stimulieren könnte.

Nennen Sie uns den Grund für das Gewinnproblem.
- Kostensenkungen der Unternehmen zum Beispiel. Die weitverbreiteten Maßnahmen, welche einzelne Firmen durchführen können, um ihre eigenen Gewinne zu verbessern, haben insgesamt den gegenteiligen Effekt auf die Gewinne anderer Firmen. Kommerzielle Ausgaben sind die Hauptquelle kommerzieller Einnahmen, nicht die Verbraucherausgaben. Eine Kürzung in kommerziellen Ausgaben kürzt kommerzielle Einnahmen. Höhere Gewinne und höherer Reichtum können nicht einfach aus der allgemeinen Kostensenkung entstehen.

Was sonst beeinträchtigt die Gewinne?
- Steigende Wertminderung auf Anlagen und Ausstattung nagt an den Gewinnen.

Und?
- Unternehmen nehmen gewaltige Summen an neuen Krediten auf, und die Zinslasten sind ein rekordhoher Aufwand. Beispielsweise schluckte Zinsaufwand 1997 23% der Gewinne in der Fertigung, 2001 waren es fast 100%.

Aber die geliehenen Gelder flossen in produktive Anlagen, welche Gewinne steigerten, oder?
- Nur wenig floß in wirklich neue Investitionen. Das größte Batzen ging drauf für Fusionen, Übernahmen und Aktienrückkäufe, trug rein gar nichts zur Produktionskapazität bei. Gewaltige Summen lösten sich in wertlosem Goodwill auf, was die absurd hohen Zahlungen für Übernahmen reflektiert.

Nichts von dieser Kreditaufnahme hat den Gewinnen genutzt?
- Nein. Als die Gewinne runtergingen, haben die Konzerne effektiv ihre Bilanzen und Kreditratings ruiniert. Der Verfall der Kreditqualität ist unglaublich.

Zurück zur Diskussion über Gewinnprobleme. Was zehrt noch an den Gewinnen?
- Der wichtigste von allen. Das US-Handelsbilanzdefizit hat die US-Unternehmensgewinne vernichtet. In vier Jahren steigerte sich dieses von 128 Milliarden Dollar auf 450 Milliarden jährlich.

Wie drückt das Handelsbilanzdefizit auf die Gewinne?
- Indem es regelmäßiges Einkommen und Ausgaben von inländischen Herstellern auf ausländische Hersteller umleitet. Das Handelsbilanzdefizit impliziert einen direkten Transfer der Gewinne der Vereinigten Staaten ins Ausland. Angesichts der monströsen Größe des Defizits muß es die US-Gewinne praktisch massakrieren.

Was bewirkt dieser Gewinnrückgang für den Aktienmarkt?
- US-Aktien sind auch heute noch überbewertet. Der schlimmste Teil des Bärenmarktes wird noch kommen und wird ind einer vollständigen Zerstörung des finanziellen Reichtums enden, welcher aus der Blase gezogen wurde.

Noch vor ein paar Jahren hörten wir Geschichten von einem endlosen Boom und einer neuen Ära. Was ging schief?
- Amerikas neues Markenzeichen des Kapitalismus funktionierte nicht. Konzernmanager konzentrierten sich darauf, Shareholder Value zu schaffen, indem sie Aktien zurückkauften, Kosten senkten, Fusionen und Akquisitionen durchführten. Diese Strategie half, Aktienpreise in absurde Höhen zu schrauben, jedoch waren die Auswirkungen für die Volkswirtschaft zerstörerisch.

Warum?
- Mr. Cook, diese Strategien bauen keine Fabriken. Sie steigern nicht die kommerziellen Einkommen. Im selben Umfang wie sie neue Investitionen verhindern, was sie tun, so reduzieren sie auch die Gewinne.

Können Sie das ausführlicher erläutern?
- Steigender Wohlstand und steigende Lebensstandards kommen nicht durch existierende Fabriken, sondern durch neue Fabriken. Es ist nicht Produktivität, welcher Reichtum erzeugt. Es sind allein die Investitionsausgaben, nicht die Verbraucherausgaben, welche wirtschaftlichen Wachstum antreiben. Die bereichernden Wirkungen des freien Unternehmertums sind immer durch den Bau von Fabriken entstanden, nicht durch den Aktienmarkt oder rücksichtslose Konsumenten-Kreditkäufe.

Sie meinen, diese Unternehmen haben ihr Kapital für finanztechnische Zwecke und Spekulation statt zum Bau produktiver Anlagen genutzt?
- Absolut richtig. Beispielsweise sind die meisten Gewinne im Hightech-Sektor durch hohe Gewinne am Aktienmarkt entstanden.

Sagen sie damit, daß die neue Informationstechnologie keine Gewinne macht?
- Ja, und es ist pure Ironie, daß die schlechtesten Gewinnzahlen aus dem Hightech-Sektor kamen, für welchen die Wall Street nie dagewesene Wunder der Produktivität und Gewinnsteigerung herumposaunte. Diese schwachen Gewinne haben sich in der Folge in einen Gewinnzusammenbruch verwandelt.

Was ist Ihre Erklärung für das Versagen?
- Die Wichtigkeit der Information und Informationstechnologie für Produktion und Wohlstandsbildung wurden lächerlich überschätzt.

Hat nicht Hightech die höchsten Produktivitätsgewinne?
- Solcher Produktivitätswachstum ist statistische heiße Luft.

So weit würde ich nicht gehen. Ich weiß, Sie halten hedonistische Preisermittlung für statistischen Unfug.
- Wenn sie diese statistische Frisierung sehen, sie läßt uns nachdenken, ob nicht etwa systematische Täuschung hinter diesen Praktiken liegt.

Okay, fahren wir fort. Sie haben die Wirkung von Fusionen, Akquisitionen und Aktienrückkäufen auf Konzernbilanzen der neuen Ära nicht erwähnt.
- Konzernmanager haben ihre Bilanzen mit der Rücksichtslosigkeit von Desperados gehebelt, welche kurzfristig viel zu gewinnen und langfristig wenig zu verlieren haben. Sie haben ihre Bilanzen ruiniert, um die zunehmend unbefriedigende Gewinnleistung zu verbergen und auszugleichen.

Klingt übel.
- Sie haben teurere Kredite gegen Aktien getauscht. Der Trick war, die Investoren zu täuschen, indem sie die Zahl der Aktien reduzierten.

Ich möchte erwähnen, daß Sie lange vor allen anderen wegen dieser dubiosen Geschäftspraktiken die Alarmsirenen ertönen ließen.
- Der plötzliche Ausbruch der Gewinn-Täuschungsmanöver fußte auf dem allgemeinen Wunsch, die katastrophale Gewinnsituation zu verstecken. Das ist als der kritische Punkt zu identifizieren.

Manche würden behaupten, daß es die Aktienpreise anhob?
- Bloß für eine gewisse Zeit. Bestenfalls haben sie sich mit Krediten belastet, welche die Gewinne schmälern, schlechtestenfalls haben sie ihre Ehre und ihre Zukunft zerstört.

Was sind die Konsequenzen von so viel aufgenommenen Krediten?
- Nachlassende Kreditverfügbarkeit für Konzerne und die Möglichkeit einer Kredit-Krise. Schwer angeschlagene, schwache Bilanzen und schwache Gewinnleistung haben die Kreditwürdigkeit der Konzerne schwer reduziert. Ich kann mir bei dieser heiklen Lage kein gutes Endergebnis vorstellen.

Lassen Sie uns einen Moment über Ersparnisse sprechen. Was sind Ihre Bedenken bei der geringen Sparquote?
- Ersparnisse sind die unentbehrliche Bedingung für Wirtschaftswachstum. Ohne Ersparnisse aus dem regelmäßigen Einkommen kann keine Zuname an produktiven Anlagen oder Aktienkapital entstehen.

Wie kommt es, daß Volkswirtschaftler hier kein Problem erkennen können?
- Es gibt da eine allgemeine Weigerung, die Wirklichkeit zu betrachten. Die völlige Aufzehrung aller nationalen Ersparnisse ist für die US-Volkwirtschaft die heikelste Lage von allen. Diese sind die Kapitalquelle der Volkswirtschaft.

Was ist aus den Ersparnissen geworden die wir schon hatten?
- Sie wurden verschleudert, um Ausgaben zu bezahlen, die der Verbraucher nicht von seinem regelmäßigen Einkommen bezahlen kann. Und Konzerne haben ihre Dividentenzahlungen aus ihren Nettogewinnen finanziert.

Was passiert mit Ländern mit geringen Ersparnissen?
- Sie haben geringe Investitionen, geringe Löhne und geringe Gewinne.

Aber die Regierungsvolkswirtschaftler und die Fed sagen, wir müßten das nicht mit Ersparnissen machen, wir könnten es kreditfinanziert machen. Was ist damit?
- Ha! Ich glaube kaum, daß man die Sünde zur Tugend erklären kann. (Bessere Übersetzung für "turn vice into virtue"?)

Warum nicht?
- Kredit schafft Kaufkraft aus dem Nichts. Kredit allein kann nicht dauerhaft eine Volkswirtschaft stützen. Die sich heute aufblähende Schuldenlast wird irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Ich habe kaum Zweifel, daß eine Schuldenkrise bevorsteht. Wenn die meisten der Schulden für unproduktive Zwecke wie Konsum und Spekulation verwendet werden, muß es letzten Endes in eine Schuldenfalle führen. Die hemmungslose Verschulden ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn.

Ein Großteil davon ist Hypothekenrefinanzierung, nicht wahr?
- Man ist geneigt zu sagen, die amerikanische Öffentlichkeit mache ihr Zuhause zu Geld.

Das beunruhigt Sie?
- Ich kann nur sagen, daß in Europa niemand, weder der Hausbesitzer noch der Bankier in Erwägung ziehen würde, jemandens Haus als Sicherheit zu nutzen, außer vielleicht im Falle eines Notfalls.

Ich habe noch nie einen amerikanischen Volkswirtschaftler oder Sprecher der Wall Street sich dagegen aussprechen sehen. Tatsächlich ermutigen sie dazu.
- Zweifellos. Hypothekenrefinanzierung und Eigenheimbeleihung standen im Epizentrum der Kreditexplosion. Ich muß zugeben, daß ich diese Komponente der amerikanischen Blase grob unterschätzt habe. Ich kann nur sagen, daß die letzten Zweifel ausgeräumt hat, daß dies die bei weitem größte und schlimmste Kreditblase ist, welche die Welt je gesehen hat.

Aber nur Sie und eine handvoll Kritiker erwähnen das. Die Öffentlichkeit mag es, und jeder im Hypothekengeschäft nickt zustimmend.
- Sollen sie es genießen solange sie es noch können. Das US-Finanzsystem von heute hängt in einer gefährlichen Lage. Es ist wie ein Kartenhaus, aus nichts anderem aufgebaut als aus finanziellen Hebeln, Kreditexzessen, Spekulation und Derivaten.

Werden wir runterfallen und krachen?
- Ich würde sagen, bereiten Sie sich auf weit schlimmeres vor.

Was ist die wahre Natur dieser Rezession, welche Sie vorhersagen?
- Sie wird sich als ungewöhnlich schwer und tief erweisen.

Warum?
- Der Schlüssel zur Ergründung der Schwere der kommenden Krise liegt in der Schätzung der Verletzlichkeit einer Volkswirtschaft und ihrem Finanzsystem, welche seit Jahren der rücksichtslosesten Finanzexpansion und Spekulation in der Geschichte ausgesetzt war.

Das ist die Österreichische Theorie vom Wirtschaftskreislauf, richtig?
- Ja, die Länge und Schwere von Rezessionen oder Depressionen hängt kritisch von der Größe der Beeinträchtigung und Unausgeglichenheit ab, die sich in der Volkswirtschaft während des vorhergehenden Booms aufgestaut hat.

Und darum sagen Sie konsequent voraus, daß der US-Volkswirtschaft eine harte Landung bevorsteht?
- Ja. Lassen Sie mich es zusammenfassen. Die US-Wirtschaft der 90er rangiert als die schlimmste Blasenwirtschaft der Geschichte. Der Boom wurde auf nichts anderem als Hebeln über Hebeln errichtet. Eine schwindende Versorgung von Binnenersparnissen wurde durch grenzenlose Kreditschöpfung zur Hebelung von Immobilienanlagen mehr als subventioniert.

Und die Fed ist schuld?
- Es ist sehr wichtig zu erkennen, daß die Federal Reserve jegliche Kontrolle des Geldes und der Kreditschöpfung aufgegeben hat. Die Macht der amerikanischen Kreditmaschinerie, Kredite aus dem Blauen heraus zu schöpfen ist einzigartig und nie dagewesen.

Nun, manche würden sagen, es hätte die Wirtschaft gerettet.
- Diese exzessive monetäre Schlaffheit hat nur die unausweichliche Krise verschoben und verschlimmert.

Lassen Sie uns über den Dollar sprechen. Sie haben gesagt, daß er schwächer werden wird, und zu einem gewissen Grad ist er das schon. Wird noch mehr Schwäche eintreten?
- Wir schätzen es als unentrinnbares Ereignis ein. Wachsende Desillusionierung mit der US-Volkswirtschaft werden der Auslöser sein.

Aber mag die Welt nicht einen starken Dollar?
- Es gefiel dem Rest der Welt, weil es ihre Exporte ankurbelte, und es gefiel den USA da es ihre Finanzmärkte ankurbelte. Aber tatsächlich waren die gewaltigen Kapitalflüsse in die Staaten die einzige und wichtigste Säule der US-Finanzmärkte geworden. Nehmen sie diese Säule weg, und diese Märkte werden augenblicklich kollabieren, was verwüstende Auswirkungen auf die US-Wirtschaft haben wird, was sich schnell in einen wilden Kreditcrash verwandeln wird.

So schnell könnte das gehen?
- Tatsache ist, daß die Aussetzung der US-Finanzmärkte gegenüber ausländischen Investoren und Kreditgebern über die letzten Jahre in solch einer grotesken Größenordnung zugenommen hat, daß eine kontrollierte, allmähliche Dollarentwertung nicht länger machbar erscheint. Unter den heutigen extremen Bedingungen gibt es nur die Alternativen starker oder kollabierender Dollar.

Gibt es eine Medizin dagegen?
- Um das schlimmste zu vermeiden könnte die Fed gezwungen sein, die Zinssätze drastisch anzuheben.

Oh mein Gott!
- Die Gefahren, die an der Währungsfront lauern, sind immens. Das schwerstens ausgehebelte US-Finanzsystem ist feindlich gegenüber einem starken Dollar und großen Kapitalzuflüssen. Das US-Handelsdefizit und die angestaute Verschuldung im Ausland haben ein Ausmaß erreicht, welche sich jeder möglichen Handlung durch Zentralbanken widersetzen. Das Schicksal des Dollars ist bar jeder Kontrolle.


Der kollektive Wahn jack303
jack303:

Super-Artikel, upwärts

 
27.01.03 12:52
#16
uf wiedrluagn jack

Der kollektive Wahn 919483
Der kollektive Wahn calexa

Immer noch hochinteressant

 
#17
So long,
Calexa
www.investorweb.de


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