Braunschweiger Zeitung
Datum 19.02.2011
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"Die Inflationsgefahr wächst"
Derzeit steigen die Preise deutlich - Experten befürchten, dass die Teuerung außer Kontrolle geraten könnte
Von Marc Chmielewski BRAUNSCHWEIG. Im Januar ist die Teuerung mit 2,0 Prozent auf den höchsten Stand seit Oktober 2008 gestiegen. Müssen wir uns Sorgen machen, dass die Inflation bedrohliche Ausmaße annimmt? Unter Wirtschaftsexperten ist das Thema derzeit heiß umstritten.
Jens Kramer, Volkswirt bei der Nord-LB in Hannover, beruhigt: "Zwar war die Inflationsrate im Januar ein bisschen höher als es sich die Notenbank wünscht, aber wir rechnen schon für März wieder mit einer Eins vorm Komma." Die ideale Inflationsrate, so sieht es die Europäische Zentralbank, liegt knapp unter 2 Prozent.
"Liegt sie zu weit darunter, könnten bei den Marktteilnehmern Deflationserwartungen entstehen - das ist gefährlich", sagt Kramer. Denn Deflation bedeutet, dass die Preise fallen. "Investitionen werden dann aufgeschoben, weil die ja später auch günstiger zu haben sein könnten." Dieser Käuferstreik wiederum bremst die Wirtschaft noch weiter. "So kommt eine verhängnisvoller Kreislauf in Gang."
Liegt die Inflationsrate dauerhaft und deutlich über 2 Prozent, hat das ebenfalls Nachteile. Kramer: "Die Teuerung übersteigt dann die Lohnentwicklung. Das bedeutet, die Realeinkommen sinken."
Auch Professor Markus Spiwoks, Wirtschaftsexperte an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg, hält die jüngsten Zahlen nicht für beunruhigend. "Aber mittelfristig bereitet mir die Inflationsgefahr Sorgen."
Damit steht Spiwoks nicht allein. Weltweit befürchten Experten, dass eine zu hohe Inflation zum Problem werden könnte. Die chinesische Notenbank hat gestern bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr die Kapitalanforderungen für Banken erhöht, um die anhaltend hohe Inflation einzudämmen. Auch in Großbritannien ist im Januar die Inflationsrate auf 4 Prozent gestiegen - der höchste Wert seit mehr als zwei Jahren.
Der Silberpreis stieg gestern auf den höchsten Stand seit 1980, auch Gold ist extrem teuer. Analysten zufolge wird der Preis vor allem von Inflationsängsten getrieben. Anleger schätzen Edelmetalle als sicheren Hafen. Der Freiburger Wirtschaftsprofessor Lars Feld, der ab März zum Kreis der fünf Wirtschaftsweisen gehört, warnte jüngst, die Finanz- und Schuldenkrise sei noch längst nicht ausgestanden. "Immobilienblasen und Kapriolen auf den Rohstoffmärkten werden das System noch einige Zeit in Atem halten. Auch die Inflationsgefahr wächst."
"Spekulationsblasen können entstehen, wenn zu viel Geld in Umlauf ist", sagt Spiwoks - und genau dies sei im Moment der Fall. Die Notenbanken haben in der Krise dank niedriger Leitzinsen die Märkte mit billigem Geld überflutet. "Die hohe Liquidität fließt vor allem in die Aktien- und Anleihenmärkte - und sorgt dafür, dass die Kurse stark steigen, ohne dass die realen Werte damit Schritt halten."
Nord-LB-Volkswirt Kramer hält die große Geldmenge nicht für ein Problem: "Die Liquidität fließt in die Finanzmärkte und berührt die Güterpreise kaum." Auch Spiwoks sagt: "Wir sehen die Inflation derzeit hauptsächlich auf den Finanzmärkten." Aber: "Früher oder später schlägt das durch auf die Verbraucherpreise."
Einen Vorgeschmack bekommen wir heute schon beim Tanken oder wenn wir Obst kaufen. Rohöl- und Nahrungsmittel-Rohstoffe sind Spekulationsobjekte - und das wirkt sie mit Verzögerung auch auf die Verbraucherpreise aus.
Was hilft, wenn die Inflation überhand nimmt? "Dann müssen die Zentralbanken die Geldmenge reduzieren - selbst wenn es Widerstand aus der Politik gibt", fordert Spiwoks. Das funktioniert nur, wenn Notenbanken unabhängig sind von der Politik. "Gerade daran aber lässt die Europäische Zentralbank, die Staatsanleihen verschuldeter Euro-Länder aufkauft, in jüngster Zeit Zweifel zu."