"Wir wollen den EU-Beitritt der Türkei"
Marc Landau, IHK-Chef in Istanbul, über Interessen der Wirtschaft und Wahlkampf in Deutschland
Herr Landau, von der Union kommen widersprüchliche Signale, wie sie im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl mit der türkischen EU-Kandidatur umgehen will. Kanzlerkandidatin Merkel spricht sich wie die CSU im Grundsatz gegen eine Mitgliedschaft des Landes aus. Den EU-Beschluss, ab Oktober über die Mitgliedschaft zu verhandeln, will Merkel aber respektieren. Ist die deutsch-türkische Geschäftswelt über diesen Schlingerkurs besorgt?
Nein. Wir rechnen fest damit, dass am 3. Oktober wie vereinbart die Aufnahmeverhandlungen beginnen - ganz gleich, wer dann in Deutschland die Regierung stellen wird. Frau Merkel hat bei ihrem Besuch in der Türkei im vergangenen Jahr sowie bei anderen Gelegenheiten immer wieder betont, dass sie einmal gefasste Beschlüsse im Falle einer Regierungsübernahme respektieren werde. Wir begrüßen das ausdrücklich. Die hier ansässige deutsche Wirtschaft will den EU-Beitritt der Türkei.
Hätte eine unionsgeführte Bundesregierung überhaupt die Möglichkeit, die Beitrittsverhandlungen zu durchkreuzen?
Der Beschluss, in diesem Oktober Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, ist Ende vergangenen Jahres von allen 25 EU-Mitgliedstaaten einstimmig gefasst worden. Ob ein möglicher Regierungswechsel in Deutschland aber Einfluss auf den Stil oder das Tempo der Verhandlungen haben kann, muss man abwarten. Die Gespräche führt jedoch nicht die Bundesregierung, sondern die EU-Kommission. Ohnehin steht der eigentliche Beitritt der Türkei ja frühestens in zehn Jahren an. Bis dahin kann viel passieren.
Was halten Sie von den Plänen von CDU und CSU, die Türkei-Frage im Wahlkampf zum Thema zu machen?
Ich kann davon nur abraten. Das Thema eignet sich nicht für Wahlkampfpolemik. Hier geht es um langfristige Interessen und Verbindungen und nicht um kurzfristige Emotionen. Ein undifferenziertes Hochkochen der Türkei-Frage im Wahlkampf würde niemandem nützen. Weder den Deutschen und den hier vertretenen Unternehmen, noch den Türken.
Die offizielle türkische Politik hat sehr gelassen auf die Ankündigung von Neuwahlen in Deutschland reagiert. Nach den Worten von Außenminister Abdullah Gül wäre es ein völlig normaler Vorgang, wenn in einem demokratischen Land die Regierung wechselt. Ist diese Gelassenheit Ihrer Einschätzung nach echt oder gespielt?
Die türkische Führung war von der Neuwahl-Ankündigung genau so überrascht wie die deutsche Öffentlichkeit. Trotzdem glaube ich, dass sie sich schnell wieder gefasst hat. Denn die grundsätzliche Entscheidung, dass verhandelt wird, ist ja längst gefallen. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass die hiesige Regierung die Politik Angela Merkels anders bewertet als die Gerhard Schröders. Der amtierende Kanzler gilt als als ein erklärter Anwalt der türkischen Sache in Europa. Bei Frau Merkel ist man da weitaus skeptischer.
Was wäre aus Sicht der Wirtschaft zu erwarten, wenn aus irgendeinem Grunde die Beitrittsverhandlungen platzen, ein türkischer EU-Beitritt also nicht stattfinden würde?
Wir bewegen uns jetzt im Bereich des Hypothetischen. Wenn es aber dazu kommen sollte, würde das die Dynamik der europäisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen wahrscheinlich sehr bremsen. Besonders der Handel zwischen Deutschland und der Türkei wächst seit Jahren mit Riesenschritten. Allein im ersten Quartal des laufenden Jahres nahmen die deutschen Exporte hierher um mehr als elf Prozent zu, die türkischen Ausfuhren nach Deutschland wiederum wuchsen um mehr als 14 Prozent. Aber ein Ende der guten Wirtschaftsbeziehungen würde ein Scheitern der türkischen EU-Kandidatur natürlich nicht bedeuten. Kein türkisches und kein europäisches Unternehmen würde seine Brücken abbrechen. Der politische Schaden wäre jedoch vermutlich weitaus größer.
Wie lang wird es dauern, bis die Türkei reif ist für einen EU-Beitritt? Reichen dafür zehn Jahre aus?
Wie lange es dauern wird, das Land politisch und rechtlich auf die EU vorzubereiten, vermag ich nicht zu sagen. In wirtschaftlicher Hinsicht aber ist die Entwicklung rasant. Wenn sie so weiter geht, ist die türkische Wirtschaft bereits im Laufe dieses Jahrzehnts fit für Europa.
Das Gespräch führte Thorsten Knuf.
www.berlinonline.de
Marc Landau, IHK-Chef in Istanbul, über Interessen der Wirtschaft und Wahlkampf in Deutschland
Herr Landau, von der Union kommen widersprüchliche Signale, wie sie im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl mit der türkischen EU-Kandidatur umgehen will. Kanzlerkandidatin Merkel spricht sich wie die CSU im Grundsatz gegen eine Mitgliedschaft des Landes aus. Den EU-Beschluss, ab Oktober über die Mitgliedschaft zu verhandeln, will Merkel aber respektieren. Ist die deutsch-türkische Geschäftswelt über diesen Schlingerkurs besorgt?
Nein. Wir rechnen fest damit, dass am 3. Oktober wie vereinbart die Aufnahmeverhandlungen beginnen - ganz gleich, wer dann in Deutschland die Regierung stellen wird. Frau Merkel hat bei ihrem Besuch in der Türkei im vergangenen Jahr sowie bei anderen Gelegenheiten immer wieder betont, dass sie einmal gefasste Beschlüsse im Falle einer Regierungsübernahme respektieren werde. Wir begrüßen das ausdrücklich. Die hier ansässige deutsche Wirtschaft will den EU-Beitritt der Türkei.
Hätte eine unionsgeführte Bundesregierung überhaupt die Möglichkeit, die Beitrittsverhandlungen zu durchkreuzen?
Der Beschluss, in diesem Oktober Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, ist Ende vergangenen Jahres von allen 25 EU-Mitgliedstaaten einstimmig gefasst worden. Ob ein möglicher Regierungswechsel in Deutschland aber Einfluss auf den Stil oder das Tempo der Verhandlungen haben kann, muss man abwarten. Die Gespräche führt jedoch nicht die Bundesregierung, sondern die EU-Kommission. Ohnehin steht der eigentliche Beitritt der Türkei ja frühestens in zehn Jahren an. Bis dahin kann viel passieren.
Was halten Sie von den Plänen von CDU und CSU, die Türkei-Frage im Wahlkampf zum Thema zu machen?
Ich kann davon nur abraten. Das Thema eignet sich nicht für Wahlkampfpolemik. Hier geht es um langfristige Interessen und Verbindungen und nicht um kurzfristige Emotionen. Ein undifferenziertes Hochkochen der Türkei-Frage im Wahlkampf würde niemandem nützen. Weder den Deutschen und den hier vertretenen Unternehmen, noch den Türken.
Die offizielle türkische Politik hat sehr gelassen auf die Ankündigung von Neuwahlen in Deutschland reagiert. Nach den Worten von Außenminister Abdullah Gül wäre es ein völlig normaler Vorgang, wenn in einem demokratischen Land die Regierung wechselt. Ist diese Gelassenheit Ihrer Einschätzung nach echt oder gespielt?
Die türkische Führung war von der Neuwahl-Ankündigung genau so überrascht wie die deutsche Öffentlichkeit. Trotzdem glaube ich, dass sie sich schnell wieder gefasst hat. Denn die grundsätzliche Entscheidung, dass verhandelt wird, ist ja längst gefallen. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass die hiesige Regierung die Politik Angela Merkels anders bewertet als die Gerhard Schröders. Der amtierende Kanzler gilt als als ein erklärter Anwalt der türkischen Sache in Europa. Bei Frau Merkel ist man da weitaus skeptischer.
Was wäre aus Sicht der Wirtschaft zu erwarten, wenn aus irgendeinem Grunde die Beitrittsverhandlungen platzen, ein türkischer EU-Beitritt also nicht stattfinden würde?
Wir bewegen uns jetzt im Bereich des Hypothetischen. Wenn es aber dazu kommen sollte, würde das die Dynamik der europäisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen wahrscheinlich sehr bremsen. Besonders der Handel zwischen Deutschland und der Türkei wächst seit Jahren mit Riesenschritten. Allein im ersten Quartal des laufenden Jahres nahmen die deutschen Exporte hierher um mehr als elf Prozent zu, die türkischen Ausfuhren nach Deutschland wiederum wuchsen um mehr als 14 Prozent. Aber ein Ende der guten Wirtschaftsbeziehungen würde ein Scheitern der türkischen EU-Kandidatur natürlich nicht bedeuten. Kein türkisches und kein europäisches Unternehmen würde seine Brücken abbrechen. Der politische Schaden wäre jedoch vermutlich weitaus größer.
Wie lang wird es dauern, bis die Türkei reif ist für einen EU-Beitritt? Reichen dafür zehn Jahre aus?
Wie lange es dauern wird, das Land politisch und rechtlich auf die EU vorzubereiten, vermag ich nicht zu sagen. In wirtschaftlicher Hinsicht aber ist die Entwicklung rasant. Wenn sie so weiter geht, ist die türkische Wirtschaft bereits im Laufe dieses Jahrzehnts fit für Europa.
Das Gespräch führte Thorsten Knuf.
www.berlinonline.de