Wenn der Devisenmarkt nicht weiß, was er tut – Zur Marktreaktion auf die US-BIP-Zahlen

Freitag, 26.04.2024 12:31 von Société Générale - Aufrufe: 91

Manchmal überkommt mich das Gefühl, dass alles, was ich schreibe, eh schon Allgemeinwissen ist und es deshalb ziemlich sinnfrei ist, dass ich täglich Seiten mit meinen Kommentaren fülle. Gestern war hingegen ein Tag, der mich an die Relevanz unserer Aufgabe als FX-Analysten erinnerte. Weil gestern ganz offensichtlich der Markt eine ganze Weile lang nicht wusste, wie er korrekt auf die BIP-Daten des Bureau of Economic Analysis (BEA) reagieren sollte.

  • Das reale BIP überraschte auf der Unterseite. Die (von Bloomberg befragten) Analysten hatten (im Median) für das 1. Quartal 2024 mit einem Wachstum von 2,5%25 gerechnet. Es wurden magere 1,6%25.
  • Für den Kern-BIP-Deflator (der wichtig ist, weil er die rein heimische Inflationsentwicklung anzeigt) hatte der Markt mit einem Anstieg um 3,4%25 gerechnet; in der Tat wurden es 3,7%25. Hier also eine Überraschung auf der Oberseite.

Was heißt die Kombination aus stärkerer Inflation und schwächerem Wachstum für die Bewertung des US-Dollars? Ich hatte erwartet, dass es noch hinreichend viele FX-Händler gibt, die sich daran erinnern können, wie eine sinnvolle Reaktion einst aussah. Einst meint: bevor die Große Finanzmarktkrise uns in ein globales “Lowflation”-Umfeld gestürzt hat. Offensichtlich war ich zu optimistisch. Denn die initiale Marktreaktion war unsinnig. Der Dollar konnte zulegen.

Warum war diese Marktreaktion unsinnig?

Zum tausendsten Mal: Inflation an sich ist negativ für eine Währung. Wenn ihre heimische Kaufkraft schneller als erwartet erodiert, kann das kein gutes Signal für ihre Kaufkraft am Devisenmarkt sein. Positiv ist sie nur, wenn erwartet werden kann, dass die jeweilige Zentralbank den negativen Inflationseffekt mit überproportionalen Zins-Reaktionen überkompensiert.

Nun fällt aber die zinspolitische Reaktion der Fed auf Inflation besonders dann aggressiv aus, wenn das Wachstum besonders hoch ist. Geringes Wachstum bei hoher Inflation spricht eher für eine unterproportionale zinspolitische Reaktion und damit nicht für den Dollar. Warum?

Vergegenwärtigen wir uns, wie es in den 1970ern war: “Stagflation” hieß damals die Kombination aus niedrigem Wachstum und Inflation, also quasi das Destillat der gestrigen Datenüberraschung. Und weil sich an solchen Extremfällen Effekte besonders deutlich studieren lassen (weil andere Faktoren irrelevant werden), sei daran erinnert, dass damals argumentiert wurde, diese Art der Inflation sei mit Zinspolitik nicht zu bekämpfen, sondern müsse mit Mitteln der “Angebotspolitik” angegangen werden: Infrastrukturinvestitionen, Deregulierung, so was in der Art. Weil als Ursache der Stagflation ein Mangel an gesamtwirtschaftlichem Angebot vermutet wurde.

Jedoch, bald gab’s einen Paradigmenwechsel. Die ökonomische Forschung, die Zentralbanken und die Politik erkannten nach und nach, dass es keine dauerhaften systematischen Wirkungen der Geldpolitik auf die Realwirtschaft gibt und dass Geldpolitik besser völlig frei von realwirtschaftlichen Aspekten agieren sollte. “Neuklassik” wurde diese Denkschule genannt. In jener Periode lernte ich das Fach, weshalb es Sie nicht wundern darf, dass ich dieser Sichtweise anhänge.

Doch gab’s seitdem (unter dem Schlagwort “Neo-Keynesianismus”) längst eine Gegenrevolution. Aus meiner Sicht wurden die neuklassischen Argumente nie wirklich widerlegt, sondern von den Neu-Keynesianern lediglich beiseite gewischt. Aber sei’s drum. Fest steht: Heute tickt der ökonomische Mainstream und ticken die Zentralbanken (inklusive der Fed) neo-keynesianisch und meinen, Geldpolitk solle den Zustand der Realwirtschaft berücksichtigen.

Für die gestrige Datenüberraschung heißt das: Es mag sein, das die höhere Inflationsrate des BIP-Deflators die Fed veranlasst, noch später ihren Leitzins zu senken, als der Markt eh schon angenommen hatte. Doch ist keine überproportionale geldpolitische Reaktion der Fed zu erwarten, also keine, die den USD-negativen eigentlichen Effekt höherer Inflation mehr als aufwiegt. Und deshalb waren die gestigen Daten des BEA ganz bestimmt nicht USD-positiv.

Ich habe in meinem Analysten-Leben schon viele inhaltlich völlig unsinnige Marktreaktionen erlebt. So erinnere ich mich gut daran, dass der Dollar einst bei hohem US-Leistungsbilanzdefizit nachgab, bei hohen TIC-Zahlen aber zulegte. Offensichtlich hatten damals die Devisenhändler die buchhalterische Identität der Zahlungsbilanz nicht verstanden. Weshalb ich mehrmals meine Kommentare mit der Überschrift “Der Devisenmarkt TIC-kt nicht richtig” versehen musste.

Was wir gestern sahen, ist also nicht einzigartig. Doch ist’s auch in solchen Fällen nicht leicht, aus der Dummheit des durchschnittlichen Devisenhändlers Kapital zu schlagen. Wenn hinreichend viele Marktteilnehmer in eine Richtung rennen, kann’s sinnvoll sein, sich anzuschließen. Auch dann, wenn diese Richtung inhaltlich überhaupt keinen Sinn macht. Selbst dann, wenn man glaubt, dass irgendwann der Markt wieder korrigieren muss. Auch dafür hat die Ökonomik einen Namen: “rationale Blase”.

Dabei ist das “Rationale” an solch einer Blase, dass es sinnvoll ist, mitzumachen. Selbst wenn man erkennt, dass es eine Blase ist. Gestern platzte diese Blase schnell. Es dauerte keine Stunde, bis EUR-USD wieder nach oben drehte, DXY wieder nach unten. Doch kann man halt nie sicher sein, wie schnell rationale Blasen platzen. Wer gegen sie wetten will, braucht u.U. Geduld. Einfach ist der Devisenmarkt also selbst dann nicht, wenn er ganz offensichtlich in die falsche Richtung rennt und eine Umkehr unvermeidlich ist.

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