Eine grosse Konfusion

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Eine grosse Konfusion calexa

Eine grosse Konfusion

 
#1
„Die USA leben ueber ihre Verhaeltnisse. Dort muss mehr ge-
spart und weniger konsumiert werden. Und hierzulande muss
abgespeckt, muessen die Kosten und die Loehne/Lohnnebenkosten
gesenkt werden.“ So oder so aehnlich heisst es immer wieder
in der oeffentlichen Diskussion. Doch ist das eigentlich
richtig? Sind diese Sprechblasen, die heute bereits als All-
gemeinbildung gelten koennen, weil sie von allen, von Politi-
kern, Unternehmern bis hin zum Mann auf der Strasse bei jeder
Gelegenheit in identischer Form wiederholt werden, eigentlich
wahr?

In der Wirtschaftsbetrachtung ergibt sich sehr oft eine
grosse Konfusion, wenn einzelwirtschaftliche Tatbestaende auf
die Gesamtwirtschaft angewendet werden – also wenn das, was
einer macht oder machen soll, ploetzlich gedanklich auf alle
ausgedehnt wird. Senkt ein Unternehmen seine Kosten, indem es
Arbeitnehmer entlaesst und/oder die Lohnkosten drueckt, dann
kann es sich damit sanieren. Tun das jedoch alle Unternehmen,
dann muessen sie damit scheitern, da der Kostensenkung auf
Unternehmensseite stets eine proportionale Einkommenssenkung
auf der Haushaltsseite entspricht. Die von den Unternehmen
produzierten Gueter koennen folglich nicht abgesetzt werden.

Eine derartige Strategie kann daher nur dann aufgehen, wenn
die Unternehmen erstens ihre Produkte zum grossen Teil im
Ausland verkaufen und zweitens im Ausland eine derartige
Politik nicht verfolgt wird. Die Welt als Ganzes kann sich
jedoch nicht ueber Kostensenkungen sanieren, sie kann das nur
ueber Wachstum. Dieser Fall ist sicherlich leicht einzusehen
und zu verstehen, was sich auch daran zeigt, dass er in man-

chen Teilen unserer Gesellschaft ebenfalls zum Allgemein-
wissen aufgestiegen ist. In diesem Bereich gibt es also
gleichsam bereits zwei Arten von Allgemeinwissen, die sich
beide allerdings extrem widersprechen.

Viel schwieriger ist hingegen der Fall USA. Nehmen wir einen
US-Privathaushalt. Dieser Haushalt hat im Monat ein Einkommen
von 3.000 Dollar, die er voll ausgibt. Sparen will er nicht,
weil er das nicht muss, denn schliesslich besitzt er ein Haus
im Wert von 300.000 Dollar, also dem hundertfachen Monatsein-
kommen, sowie darueber hinaus noch Aktien im Wert von drei
Jahreseinkommen. Grosse Teile seines Einkommens gibt der
Haushalt im Ausland aus, denn in diesem Haushalt wird aus-
schliesslich original chinesisches Essen gegessen.

Lebt dieser Haushalt ein gefaehrliches Leben? Lebt er ueber
seine Verhaeltnisse? Schliesslich hat er doch eine Sparquote
von null und ein extrem hohes Leistungsbilanzdefizit mit dem
Ausland.

Nein, dieser Haushalt ist gesichert und lebt keinesfalls
ueber seine Verhaeltnisse. Warum sollen dann jedoch hundert
oder tausend oder viele Millionen derartiger Haushalte, die
einzeln nicht ueber ihre Verhaeltnisse leben, zusammen hin-
gegen sehr wohl ueber ihre Verhaeltnisse leben? Ist es wirk-
lich richtig, dass sie das tun?

Eine Antwort darauf ist schwer zu geben. Hier muessen sehr
komplexe Prozesse analysiert, sowie Vermoegenspositionen,
Leistungsfaehigkeiten und internationale Konkurrenzsitua-
tionen bewertet werden. An einfachen Daten wie der Sparquote
oder dem Leistungsbilanzdefizit kann man das jedoch nicht
festmachen. So etwas zu machen, hat letztlich keinen anderen
Stellenwert als beispielsweise aufgrund des Geburtszeitpunk-
tes eines Menschen auf seinen Charakter zu schliessen. Doch
so etwas soll es ja geben. Das jedoch zeigt nur: Manche Wirt-
schaftsdoktrinen haben letztlich keinen anderen Status als
die reine Sternendeuterei.

Quelle: doersam-briefe.de

So long,
Calexa
www.investorweb.de


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