Vaioz: Das sind ja haarsträubende Thesen! Was genau meinst Du damit, man sei immer am besten beraten gewesen, zu jedem Zeitpunkt voll investiert zu sein? Vor jedem Crash war das offensichtlich nicht der Fall!
Ich glaube auch nicht, dass die deutschen, insbesondere europäischen Aktien, ausgereizt sind. Ich kaufe auch insbesondere südeuropäische Aktien ("kann nur besser werden"). Aber die wirklich niedrig hängenden Früchte sind abgegriffen. Was wir in Deutschland in diesem Markt noch nicht hatten, ist Kleinanleger-Euphorie. Meine Eltern sagen immer noch: Nie wieder Aktien! In den USA ist die Lage ganz anders, alle Welt schüttet ihr Geld in ETFs.
Die USA-Werte sind dementsprechend auch extrem bewertet. Ein Kurs-Umsatz-Verhältnis von über 2, wie jetzt, hat historisch immer zu einem Totalcrash geführt, und man wäre sehr gut beraten gewesen, bei Erreichen dieses Niveaus aus dem Markt zu gehen und eben NICHT immer investiert zu bleiben.
Allerdings ist das Problem bei allen diesen Metriken, dass die Börsengeschichte viel zu kurz ist, um hier eine Signifikanz im statistischen Sinne zu sehen. Da die Bedingungen in jeder Epoche anders sind, kann man sich immer sagen "this time it's different". Und es könnte auch sein.
Sicher ist allerdings, dass die Zukunft prinzipiell unbestimmt ist. Je höher die Bewertungen, desto höher die Fallhöhe, desto zittriger Märkte. Irgendwann wird etwas schiefgehen. Ab einer bestimmten Fallhöhe ist das Verhältnis der potentiellen Gewinne und des Risikos eines Absturzes, sei es aufgrund zwingender wirtschaftlicher Entwicklungen oder unvorhergesehener Ereignisse, nicht mehr attraktiv.
Für mich sind die USA-Werte auf dem aktuellen Niveau unbedingt vermeidenswert. Alle wesentlichen Warnindikatoren stehen auf Dunkelrot.
- Preis-Umsatz-Verhältnis
- Marktkapitalisierung/GDP
- KGV + Shiller-KGV
- Unternehmenskredite stagnieren seit einem Jahr, historisch ein 100%er Rezessionsindikator.
- U.v.m.
Das einzige Argument, an das man sich noch klammern kann, sind die ebenfalls historisch niedrigen Zinsen. Wie lange hält das noch? Möglich, dass es noch ein, zwei Jahre weitergeht. Aber man sollte nicht glauben, dass Zinsen um 2% quasi ein KGV von 50 (1/2%) rechtfertigen, denn die Wirtschaft ist immer zyklisch, d.h. nach einer langen Investitionsphase wird der Punkt erreicht, wo die Selbstkannibalisierung der Unternehmen die Gewinne aus den Investionen überschreitet, unabhängig vom Zinsniveau.
Beispiel Amazon: Ein neues Geschäftsmodell setzt sich durch, die Firma boomt über Jahre, die Bewertung erreicht astronomische Höhen, weil die Investoren das Wachstum in die Zukunft fortschreiben. Gleichzeitig wird die zugrundeliegende Technologie aber von anderen Firmen repliziert, die es einfacher haben, weil sie kopieren können. Wal-Mart holt zur Zeit im Online-Handel rasant auf, und man hat gleichzeitig noch große Umsätze im traditionellen Einzelhandel (viel mehr als Amazon insgesamt). Andere Firmen, entweder große oder kleine mit neuen Ideen, werden kommen. Wenn Amazon aber auch nur ein Einzelhändler unter mehreren ist, wäre vielleicht ein KGV von wieviel angemessen? 15? 7? Die Zyklenhaftigkeit der Wirtschaft wird durch niedrige Zinsen nicht außer Kraft gesetzt. Der Crash muss nicht dieses Jahr kommen, vielleicht auch nicht nächstes Jahr, aber er wird kommen, wenn der Markt realisiert, dass die Unternehmensgewinne einen Wendepunkt erreicht haben.