„Die nächsten fünf Jahre werden enttäuschend“
"Ökonomen wären gerne Naturwissenschaftler, sind es aber nicht", sagt Robert Shiller
30. August 2009 Kaum ein Ökonom wusste mehr über die Krise, bevor sie da war, als Robert Shiller. Er hat frühzeitig gewarnt. Im Interview spricht der Yale-Professor über eine Krise ohne Ende, die Fehler seiner Zunft und wieso es ihm hilft, Zyniker zu sein.
Herr Shiller, in Deutschland ist man jetzt wieder optimistisch. Ist die Krise schon zu Ende?
Nein, ich mache mir Sorgen, dass die nächsten fünf Jahre enttäuschend werden. Die Rezession wird wohl früher zu Ende gehen, doch das wird nicht das Ende der Krise sein.
Was verstehen Sie unter enttäuschenden Jahren?
Schauen Sie sich die Große Depression an. Die meisten datieren sie auf den Zeitraum zwischen 1929 und 1941. Während dieser Zeit gab es zwei Rezessionen. Es gab eine Erholung in der Mitte, aber sie wurde nie stark genug. Deshalb glaube ich, dass das Ende der Rezession vielleicht da ist. Das ist aber nicht das Ende unserer Probleme. Wir werden möglicherweise bald die nächste Rezession erleben.
Sie haben die Krise früh vorhergesehen. Für die meisten Ihrer Ökonomenkollegen kam sie hingegen überraschend. Was haben die anderen falsch gemacht?
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Sie haben an die falschen Dinge geglaubt. Die meisten Makroökonomen und Finanzmarktspezialisten waren zum Beispiel der festen Überzeugung, dass Finanzmärkte effizient sind, dass es keine Blasen gibt und dass wir die Marktpreise respektieren müssen als die kollektive Weisheit der Menschen, die jedermanns individuelles Wissen übersteigt. Es wäre lächerlich, den Markt in Frage zu stellen, dachten sie. Das war einer der größten Fehler in der Geschichte des ökonomischen Denkens.
Was ist daran falsch, wenn man glaubt, dass Märkte effizient sind?
Es ist nicht vollkommen falsch. Ich erzähle meinen Studenten immer, dass Märkte effizienter sind, als man vielleicht denkt. Ich sage: Erwartet nicht, dass ihr schnell viel Geld damit verdient, wenn ihr versucht, klüger zu investieren als die anderen auf dem Markt, auch wenn ihr Einser-Studenten seid. Es ist nicht einfach, den Markt zu schlagen. Es steckt also durchaus etwas Wahrheit in der Theorie effizienter Märkte. Nur gab es die Tendenz, es zu weit zu treiben.
Zum Beispiel?
Die Ökonomen haben daraus abgeleitet, dass Marktpreise immer richtig sind und Spekulationsblasen folglich nicht existieren. Wenn Sie in das Stichwortverzeichnis eines Lehrbuchs der Finanzmarktökonomie nach dem Wort „Blase“ schauen, werden Sie es dort nicht finden. Die Bücher erwähnen Blasen nicht einmal. Das ist abstrus. Denn es gibt immer wieder Übertreibungen auf den Finanzmärkten, wie wir es in dieser Krise wieder einmal gesehen haben.
Warum haben trotzdem so viele Ökonomen nicht an sie geglaubt?
Wissenschaftler korrigieren sich nur ab und zu; sie können für lange Zeit falsch liegen. Ärzte glaubten einmal, dass es sinnvoll ist, Menschen Blut abzulassen, wenn sie krank waren. Sie waren davon jahrhundertelang überzeugt, und am Ende stellte sich heraus, dass sie es vollkommen ohne Grundlage waren. Im Gegenteil: Es ist sogar schädlich, Blut abzulassen, wenn jemand krank ist.
Gut, aber wie kamen Ihre Kollegen überhaupt erst zu ihrer Überzeugung?
Ich kann mir interne Gründe vorstellen. Wissenschaftler mögen Forschung, die sie selbst verherrlicht. Sie mögen keine Forschung, die Finanzanalysten verherrlicht. Deshalb entwickelten sie die Sichtweise, dass Analysten nichts wissen im Vergleich zum Markt. Wenn irgendeiner von ihnen reich war, dann musste es einfach das Glück des Dummen sein. Es gibt immer ein paar, die eine Folge von Glückstreffern landen und berühmt werden. Das war eine sehr feindliche Sicht auf diese Leute.
Und Sie haben eine sehr feindliche Sicht auf Ihre Kollegen.
Na ja, ich spekuliere nur. Vielleicht fühlen sich einige jetzt angegriffen. Aber trotzdem: Ich vermute, dass die Entscheidungen vieler Ökonomen verzerrt waren durch Wunschdenken.
Das kann doch nicht alles sein!
Nein. Ein Teil ist auch Physikneid. Menschen, die Ökonomen werden, neigen dazu, sich zu wünschen, sie wären Naturwissenschaftler. Sie wollen keine Psychologen sein oder Soziologen. Diese Wissenschaften finden sie weichlich. Hingegen bewundern sie die Physiker und versuchen, die Welt auf diese Art neu zu gestalten. Deshalb gibt es so viel Mathematik in der Ökonomie. Außerdem mögen Ökonomen keine Menschen. Deshalb mögen sie es auch nicht, wenn man sagt, dass die Wirtschaft von Menschen angetrieben wird. Es sind Informationen, die die Welt bewegen, behaupten sie – und es gibt diese riesige Verarbeitungsmaschine, den Markt, der die Informationen zusammenbringt.
Was hat das mit der Krise zu tun?
Diese Krise war ein menschliches Ereignis. Viele Menschen waren aufgeregt, es waren Gefühle im Spiel – und Gefühle gibt es in der Ökonomie so gut wie nicht. Wir waren aus dem Häuschen wegen des Aktienmarkts, des Immobilienmarkts, wegen neuer Chancen. Das änderte unser Denken. Man konnte sehen, dass das passiert, aber man konnte es nicht in Zahlen messen. Das war das Problem.
Warum ist das ein Problem?
Man kann nicht einfach ins Ökonomieseminar gehen und sagen: Ich glaube, wir haben eine große Blase auf dem Aktienmarkt, weil die Menschen verrückt nach Aktien sind. Das ist zu unpräzise. Die Experten haben statistische Modelle und Computer – und die Modelle zeigten eben, dass nichts falsch lief.
Kann man Blasen vielleicht gar nicht messen?
Doch, es gibt etwa Leute, die das Vertrauen im Markt zu messen versuchen, indem sie die Menschen befragen. Aber viele Ökonomen schauen herab auf solche Methoden. Es sind ja nur Umfragen, keine harten Fakten wie etwa Preise.
Harte Fakten erklären die Krise nicht?
Nicht allein, man braucht zusätzlich die Psychologie. Ein deutscher Psychologe hat vor vielen Jahren den Begriff der Einfühlung erfunden. Er bedeutet, dass mehrere Menschen das Gleiche fühlen. Das ist das, was in einer Blase passiert. Ein paar Menschen sind euphorisch, und auf einmal werden es ganz viele. Sie fühlen das Gleiche und handeln gleich – und diese Gefühle können sich über die ganze Welt verteilen. Das erklärt Teile der Makroökonomie.
Sind die Ökonomen nach dieser Krise bereit, solche Überlegungen in ihre Modelle zu integrieren?
Der Beruf des Ökonomen ist dabei, sich zu verändern. Verhaltensökonomie wird immer wichtiger …
… das Feld, das auch Ihr Spezialgebiet ist.
Ja, es ist immer noch eine Minderheit, die sich mit dem tatsächlichen Verhalten der Menschen beschäftigt, aber diese Minderheit wird bedeutender.
Die meisten Verhaltensökonomen haben diese Krise aber auch nicht vorhergesehen.
Das ist richtig. Das liegt daran, dass es kaum Verhaltensökonomen gibt, die sich mit der ganzen Volkswirtschaft beschäftigen, mit der Makroökonomie. Seit 15 Jahren gebe ich Workshops über Verhaltensökonomie für Makroökonomen, aber es kommen dorthin nur Leute, die höchstens mal ein einzelnes Paper darüber geschrieben haben. Sie begeistern sich nicht wirklich für das Thema.
Warum ist das so?
Das Problem mit der Makroökonomie ist, dass es nicht genug Daten gibt, um irgendetwas zu beweisen. Also haben diese Leute Modelle entwickelt, die für sie richtig aussehen, die aber keine psychologischen Elemente enthalten. Sie denken, sie haben das richtige Modell. Und man kann nicht beweisen, dass sie falsch liegen, zumindest nicht mittels statistischer Methoden. Denn sie haben ihre Modelle so weit angepasst, dass sie zu den Daten passen.
Blasen kommen darin nicht vor?
Nein, das Thema Aktienmarktblase in einem Ökonomiekurs anzusprechen ist ähnlich verrückt, wie in einem Astronomiekurs mit Astrologie anzufangen. Die anderen werden Sie erstaunt ansehen und denken: Wie ist die hier reingekommen!
Na und?
Dieser Gruppendruck wirkt. Menschen in Expertengruppen sorgen sich ständig um ihre persönliche Bedeutung und ihren Einfluss. Sie haben den Eindruck, wenn sie zu weit vom Konsens abrücken, werden sie in keine ernsthafte Position gelangen. Das gilt auch für Ökonomen.
Und für Sie nicht?
Ich habe immer eine zynische Sicht auf die Welt gehabt. Schon mein Sonntagsschullehrer beschwerte sich bei meinen Eltern, ich hätte ein schlechtes Benehmen. Ich dachte einfach, dass mein Sonntagsschullehrer keine Ahnung hätte. Das war meine Haltung, und so bin ich immer noch. Ich habe nie richtig dazugehört.
Der Verhaltensforscher
Schon vor der Aktienmarktblase der 2000er Jahre hat der Yale-Professor Robert Shiller in seinem Buch „Irrational Exhuberance“ frühzeitig gewarnt. Darüber ist er bekannt geworden. In der zweiten Auflage desselben Buchs sagte Shiller 2005 das Ende der steigenden Preise am amerikanischen Häusermarkt vorher - nur um kurz darauf recht zu erhalten.
Shiller ist ein Vordenker der Verhaltensökonomie, die versucht, die Psychologie in die Wirtschaftswissenschaften zu integrieren. Shiller glaubt, dass man Krisen besser erklären kann, wenn man auch die Gefühle der Menschen berücksichtigt. Gemeinsam mit Karl Case hat er den bekannten Case/Shiller-Index für amerikanische Hauspreise entwickelt.
Der Ökonom ist in Michigan als Sohn eines Unternehmers aufgewachsen und studierte später am MIT. Seit 33 Jahren ist er mit einer Psychologin verheiratet, die ebenfalls in Yale lehrt, und hat zwei Söhne. Außer beim (sehr unsicheren) Prognostizieren von Krisen liebt er das Risiko nicht. Er fährt kein Auto und kann dem Glücksspiel nichts abgewinnen.
Das Gespräch führte Lisa Nienhaus.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Christian Thiel