Glyphosat
US-Anwälte erhöhen Druck auf Bayer
Kanzleien werben intensiv um neue Klagewillige und fordern Bayer zu teureren Vergleichen auf. Zuletzt hat der Konzern vor Gericht verloren – jetzt stehen entscheidende Prozesse an.
Bert Fröndhoff, Katharina Kort
25.11.2023 - 11:15 Uhr
Bayer-Stammwerk in Leverkusen: Der Konzern hat mit der Übernahme von Monsanto zahlreiche Rechtsstreitigkeiten geerbt. Foto: IMAGO/Panama Pictures
Düsseldorf, New York. Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer muss in den USA mit einer wachsenden Zahl neuer Klagen wegen des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup rechnen. Nach den jüngsten Erfolgen in Gerichtsprozessen haben Kanzleien das Marketing zum Einwerben neuer Klagen kräftig verstärkt. Das zeigen Daten des US-Marktforschers X Ante, die dem Handelsblatt vorliegen.
„Wir sehen ein hohes Maß an Fernsehwerbung für Klagen wegen Roundup“, sagt Rustin Silverstein, Gründer des auf Rechtsmarketing spezialisierten Unternehmens. Im Oktober wurde von Kanzleien im US-Fernsehen für keinen anderen Fall mehr geworben als für Glyphosat, ermittelte X Ante. Geschätzt 777.000 Dollar gaben sie für 4000 Fernsehspots aus.
Die Klägeranwälte wollen damit den Druck auf Bayer in der juristischen Auseinandersetzung um mögliche Gesundheitsschäden des Unkrautvernichters erhöhen. Ihr Ziel ist es, mit dem Konzern schnelle außergerichtliche Vergleiche zu deutlich höheren Summen abzuschließen.
Angetrieben wird dies durch die von Klägern zuletzt gewonnenen Prozesse gegen Bayer. Sie machen den Umgang mit Roundup für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Bis zum Spätsommer hatte der Leverkusener Konzern vor Gericht gute Karten und konnte neunmal in Folge einen Freispruch erwirken. Doch in den letzten vier Verfahren setzten sich die Kläger durch.
Die Summen, zu denen Bayer verurteilt wurde, stiegen dabei stetig. Vergangenes Wochenende bekamen drei Kläger zusammen 60 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen. Dazu kam eine sogenannte Strafschadenzahlung von je 500 Millionen Dollar – in Summe also 1,56 Milliarden Dollar.
Glyphosat-Klagen: Zahl der Fernsehspots verdoppelt sich
Solche sogenannten Punitive Damages werden verhängt, wenn die Laienjury beim beklagten Unternehmen, also hier der Bayer-Tochter Monsanto, Vorsatz oder arglistige Täuschung erkennt. Punitive Damages in übermäßiger Höhe gelten als unzulässig und werden von Richtern im Nachhinein gesenkt oder einkassiert, was auch für diesen Fall aller Voraussicht nach gilt.
Dennoch setzen derartige Urteile in den USA landesweit Klägerkanzleien in Bewegung. Am vergangenen Montag, zwei Tage nach dem 1,5 Milliarden-Dollar-Urteil, machte die TV-Werbung noch mal einen Sprung nach oben: Die Anwälte schalteten 599 Fernsehspots zum Einwerben von Glyphosat-Klagen, mehr als doppelt so viele wie eine Woche zuvor.
Die Angst vor einer neuen Klagewelle war am Montag ein Grund dafür, dass die Aktie des Konzerns um 18 Prozent einbrach. Wegen der Rechtsrisiken in den USA betrachten Anleger die Bayer-Aktie schon länger skeptisch.
Bayer teilte mit, man halte am Plan zum Umgang mit den Glyphosat-Klagen fest. Teil des 2020 aufgesetzten Programms ist, vorliegende Klagen außergerichtlich beizulegen, sofern sie festgelegten Kriterien entsprechen. Dazu gehören auch Vergleichssummen. Bayer hat dafür rund zehn Milliarden Euro bereitgestellt. Bis Oktober dieses Jahres wurden 113.000 Klagen entweder beigelegt oder wegen fehlender Kriterien zurückgewiesen.
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Jetzt liegen noch 52.000 Klagen vor, die aber nach Angaben von Bayer noch nicht alle bei Gericht eingereicht und daher noch nicht überprüfbar sind. „Eine neue Welle an Klagen erwarten wir nicht“, teilte der Konzern auf Anfrage mit.
Bayer sieht sich von Regulierungsbehörden gestützt
Bayer verweist auf die neun zuvor gewonnenen Prozesse und vertraut weiter seiner auf Wissenschaft basierenden Verteidigung, nach der das Unternehmen keine Gesundheitsschäden bei sachgemäßem Gebrauch von Glyphosat sieht. Der Konzern sieht sich dabei vom positiven Votum der Regulierungsbehörden in Europa und den USA gestützt.
Entscheidend für die Strategie beider Seiten ist, ob sie nun weitere Erfolge vor Gericht erzielen. Steve Tapia, Rechtswissenschaftler an der Universität von Seattle und ehemaliger Unternehmensanwalt, zieht den Vergleich zum Sport: Jedes Urteil sei wie eine neue Spielzeit mit einem neuen Punktestand. „Wenn Bayer gewinnt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für weitere Klagen“, erklärt er. Andersherum steige die Wahrscheinlichkeit nach verlorenen Prozessen.
Einsatz von Unkrautvernichter auf dem Feld: Bayer sieht keine Gesundheitsschäden bei sachgemäßem Gebrauch von Glyphosat. Foto: imago images/Joerg Boethling
Die jüngsten gemischten Ergebnisse bei den Glyphosat-Prozessen führen aus Sicht des Juristen dazu, dass Bayer „ziemlich sicher noch lange mit diesen Klagen zu tun haben wird“. Davon sind auch Anwälte überzeugt, etwa Ronald Miller von der Kanzlei Miller & Zois, die aktuell ebenfalls neue Kläger einwirbt.
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Eine Welle wie im Jahr 2018/19, als sich Bayer binnen weniger Monate weit über 100.000 Klagen in den USA ausgesetzt sah, sieht Miller nicht auf den Konzern zukommen. Dennoch gibt er sich überzeugt, dass Bayer stärker unter Druck geraten und gezwungen sein werde, mehr und teurere Vergleiche einzugehen.
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Bayer war mit Vergleichen nach der Reihe gewonnener Prozesse zurückhaltender geworden – der Konzern sah sich in seiner Rechtsposition gestärkt. Miller erkennt darin einen taktischen Fehler: Bayer habe nur die für die Kläger ungünstigsten Fälle vor Gericht gebracht – mit Erfolg. „Danach aber hat Bayer die Gelegenheit verpasst, den Vorteil in einen umfassenden Vergleich umzuwandeln, der die Gesamtzahl der Fälle erheblich hätte reduzieren können“, sagt der Anwalt.
Der Konzern weist dies zurück. Es seien Fälle vor Gericht gegangen, bei denen sich die Kläger oder deren Anwälte nicht auf die Vergleichskonditionen einlassen wollten. In anderen Fällen kam es zum Prozess, weil Bayer die „völlig überzogenen Forderungen“ nicht bezahlen wollte, erklärte ein Sprecher.
Zähes Ringen vor den Laien-Jurys
Die Klägerkanzleien steckten nach den verlorenen Prozessen aber nicht zurück, sondern schalteten auf Angriff. Sie wählten aussichtsreiche Fälle aus, änderten die Argumentation vor den Gerichtsjurys und suchten sich Gerichtsorte aus, die in der US-Justiz als „Hölle“ für beklagte Unternehmen gelten: In Philadelphia, Kalifornien und Teilen Missouris gelten die Geschworenen als besonders klägerfreundlich und fällen oft harte Urteile.
In den vier zurückliegenden Verfahren wurde Bayer daher zu mehr als zwei Milliarden Dollar an Schadenersatz- und Strafzahlungen verurteilt. Der Konzern will alle Urteile anfechten. In den Prozessen sei es den Klägeranwälten „unzulässigerweise erlaubt worden, die regulatorischen und wissenschaftlichen Fakten falsch darzustellen“.
Dass Bayer jetzt dem Druck der Anwälte nachgeben wird, gilt als unwahrscheinlich. Es ist ein zähes Ringen vor den mit Laien besetzten Jurys, jeder Prozess hat seine Besonderheiten. Das Problem für Bayer: Gewonnene Verfahren werden öffentlich kaum wahrgenommen – verlorene hingegen schaffen es in die Schlagzeilen und bewegen die Aktie.
Das ist auch bei anderen Rechtsstreitigkeiten so, die Bayer mit der Übernahme von Monsanto geerbt hat. Der US-Konzern gehörte zu den Herstellern der Chemikalie PCB, die Ende der 1970er-Jahre verboten wurde. Heute klagen zahlreiche Kommunen wegen Umweltschäden sowie Einzelpersonen wegen angeblicher Gesundheitsschäden.
Unkrautvernichter Roundup: In den letzten vier US-Verfahren setzten sich die Kläger durch. Foto: AP
Am Dienstag verurteilte ein Gericht im Bundestaat Washington Monsanto zur Zahlung von 165 Millionen Dollar an Mitarbeiter einer Schule nahe Seattle. Dort waren PCB-Produkte eingesetzt worden. Diese waren nach Einschätzung der Jury nicht sicher und enthielten keine angemessenen Warnhinweise.
Der Konzern will auch dieses Urteil anfechten. Investoren fürchten aber, dass das Erbe Monsantos zur Dauerbelastung für Bayer wird. Die Aktie verlor am Mittwoch noch einmal drei Prozent an Wert.
Bayer hat für den Umgang mit den noch bestehenden und möglichen neuen Glyphosat-Klagen in den kommenden Jahren noch Rückstellungen in Höhe von 6,4 Milliarden Dollar in der Bilanz. Diese Summe sei weiter angemessen, teilte ein Sprecher mit und unterstreicht: „Wir haben nicht vor, das Geschäftsmodell der Klägerfirmen, die auf Massenwerbung setzen, zu unterstützen.“
Die kommenden Monate dürften wegweisend werden. Aktuell läuft bereits noch ein Glyphosat-Prozess in Philadelphia, ein Urteil wird im Dezember erwartet. Drei weitere sind dort für Anfang 2024 terminiert. Noch vorher startet in Kalifornien ein neues Verfahren.
Mehr: Bayer in den USA zu Zahlung von 1,5 Milliarden Dollar verurteilt
Erstpublikation: 23.11.2023, 14:38 Uhr.