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Von: Elisabeth Atzler, Felix Holtermann, Florian Kolf
Am Donnerstag will Wirecard seine Jahresbilanz vorlegen und das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen. Auch Wettbewerber blicken gespannt auf die Zahlen.
"Mit dem guten Ruf ist das so eine Sache: Seine Bedeutung erkennt erst, wer ihn verloren hat. Wie schwierig es ist, die eigene Reputation zu sichern, zeigt das Beispiel Wirecard. Gleich drei Großbanken haben die Bewertung des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München ausgesetzt: Die Deutsche Bank, die genossenschaftliche DZ Bank und die Schweizer Credit Suisse erstellen keine Analysen mehr zur Aktie des einstigen Börsenlieblings.
Zu den Gründen wollen sich die Banken offiziell nicht äußern. In Finanzkreisen heißt es, man habe schlicht nicht genug Daten, um eine Kauf-, Verkauf- oder Halten-Einschätzung zu geben. Zu groß seien die Unsicherheiten rund um die Sonderprüfung durch KPMG, die der Konzern in Auftrag gegeben hatte. Man warte nun auf die Jahresbilanz. Sie soll an diesem Donnerstag vorgelegt werden.
Dreimal wurde die Vorlage verschoben. Der Wirtschaftsprüfer EY muss die Bilanz testieren und soll damit die Zweifel am Markt ausräumen. Wirecard wird seit Jahren in Presseberichten Bilanzmanipulation vorgeworfen, vor allem im Geschäft mit Auslandstöchtern. Eine Sonderprüfung durch KPMG fand hierfür zwar keine Belege, konnte die Vorwürfe aber auch nicht vollständig ausräumen.
Nicht nur Analysten, Investoren und Aufseher blicken nun gespannt auf die Zahlen am Donnerstag, auch Wettbewerber. Denn die Branche der Zahlungsdienstleister befindet sich mitten im Umbruch, sortiert sich gerade neu. Der Konkurrenzkampf ist härter denn je. Zugleich werden die Kunden anspruchsvoller: Die Zukunft gewinnt, wer technisch führt, schnell wächst, gut gemanagt ist – und wer über einen guten Ruf verfügt
ir leben in einem Zeitalter der Megafusionen unter Zahlungsdienstleistern“, sagt Martina Weimert, Partnerin bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman. „Jedes Unternehmen in der Branche ist daher ein potenzieller Übernahmekandidat.“
In den USA gab es im vergangenen Jahr bereits drei große Deals über insgesamt 70 Milliarden Euro. Und auch in Europa tut sich einiges: Anfang Februar wurde bekannt, dass Worldline den Wettbewerber Ingenico für fast acht Milliarden Euro übernimmt. Die beiden französischen Unternehmen werden durch den Zusammenschluss zum größten Anbieter auf dem Kontinent.
Welche Rolle wird Wirecard bei der Marktbereinigung spielen? Der Konzern ist an der Börse derzeit rund zwölf Milliarden Euro wert. Die Aktie stieg zuletzt wieder und lag am Dienstag bei über 100 Euro. In Aschheim wird das mit Beruhigung registriert. Seit ihrem Hoch im September 2018 hatte die Aktie zwischenzeitlich rund die Hälfte an Wert verloren, notierte Mitte Mai unter 80 Euro. Diese Marke gilt intern als „Gefahrenzone“, die Wirecard zum Übernahmekandidaten machen könnte.
Ein solches Szenario sei nicht ausgeschlossen, räumt Georg von Waldenfels, zuständig für die Geschäftsentwicklung bei Wirecard, ein. „Wir sind ja börsennotiert. Da kann man es nie ausschließen, dass ein großer Interessent über den Markt, über Investmentbanken und andere Vehikel Aktien zusammenkauft“, betont der Manager.
Die Meinungen darüber, wie groß das Risiko tatsächlich ist, gehen allerdings auseinander. Einige Analysten sehen Wirecard eher auf der Käuferseite.
Ein Rundum-sorglos-Paket
Der Markt ist im Umbruch, ohne dass es die Verbraucher merken würden. Wer die Zahlung an der Ladenkasse oder im Onlineshop im Händlerauftrag abwickelt, ist ihnen meist unbekannt. Ihre Hausbank ist es nicht: Die klassischen Geldhäuser spielen auf dem Payment-Markt kaum noch eine Rolle. Als zu technisch und kompliziert galt ihnen das Geschäft. Die deutschen Geldhäuser haben 2017 ihren Zahlungsdienstleister Concardis an die Finanzinvestoren Bain und Advent verkauft, inzwischen gehört er zur dänischen Firma Nets. Heute beherrschen spezialisierte Anbieter und vergleichsweise junge Firmen wie die 20 Jahre alte Wirecard den Markt.
Technologieführerschaft ist entscheidend. „Auch in Zukunft bleibt die Grundaufgabe aller Zahlungsdienstleister gleich: Geld muss von A nach B transferiert werden. Aber das Geschäft wird sich wandeln“, sagt Wirecard-Manager von Waldenfels. „Durch die jeweils angebotenen Zusatzleistungen werden sich die Unternehmen deutlich unterscheiden.“
Zahlungsabwickler setzen heute auf ein Rundum-sorglos-Paket, um ihre Kunden zufriedenzustellen: Sie binden verschiedene Zahlarten ein, schützen vor betrügerischen Transaktionen oder kümmern sich um Rückzahlungen. Außerdem sorgen sie per Kredit dafür, dass Händler sofort ihr Geld bekommen, auch wenn die Abwicklung der Kartenzahlung Tage oder Wochen dauert. Wirecard hat bereits 2006 eine Bank übernommen. „Je mehr ein Zahlungsdienstleister seine Zusatzangebote selbst herstellt, desto größer ist seine Wertschöpfung“, erklärt von Waldenfels.
Der Digitalisierung des Markts spielt ein Megatrend in die Hände: Verbraucher zahlen weltweit immer weniger mit Bargeld, immer öfter per Karte oder online. Die Coronakrise befördert das: Zwar sackte die Zahl der Transaktionen für Reisen und Luxusartikel ab. Aber die Kunden kauften mehr als zuvor im Internet und zahlten in Geschäften hygienisch bargeldlos.
Das größte Stück vom Kuchen
Der Kuchen wächst also – der Kampf um das größte Stück aber auch. So gab die kleinere Heidelpay, an der der Finanzinvestor KKR gerade erst die Mehrheit erworben hatte, am Dienstag bekannt, dass sie beim Berliner Kassenspezialisten Tillhub einsteigt. Und Heidelpay-Chef Mirko Hüllemann legt nach: „Wir planen weitere Übernahmen und werden mit Sicherheit einen Acquirer und einen Netzbetreiber dazukaufen.“ Acquirer garantieren Zahlungen für die Händler; Netzbetreiber sind berechtigt, Zahlungen per Girocard (früher „EC-Karte“ genannt) abzuwickeln. Und Heidelpay wolle in mehr europäischen Ländern aktiv sein, kündigt Hüllemann an.
Da der Aufbau einer Zahlungsplattform mehrere Hundert Millionen Euro kostet, die Abwicklung zusätzlicher Millionenumsätze aber praktisch nichts, ist Größe alles. Zahlungsdienstleister erhalten nur einen kleinen Teil der transferierten Umsätze. Um dennoch Profit zu machen und Geld für Innovationen zu haben, brauchen sie einen hohen Marktanteil. Markus Ampenberger vom Beratungshaus BCG rechnet denn auch mit weiteren Übernahmen: „Erstens wollen die Unternehmen Skaleneffekte realisieren. Zweitens geht es darum, in andere Länder zu expandieren. Und drittens versuchen Zahlungsdienstleister so, die Wertschöpfungskette zu erweitern und zusätzliche Services anzubieten.“
Hannes Leitner, Analyst der Schweizer UBS, hat eine klare Prognose für die Zukunft: „Am Ende dürfte ein Oligopol weniger großer, innovativer Konzerne entstehen, die den Markt unter sich aufteilen. Unternehmen, die hinterherhinken, werden übernommen oder scheiden aus dem Markt aus.“
Größe lässt sich auch aus eigener Kraft erreichen. Das zeigt das Beispiel Adyen aus den Niederlanden. Finanzchef Ingo Uytdehaage betont: „Adyen setzt weiterhin auf die Strategie, organisch zu wachsen – und ist nicht auf Fusionen oder Zukäufe in der Zahlungsbranche aus.“
Der Vorteil: Adyen kann komplett mit selbst entwickelten Systemen arbeiten. Geschäftlich besteht eine geringere Abhängigkeit von undurchsichtigen Drittpartnern, wie sie zuletzt Wirecard belastet haben. „Wirecard hat Firmen rund um den Globus gekauft und muss deren Plattformen und Systeme integrieren. Das bindet Entwicklerkraft und kostet Geld, ohne Garantie, dass am Ende nicht mehrere Systeme parallel arbeiten“, erklärt UBS-Experte Leitner.
Im Wirecard-Management ist man sich der eigenen Abhängigkeiten bewusst. Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann und Vorstandschef Markus Braun wollen die Rolle der Drittpartner reduzieren. Und die geografische Expansion sei größtenteils abgeschlossen, erklärt von Waldenfels. „Größere Übernahmen bringen viele Risiken mit sich“, sagt der Manager. „So mussten wir zahlreiche Plattformen harmonisieren und übernommene Unternehmen möglichst schnell integrieren. Unser Anspruch ist, möglichst wenige Systeme nebeneinander zu betreiben.“ Wirecard wolle daher möglichst alle Bereiche des Payment-Markts selbst abdecken, vom Onlineshop in Deutschland bis hin zum Taxiunternehmen in Singapur.
Die Kunden sind sensibel
Bleibt eine Restgröße, die für die Frage, welcher Zahlungsdienstleister auf Dauer das Rennen macht, entscheidend sein könnte: die Reputation. Zwar sind Händler relativ treu. So haben sie laut BCG-Experte Ampenberger typischerweise Verträge mit einer Laufzeit von zwei bis fünf Jahren: „Wenn sie den Zahlungsdienstleister wechseln, dann normalerweise zum Ende eines Vertrags. Ein Wechsel ist für Händler immer aufwendig, da sie die technische Infrastruktur, zum Beispiel die Kartenterminals oder Anbindung an das Kassensystem, austauschen müssen.“
Dennoch ist die Zahlungsabwicklung für Händler vom lästigen Übel zum strategischen Instrument geworden. Früher sollten vor allem die Gebühren gering sein. „Mittlerweile sind die Ansprüche des Handels an die Zahlungsabwickler deutlich gestiegen“, beobachtet Ulrich Binnebößel, Payment-Experte beim Handelsverband Deutschland (HDE). Der Trend gehe weg vom klassischen Terminal, die Kasse selbst werde zur „Softwarelösung“. Dafür sind die Händler auch bereit zu investieren: So gaben bei einer Umfrage des Handelsforschungsinstituts EHI im vergangenen Herbst rund 45 Prozent der befragten Händler an, dass sie kurz- bis mittelfristig ihre Zahlungsinfrastruktur modernisieren wollen. Im Jahr zuvor waren es erst 34 Prozent.
Treibende Kraft für die Investitionen ist das Zusammenwachsen von stationärem und Onlinehandel. Zu Adyens Kunden zählen Traditionsunternehmen wie Baby-Walz oder klassische Ketten wie Rituals, Gap und Tiffany & Co., Wirecard konnte das Schwergewicht Aldi als Kunden gewinnen. Damit steigt die Abhängigkeit von einzelnen Großkunden, warnt Analyst Leitner. Wechseln diese den Anbieter, bricht der Umsatz ein. Und hier komme die Reputation ins Spiel: „Anhaltende kritische Diskussionen können Kunden auf Dauer abschrecken.“
Geschützt wird der eigene Ruf auch durch eine starke Compliance, also durch Prozesse, die die Einhaltung gesetzlicher und anderer Regeln sicherstellen. Wie wichtig das ist, zeigt eine neue Studie der Universität Gießen, die dem Handelsblatt vorliegt. Unter Leitung von Christina Bannier haben die Wissenschaftler über fünf Jahre die Compliance-Qualität aller 150 börsennotierten Unternehmen aus den Dax-Indizes untersucht. Im Anschluss untersuchten die Forscher den Geschäftserfolg – mit klarem Ergebnis: Konzerne mit einem hohen Compliance-Score tragen geringere Verlustrisiken.
Ein Unternehmen hat in der Untersuchung besonders schlecht abgeschnitten: Wirecard. Hier zeigt sich in den Jahren 2014 bis 2016 ein Compliance-Score von null. Dieser steigt bis 2019 auf den Wert von elf. Zum Vergleich: Der Wert der Commerzbank steigt im selben Zeitraum von zehn auf 16, der der Deutschen Börse sogar von neun auf 19. Den Maximalwert von 24 erreichte kein Unternehmen.
Bannier wundern die Debatten daher nicht: „Es stellt sich die Frage, ob die aktuelle Krise bei Wirecard nicht im Grunde eine Krise der unternehmerischen Compliance ist“, sagt die Professorin. „Wirecard ragt in unserer Untersuchung als Negativbeispiel heraus. Die Stärkung der Compliance stand über viele Jahre hinweg offenbar nicht auf der Agenda des Managements. Damit unterscheidet sich das Unternehmen von anderen Finanzinstituten, die hier deutlich bessere Werte aufweisen.“
Inzwischen sieht Bannier jedoch eine Verbesserung: „Wirecard hat mit dem Aufstieg in den Dax angefangen, zumindest Basiselemente eines Compliance-Systems aufzubauen. 2018 hat man einen Chief Compliance Officer ernannt, jetzt soll das Thema auf Vorstandsebene aufgehängt werden.“
Die Entwicklung sei von anderen Wachstumsunternehmen bekannt: „Am Anfang ist die einzige Frage des Managements, wie weiter Wachstum generiert werden kann. Dann überholt der eigene Erfolg den Konzern. Er wächst schneller, als er die nötigen Prozesse aufbauen kann“, erklärt sie. „Das jetzt nachzuholen, wird teuer, ist für einen Dax-Konzern aber überfällig.“