FTD-Euroindikator: EZB-Prognose entzweit Ökonomen
Auf geteiltes Echo ist unter Konjunkturexperten die Entscheidung der EZB gestoßen, ihre Wachstumsprognosen trotz der Finanzkrise fast unverändert zu lassen. Kritiker rechnen mit einer Korrektur nach unten.
"Die Notenbank wird ihre Vorhersage von 2,3 Prozent für 2008 mit hoher Wahrscheinlichkeit bald wieder nach unten korrigieren müssen", sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.
Weniger kritisch äußerten sich die Konjunkturexperten führender europäischer Forschungsinstitute. In einer Exklusivumfrage der FTD sagten zwar zwei Experten, dass die aktuelle EZB-Prognose für nächstes Jahr zu hoch sei. Zwei halten sie allerdings noch für zu niedrig. Die Mehrheit stimmte mit der Einschätzung der Notenbank überein.
Die EZB hatte am Donnerstag angekündigt, ihren Leitzins angesichts der Finanzmarktturbulenzen erst einmal nicht weiter anzuheben. Zugleich veröffentlichte sie ihre neuen Prognosen, wonach das Wachstum im Euro-Raum 2007 bei 2,5 statt bei 2,6 Prozent liegen dürfte. Für nächstes Jahr blieb die Prognose unverändert bei 2,3 Prozent.
Bislang sind die Folgen der Finanzkrise realwirtschaftlich noch nicht spürbar. Viele Unternehmen halten im Gegenteil an ihren positiven Geschäftserwartungen fest. Skeptiker warnen allerdings davor, dass die Krise sich künftig noch stärker bemerkbar machen wird.
"Die Effekte der Krise werden erst allmählich wirken und sich dann in einem verlangsamten Wachstum bemerkbar machen", sagte Krämer. Ähnlich äußerte sich Elga Bartsch von Morgan Stanley: Es gebe ein hohes Risiko, dass die EZB-Erwartungen durch die Folgen der Subprime-Krise obsolet würden.
Dass die Prognose für 2007 leicht reduziert wurde, erklärten die Experten hingegen mit der Tatsache, dass die Wirtschaft schon vor Beginn der Marktturbulenzen weniger stark expandiert sei als zuvor vielfach angenommen.
"In den Wachstumsprognosen der EZB sind keine realen Effekte der Finanzkrise auf die Konjunktur enthalten", sagte Erik Nielsen von Goldman Sachs. Die EZB sehe daher weiter das Risiko, dass sich durch das kräftige Wachstum ein steigender Inflationsdruck aufgebaut habe. Die Inflation wird nach EZB-Projektion 2007 und 2008 bei zwei Prozent verharren. Die Notenbank strebt eine Rate von nahe, aber unter zwei Prozent an.
Verteidigt wurde das Vorgehen der EZB am Donnerstag von Van Nguyen The, Analyst bei BNP Paribas: Das Hauptproblem sei, dass der EZB noch die Informationen fehlen, um die Folgen der Finanzkrise abschätzen zu können. "Das macht es schwer, überhaupt etwas für 2008 zu prognostizieren."
Gegen eine starke Verlangsamung der Konjunktur sprachen zuletzt die Erhebungen der US-Notenbank Fed, wonach die Kredite für Unternehmen und Konsumenten bisher günstig blieben.
Auch die Institute der Euroframe-Gruppe registrieren bis dato ein Anhalten der Wachstumsdynamik. Nach Auswertung des Euroindikators, den sie für die FTD berechnen, dürfte die Wirtschaftsleistung im dritten und vierten Quartal 2007 je 3,1 Prozent über Vorjahr liegen. Das wäre eine deutliche Beschleunigung gegenüber dem ersten Halbjahr. Im Frühjahr war die Wirtschaft laut Statistikamt Eurostat um 2,5 Prozent und im ersten Quartal um 2,8 Prozent gewachsen.
"Die Binnennachfrage in der Euro-Zone bleibt kräftig", sagte Joachim Scheide, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, das zur Euroframe-Gruppe gehört. So habe sich trotz aller Turbulenzen der Ausblick für den Einzelhandel zuletzt sogar verbessert.
"Die Industrieumfragen signalisieren dagegen ein etwas schwächeres Wachstum zum Jahresende, wahrscheinlich wegen der eingetrübten Exporterwartungen", so Scheide. Negativ wirkte zuletzt auch die leichte Eintrübung in der US-Industrie, wie sie aus Einkaufsmanagerumfragen hervorgegangen war. Wie am Donnerstag bekannt wurde, verharrte der Einkaufsmanager-Index für Servicefirmen dagegen bei 55,8 Punkten. Die Dienstleister spüren danach noch nichts von der Finanzkrise.
Relativ gelassen reagierten Experten am Donnerstag auf die Meldung eines deutlichen Rückgangs der Auftragseingänge in der deutschen Industrie. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte für Juli ein Minus von 7,1 Prozent zum Vormonat gemeldet. Dies scheint aber vor allem ein Gegeneffekt zu den außergewöhnlich starken Zuwächsen von 3,0 Prozent im Mai und 5,1 Prozent im Juni gewesen zu sein.
Die Statistiker wiesen zudem darauf hin, dass die großen Nachfrageschwankungen auf Großaufträge zurückgingen. Matthias Rubisch von der Commerzbank macht dafür vor allem das Auf und Ab der Flugzeugbestellungen verantwortlich. Ohne diese Order hätte es im Juli nur ein Minus von 0,6 Prozent gegeben. Der Trend in der Industrie zeige weiter nach oben.
Von André Kühnlenz (Berlin)
Quelle: Financial Times Deutschland
J.B.