Die große Zwangs-Bescherung

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Die große Zwangs-Bescherung

 
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Die große Zwangs-Bescherung

Von Carsten Volkery, New York

Der 11. September hat die größte Spendenaktion der amerikanischen Geschichte ausgelöst. Bis heute fließen allerlei gut gemeinte Gaben nach New York. Doch die Empfänger wissen schon längst nicht mehr wohin mit dem vielen Geld - oder den skurrilen Sachspenden.

New York - In der afrikanischen Savanne reisen die Nachrichten langsam. Erst als der 25-jährige Massai Kimeli Naiyomah im Mai von seinem Medizin-Studium an der Stanford University zurückkehrte, bekamen seine Stammesbrüder im kenianischen Dorf Enoosaen ein Bild davon, was acht Monate vorher in New York geschehen war. Zwar hatten einige bereits Bruchstücke im Radio gehört, doch erst die Erzählungen von Kimeli hinterließen einen echten Eindruck.

Betroffen spendeten die Massai dem amerikanischen Volk 14 Kühe. Vor zwei Wochen wurden sie einem amerikanischen Botschaftsangestellten, der extra aus Nairobi angereist war, übergeben. Im Beisein der Weltpresse bedankte sich der Vertreter artig. Später ließ er verlauten, er werde die gesegneten Kühe wahrscheinlich verkaufen - weil der Transport in die USA ja doch schwierig sei.

Die Geschichte der 14 Kühe ist nur das jüngste Beispiel der Spendenflut, die sich längst zum Spendenproblem gewandelt hat. Da waren die 30.000 Ananas aus Hawaii, für die tapferen Feuerwehrmänner von New York. Eine nette Geste, doch selbst Helden können nicht so schnell essen. Die Früchte mussten daher an Bedürftige verteilt werden, bevor sie schlecht wurden - ein erhebliches logistisches Problem.

Oder die Teddybärenschwemme. "Wir hatten 150 Teddies pro Familie", sagt eine Sprecherin des Fund for Firefighters Widows and Children. Auch sie wurden weiter verteilt, an Kinderkrankenhäuser in der Stadt.


Schon vor Monaten haben die meisten Wohltätigkeits-Einrichtungen, die für die Opfer des 11. September sammeln, ihre Spendenaufrufe eingestellt. Doch die Welle der Großzügigkeit hält an: Zwar hat sich der Strom verlangsamt, aber vor allem Geld fließt noch reichlich. Der World Trade Center Relief Fund etwa erhält durchschnittlich 21.500 Dollar pro Tag, berichtete die "Washington Post".

Zwei Drittel der amerikanischen Haushalte haben laut einer Studie der Indiana University gespendet. Dazu kommen die Gaben aus dem Ausland. Es ist die größte Goodwill-Aktion in der Geschichte des Landes.

Die elf größten Sammel-Einrichtungen, die 95 Prozent der Gesamtsumme ausmachen, haben bisher 2,3 Milliarden Dollar erhalten, ergab eine Umfrage der "Washington Post". Bereits ausgegeben wurden 1,4 Milliarden. Von den verbleibenden 900 Millionen besitzt der Liberty Fund des Roten Kreuzes allein 400 Millionen. Das Geld soll bis zum Jahrestag des 11. September verteilt sein.

Doch die Verteilung des Geldes ist ein fast ebenso großes Problem wie die kreative Verwendung der Sachspenden. 2,3 Milliarden Dollar ist ein großer Batzen, und umgekommen sind "nur" 2832 Menschen. Wohin also mit dem Geld?

Relativ unstrittig ist die Hilfe für die Witwen, Witwer und Kinder der Verstorbenen. Die Familien der 343 gestorbenen Feuerwehrleute etwa haben je eine Million Dollar erhalten, am Ende werden sie wohl auf je zwei Millionen kommen. Auch Subventionen für geschädigte Geschäftsleute in der Gegend, Angestellte, die ihren Job verloren haben, und Anwohner, die monatelang im Hotel leben mussten, erfüllen den guten Zweck.

Aber die übrig bleibende Summe ist immer noch immens. Dass sich der Spenden-Überfluss zum Problem auswachsen könnte, wurde spätestens Anfang des Jahres klar, als das Rote Kreuz begann, im Stadtteil Tribeca, gleich nördlich vom "Ground Zero", hausieren zu gehen. Freiwillige Helfer klingelten bei den betuchten Loft-Bewohnern der Gegend und drängten ihnen förmlich das Geld auf.

Der Hintergrund: Das Rote Kreuz, dessen Liberty Fund knapp eine Milliarde Dollar bekommen hatte, war im Herbst heftig kritisiert worden. Es sammele Geld für die Terror-Opfer und gebe es dann für andere Zwecke aus, so der Vorwurf. Das sei nicht im Sinne der Spender. Die Präsidentin der Organisation, Bernadine Healy, war wegen des "Skandals" sogar zurückgetreten.

Das Rote Kreuz hatte versprochen, das Geld nur noch an echte Terror-Opfer zu verteilen. Dafür mussten sie die Definition jedoch strecken. So wurden alle Bewohner Tribecas zu Betroffenen erklärt, egal, ob sie irgendeinen Schaden davon getragen hatten. Als Opfer hatten sie Anspruch auf durchschnittlich 5300 Dollar. Doch mehr als die Hälfte der Tribecaner wollte das Geld nicht annehmen - sie brauchten es schlicht nicht.

Es war ein Fest für die New Yorker Zeitungen. Die "New York Times" berichtete von Anthony Mancini und Maria Cellario, denen die Helfer unter anderem Mietzuschüsse und Krankenversicherung schmackhaft zu machen versuchten. Die Helfer seien "höflich, aber hartnäckig" gewesen, sagte Mancini. Das gut verdienende Paar, das von der Attacke finanziell überhaupt nicht betroffen war, akzeptierte schließlich einen Gutschein für einen Luftreiniger.

Eine andere Frau, June Beckstead, akzeptierte 10.000 Dollar - nur um sie gleich an eine andere Charity zu spenden. "Re-gifting" (wiederverschenken) nannte sie diese Taktik.

Anfang Juni zog das Rote Kreuz die Konsequenzen aus der Episode: Ab dem 31. Juli werde man nicht mehr um Spenden für eine bestimmte Katastrophe bitten, sondern klarstellen, dass das Geld für alle möglichen Aktivitäten verwendet werden kann, teilte es mit.

Doch zunächst muss die Organisation die verbleibenden 400 Millionen nach den alten Regeln verteilen. Darum hat sie die Definition von "Familie" sehr weit gefasst: Geld bekommt, wer finanziell von einem Opfer abhängig war. Darunter, so berichtet die "Post", fallen auch die Geliebten der im World Trade Center verstorbenen Manager.

Trotz aller Probleme der Spendenverteilung - eine große Geste wissen die New Yorker zu schätzen. Darum erhob sich auch lauter Protest gegen den Plan der US-Botschaft in Kenia, die Kühe der Massai in schnödes Geld einzutauschen.

Ein Kommentator der "Washington Times" schrieb fast schon empört: "Wenn wir 80.000 Mann mitsamt Maschinerie nach Afghanistan bringen können, werden wir es wohl schaffen, 14 Kühe aus Kenia zu holen".

Und eine Leserin meldete sich bei der "New York Times": Man solle die Kühe auf jeden Fall nach New York holen - zum Grasen auf der Wiese des Central Parks.  


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