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China - Eine Supermacht öffnet die Tore

Beiträge: 37
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China - Eine Supermacht öffnet die Tore calexa
calexa:

China - Eine Supermacht öffnet die Tore

4
29.12.01 00:27
#1
Mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO steht das Reich der Mitte Investoren aus aller Welt offen. Der Wettlauf um die Eroberung des gigantischen Wachstumsmarktes läuft auf vollen Touren.

In den vergangenen zehn Jahren hat China eine rasante Veränderung durchlaufen. Ein gutes Beispiel ist die Metropole Schanghai: Als dort zu Beginn der neunziger Jahre die ersten US-Sport-Shops und Fast-Food-Ketten eröffneten, kam das praktisch einer Sensation gleich. Heute können die über 14 Millionen Bewohner auch an Schaufenstern von Cartier und Gucci vorbeischlendern. Die amerikanische Café-Kette Starbucks erfreut sich besonders bei den neureichen Chinesen großer Beliebtheit.

In diesem Jahr investierten ausländische Unternehmen - vom Multi bis zum Mittelständler - rund 40 Milliarden Mark in China. Tendenz: steigend. Nicht zuletzt weil das Land nach 15 Jahren zähen Verhandlungen 2002 Mitglied der Welthandelsorganisation WTO wird. "Dieser Schritt ist so bedeutend wie der Beginn der Reformen unter Deng anno 1978", sagt Jörg Wuttke, Präsident der Deutschen Handelskammer in Peking.

100 Millionen Kunden

Mit dem WTO-Beitritt wird sich vieles ändern: So werden die Zölle reduziert und die Handelshemmnisse fallen. Für Investoren dürfte die Rechtssicherheit zunehmen. Zudem wird es künftig möglich sein, sich direkt an chinesischen Unternehmen zu beteiligen.

Im Inland produzierten die Chinesen im Jahr 2000 Güter und Dienstleistungen im Wert von über einer Billion Dollar. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt damit bei 3617 Dollar pro Kopf. Zum Vergleich: In dem an China zurückgefallenen Hongkong liegt das BIP pro Kopf bei über 22.000 Dollar.

Auch wenn China also häufig mit 1,3 Milliarden Konsumenten gleichgesetzt wird, sind es eigentlich nur zehn Prozent der Chinesen, die als zahlungskräftige oder zumindest -fähige Kunden bezeichnet werden können. Noch lebt der Großteil auf dem Lande und damit oft von der Hand in den Mund.

2015 die USA überholen

Neben dem WTO-Beitritt soll auch das 30-Milliarden-Dollar-Programm für die Olympischen Spiele 2008 dazu beitragen, die Kluft zwischen dem relativen Wohlstand der Stadtbevölkerung und dem Elend der auf dem Land lebenden Chinesen zu verringern. Aktuell wächst das BIP jedes Jahr mit sieben bis acht Prozent. Schon 2015 könnte China - gemessen an der Kaufkraftparität - die USA überholen.

Größter Hemmschuh für einen schnellen Anschluss an die Leistungskraft der Industrie-Nationen sind die maroden Staatsbetriebe. Experten halten gerade mal ein knappes Dutzend von ihnen für wettbewerbsfähig. Dass die zunehmende Privatisierung der einzige Schlüssel zum Erfolg ist, hat inzwischen auch die kommunistische Staatsführung erkannt. Mit einigen ideologischen Verrenkungen treibt sie den eingeschlagenen Kurs voran. Sollte China damit Erfolg haben, steht der Geburt einer wirtschaftlichen und politischen Supermacht nichts mehr im Weg.
(Quelle: manager-magazin.de

So long,
Calexa

China - Eine Supermacht öffnet die Tore estrich
estrich:

China wird überschätzt

 
29.12.01 00:36
#2
Start frei für die nächste Spekulationsblase.
China ist ein Entwicklungsland erster Stufe, nicht nur wirtschaftlich sondern auch gedanklich.
Denkt doch nur mal daran, wie schwer es die Ossis hatten und haben, sich in der materiellen Welt zurechtzufinden. Und die leben mitten in Europa.
:-)
:-)
:-)
Es wird Generationen dauern, bis die Chinesen ihre Kulturrevolution überwinden können, vorerst bleibt China nur ein Schlagwort und eine Phantasie. Die nächste Blase könnte sich dort bilden, bis sie fett wird und platzt. Ich halte es olympisch: Dabeisein ist alles. Geht es schon los?
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

was solls estrich, auf dem Land ist halt

 
29.12.01 00:43
#3
Mittelalter und in den Wirtschaftszentren hightech vom feinsten..
denke, lässt sich so nicht vergleichen..
Gruss
hjw
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

CHINA.com rockt nach Bush Aktion

3
29.12.01 02:25
#4
Nachdem US Präsident Bush China einen normalen Handelsstatus zugesichert hat, können an den US Börsen chinesische Aktien, als ADR gelistet, kurstechnisch profitieren.

Der Aktienkurs von China.com (CHINA) steht aktuell mit über 20 % im Plus bei 3,0850 US $. Anbei der langfristige Kursverlauf der Aktie. Das Alltimehigh, das im Zuge der Internet Bubble erreicht wurde, lag bei 78 US $. Seit April diesen Jahres läuft die Aktie in eine großen Trading Range seitwärts. Der daily EMA 50 scheint seinen Boden gefunden zu haben und zieht wieder an.



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Tageschart seit Oktober 2000. Key Level Support bei 2 US $. Widerstände liegen bei 3,65 und 4,87 US $. Die bisherige heutige Tageskerze ist markiert. Die Aktie hat heute mit einem massiven Gap Up eröffnet.



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Chinesische Aktien, die an US Börsen als ADR gehandelt werden. Ausländische Aktien werden in den US in der Regel als ADRs gelistet und damit über US Börsen handelbar. Deutsche Aktien wie die von Siemens oder SAP sind ebenfalls als ADRs gelistet.


BEIJING YANHUA PETROCHEMICAL CO., LTD. NYSE BYH
CHINA EASTERN AIRLINES CORP. LTD. NYSE CEA
CHINA SHIPPING DEV COMPANY LTD OTC CSDXY
CHINA SHIPPING DEV COMPANY LTD. 144A 144A CSDWY
CHINA SOUTHERN AIRLINES COMPANY LTD. NYSE ZNH
CHINA TELECOM (HONG KONG) LIMITED NYSE CHL
GUANGSHEN RAILWAY COMPANY LIMITED NYSE GSH
GUANGZHOU SHIPYARD INT'L.CO.LTD."H"SHS. OTC GSHIY
HARBIN POWER EQUIPMENT COMPANY LTD 144A 144A HPECYP
HUANENG POWER INTERNATIONAL, INC. NYSE HNP
JILIN CHEMICAL INDUSTRIAL COMPANY LTD. NYSE JCC
MAANSHAM IRON & STEEL LTD. 144A 144A MIS144A
QINGLING MOTOR COMPANY, LTD. GDR 144A QINGDR
SHANDONG HUANENG POWER "N" SHARES NYSE SH
SHANGHAI CHLOR-ALKALI CHEMICAL CO., LTD. OTC SLLBY
SHANGHAI ERFANGJI CO. LTD. "B" OTC SHFGY
SHANGHAI JINQIAO PROCESSING DEV CO. LTD. OTC SJQIY
SHANGHAI LUJIAZUI FINANCE TRADE ZONE DEV OTC SLUJY
SHANGHAI OUTER GAOQIAO FTZ DEV. CO. LTD. OTC SGOTY
SHANGHAI PETROCHEMICAL COMPANY LIMITED NYSE SHI
SHANGHAI TYRE AND RUBBER CO. LTD. OTC SIRHY
SHENZHEN S.E.Z. REAL ESTATE AND PROP. OTC SZPRY
TSINGTAO BREWERY COMPANY LIMITED OTC TSGTY
YANZHOU COAL MINING COMPANY LIMITED NYSE YZC
YIZHENG CHEMICAL FIBRE COMPANY 144A 144A YCF144A
ZHEJIANG SE ELECTRIC POWER CO LTD. 144A 144A ZHJGYP






Hong Konger Aktien, die an US Börsen als ADR gehandelt werden.


AMOY PROPERTIES LIMITED OTC AMOPY
APPLIED INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC APIHY
APT SATELLITE HOLDINGS LIMITED NYSE ATS
ASIA SATELITE TELECOM HOLDINGS NYSE SAT
BANK OF EAST ASIA, LIMITED OTC BKEAY
BURWILL HOLDINGS LIMITED OTC BRWLY
C.P. POKPHAND CO. LTD. OTC CPPKY
CATHAY PACIFIC AIRWAYS LIMITED OTC CPCAY
CDL HOTELS INTERNATIONAL LIMITED OTC CDLHY
CHAMPION TECHNOLOGY HOLDING LIMITED OTC CMPLY
CHEN HSONG HOLDINGS LIMITED OTC CHHGY
CHEUNG KONG (HOLDINGS) LIMITED OTC CHEUY
CHEVALIER (OA) INT'L LTD. OTC COAZY
CHEVALIER DEVELOPMENT INT'L LTD. OTC CVDVY
CHEVALIER INTERNATIONAL HOLDINGS LTD. OTC CHVLY
CHINA AEROSPACE INTERNATIONAL HLDS. LTD. OTC CAIHY
CHINA OVERSEAS LAND & INVESTMENT LTD. OTC CAOVY
CHINA PHARMACEUTICAL ENTERPRISE INVEST. OTC CHPTY
CHINA RESOURCES ENTERPRISE, LIMITED OTC CREHY
CHINA STRATEGIC INVESTMENT LIMITED OTC CNASY
CHINESE ESTATES HOLDINGS LIMITED OTC CHSJY
CLP HOLDINGS LIMITED OTC CLPHY
COMPANION BUILDING MATERIAL (HOLDINGS) OTC CBMHY
CONCORDIA PAPER (HOLDINGS) LIMITED NAS CPLNY
CONSOLIDATED ELECTRIC POWER ASIA LTD. OTC CWERY
DAIRY FARM INTERNATIONAL HOLDINGS LTD. OTC DFIHY
DAIWA ASSOCIATE HOLDINGS LTD. OTC DAWXY
EGANA INTERNATIONAL (HOLDINGS) LIMITED NAS EGNIY
EMPEROR INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC EPRRY
EMPEROR(CHINA CONCEPT)INVESTMENTS LTD. OTC EPCHY
FAIRYOUNG HOLDINGS LIMITED OTC FRYHY
FIRST PACIFIC COMPANY LIMITED OTC FPAFY
FRANKIE DOMINION INTERNATIONAL LIMITED OTC FDKMY
GIORDANO HOLDINGS LIMITED OTC GRDHY
GLORIOUS SUN ENTERPRISES LIMITED OTC GSUNY
GOLD PEAK INDUSTRIES (HOLDINGS) LIMITED OTC GPINY
GOLDEN RESOURCES DEVELOPMENT INT'L. LTD. OTC GDRPY
GRAND HOTEL HOLDINGS LIMITED OTC GHOAY
GREAT EAGLE HOLDINGS LTD. OTC GEAHY
GREAT WALL ELECTRONIC INT'L LTD OTC GWALY
GUANGDONG INVESTMENT LIMITED OTC GILOTC
GUANGNAN HOLDINGS LIMITED OTC GUGNY
GUANGZHOU INVESTMENT COMPANY LIMITED OTC GUAZY
GZITIC HUALING HOLDINGS LIMITED OTC GZHUY
HANG LUNG DEVELOPMENT COMPANY, LIMITED OTC HANLY
HANG SENG BANK LIMITED OTC HSNGY
HANNY MAGNETICS (HOLDINGS) LTD. OTC HMHOTC
HB INTERNATIONAL OTC HBIHY
HENDERSON INVESTMENTS LIMITED OTC HIVLY
HENDERSON LAND DEVELOPMENT CO., LTD OTC HLDCY
HENG FUNG HOLDINGS CO. OTC HNFGY
HONG KONG & CHINA GAS CO. LTD. OTC HOKCY
HONG KONG AIRCRAFT ENGINEERING CO. LTD. OTC HKAEY
HONG KONG DAILY NEWS HOLDINGS LIMITED OTC HKDNY
HONG KONG TELECOMMUNICATIONS NYSE HKT
HONGKONG ELECTRIC HOLDINGS, LIMITED OTC HGKGY
HONGKONG LAND HOLDINGS LTD OTC HKHGY
HOPEWELL HOLDINGS LIMITED OTC HOWWY
HUTCHISON WHAMPOA LIMITED OTC HUWHY
HYSAN DEVELOPMENT CO., LTD. OTC HYSNY
IDT INTERNATIONAL LIMITED OTC IDTTY
JARDINE MATHESON HOLDINGS LIMITED OTC JARLY
JARDINE STRATEGIC HOLDINGS LIMITED OTC JDSHY
JINHUI HOLDINGS COMPANY LIMITED OTC JHUHY
JINHUI SHIPPING AND TRANSPORTATION LTD OTC JNSTY
JOHNSON ELECTRIC HOLDINGS LIMITED OTC JELCY
K. WAH CONSTRUCTION MATERIALS LIMITED OTC IPPEY
K. WAH INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC KWHAY
KINGBOARD CHEMICAL HOLDINGS LIMITED OTC KBDCY
KUMAGAI GUMI (HONG KONG) LIMITED OTC KMGMY
LAI SUN DEVELOPMENT COMPANY LIMITED OTC LDVSY
LEGEND HOLDINGS LTD. OTC LGHLY
MAGICIAN INDUSTRIES (HOLDINGS) LIMITED OTC MGCIY
MANDARIN ORIENTAL INTERNATIONAL LTD. OTC MAORY
NEW WORLD DEVELOPMENT COMPANY LIMITED OTC NDVLY
NGAI HING HONG COMPANY LIMITED OTC NGAKY
ONFEM HOLDINGS LIMITED OTC ONHLY
PACIFIC CONCORD HOLDING LIMITED OTC PFCHY
PAUL Y. - ITC CONSTRUCTION HOLDINGS LTD. OTC PYCHY
PEARL ORIENTAL HOLDINGS LIMITED OTC PLOHY
PEREGRINE INVESTMENTS HOLDINGS LIMITED OTC PGIQY
RECOR HOLDINGS LIMITED OTC RCRHY
SEMI-TECH (GLOBAL) CO. LTD. OTC SITGY
SHUN TAK HOLDINGS LIMITED OTC SHTGY
SINO LAND COMPANY LIMITED OTC SNLAY
SIU-FUNG CERAMICS HOLDINGS LIMITED OTC SFCHY
SOUTH CHINA MORNING POST (HOLDINGS) LTD. OTC SCHPY
STAR TELECOM INTERNATIONAL HOLDING LTD. OTC STPGY
STARLIGHT INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC SLIEY
SUN HUNG KAI & CO., LIMITED OTC SHGKY
SUN HUNG KAI PROPERTIES LTD. OTC SUHJY
SWIRE PACIFIC LIMITED "A" OTC SWRAY
SWIRE PACIFIC LIMITED "B" OTC SPCBY
TAI CHEUNG HOLDINGS LIMITED OTC TAICY
TECHTRONIC INDUSTRIES COMPANY LIMITED OTC TTNDY
TELEVISION BROADCASTS LIMITED OTC TVBCY
THEME INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC THIHY
TINGYI (CAYMAN ISLANDS) HOLDINGS CORP. 144A TINGYP
TOMORROW INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC TIHDY
TRULY INTERNATIONAL HOLDINGS LIMITED OTC TRUCY
TUNG FONG HUNG (HOLDINGS) LIMITED OTC TGFGY
UDL HOLDINGS LIMITED OTC UDLHY
VARITRONIX INTERNATIONAL LIMITED OTC VARXY
VTECH HOLDINGS LIMITED OTC VTKHY
WAH KWONG SHIPPING HOLDINGS LIMITED OTC WKSHY
WELBACK HOLDINGS LIMITED OTC WELKY
WING HANG BANK, LTD. OTC WGHGY
WINSOR INDUSTRIAL CORPORATION LTD OTC WIINY
WO KEE HONG (HOLDINGS) LIMITED OTC WKHHY
ZINDART LIMITED NAS ZNDT


Mighty Clock - New Member

Als pennystock HRCT (WKN 900009) heute 40%  beobachten...!!
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Levke
Levke:

Einspruch estrich + hjw

 
29.12.01 10:27
#5
dieser kommt aber erst heute abend........
China - Eine Supermacht öffnet die Tore calexa
calexa:

Mein Einspruch kommt sofort...*g*

 
29.12.01 11:38
#6
Ich habe einen Freund, der in Würzburg Sineologie studiert (hoffentlich habe ich das richtig geschrieben - jedenfalls studiert er die Sprache und Kultur Chinas).

Er berichtete mir Erstaunliches:
Die Öffnung Chinas ist weiter fortgeschritten, als es in den Medien diskutiert wird. Das liegt daran, daß die meisten Reporter im Grunde keine Ahnung haben vom wirklichen Leben in China (ihr wißt schon: ein paar Bücher gelesen, 2-3 Kurztrips, das war´s dann).
In Wahrheit geht das Problem einer schnellen Öffnnung tiefer als manchen sich vorstellen können:
Die chinesische Regierung muß den Spagat machen zwischen einer schnellen Öffnung und dem eigenen Machterhalt. Denn das sich das Land wirtschaftlich öfnen muß, ist den Machthabern auch klar. Aber eine schnelle Öffnung bringt die weit fortschrottlicheren westlichen Konzerne in das Land, und das führt zur Schließung chinesischer mittelständischer Betriebe, was wiederum zu Arbeitslosen führt. Und die Machthaber in China sind sich des sozialen Sprengstoffs einer großen Masse von Arbeitslosen sehr bewußt.

Abgesehn davon muß man dem LAnd auch mal ein paar Jahre Zeit geben, sich zu entwickeln. Viele große Firmen sind schon dort und investieren fleißig, besonders hervorzuheben sind: Motorola, VW und Siemens. Die tun das bestimmt nicht ohne Grund.
Jedoch braucht ein Engagement in China Zeit.
Das ist es jedoch, was es in unserer westlichen Welt immer weniger zugestanden wird....

So long,
Calexa
China - Eine Supermacht öffnet die Tore calexa
calexa:

Anders äußerste sich allerdings die FAZ

 
29.12.01 17:08
#7
vor ein paar Tagen.

Dort war der Autor der Meinung, daß es besonders für Mittelständische Unternehmen schwer ist, in China Fuß zu fassen, weil dort die Bürokratie sehr schwerfällig und korrupt ist. Sogar den Großkonzernen gelingt es häufig nur über ihre Beziehungen zu den Parteigrößen, irgendetwas schnell ins Rollen zu bringen.

Mittelständischen Unternehmen fehlen  hingegen diese Connections nahezu völlig.

So long,
Calexa
China - Eine Supermacht öffnet die Tore estrich
estrich:

Ihr habt wohl schon...

 
31.12.01 07:05
#8
das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens vergessen, das ist gerade mal 11 Jahre her. Seitdem hat sich in China nicht viel geändert, außer, daß es da jetzt MacDonalds gibt. Hm.

Beobachter schätzten 3000 Tote auf dem Platz, die meisten Studentenführer wurden aufgrund von Denunziation zum Tode verurteilt. Hier zeigt sich das wahre Gesicht der chinesischen Führung, das kann jederzeit wieder passieren, aber es traut sich ja kein Chinese etwas zu sagen. Zu recht!
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Reila
Reila:

@estrich

 
31.12.01 11:02
#9
Teile Deine Einschaetzung zur Politik. Das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens beendete Ansaetze einer liberaleren Politik der KP. Ich sehe den weinenden Ministerpraesidenten noch vor mir, der dann geschasst wurde. Ausserdem hat China eine korrupte Buerokratie, die einer Entwicklung auch nicht gerade foerderlich ist. Und dann gibt es ja noch die Beispiele der Tigerstaaten, die zu einem grossen Sprung ansetzte und dann vorerst als Bettvorleger landeten. Wahrscheinlich wird alles doch laenger dauern als erwartet. Und unvorhergesehene Ereignisse koennen auch noch eintreten.
Trotzdem ist es erstaunlich, wie sich das Bild der chinesischen Staedte wandelt. Selbst etliche Provinzstaedte wirken heute auf den ersten Blick moderner als z.B. Berlin. Sicher werden wir noch einige Ueberraschungen - positive wie negative - erleben. Wenn man sich ueberlegt, dass den Gross- bzw. Urgrossmuetttern der heutigen Chinesen noch die Fuesse abgeschnert wurden und praktisch alle noch in feudalen Verhaeltnissen ohne Industrie lebten, ist die Entwicklung trotz Krieg und Buergerkrieg und Mao und Kulturrevolution doch ungeheuer.

R.

PS: Erklaer' mir Zoni doch bitte die materielle Welt. Ich staune taeglich wieder neu und bin fuer jeden Ratschlag dankbar. Fuer gute Ratschlaege zahle ich auch.
China - Eine Supermacht öffnet die Tore estrich
estrich:

Das war nur wieder einer meiner üblichen

 
31.12.01 14:38
#10
Provokationen!
:-)
Ich zitiere frei aus Asterix:
(Methusalix): Ich habe nichts gegen Ossis (Fremde), einige meiner besten Freunde sind Ossis (Fremde), aber diese Ossis (Leute) da, die sind nicht aus dem Westen (von hier).
:-)
China - Eine Supermacht öffnet die Tore MM-TT
MM-TT:

China-Eine Supermacht öffnet die Tore

 
31.12.01 15:24
#11
Mein Tip an alle, die sich für China-Werte bei überschaubarem Risiko interessieren:
Zertifikat der Deutschen Bank: CHINA-OPPORTUNITIES   WKN: 780192
Das Zertifikat umfasst insg. 30 Werte,welche alle 3 Monate nach festgelegten Kriterien überprüft bzw. ausgewechselt werden.
Nähere INFOS unter www.xavex.de
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Reila
Reila:

Hi estrich,

 
01.01.02 17:44
#12
was mache ich jetzt mit dem Preis, den ich fuer die Ratschlaege ausgesetzt habe? Hier, wo ich gerade bin, wie ueberall auf der Welt, wo es teure Hotels gibt, gibt es auch viele Russen. Vielleicht sollte ich die ja mal fragen. Alles Businessmeni. Und man fuehlt sich vergleichsweise arm, wenn man so sieht, was die in den Juweliergeschaeften so abtragen. Offenbar haben die schneller gelernt als die Ossis. Vermutlich hiess es deshalb bei uns frueher: Von der Sowjetunion lernen, heisst Siegen lernen.

Z nowim godom.

R.
China - Eine Supermacht öffnet die Tore estrich
estrich:

Die Deutschen sind Versager

 
01.01.02 18:06
#13
Übrigens können die Ossis auch von den Tschechen lernen. Die sind Meister im Abzocken. Versuch mal in Prag, Taxi zu fahren oder im Restaurant etwas zu bestellen, da gibt es eine Sonderbehandlung für Fremde.
:-)
Die Ruskies die du getroffen hast waren wahrscheinlich allesamt von der Mafia!
:-)
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Bronco
Bronco:

Auch ich bin der Meinung, daß China einen

 
01.01.02 18:08
#14
gewaltigen Aufschwung vor sich hat (mittel- bis langfristig). Demokratische Veränderungen sind dafür leider keine Voraussetzung (das haben gerade auch Staaten wie Südkorea bewiesen, deren wirtschaftlicher Aufschwung weit vor der Demokratisierung kam). - Was ich nicht glaube, ist, daß irgendwelche Zocker hier davon großartig proftieren werden, ebensowenig wie gierige Kraken (internationale Großkonzerne), die sich heute gegenseitig darin übertreffen, immer noch mehr Milliarden zu investieren (einzige Ausnahme McDonalds - die machen ihren Schnitt schon heute). China wird sich für die westlichen Industrienationen als Kapital- und KnowHow-Falle entpuppen - darin liegen für China nämlich die Vorteile der zentralen Lenkung und ihrer hier bisher noch verächtlich als mittelalterlich bezeichneten Mentalität. Man beachte bitte, daß die chinesische Kultur und der chinesische Staat auf hohem (territorialem) Niveau weit älter ist, als alles was wir hier vorzuweisen haben. Ich meine aber auch, daß niemand deshalb Angst vor der Entwicklung dort haben muß. Man beachte, daß China, obwohl ebenfalls Atommacht und obwohl bevölkerungsstärkstes Land der Erde, sich zu keinem Zeitpunkt auf internationalem Parkett auch nur annähernd so militant und arrogant aufgeführt hat wie die USA. China wir einen seinem Anteil an der Gesamtweltbevölkerung angemessenen Anteil der Weltwirtschaftsleistung beanspruchen und erringen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist meine unmaßgebliche Meinung dazu.
China - Eine Supermacht öffnet die Tore DarkKnight
DarkKnight:

@estrich: kann deine Erfahrungen voll teilen

 
01.01.02 18:12
#15
was den Osten angeht: sobald man nicht mehr unter einheimischer Aufsicht steht, gehts los.

Mein schönstes Erlebnis: 4 Abende jeweils mit dem Taxi in Bukarest immer diesselbe Strecke gefahren. Preis: von 30 000 bis 120 000 Lei. Geil, ist aber okay.
China - Eine Supermacht öffnet die Tore estrich
estrich:

Es geht doch gar nicht um Demokratie oder nicht

 
01.01.02 18:15
#16
Es geht darum wieviel Nivea Creme notwendig ist, um die verkrusteten Strukturen der chinesichen Gehirne beweglich zu machen.

Niemand ist an Demokratie für China interessiert. Überlege doch mal, möchtest Du 1. Milliarde Stimmen nachzählen? Ich nicht!
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Bronco
Bronco:

@estrich:

 
01.01.02 18:36
#17
Ich möchte Dein Statement noch etwas präzisieren: Kein westlicher Machthaber oder Vorstandsmitglied eines internationalen Großkonzerns ist an Demokratie in China interessiert - weil nämlich keiner weiß, wohin das dann führt. Am beliebtesten sind im Westen als Handelspartner brutale aber berechenbare Diktaturen, deren Machthaber fest im Sattel sitzen. Deshalb hatte auch Chile unter Pinochet von IWF, Weltbank und allen international renomierten Wirtschafts"Wissenschaftlern" (ich weiß, warum ich das Wort so schreibe) immer die allerbesten Noten bekommen. Aus dieser Sicht ist China derzeit geradezu ein Musterknabe: Alles fest im Griff, Übergang zum reinen und feinen Kapitalismus im eigenen Lande, strikte Zurückhaltung in der internationalen Politik. Sogar die letzten beiden eklatanten Völkerrechtbrüche durch Angriffskriege seitens der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten hat China ohne Mullen und Knullen geschluckt. Dafür werden sie jetzt mit der WTO-Mitgliedschaft "belohnt". - Nur aufgepaßt, der Westen könnte die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben.
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

yes , Bronco o.T.

 
01.01.02 19:11
#18
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Levke
Levke:

Ich hab' Euch nicht vergessen

 
01.01.02 19:42
#19
aber jetzt haben wir auch noch Besuch......

Morgen im Büro habe ich wieder die gewohnte Ruhe..........
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Levke
Levke:

China - die neue Wirtschaftsmacht ?!?!

2
02.01.02 12:10
#20
Jeder, der mit China Geschäfte macht, weis wie schwierig dieses
Unterfangen ist, da die Chinesen immer am längeren Hebel sitzen.
VW kann mit dem erfolgreichen Joint-Venture in Shanghai sicherlich
ein Lied davon singen.
China ist für Investoren auf den ersten Blick natürlich aufgrund
der Masse Mensch interessant - 1 Milliarde Konsumenten - dieses klingt schon
reizvoll.
Aber estrich hat natürlich Recht, wenn er sagt, daß China nach wie vor
wirtschaftlich ein Entwicklungsland ist.
Woher soll das grosse Konsumieren kommen, wenn ein Fabrikarbeiter für eine
50 Stunden Woche um die EUR 50,00 bis 70,00 bekommt ?
Natürlich hat sich in den letzten Jahren einiges getan; sah ich vor 15 Jahren
in Shenzhen nur hässliche Plattenbauten und Santanas rumfahren, wimmelt es
nun von Nobelhotels und nirgends sind man soviele S-Klassen wie in Shenzhen.
Aber der Anblick täuscht - es sind nur wenige, die im Luxus schwelgen....
Hauptsächlich korrupte Staatsbeamte und Fabrikinhaber können sich alles leisten,
danach kommt erstmal garnichts und die weitere Hierachie beginnt erst mit
den Fabrikvorstehern, die auch grade mal auf ein Gehalt von ca. EUR 300,00
kommen.
Die Korruption ist ein grosses Problem in China; dieses geht durch alle
Strukturen und kann nur schwach bekämpft werden. An den Ausgangsschalter
des Industriegebietes von Shenzhen gibt es die normale Durchfahrt mit Warte-
zeiten von mehreren Stunden und eine "spezielle" Durchfahrt, die sofort möglich ist, wenn US$ 100,00 in den Papieren liegen......
Ausländische Investoren können nur mit chinesischer Hilfe bestehen;
alleine hat man keine Chance.
Hjw Meinung - Mittelalter + in den Wirtschaftszentren Hightech vom Feinsten

halte ich für übertrieben; sicher gibt es einige Joint-Ventures im Technobereich
sei es u.a. von Legend oder Philips, aber von High-Tech kann man hier nicht
reden.
Die Masse der Fertigungen sind einfache Konsumartikel, 70% aller Spielzeuge
kommen aus China, und alles weitere einfache wird konfektioniert, sei es von
Adidas, Samsonite und wurde von uns (hehehhee)
Schon bei etwas komplizierterem muß auf die Hilfe von Taiwan zurückgegriffen
werden, nachwie vor wird die Herstellung von Rohmaterial in den fortgeschrittenen Ländern wie Taiwan oder Südkorea vorgenommen.
Taiwan spielt in China nach wie vor eine grosse Rolle, sind doch über 10 % aller
Fabrikation in der Hand von Taiwanesen, die ihre Farbiken in Taiwan ab- und in
Mainland China wieder aufgebaut haben.
Oder warum glaubt Ihr, haben die USA ein so gestiegertes Interesse an Taiwan ?
Menschenrechte ? mitnichten -  Es sind die riesigen High-Tech-Schmieden von
Apple, HP, Lucent und vielen anderen......
Aufgrund der Tatsache, daß die Chinesen im Krieg gegen Afganistan still gehalten
haben, wird es meiner Meinung nach jetzt keine 3 Jahre dauern und Taiwan wird
China "einverleibt"......
Noch wird Taiwan benötigt, aber nach und nach wird die Produktion einfacher
Tech-Artikel wie Modems, Monitore usw. nach China verschoben.
China hat weiter das Problem der Profilierung ---- kann man es doch nicht
ertragen, daß bisher das ganze Know-how zur geschäftlichen, westlichen
Welt in HongKong lag und ohne HongKong-chinesen im Hinblick auf die Abwicklung
nichts geht.
Nun hat man Shanghai aufgebaut - als Gegenpol - alles vom Feinsten;
beste Ausbildung, um China den direkten Weg zur Handelsmacht zu ebnen;
mit versteckten Hilfen versucht man, die Investoren von HongKong/Shenzhen
nach Shanghai zu bekommen; allerdings bisher ohne den durchschlagenden Erfolg.

China wird ganz klar die Zukunft sein; die Mentalität der Chinesen eignet
sich hervorragend, hat man doch ganz schnell das Dollarzeichen im Auge;
ein Hochkatapultieren, wie in den Schwellenländern Malaysia, Thailand, südkorea
oder vor längerer Zeit Taiwan, wird aber aufgrund der Masse Mensch noch
Jahrzehnte dauern......

Eine Demokratie wird in China nicht möglich sein, ohne daß das Land in
tausend Teile fällt; hier besteht auch kein grosses Interesse der westlichen
Welt, damit die Industrie nicht gefährdet wird.

Der freigegebene Aktienhandel ist für die reichen Chinesen z. Zeit
ein nettes Spielfeld; liebt man doch das Feilschen und Spielen.
Hier ist größte Vorsicht angesagt - die Blase wird zu schnell aufgepustet...

China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

Lieber Herr Levke...wo es letztlich her kommt

 
02.01.02 13:00
#21
ist mir egal...nur unterschätzen scheint hier problematischer
als überschätzen...
Gruss nach Hamburg
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Levke
Levke:

Die gelbe Gefahr unterschätzen ?

 
02.01.02 14:04
#22
Nein, sicher nicht - hier wächst in jedem Fall der Gigant
der Zukunft; nur dieses wird noch jahrzehnte dauern.
Das Know-How muss noch importiert werden, die eigene Willens-
und Leistungskraft ist schon da, nur die Intelligenz fehlt noch..

Laß' uns mal mit Stox in Berlin darüber sprechen,
der hat bestimmt auch noch die eine oder andere
Erfahrung einzubringen.........
Gruß aus Hamburg
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Reila
Reila:

Levke, wuerde Dir gern einen Gruenen geben. o.T.

 
02.01.02 17:31
#23
China - Eine Supermacht öffnet die Tore Depothalbierer
Depothalbierer:

Warum die Postings Nr. 14 und 17 von Bronco noch

 
02.01.02 18:06
#24
keinen grünen Stern haben, ist mir schleierhaft. Dabei sind sie eine gute Beschreibung der (wirtschaftlichen)Realität.
Ergänzen möchte ich noch Folgendes:
Wenn es in China Gesetze wie in westliche Demokratien gäbe, würde das Land in Anarchie und Chaos versinken.
Die Angst der Führung vor diesem Zustand war auch die Ursache für die gewaltsame Niederschlagung des "Studenten"-Aufstandes, wobei man davon ausgehen kann, daß dort nicht nur Studenten demonstriert haben.

Auch Levkes Posting hat zu Recht einen Grünen, nur in einer Sache stimme ich nicht überein: Korruption wird nur schwach bekämpft?

Aufdeckung von Korruption --> Todesstrafe!!
China - Eine Supermacht öffnet die Tore calexa
calexa:

Auch wenn es blöd klingt

 
05.01.02 11:07
#25
eine Demokratie zum jetzigen Zeitpunkt würde China in ein Chaos stürzen ob der Größe des Landes und der Aufstände in den Randbereichen, weit abseits von Peking. Es ist ja schon jetzt so, daß die Korruption zunimmt, je weiter man sich von Peking wegbewegt (was aber immer so ist bei einer Zentralregierung).

Nur: es stellt sich immer die Frage, in welchen Zeiträumen man denkt. Wer viel zeit hat, der sollte sich mal China ansehen als Land, in das man mal ein paar Euro investieren kann. Wie levke schon ausführte...

So long,
Calexa
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

Das Prinzip Weiblichkeit

 
24.12.02 09:12
#26
Shanghai

Das Prinzip Weiblichkeit

Die Frauen von Shanghai haben ihre Stadt zu einer blühenden Metropole Chinas gemacht. Jetzt gefährden die Prestigevorhaben alter Männerseilschaften das größte wirtschaftliche Reformprojekt in der Volksrepublik

Von Georg Blume

Der Winter in Shanghai ist sehr kalt. Zitternd, eine rote Filzjacke schützend über die Knie gezogen, hockt ein kleines Mädchen am Straßenrand, vor dem Blumenstand ihres Vaters. Es schaut den Menschen nach, die zur nahen Bushaltestelle laufen, um sich in die Nummer 606 in Richtung Hafen zu quetschen. Es ist acht Uhr morgens im alten Arbeiterviertel des Stadtbezirks Pudong, und wie fast jeden Morgen eilt eine junge, elegante Frau auf den Blumenstand zu. Freundlich begrüßt Acho Tang die Tochter des Blumenhändlers und deren Vater. Seit 15 Jahren schon wohnt die junge Chefmanagerin der Firma Cosmobic hier im Viertel und kennt beide gut. Als sie kurz darauf in ein Taxi steigt und davonfährt, schaut ihr das kleine Mädchen noch lange nach. Gut möglich, dass sie in Acho Tang ihre eigene Zukunft erkennt.

Es ist ja auch nicht schwer. Obwohl noch keine 30 Jahre alt, ist Tang Chief Business Planning Officer eines milliardenschweren Mobilfunk-Joint-Venture der japanischen Elektronikriesen NEC und Panasonic. Ihr Weg aus der engen Arbeiterwohnung, wo sie seit der Kindheit mit den Eltern lebt, in die neue Welt der Hochtechnologie ist nicht weit. Nach nur zehnminütiger Fahrt lässt Tang das Taxi vor dem höchsten Haus Chinas, dem 88 Stockwerke hohen, einer traditionellen Tempelpagode nachempfundenen Jin Mao Building in Pudong, halten. Der oberere Teil des Gebäudes hat sich an diesem Morgen in Nebel gehüllt. „Ich arbeite über den Wolken!“, ruft Tang und lacht dabei fröhlich und unbekümmert. Ihr älterer Bruder, der es in Peking zum Filmregisseur gebracht hat, sagt über sie: „Mit ihrem Lächeln hat sie mich eine Kindheit lang ausgestochen und anschließend die Welt erobert.“

So aber war das immer mit Shanghai und seinen, in ganz China für ihre Schönheit und Durchsetzungskraft bewunderten Frauen. Ihrem Lächeln verdankte die Stadt in der Kolonialzeit den Ruf, das „Paris des Ostens“ zu sein. Doch es war ein zweifelhafter Ruf. Shanghai war zugleich „Hure des Orients“, ausgebeutet von fremden Mächten. Nach der Befreiung im Jahr 1949 setzten die Pekinger Kommunisten die Fremdherrschaft fort. Erst in den vergangenen zehn Jahren, unter den Gesetzen eines sich ausbreitenden Kapitalismus, ist die Stadt neu aufgeblüht. Ihre wiedergewonnene Anziehungskraft aber verdankt sie dem Erfolgskonzept ihrer Frauen: schön zu sein und hart zu arbeiten. Keine andere Stadt in China ist heute so anmutig wie Shanghai mit seinen alten Kolonialvillen und neuen Finanzhochbauten. Und keine andere Stadt arbeitet so hart.

Europa ist Sozialismus

Acho Tang hat es vorgemacht. Während ihr Bruder vor dem Schulstress kapitulierte und in die Ballettschule auswich, nahm sie eine Prüfungshürde nach der anderen, studierte Volkswirtschaft an der besten Shanghaier Universität, ging zum MBA-Studium nach Paris, wechselte nach dem Abschluss in einen großen französischen Konzern, nutzte die Chance zum Neuaufbau von Cosmobic für den Karrieresprung – und verlor dabei ihr Lächeln nicht. Doch wehe dem, der Tang zu Hause bei den Eltern besuchen will! Da würden die Nachbarn denken, sie brächte den zukünftigen Ehemann mit. Tang aber will Freiheit und Erfolg durch nichts gefährden. Sie denkt wie ihre Stadt: nur an das nächste Geschäft. Mit Cosmobic will sie der erste Anbieter von Multimedia-Handys in China sein. Diese Woche ist sie in London, um den Konkurrenten Hutchison Whampoa bei der Einführung seiner neuen UMTS-Geräte in England zu beobachten. An Europa verschwendet sie dabei keine Gedanken. „Meine Shanghaier Freundin, die jetzt in Stuttgart lebt, sagt, das Studium dort sei wie Faulenzen. Mir kam während des Studiums Paris viel sozialistischer als Shanghai vor. Unser Wachstum ist eben viel schneller. Deshalb ist hier der beste Ort für meine Karriere“, sagt Tang in fließendem Französisch, das gelernt zu haben sie dennoch nicht bereut: „Ich werde jetzt vier Jahre durcharbeiten und dann ein Jahr in Frankreich Ferien machen.“

Europa gleich Sozialismus und Ferien, Shanghai gleich Wachstum und Karriere – aus Sicht der Arbeitertochter Acho Tang, die sich aus eigener Kraft emporgearbeitet hat, macht das Sinn. Doch in Wirklichkeit hat Shanghai seine kommunistische Vergangenheit noch längst nicht abgeschüttelt. An nebelfreien Tagen in Sichtweite von Tangs Büro, in etwa gleicher Lufthöhe auf der anderen Seite des Huangpu-Flusses, regieren noch immer die Männer, die ihre Stadt und ihre Frauen stets betrogen haben. Typen wie Yu Zhifei, die es nicht stört, wenn ihr grauer Büropullover den Bierbauch betont, die beim Gespräch auf der Ledercouch die Beine nicht zusammenbekommen – als wollten sie vor dem nächsten Termin ihre Sekretärin flachlegen. Yu – Anfang 40, MBA-Titel, aber ohne ausländischen Studienabschluss – hat sein Büro im 29. Stock des vornehmsten, weil vom englischen Stararchitekten Norman Foster konzipierten Wolkenkratzers der Stadt. Hier schlägt das Herz der Shanghaier Stadtplanung. Unter dem Dach der stadteigenen Shanghai Juishi Corporation, nach der auch das Gebäude benannt ist, logieren die Gesellschaften für den Bau des Transrapids, der Shanghaier U-Bahn, des zukünftigen Weltausstellungsgeländes und der neuen Formel-1-Strecke der Stadt. Yu leitet das Rennbahnprojekt – mit Erfolg. Die Entscheidung von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone, schon im Herbst 2004 das erste Rennen in Shanghai stattfinden zu lassen, hat ihn zum offiziellen Stadthelden gemacht. Täglich berichtet die Shanghaier Parteipresse von ihm, sogar die International Herald Tribune erkannte Yus „Charisma“. Nun glaubt er, sich alles erlauben zu können. Vor den Glaswänden Norman Fosters wischt Yu mit einer Handbewegung über das benachbarte 30-stöckige Hochhaus der Bank of Shanghai und einen neuen Apartment-Komplex mit mehreren Hochbauten hinweg. „All das wurde illegal errichtet und muss verschwinden, denn hier wird das Gelände für die Weltausstellung 2010 entstehen“, bestimmt der Formel-1-Guru.

So ähnlich muss die Entscheidung für den deutschen Transrapid in Shanghai auch einmal gefallen sein. Was dabei legal oder illegal war, welche Häuser für den Bau der Strecke niedergerissen wurden und welche nicht, entschieden nicht Gerichte, sondern Männer wie Yu. Weshalb sich heute ganz Deutschland für die Gesetzlosigkeit Shanghais zu begeistern scheint: In weniger als zwei Jahren wurde fertig gestellt, wozu man in Deutschland in den drei Jahrzehnten seit Erfindung der Magnetbahntechnik nicht fähig war – die erste voll betriebsfähige Transrapidstrecke der Welt. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird sie am Silvesterabend einweihen. Doch Schröder ehrt nicht das neue, sondern das alte Shanghai. „Möglich ist der Transrapid in Shanghai nur, weil es hier immer noch eine Kommandostrukur gibt, wo einer oben etwas befiehlt und alle anderen ihm folgen“, lästert einer der großen Männer der Stadt. Er war Professor und Richter, bevor er eines der wichtigsten Ämter Shanghais im Kampf gegen die Korruption annahm. Seither ist er ein gefürchteter Mann. Was ihm in Shanghai nicht gefällt, ist der Missbrauch staatlicher Gelder. „Das Volk ärgert sich mehr über die Kleinkriminalität in den Straßen, aber die eigentliche Gefahr droht von der großen Kriminalität in den Amtsstuben. Zu viele glauben, dass sie ungeschoren davonkommen, wenn sie sich aus der Staatskasse selbst bedienen“, warnt der unerbittliche Gesetzeshüter.

Das ist das andere Shanghai: hässliche Männer, die mit fragwürdigen Methoden der schönsten Stadt Chinas die Zukunft verbauen. Ein Loch von mehreren Milliarden Yuan wird der Transrapid in die Shanghaier Stadtkasse reißen. Die Formel-1-Rennstrecke wird dem Verluste in Höhe von 200 Millionen Yuan (etwa 24 Millionen Euro) hinzufügen. Ganz zu schweigen von den Kosten der Expo, deren Investitionsvolumen sich auf mindestens 200 Milliarden Yuan (rund 24 Milliarden Euro) belaufen wird. „Es wäre gut, wenn sich Shanghai etwas weniger mit Tokyo oder New York vergleichen würde und, statt auf eine blinde Aufholjagd zu setzen, sein eigenes Tempo finden würde“, rät der ehemalige Richter. Doch Rennstreckenboss Yu will bewusst alle Geschwindigkeitsbegrenzungen brechen. „Wir sind bereits in die Liga der bekanntesten Städte der Welt aufgestiegen. Vielleicht werden wir das New York des 21. Jahrhunderts.“ Diesen Anspruch soll auch ein Sonderflugzeug der Shanghaier Formel-1-Gesellschaft für ausländische Gäste unterstreichen. Auf dem Flugzeug wird zu lesen sein: „Die Schnellste, die Höchste, die Anspruchsvollste“. Gemeint ist Shanghai, das mit dem Transrapid die schnellste Bahn der Welt hat (in Testfahrten erreicht er bereits 400 Stundenkilometer), mit dem Jin Mao Building das höchste Haus Chinas und der neuen Formel-1-Strecke die demnächst anspruchvollste Rennbahn der Welt.

Wohin die Superlative führen, hat der niederländische Autor Ian Buruma früh nach dem Bau des überdimensionalen Fernsehturms in Pudong erkannt. Buruma beschrieb das Wahrzeichen Shanghais als Phallussymbol. Doch wären die Frauen der Stadt nicht berühmter als ihre Männer, wenn maskuline Exponate hier stilprägend wirkten. So steht heute unweit des Fernsehturms die neue Börse: ein feingliedriges Werk kanadischer Architekten, das in Form eines Torbogens Chinas Öffnung zur Weltwirtschaft symbolisiert. „Die neue Börse ist niedriger als alle Gebäude um sie herum, aber viel schöner als sie“, findet Chefmanagerin Acho Tang. Die Öffnung ist eben ein weibliches Symbol – und wirtschaftlich der letztlich entscheidende Faktor.

2050: 70 Millionen Bewohner

Über 6000 internationale Firmenniederlassungen zählt die Stadt heute – nach 20 Jahren zweistelliger Wachstumsraten lässt kein Weltkonzern Shanghai mehr aus. Schon leben 300000 taiwanische Geschäftsleute in der Huangpu-Metropole und haben hier über die Jahre 60 Milliarden Dollar investiert. So viel Öffnung war in China noch nie, sie hat Shanghai zum wichtigsten Reformmodell der Republik gemacht. Könnte es also sein, dass es der Stadt gelingt, die Waage zu halten: zwischen weiblicher Tüchtigkeit in den neuen, international verzahnten Privatbetrieben und männlicher Cliquenwirtschaft in den alten, chauvinistischen Staatsgesellschaften? Finden Kapitalismus und Kommunismus in Shanghai eine neue Balance – frei nach dem chinesischen Prinzip der vereinten Gegensätze, Yin und Yang, Mann und Frau?

„Nein“, spricht der derzeit wichtigste Dichter der Stadt, als er in der Nacht, in der in Paris Shanghai die Austragungsrechte für die Expo 2010 zugesprochen werden, durch die jubelnde Menschenmenge im neuen Vergnügungsviertel Xintiandi schreitet. Eigentlich will Chen Dong Dong – Ende 30, berühmt für seine melancholischen Vierzeiler – zu dieser Stunde nicht hier sein. Für ihn ist es nicht das richtige Volk, das hier jubelt. „Ich freue mich nicht. Jetzt werden dem Volk die Mieten erhöht. Nur Beamte, Geschäftsleute und Politiker freuen sich heute“, sagt Chen, während um ihn herum die Cheer-Girls der Expo-Förderer tanzen. Wenig später sitzt der Dichter in Jeans und Anorak auf einer Couch der T8-Bar in Xintiandi. Die Bar ist Teil des Fuchun Resort Club und bietet ihren Mitgliedern gerade einen ermäßigten Jahresbeitrag von 85000 US-Dollar an. Irgendwo muss das neue Geld der Stadt ja bleiben. Chen wendet sich angewidert ab: „Ich nehme an dieser Entwicklung nicht teil. Ich schreibe wie im Leerlauf, während sich alles um mich herum vorwärts bewegt.“ Den Rest der Nacht verharrt der Dichter in steifer Haltung auf der Couchkante. Neben ihm liegt ein Teddybär, Maskottchen der T8-Bar. Chen rührt den Bären nicht an – als sei er ein Wesen aus einer anderen Welt.

Viele Europäer würden den Dichter Chen verstehen. Auf den ersten Blick wirkt Shanghai gespenstisch unberührbar – ein Meer von Hochhäusern. Nach den neuesten Regierungsplänen soll aus der 16-Millionen-Stadt innerhalb von 50 Jahren eine Metropole mit 70 Millionen Einwohnern entstehen. Wer fürchtet da nicht, dass die Stadt, die die Chinesen als ihren Drachenkopf bezeichnen, neue Gefahren birgt. Könnte sie nicht bald alle Chip- und Autofabriken dieser Welt verschlucken? Immerhin fließen derzeit schon jährliche Direktinvestitionen in Höhe von knapp fünf Milliarden Euro aus dem Ausland nach Shanghai. Und etwa doppelt so viel investieren chinesische Unternehmen – meist unter staatlicher Kontrolle. Für Volkswagen, den größten Autoproduzenten am Ort, ist China heute schon der zweitgrößte Markt der Erde. Die Verkäufe wuchsen dieses Jahr um 40 Prozent.

Einen Sinn für das grenzüberschreitende Wesen Shanghais vermittelt der Maler Li Shan, der dieser Tage in der Shanghart-Galerie im alten Fuxing-Park Bilder des neuen Shanghai-Menschen zeigt, wie er ihn sich vorstellt. Es sind riesenhafte Gemälde von mit Fischen und Schmetterlingen geklonten Menschen. „Wir sollten mehr Mut haben, uns mit anderen Lebewesen kreuzen zu lassen“, meint Li Shan, ein ehrlicher, begeisterungsfähiger Typ, dessen zwittrige Mao-Porträts Ende der achtziger Jahre den Aufbruch der ersten chinesischen Avantgarde vermeldeten. Mehr als jeder neue Wolkenkratzer, jede neue Magnetbahn oder Rennstrecke verweisen Lis neue Lebewesen auf das Ungebändigte und Unkontrollierte des Shanghai-Booms.

Wenn nur die Frauen diese boomende Stadt Shanghai dieses Mal in den Griff bekämen! Auf das kleine Mädchen vor dem Blumenstand kommt es an.

zeus.zeit.de/text/2003/01/Shanghai
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

China , quo vadis?

 
26.01.03 09:13
#27
 
25.01.2003  
 
Thema
Helmut Peters
 
»Die Lage zwingt uns, zu handeln«
 
China – quo vadis? Öffnungspolitik – China ist heute eine ökonomische Großmacht. Doch wohin die Reise geht, ist völlig offen. Teil II: Aspekte der ökonomischen Entwicklung
 
Vor dem Hintergrund einer schwächelnden Weltwirtschaft konnte China im Jahre 2002 mit acht Prozent wiederum ein hohes Wachstumsrate erreichen.1 Das BIP beträgt nun mehr als 10000 Milliarden Yuan oder im Durchschnitt pro Kopf der Bevölkerung gerechnet etwas weniger als 1000 US-Dollar. Das Volumen des Außenhandels überstieg erstmals 600 Milliarden Dollar. Mit einer Valutareserve von rund 280 Milliarden Dollar liegt China nach Japan an zweiter Stelle in der Welt. 2002 wurden über 50 Milliarden Dollar ausländisches Kapital in China investiert (das 13fache von 1989). Damit verdrängte China die USA vom Platz 1 in der Welt. In Peking wird das Land nun als ökonomische Großmacht angesehen, die sich seit 1990 in der Welt vom zehnten auf den sechsten Platz (Einschätzung der Weltbank) und unter den Entwicklungsländern auf Platz 1 vorgeschoben habe.2 Nach der Vervierfachung des BIP in den ersten 20 Jahren seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik sei es zu Beginn der dritten und letzten Phase der Modernisierung des Landes3 gelungen, »eine neue Etappe für den Start eines Fluges (qifei)« zu erreichen.

Der 16. Parteitag der KPCh hat den Kurs auf Beschleunigung des Modernisierungsprozesses bekräftigt. Ich sehe dafür eine innere und eine äußere Notwendigkeit. China braucht zum einen ein hohes Wachstumstempo seiner Wirtschaft, einhergehend mit wachsender Effizienz, Qualität, Konkurrenzfähigkeit und Umweltverträglichkeit, um die großen sozialen Probleme, die die Marktwirtschaft begleiten, lösen und damit die Stabilität der gesellschaftlichen Entwicklung sichern zu können. Zum anderen zwingen der rasche wissenschaftlich-technische Fortschritt in der Welt und die immer heftigere internationale Konkurrenz, aber wohl auch die Politik der USA-Administration unter Bush, die langfristig eine zugespitzte Konfrontation mit China nicht ausschließen läßt, der VR China diesen Kurs auf. »Die Lage zwingt uns zu handeln«, heißt es im Bericht des ZK an den letzten Parteitag.


Drei prägende Eigentumsformen

Die bisherigen ökonomischen Ergebnisse der VR China sind in erster Linie durch eine Anpassung der Produktionsverhältnisse an den zu großen Teilen noch niedrigen Stand der Produktivkräfte erreicht worden. Mit der strategischen Reorganisierung der Wirtschaftsstruktur wurde nicht nur die Zahl der staatlichen Unternehmen wesentlich verringert. Der Staat hat sich generell aus den Bereichen »allgemeinen Konkurrenzcharakters« zurückgezogen. Er konzentriert seine Unternehmen jetzt vornehmlich in Bereichen, die für die Sicherheit des Landes wesentlich sind, sowie auf die Erzeugung und Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, auf Verkehrs- und Transportwesen, Post- und Fernmeldewesen, Banken und Versicherungen und geologische Erkundungen. Auch die großen Aufbauprojekte wie der »Drei-Schluchten«-Staudamm, die Eisenbahnstrecke Qinghai–Tibet oder die Umleitung von Wasserressourcen von Süd nach Nord werden vom Staat organisiert.

Mit der Modernisierung der staatlichen Betriebe geht eine Konzentration und strukturelle Neuorganisation der Produktion vor sich. Dabei wird auch die Bildung von chinesischen Multis nach westlichen Beispiel betrieben. Staatliches Eigentum existiert heute mehr und mehr in Mischformen, vor allem in Form von Aktiengesellschaften (Staat als Hauptaktionär) und Joint-ventures mit ausländischem Kapital. Bisher verfügte allein die Zentralregierung über das staatliche Vermögen. Jetzt scheint zumindest das Verfügungsrecht über 99,9 Prozent der gut 180000 staatlichen Unternehmen, die nicht von nationaler Bedeutung sind, an die regionalen Regierungen der Provinzen und nachgeordneten Gebiete überzugehen. Der derzeitige Anteil des staatlichen Sektors an der Erzeugung des BIP ist nicht bekannt. Er dürfte bei etwa 20 Prozent liegen und könnte künftig noch weiter zurückgehen.

Erstaunlicherweise findet sich in den Veröffentlichungen kaum etwas über den kollektiveigenen Sektor. Er taucht im allgemeinen nur in der summarischen Feststellung auf, das Gemeineigentum stelle das dominierende Eigentum an Produktionsmitteln dar. In der Landwirtschaft gibt es bekanntlich nur Familienbetriebe, die »kollektiveigenen« Boden4 auf eigene Rechnung selbständig bearbeiten. Daneben existieren dörfliche Aufkauf- und Absatzgenossenschaften. Ihr Eigentum scheint jedoch bisher wohl nicht in genossenschaftlicher Weise realisiert worden zu sein.

Die drei Eigentumsformen, die in China im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen, sind neben dem staatlichen Eigentum die Unternehmen mit ausländischem Kapital und die einheimische Privatwirtschaft. In einer südchinesischen Zeitung wurde dies mit den Worten kommentiert, daß die chinesische Wirtschaft »bereits die Gestalt einer Balance zwischen der staatseigenen Wirtschaft, der Wirtschaft mit ausländischem Kapital und der Privatwirtschaft angenommen« habe. Die Fakten bestätigten diese Aussage.

Ende 2002 gab es rund 420 000 Unternehmen mit ausländischem Kapital, das war das 2,3fache der Zahl der staatlichen Unternehmen. In diesem Rahmen waren 800,2 Milliarden Dollar ausländisches Kapital vertraglich gebunden und davon bereits 439,9 Milliarden Dollar praktisch genutzt. 95 Prozent der 500 größten internationalen Multis sind mit Betrieben und zum Teil auch mit Forschungseinrichtungen vor allem in Ostchina und hier wiederum insbesondere in Shanghai vertreten. Internationale Konzerne wie Sony und Matsushita haben ihre arbeitsintensive Produktion mehr und mehr nach China verlagert und exportieren von dort ihre Produkte.


Rund 100 Millionen Lohnarbeiter

Internationale Investitionen in China dürften in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die chinesische Seite bietet den ausländischen Kapitaleignern an, sich durch Aktien in staatliche Unternehmen, die in den für das Ausland geöffneten Wirtschaftsbereichen tätig sind, einzukaufen. Damit soll eine schnellere und allseitige Modernisierung eines Teils der staatlichen Wirtschaft erreicht werden. Ausländischen Konzerne machen dies in der Regel jedoch nur dann, wenn sie geeignete Verwertungsbedingungen für ihr Kapital vorfinden bzw. sich dadurch strategische Vorteile erhoffen.

Neben dem privaten Kleingewerbe hat sich seit den 90er Jahren die einheimische privatkapitalistische Wirtschaft rasch entwickelt. Die KPCh vermeidet hier den Begriff Kapitalismus, sie spricht nur von »Privatwirtschaft« (Si-ying-jingji). Ende Juni 2002 wurden in China 2,215 Millionen Unternehmen dieser Art gezählt. Sie beschäftigten knapp 30 Millionen Arbeiter und Angestellte und verfügten über ein registriertes Kapital in Höhe von insgesamt 2105 Milliarden Yuan (etwa 257 Milliarden Dollar). Die Dunkelziffern dürften höher liegen.

Allein im ersten Halbjahr 2002 erhöhte sich die Zahl dieser Unternehmen um 202150, die drei Millionen neue Arbeitsplätze schufen. Fast die Hälfte aller dieser Unternehmen sollen derzeit im lukrativen Immobiliengeschäft angesiedelt sein. Die Bodenknappheit treibt die Preise in die Höhe. Daran verdient auch die örtliche Administration, während die Entschädigung für die Bauern mager ausfällt. In der Stadt Shangyu, Provinz Zhejiang, nahm z.B. die örtliche Regierung für die Überlassung von Boden an Makler 219 Millionen Yuan ein, speiste die Bauern hingegen mit nur 5,91 Millionen Yuan (2,7 Prozent) ab. (Xinhua Wang, 6.1.03) Von einem kollektiveigenen Charakter anteiligen Grund und Bodens kann nur bedingt gesprochen werden, da der Staat auf verschiedenen Wegen direkt über diesen Boden verfügen kann, ohne die Zustimmung der Bauernschaft als eigentlichem Eigentümer einholen zu müssen.

Chinesische Angaben sagen aus, daß der privatkapitalistische Sektor und die Unternehmen mit ausländischem Kapital heute schon zusammen einen Anteil von rund 50 Prozent am BIP, am Export, an der industriellen Produktion und an den gesamtgesellschaftlichen Investitionen haben. Ökonomen des Landes sprechen von über 100 Millionen lohnabhängigen Erwerbstätigen, die in diesen beiden Sektoren plus privatem Kleingewerbe beschäftigt seien. Die ökonomische und soziale Bedeutung der einheimischen privatkapitalistischen Wirtschaft ist auch daran zu messen, daß hauptsächlich hier die neuen Arbeitsplätze entstehen. Angesichts dieser ökonomischen Verhältnisse drängt sich die Frage auf, wie es heute wirklich um die behauptete führende Rolle des staatlichen Sektors in der VR China bestellt ist.

Laut Gesetz sind Privatwirtschaft, Unternehmen mit ausländischem Kapital und die Wirtschaft des Gemeineigentums gleichgestellt. Der Schutz des Privateigentums auch an Produktionsmitteln ist in der Verfassung verankert. Die Wirtschaftsbereiche, in denen einheimische Privatwirtschaft und Unternehmen mit ausländischem Kapital tätig sein dürfen, sind in den letzten Jahren ständig ausgeweitet worden. Dieser Trend beginnt sich mit der Umsetzung der Regeln der WTO auch auf Bereiche auszuweiten, die bisher dem Staat vorbehalten waren (Bankwesen, Versicherungen, Dienstleistungen u.a.).

Die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen erfolgt teils durch die Administration, teils durch den Markt. Im Jahre 2000 regulierte der Markt die Preise im Einzelhandel schon zu 95,8 Prozent, beim Aufkauf landwirtschaftlicher Produkte zu 92,5 Prozent und im Produktionsmittelhandel zu 87,4 Prozent. Für Löhne und Gehälter im staatlichen Sektor hat es bisher als Übergangslösung staatliche Orientierungen gegeben. Mit der eingeleiteten sozialen Ausgliederung der Arbeiter und Angestellten aus dem staatlichen Eigentum werden deren Löhne und Gehälter nun genauso durch Angebot und Nachfrage auf dem Markt bestimmt wie in den Bereichen der anderen Eigentumsformen. Auf diesem Hintergrund entstehen bizarre strukturelle Widersprüche So führte der ausgesprochene Mangel an Autoschlossern im Herbst 2002 dazu, daß der Orientierungslohn für sie höher angesetzt war als für Universitätsprofessoren. Das politisch gewollte Hauptprinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung ist in der marktwirtschaftlichen Praxis also nicht durchzuhalten. Entgegen den Plänen der KP wird China schon 2005, wenn die Übergangsfrist für den Beitritt zur WTO zu Ende geht, Marktwirtschaft nach den Regeln der WTO betreiben müssen. Dann wird sich letztlich zeigen, wie das Land mit den Herausforderungen des WTO-Beitritts fertig wird.


Städte: Jeder Zehnte arbeitslos

Zu den Problemen und Widersprüchen, die mit dem Übergang zur Marktwirtschaft verschärft wurden, gehört die Kluft zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen Stadt und Land sowie zwischen den einzelnen Landesteilen. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich eine anhaltende Abwanderung von Kapital und Fachkräften aus dem Dorf und den ökonomisch schwachen Regionen in die Städte und nach Ostchina. Ein ernstes Problem ist die steigende Arbeitslosigkeit. In den Städten sind real etwa zehn Prozent der abhängigen Erwerbstätigen ohne Arbeit, dazu kommt eine enorm hohe verdeckte Arbeitslosigkeit auf dem Dorf. Chinesische Ökonomen gehen davon aus, daß in den kommenden zwei Jahrzehnten 150 bis 200 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Nicht minder groß sind die Probleme der inneren Verschuldung des Staates, die schätzungsweise 40 Prozent des BIP erreicht hat,5 die sich ausbreitende soziale Polarisierung und die unzureichende Binnennachfrage.

Die KPCh verfolgt in ihrer Wirtschaftspolitik einen Keynesianismus chinesischer Prägung. Die unzureichende Binnennachfrage wurde in chinesischen Veröffentlichungen zuerst im Zusammenhang mit der asiatischen Finanz- und Wirtschaftskrise 1997/98 thematisiert. Das plötzliche Wegbrechen asiatischer Märkte zwang die Führung, energische Schritte zu unternehmen, um den drastischen Rückgang der äußeren durch die forcierte Ausweitung der inneren Nachfrage zu kompensieren. Die Zentralregierung begann deshalb 1998, jährlich Staatsobligationen im Wert von bis zu 150 Milliarden Yuan im Lande zu verkaufen, um mit dem eingelösten Geld in die Infrastruktur, in die Energiewirtschaft, in die Dorfwirtschaft und in den Bereich der Telekommunikation zu investieren. Dennoch ist es bisher noch nicht gelungen, die Binnennachfrage im notwendigen Maße anzukurbeln.

Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft beruhte 2002 auf drei Faktoren – Investitionen, Export und Konsumtion. Den größten Beitrag zum ökonomischen Wachstum von acht Prozent im Jahr 2002 leisteten die Investitionen, die durch den Staat, das ausländische Kapital und die einheimische Privatwirtschaft getätigt wurden. Zur Steigerung des Exports um über 21 Prozent trug in erheblichem Maße die Privatwirtschaft bei. Die Konsumtion der Bevölkerung wuchs um gut zehn Prozent. Langfristig will die chinesische Führung die Binnennachfrage zum entscheidenden Faktor des Wirtschaftswachstums entwickeln, um weniger von den Flauten und Krisen der Weltwirtschaft abhängig zu sein.

Der 16. Parteitag hat den Kurs bekräftigt, die Produktivkräfte durch einen neuen Typ der Industrialisierung auf einem qualitativ höheren Niveau beschleunigt zu entwickeln. Hoher wissenschaftlich-technischer Anteil, wirtschaftliche Effektivität, niedriger Ressourcenverbrauch, geringere Umweltverschmutzung und beschleunigte Entwicklung der IT-Technik sollen für diesen neuen Typ charakteristisch werden. Bis 2020 will die KPCh das BIP nochmals vervierfachen, die Industrialisierung abschließen und solide Voraussetzungen für die grundlegende Modernisierung des Landes bis zur Mitte dieses Jahrhunderts schaffen. Das notwendige Umfeld dafür soll durch die volle Ausprägung der »Gesellschaft eines bescheidenen Wohlstands« (Xiao-kang shehui) geschaffen werden.

In chinesischen Publikationen heißt es, wenn China es geschafft hätte, in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten das BIP zu vervierfachen, dann würden die Bedingungen für eine abermalige Vervierfachung heute noch günstiger sein als damals. Bei dieser Rechnung wird wohl etwas vernachlässigt, daß es um eine neue Qualität der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Entwicklung geht. Bei einem Anteil von derzeit nur 3,5 Prozent Facharbeitern unter den Erwerbstätigen in der Industrie dürfte es schwierig sein, das neue Niveau im erwarteten Tempo zu erreichen. Und das Ausmaß der Arbeitslosigkeit wird dazu zwingen, auf längere Zeit neben dem neuen Typ der Industrialisierung eine arbeitsintensive Industrie zu entwickeln. Das wiederum wird sich deutlich auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen auswirken. Im Interesse der Sicherung der sozialen Stabilität fordern namhafte chinesische Ökonomen ohnehin, die Entwicklung der Wirtschaft weniger auf ein höchstmögliches Wachstumstempo als auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze auszurichten. Zu den bisher ungelösten Grundproblemen gehört auch, die wachsende Umweltbelastung in eine ökologisch verträglich Entwicklung umzukehren. Derzeit noch dringlicher ist die Lösung der Problematik Landwirtschaft – Bauern – Dorfwirtschaft (»San Nong«). Dieser Bereich rangiert deshalb auch an der Spitze der neun Schwerpunkte für die Entwicklung der Wirtschaft in diesem Jahr.


Problemfeld Landwirtschaft

Die von der KPCh seit Mitte der 50er Jahre verfolgte Politik der Industrialisierung hat eine dualistische Wirtschafts- und Sozialstruktur geschaffen, die die Dorfbevölkerung und damit im wesentlichen die Bauern der Sache nach zu Bürgern zweiter Klasse machte. Dabei haben die Bauern seit den 50er Jahren allein durch die »Preisschere« zwischen 600 und 800 Milliarden Yuan zur bisherigen Industrialisierung »beigetragen«. Die KPCh wollte eigentlich mit Beginn des gegenwärtigen 10. Fünfjahresplans (2001–2005) zu einer einheitlichen und koordinierte Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft, Stadt und Land, städtischer und ländlicher Bevölkerung übergehen. Dieser strategischen Wendung scheint jedoch das Beharrungsvermögen der traditionellen Politik entgegenzustehen. Erst nach und nach zeichnen sich in der Praxis Schritte ab, die dualistische Struktur aufzubrechen. Sie sollen die zugespitzten Probleme in der Landwirtschaft erst einmal abmildern, durch wesentlich größere Investitionen auf dem Dorf das Bildungswesen entwickeln sowie ein System der Gesundheitsvorsorge auf dem Dorfe aufbauen und vor allem die sehr niedrigen Einkommen der Bauern erhöhen. Forciert werden soll der Prozeß der Urbanisierung durch Umsetzung von Arbeitskräften in nichtagrarische Bereiche. Das schwierigste Problem sehe ich darin, aus den noch weitestgehend auf Handarbeit beruhenden kleinbäuerlichen Familienbetrieben eine moderne Landwirtschaft zu entwickeln, die die Ergebnisse von Wissenschaft und Technik im großen Umfang einsetzen kann und mit der Marktwirtschaft kompatibel ist. Einen grundlegenden Ansatz für eine solche Entwicklung kann ich noch nicht erkennen. Er müßte auch neue Überlegungen zum Bodeneigentum enthalten. Aus manchen chinesischen Publikationen könnte man entnehmen, daß der Boden gegen Entgelt für einen längeren Zeitraum an Interessenten nicht nur verpachtet, sondern in der Praxis auch schon als käufliche Ware gehandelt wird.

1 Die Zahlenangaben sind trotz mancher Bedenken unverändert chinesischen Quellen entnommen. Sind Umrechnungen in US-Dollar vom Autor vorgenommen, wird dies vermerkt.

2 Im BIP durchschnittlich pro Kopf der Bevölkerung gerechnet hat die VR China jedoch erst etwa 2,5 Prozent des japanischen Niveaus erreicht.

3 Die Modernisierung soll bis zum 100.Jahrestag der Gründung der VR China abgeschlossen sein. Diese Festlegung geht auf Mao Zedong zurück.

4 Vgl. Helmut Peters: Die chinesischen Bauern vor ihrer »Befreiung« durch den Markt. In: Sozialismus, Hamburg, Jg. 2002, Heft Nr.7-8, S. 58.

5 Diese Zahl ergibt sich bereits aus den chinesischen Angaben über den Gesamtumfang der ausgereichten Staatsobligationen (rd. 18 Prozent des BIP), der faulen Kredite bei den staatlichen Geschäftsbanken (18,7 Prozent des BIP – zum Vergleich: Japan mit zehn Prozent), die staatliche Schulden sind, und der aktuellen Verschuldung im Staatshaushalt (drei Prozent des BIP).

 
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China als potenzielle Supermacht:

 
02.03.03 14:23
#28


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25. Februar 2003


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Quelle: www.wams.de (finanzen)

 
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#29
China wird die USA als führende Wirtschaftsmacht ablösen
Zukunftsforscher Zachary Karabell von der US-Fondsgesellschaft Fred Alger über die Zeit nach dem Irak-Konflikt und Chinas Aufstieg - Interview
WELT am SONNTAG: Wie lange wird die Kriegsangst noch auf den Finanzmärkten lasten?

Zachary Karabell: Solange die Situation im Irak ungelöst bleibt. Klar ist aber: Die USA planen ziemlich sicher eine Invasion im Irak. Ich kenne einige Leute aus der Bush-Administration ziemlich gut. Sie sind entschlossen, Saddam Hussein zu beseitigen, auch mit Gewalt. Noch sind sie Vorbereitungen nicht ganz abgeschlossen, aber in Kürze dürfte das Bild klarer werden.

WamS: Ist danach die Zeit der Angstpsychosen an der Börse vorbei?

Karabell: Ein Teil der Furcht wird sicher für einige Zeit verschwinden, wenn es ziemlich schnell und ohne viel Blutvergießen abläuft. In den USA wird man dann erst mal durchatmen. Allerdings: Dass die Investoren derzeit so vorsichtig sind, wird durch den Irak-Konflikt verstärkt, aber das ist nicht die Ursache.

WamS: Mangelt es vielleicht insgesamt an Visionen?

Karabell: Genau das ist der Punkt. Die Unternehmen weltweit sind derzeit gefangen in Ängsten. Sie sind extrem risikoscheu und sorgen sich um die Kosten jeder Handlung. Vor fünf Jahren sorgten sie sich um die Kosten des Nicht-Handelns. Sie fürchteten, dass sie Marktanteile verlieren, wenn sie nicht investieren. Da hat eine gravierende psychologische Verschiebung stattgefunden, die ein Ende der Irak-Krise nun wieder ändern könnte.

WamS: Sie als Futurist sollten Visionen haben. Wie sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft?

Karabell: Die langfristige Zukunft ist glänzend. Aber Schumpeter hat schon gesagt, dass die Entwicklung des Kapitalismus zeitweise sehr schmerzhaft ist. Wir sind jetzt in der Phase eines globalen Kapitalismus. Niedrig entlohnte Arbeit wandert dorthin, wo die Kosten am niedrigsten sind. Das heißt: weg von den traditionellen Industrieregionen wie den USA oder auch Deutschland, hin zu China, Indien oder Mexiko. Dabei werden zwangsweise Arbeitsplätze verloren gehen, aber auch neue Industrien entstehen.

WamS: China als neuer Wachstumsmotor - das wurde schon oft vorhergesagt.

Karabell: Es stimmt, seit hunderten von Jahren wird China als der neue große Markt gepriesen und immer war es falsch. Doch diesmal deutet wirklich alles daraufhin, dass China eine unglaublich dynamische Zone ist. Natürlich lebt die Masse der Bevölkerung immer noch von der Schale Reis. Aber rund 200 bis 250 Millionen Menschen an den Küsten sind aktive Konsumenten, sie kaufen Dinge und die produzieren Dinge. Das sind so viele Menschen wie in den USA oder der EU.

WamS: Wird China die USA
als führende Wirtschaftsmacht ablösen?

Karabell: Natürlich. In 50 Jahren sicher. Die Briten waren Ende des 18. Jahrhunderts dominant, im 20. Jahrhundert die USA. Länder haben solche Positionen normalerweise nicht über Jahrhunderte hinweg inne. In 50 Jahren haben wir vielleicht eine US-chinesisch geprägte Weltwirtschaft.

WamS: Und was ist mit Europa?

Karabell: Europa bleibt eine pulsierende Wirtschaftszone. Allerdings wird es die EU wohl nicht zu einer führenden Rolle auf der Welt bringen. Und Europa muss aus seinem demographischen Dilemma herausfinden, dass die Bevölkerung immer älter wird. Die Lösung heißt Einwanderung. Das muss noch viel stärker geschehen als bisher.

WamS: Also sollten wir Europäer lieber in China investieren?

Karabell: Das ist zurzeit noch schwierig, da der wirtschaftliche Aufschwung sich bislang kaum an den Aktienmärkten widerspiegelt. Ein gewisser Anteil an chinesischen Aktien aus Hongkong oder auch aus Festlandchina kann aber sicher Sinn machen. Oder man kann auch in Fonds und Unternehmen investieren, die aus dem China-Geschäft einen starken Wachstumsschub bekommen.

WamS: Lernen Sie schon Chinesisch?

Karabell: Nein, aber vielleicht sollte ich.


Das Gespräch führte Frank Stocker.

China - Eine Supermacht öffnet die Tore nobody
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Calexa hat immer noch Probleme

 
02.03.03 14:56
#30
mit der Quellenangabe!!!
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

Wandel und Fortschritt in China

 
01.02.04 13:21
#31

 

 

Die schönsten Zeichen ...
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil I)
 
* Vor einem Jahr setzte sich Helmut Peters an dieser Stelle mit der Auffassung der KPCh auseinander, in China würde bereits seit Mitte der 1950er Jahre die sozialistische Gesellschaft bestehen (jW, 24.1.03). Nachfolgende Untersuchungen haben seine Erkenntnis gefestigt: Die chinesische Gesellschaft weist noch keine Elemente und gesellschaftlichen Beziehungen auf, die gegenüber dem Kapitalismus eine höhere historische Qualität verkörpern und begründet als sozialistisch charakterisiert werden können. Wir veröffentlichen seine Analyse in drei Teilen. Prof. Dr. Peters ist Sinologe, arbeitete von 1963 bis 1968 an der DDR-Botschaft in Peking und leitete anschließend bis 1990 den Forschungsbereich China an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED.


Wandel meint hier zunächst einmal Veränderungen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Jüngste Beispiele sind die grundlegende Umgestaltung des staatlichen Wirtschaftssektors und der Beschluß der Kommunistischen Partei (KP), in der Landesverfassung den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln dem Schutz des Gemeineigentums gleichzustellen.

Ist ein solcher Wandel nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt? Trägt unter den konkreten Bedingungen des heutigen China jeder Fortschritt bereits sozialistischen Charakter? Ist hier die Entwicklung kapitalistischer Elemente gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Rückschritt? Was ist, wenn die Vorgabe, Gemeineigentum gleich höhere Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Kapitalismus, nicht erreicht wird? Welche Kriterien sind hier an eine Privatisierung staatlicher Unternehmen anzulegen? In diesen und ähnlichen Fragen prallen die Meinungen unter Linken heftig aufeinander.

Ihr Disput über den Weg der chinesischen Volksrepublik steckt in einer Sackgasse. Einige sehen trotz aller Probleme und Widersprüche unter Verweis auf die Dokumente der KPCh eine anhaltende und stabile sozialistische Entwicklung.1) Andere sprechen von der Liquidierung sozialistischer Errungenschaften und vom Rückschritt in den Kapitalismus. Den Vertretern beider Positionen ist eines gemeinsam: Der Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist nicht die objektive Realität. Die einen stellen die Entwicklung des Landes aus der Sicht der Dokumente der KPCh dar, obwohl sie als Marxisten »die Wahrheit in der Praxis« suchen müßten. Die anderen setzen ihre subjektive Sicht auf China mit den dortigen nationalen Gegebenheiten gleich und vermeinen, damit der Weisheit letzten Schluß zu vertreten. Natürlich ist die Thematik höchst kompliziert, ohne Streit werden wir uns der Wahrheit kaum nähern.


Der Transformationsprozeß

Vielleicht wiederhole ich mich für einen Teil der Leser: Der Anfang der 1950er Jahre in China eingeleitete Übergang zum Sozialismus weist eine grundlegende Besonderheit auf: Es ist der Versuch, aus im wesentlichen vorkapitalistischen und kolonial deformierten Gesellschaftsverhältnissen unter Auslassung des kapitalistischen Entwicklungsstadiums zum Sozialismus zu gelangen. 2)

Über die Möglichkeit eines solchen Weges zum Sozialismus war mit Blick auf die Russische Oktoberrevolution erstmals eine kontroverse Debatte zwischen Lenin und Theoretikern der II. Internationale geführt worden. Bekanntlich hatte auch G.W. Plechanow diese Möglichkeit verneint. Der Untergang der UdSSR und anderer »realsozialistischer« Staaten könnte den Kritikern Lenins nachträglich Recht geben. Die Aussage, die seinerzeit von den in den »realsozialistischen« Ländern regierenden kommunistischen Parteien getroffen worden war, der Sozialismus habe mit dem Abschluß der Übergangsperiode »endgültig gesiegt« und sei damit »unumkehrbar« geworden, wurde von der Geschichte widerlegt. Selbst in der UdSSR war der Sozialismus trotz des Aufstiegs zur zweiten Weltmacht nicht unumkehrbar geworden. Optimistisch formuliert: Die Geschichte hat die Frage, ob es möglich ist, ohne eine durchgängige Entwicklung des Kapitalismus zum Sozialismus zu gelangen, bisher nicht positiv beantwortet.

Die VR China hatte aus weitaus rückständigeren Gesellschaftsverhältnissen als seinerzeit Rußland den Weg zum Sozialismus angetreten. Eineinhalb Jahrzehnte verfehlter Politik (»großer Sprung«, Volkskommune und »Kulturrevolution«) erschütterten diesen historischen Prozeß erheblich und warfen ihn zurück. Noch auf ihrem 13. und 15. Parteitag (1987 und 1997) schätzte die KPCh ein, daß die historische Rückständigkeit des Landes in weiten Bereichen nicht überwunden war. Die historischen Erfahrungen des »realen Sozialismus« und die bisherige Entwicklung in der VR China legen deshalb den Schluß nahe: Die Richtung des historischen Transformationsprozesses, in dem sich die chinesische Gesellschaft befindet, ist nach wie vor offen.

Die VR China ist z. B. noch weit von den ökonomischen Voraussetzungen für eine sozialistischen Gesellschaft entfernt. Bei der Begründung der Naturalsteuer hatte Lenin betont, man wisse nun »viel konkreter als früher«, daß »ohne eine hochstehende Industrie ... vom Sozialismus überhaupt keine Rede sein (kann), erst recht nicht in einem Bauernland«.3) Für ihn war unter den damaligen Bedingungen die Elektrifizierung der Volkswirtschaft das Maß aller Dinge. Heute werden an die ökonomischen Voraussetzungen einer sozialistischen Gesellschaft höhere Anforderungen gestellt. Sie werden durch die wissenschaftlich-technische Revolution bestimmt.

Die KP Chinas scheint mit der angestrebten »sozialistischen Modernisierung« diesen Anforderungen zu entsprechen. Eine andere Frage ist, ob sie dieses Ziel bis Mitte des Jahrhunderts erreichen kann. In den letzten Monaten zeichnet sich in der chinesischen Führung eine neue Weise des Herangehens an diese Problematik ab. Nach dem Beispiel kapitalistischer Länder war bisher das Bruttoinlandsprodukt (BIP) das alleinige Kriterium, an dem das »Einholen« dieser Länder durch China gemessen wurde. Jetzt soll ein ganzes Bündel von Kriterien gelten, um die Fortschritte im Lande anhand der Entwicklung in wichtigen Bereichen zu messen. (Dazu gehören die finanziellen Einnahmen des Staates, das durchschnittliche Prokopfeinkommen der Bevölkerung, die Erschließung von Kapitalquellen, die Entwicklung der drei Sektoren: Schutz der Umwelt, Beschäftigung und soziale Sicherheit, Entwicklung der geistigen Zivilisation, Aufbau der Partei und gesellschaftliche Stabilität.) Das ist eine wesentliche Korrektur. Ob sich damit an der bisherigen Strategie des »Einholens« etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

Ausgangspunkt und wesentlicher Inhalt der Modernisierung Chinas ist die Industrialisierung des Landes. Sie hat bereits eine 50jährige Geschichte. Heute ist jedoch klarer als früher, daß der Grad der Industrialisierung eines Landes nicht allein oder in erster Linie an dem Anteil gemessen werden kann, den die Industrie am gesellschaftlichen Gesamtproduktionswert hat (Stalin). Er ist m.E. vielmehr daran zu messen, inwieweit die Erzeugnisse der jeweiligen modernsten Technologie die Entwicklung aller Branchen der Volkswirtschaft und aller Regionen des Landes bestimmen. In diesem Sinne scheint die umfassende Industrialisierung Chinas bis 2020, welche die noch stark rückständige Landwirtschaft einschließt, eine kaum lösbare Aufgabe zu sein.

Solche Überlegungen mögen manchem Leser, der China in jüngster Zeit besucht hat, nicht recht einleuchten. Er hat doch mit eigenen Augen unglaubliche Erfolge gesehen. Richtig, aber weitgehend nur in den östlichen Regionen. Der Weltraumflug des ersten Taikonauten symbolisiert den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes. Chinesische Wissenschaftler haben zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes beigetragen. In der Biochemie, in Bereichen der Informationstechnik, beim Klonen von Tieren, bei genverändertem Reis und einer Reihe weiterer Forschungsgebiete ist das Land in die Weltspitze aufgerückt. Ich könnte weitere Bereiche aufzählen.


Mao: Armut kann ein Vorzug sein

China kennt aber noch eine andere Welt, in der sich die althergebrachte Produktionsweise noch nicht wesentlich verändert hat. Es genügt, auf die Zurückgebliebenheit und das Wiederaufleben alter Denk- und Verhaltensweisen in weiten Teilen der dörflichen Regionen zu verweisen, in denen heute noch zwei Drittel der chinesischen Bevölkerung leben. In dieser Welt leben rund 80 Millionen Menschen mit einem durchschnittlichen Prokopfeinkommen von etwa 80 US-Dollar im Jahr und weniger. 200 Millionen Menschen suchen Arbeit. Über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zudem hat die Industrialisierung des Landes in den zurückliegenden Jahrzehnten beträchtliche Umweltschäden verursacht.

Sozialismus, dieser Traum aus Europa, ist in China noch keine gesellschaftliche Realität geworden. Die These der KPCh, sie habe bereits Mitte der 1950er Jahre (nach drei Jahren Übergangsperiode!) eine sozialistische Gesellschaft geschaffen, ist eine unbewiesene politische Behauptung. Verstaatlichung des Eigentums, und darum geht es in diesem Zusammenhang, ist noch kein Sozialismus. Der Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Produktivkräfte wird in dieser These vollkommen ausgeblendet. Die Bauern beispielsweise, im damaligen Agrarland China die weit überwiegende Mehrheit der Produzenten, beackerten ihre Felder mit den gleichen Produktionsmitteln und in der gleichen Weise wie ihre Vorfahren in der Han-Zeit vor 2000 Jahren.

Mao Zedong bedauerte, daß die chinesische Revolution später als die russische gesiegt hatte. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 hielt er die Möglichkeit für gegeben, das zu ändern. Er begann das chinesische Volk mit einem »weißen Blatt Papier« zu vergleichen, auf das die schönsten Zeichen geschrieben werden könnten. Er meinte damit, unbelastet vom Kapitalismus; zugleich unterschätzte bzw. idealisierte er die starken Einflüsse jahrtausendealter Feudalgeschichte. Die Armut des Volkes wurde als Vorzug betrachtet – »je ärmer, desto revolutionärer«. Schließlich wurde die Volkskommune als »goldene Brücke in den Kommunismus« propagiert.

In seiner Rede zum 110. Geburtstag Mao Zedongs am 26. Dezember 2003 sah Generalsekretär Hu Jintao darin einen Ausdruck der Unkenntnis über die Gesetzmäßigkeiten beim Aufbau des Sozialismus.4) Das ist schwerlich zu bestreiten, aber nicht die eigentliche Wahrheit. Mao Zedong war ohne jeden Zweifel die herausragende Persönlichkeit in der jüngsten chinesischen Revolutionsgeschichte. Er beging aber auch schwere Fehler, die vielen Millionen Chinesen das Leben oder die Gesundheit kosteten. Die damalige Politik der »drei roten Banner«(Großer Sprung nach vorn, Volkskommune und Neue Generallinie) trug seine Handschrift. In ihr spiegelte sich unübersehbar ein nationalistisches Bestreben, den »historischen Rückstand« der chinesischen Revolution aufzuholen und die Sowjetunion durch einen »Sprung in den Kommunismus« in der historischen Entwicklung zu überholen.


»Nachholende Entwicklung«

China befindet sich in einer Phase des Transformationsprozesses, in der die »nachholende Entwicklung« das zentrale Problem darstellt. Was verstehe ich unter nachholender Entwicklung? Eine kritische Aneignung der materiellen und geistigen Fortschritte der menschlichen Zivilisation im Zeitalter des Kapitalismus seit der Französischen Revolution. Ohne ihre umfassende Aneignung und Weiterentwicklung wird es keinen Sozialismus geben. Diese Erkenntnis findet sich schon bei Marx und Lenin. Leider geriet sie in der kommunistischen Bewegung nach dem Tode Lenins in Vergessenheit. In Teilen der Linken verdrängt die revolutionäre Phraseologie noch heute diesen grundlegenden Gedanken.

Mit ihrer Reform- und Öffnungspolitik begann die KPCh zu dieser Erkenntnis zurückzufinden. Das ist vor allem das Verdienst Deng Xiaopings. Zwei Gedanken standen am Anfang des Reform- und Öffnungsprozesses: China muß sich alles Progressive aus den Kulturen der Menschheit, einschließlich des Kapitalismus, aneignen, und Sozialismus ist ohne Demokratie nicht denkbar. Mitte der 90er Jahre wuchs eine neue Erkenntnis – die Notwendigkeit, auf dieser Basis einen sozialistischen Rechtsstaat aufzubauen. Und vor zwei Jahren erweiterte die Partei diesen Gedanken mit der Orientierung, eine politische Kultur des Sozialismus zu schaffen. Angesichts der Kürze der Zeit ist in diesem Prozeß vor allem in der Gesetzgebung viel geleistet worden. Verabschiedet wurden nicht nur Gesetze, die die Marktwirtschaft regeln sollen, sondern auch Gesetze, die die Rechte der Werktätigen, der Frauen und Kinder, der Behinderten und der Bürger gegenüber dem Staat festschreiben.

Das entscheidende Problem bleibt hierbei jedoch die Durchsetzung der beschlossenen Gesetze. Dem wirken vielfältige Faktoren entgegen. Anders als in Europa hat die Geschichte im chinesischen Volk kein ausgeprägtes Gesetzesbewußtein hinterlassen. In der Familie wie in den Institutionen der politischen Macht wirken noch starke patriarchalische Einflüsse aus der Zeit der Feudalgesellschaft nach. Und einer Regierung des Landes auf der Grundlage der Gesetze steht die jahrzehntelang geübte Praxis im Wege, wonach der, der die politische Macht ausübt, mit seiner »Weisung« auch das Gesetz verkörpert. So geht es in der gegenwärtigen Debatte um die Erhöhung der Autorität der Landesverfassung eigentlich darum, damit Schluß zu machen, daß sich die KPCh und ihre Führungskader über Recht und Gesetz stellen. Schließlich erschwert der Druck des internationalen Kapitals die Aufgabe, die rationellen Bestandteile der politischen Kultur des Kapitalismus für die sozialistische Entwicklung nutzbar zu machen. Ergo: China ist bei der Schaffung einer modernen politischen Kultur offensichtlich erst am Anfang eines wahrscheinlich sehr langen Weges.

»Nachholende Entwicklung« meint nicht eine Kopie früherer Entwicklungen und Entwicklungsstufen des Kapitalismus. Sie vollzieht sich in China erstens unter dem Aspekt des Übergangs zum Sozialismus (zumindest bisher), zweitens wird sie durch die besonderen nationalen Gegebenheiten geprägt und drittens steht sie im Kontext mit der zeitgenössischen internationalen Entwicklung.

Sehen wir uns diese Problematik am Beispiel der Industrialisierung etwas näher an. Die Industrialisierung Chinas wurde 1953 mit dem Ziel eingeleitet, die materiellen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft in etwa 15 Jahren zu schaffen. Diese Industrialisierungspolitik der KPCh war nach dem »Stalinschen Modell« entwickelt worden. Mit dem Einsetzen der Reform- und Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre wurde dieser Prozeß neu orientiert und den nationalen Gegebenheiten angepaßt. Das drückte sich u. a. aus in den drei Schritten der Modernisierungsstrategie, in der betonten Entwicklung des Lebensstandards des Volkes, in der Ausbildung einer pluralen Eigentumsstruktur und in der einsetzenden Nutzung ausländischen Kapitals. Erstmals wurde nun auch versucht, die Modernisierung Ostchinas mit der in Mittel- und Westchina zu verbinden.

Seit den 90er Jahren spielen zwei neue Faktoren eine Rolle: Zum einen begann das ausländisches Kapital nach China zu strömen, verbunden mit der Verlagerung arbeitsintensiver Industrien aus Hongkong, Taiwan sowie Japan, Südkorea, den USA und anderer kapitalistischer Länder in das Niedriglohnland China. Das führte zu einer bis dahin nicht gekannten Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses, in den auch die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas einstieg. Die maßgebliche Rolle, die das Kapital inzwischen für die weitere Industrialisierung (und damit auch für den chinesischen Export!) spielt, hat natürlich seine Kehrseite. Das Kapital strebt nicht nur nach Profitmaximierung. Es sucht auch die sozialistische Richtung des Transformationsprozesses zu schwächen und in seinem Sinne zu verändern.

Zum anderen nahmen jetzt die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution Einfluß auf Inhalt und Verlauf der Industrialisierung. Die KP Chinas sprach deshalb auf ihrem 16. Parteitag (2002) von einem »neuen Typ der Industrialisierung«. Eigentlich ist es mehr. Die Industrialisierung Chinas geht unter diesen Bedingungen in ihrem letzten Entwicklungsabschnitt bereits in einen qualitativ höheren Typ gesellschaftlichen Produktivkräfte über (knowledge economy). Eng verbunden ist damit der Wechsel von einer extensiven zu einer intensiven Produktion und Reproduktion der Volkswirtschaft. Das trifft derzeit allerdings nur auf die ökonomisch fortgeschrittenen Regionen des Landes zu.

»Nachholende Entwicklung« birgt die Gefahr in sich, in den Sog kapitalistischer Entwicklung zu geraten. Diese Gefahr ist für China im Verlaufe des letzten Jahrzehnts unübersehbar geworden. Sie resultiert nicht allein aus dem massiven Druck, den das internationale Kräfteverhältnis und die Chinastrategie des internationalen Kapitals auf das Land ausüben. Bei allen Vorteilen, die der WTO-Beitritt bringt, hat dieser Schritt natürlich auch die internationalen Multis in eine noch günstigere Position gebracht. Diese Gefahr resultiert zugleich aus der Politik der KPCh, sich des Kapitals für die Verwirklichung ihrer langfristigen strategischen Ziele des Kapitals immer umfassender zu bedienen und dafür immer weitergehendere Zugeständnisse an die Marktwirtschaft des Kapitals eingehen zu müssen.

1) Vgl. Rolf Berthold, China 2003, Auf dem Wege zum Sozialismus. Marxistische Blätter, Flugschriften 13, Essen 2003

2) Die von der KPCh vertretene stereotype Auffassung über einen halbfeudalen (und halbkolonialen) Charakter der chinesischen Gesellschaft vor 1949 halte ich für politisch überhöht. Das trifft erst recht die von Mao in den 50er Jahren zeitweilig vertretene These des Übergangs Chinas vom Kapitalismus zum Sozialismus zu.

Marktwirtschaft
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil II)
 
Mit dem »Beschluß über einige Fragen der Vervollkommnung des Systems der sozialistischen Marktwirtschaft« von Oktober 2003 hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) drei grundlegende Aussagen über das derzeitige Wirtschaftssystem in China getroffen: Das System der sozialistischen Marktwirtschaft ist in den Anfängen geschaffen. Das grundlegende Wirtschaftssystem, in dem das Gemeineigentum den Hauptteil bildet und sich die Wirtschaft vielfältiger Eigentumsformen gemeinsam entwickelt, existiert bereits. Und die allseitige und vielschichtige Öffnung des Landes nach außen ist in weiten Bereichen grundlegend ausgebildet.

Staatlicher und kollektiver Sektor als bisheriges Gemeineigentum sollen amtlichen Angaben zufolge weiterhin den größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bestreiten. Das ist wohl zu hinterfragen; denn seit den 90er Jahren sollen allein schon 70 Prozent der kollektiven ländlichen Unternehmen privatisiert worden sein. Zudem hatten chinesische Ökonomen bereits 1998 eingeschätzt, daß die nichtstaatliche Wirtschaft der eigentliche Träger der ökonomischer Entwicklung Chinas geworden war.1) Der heutige Anteil des staatlichen Sektors am BIP dürfte schätzungsweise bei 20 bis 25 Prozent liegen.

Private Investitionen

Charakteristisch für das letzte Jahrzehnt ist überhaupt das rapide Wachstum der Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums. Die privatkapitalistische Wirtschaft z. B. investierte im Anlagevermögen 2002 mit 1860 Milliarden Yuan bereits fast so viel wie der staatliche Sektor (1890 Milliarden Yuan). Die Zahl der Beschäftigten in Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums soll derzeit bei 165 Millionen liegen und damit nahezu doppelt so hoch sein wie im staatlichen und kollektiven Sektor zusammen. Wesentlicher ist, daß die neue Bourgeoisie in ihren Unternehmen nach Ansicht führender chinesischer Ökonomen effektiver wirtschaftet als das im staatlichen und kollektiven Sektor der Fall ist. Nicht zu vergessen sind die Unternehmen mit ausländischem Kapital, die 55 Prozent des chinesischen Exports bestreiten (2002)2). Das heißt: Das Kapital übt bereits einen maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas aus. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie es tatsächlich um das bisherige Gemeineigentum bestellt ist.

Maßgeblichen Einfluß auf die sich verändernde Rolle der verschiedenen Wirtschaftsformen nimmt gegenwärtig die »strategische Regulierung und Reorganisierung« des staatlichen Sektors. Die Überführung der staatlichen Unternehmen in die Bahn einer Marktwirtschaft, die durch den Beitritt zur WTO in den kommenden Jahren bis 2005 abzuschließen ist, ist bisher über erste Schritte nicht hinausgekommen. Ihre Bewirtschaftung ist nach wie vor stark von Institutionen und Methoden der sogenannten Planwirtschaft geprägt. Selbst die seit ein bis zwei Jahrzehnten angestrebte Trennung von Eigentums- und Bewirtschaftungsrecht ist in vielen Bereichen noch nicht erreicht.

Die Administration mischt sich weiterhin in die konkrete Bewirtschaftung der Unternehmen ein. Sie setzt immer noch rund 80 Prozent des Managements ein und agiert damit überwiegend als juristische Person der Unternehmen. Das hat einen Zustand gefördert, bei dem das Eigentum nominell staatlichen Charakter trägt, sich aber so recht niemand um seine effektive Realisierung kümmert. Die Neuorientierung für die Reform des Staatsvermögens im Sinne einer beschleunigten Durchsetzung der Marktwirtschaft und eines Mischeigentums in der chinesischen Wirtschaft soll nun eine Wende herbeiführen.

Diese »strategische Regulierung und Reorganisierung« bedeutet im einzelnen erstens, daß sich die staatlichen Unternehmen aus Bereichen »allgemeinen Konkurrenzcharakters« (durch Privatisierung, Verpachtung, Insolvenz u. ä.) zurückziehen und ihre Position in jenen Bereichen verstärken sollen, die für die Gesamtwirtschaft und Sicherheit des Landes von Bedeutung sind. Ihr Anteil am BIP soll sich insgesamt weiter verringern. Einen Höhepunkt der Privatisierung staatlicher wie kollektiveigener Unternehmen brachten die Jahre 2000–2002. Von den Unternehmen, die während der 5. Erhebung zur privatkapitalistischen Wirtschaft 2001 befragt worden sind, waren 25,7 Prozent vor ihrer Privatisierung Unternehmen des Gemeineigentums.

Die Neuorientierung bedeutet zweitens, ein Unternehmenssystem in Gestalt von Aktiengesellschaften zu schaffen und eine Pluralisierung der Eigentumsstruktur der Unternehmen anzustreben. Hierin einbezogen sind auch die zentral geleiteten Unternehmen bis auf jene Bereiche wie die militärische Industrie, in denen diese Schritte – wie es heißt – schwerlich zu realisieren sind.

Sie bedeutet drittens, die Unternehmen durch innerbetriebliche Reformen der Marktwirtschaft anzupassen und eine exakte, straffe Buchhaltung einzuführen. Damit soll erreicht werden, daß kein Staatseigentum mehr in private Taschen fließt, beim Verkauf von Unternehmen kein staatliches Vermögen verschleudert wird und die Unternehmen effektiv bewirtschaftet werden können.

Die Privatisierung staatlicher Unternehmen dürfte danach lediglich selektiv sein und vor allen in jenen Bereichen erfolgen, aus denen sich die staatliche Wirtschaft zurückziehen soll. Offenbar ist daran gedacht, zumindest einen Teil der Erlöse aus dem Verkauf staatlichen Vermögens in Form von Aktien wieder in den Unternehmen des Mischeigentums anzulegen, die profitable Aussichten bieten. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte es dann vier Arten von Aktiengesellschaften geben: 1. Unternehmen, deren Aktien unter verschiedenen staatlichen Unternehmen/Institutionen verstreut sind, 2. Unternehmen, bei denen der Staat die Aktienmehrheit besitzt; 3. Unternehmen, bei denen der staatliche Aktienanteil unter 50 Prozent liegt; und 4. Unternehmen, an denen der Staat nicht mit Aktien beteiligt ist.

Was veranlaßte die KPCh zu diesem grundlegenden Richtungswechsel in der Entwicklung der Eigentumsstruktur? Ich sehe drei Gründe:

1. Die Modernisierung der staatlichen Unternehmen erfordert enorme Mittel, die der Staat allein – zumal in kürzester Zeit – nicht aufzubringen vermag. Nach einer chinesischen Schätzung werden dafür rund 3 000 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa 366 Mrd. US-Dollar) veranschlagt.3)

2. Die übergroße Mehrheit der staatlichen Unternehmen ist augenscheinlich nicht in der Lage, sich in den nächsten zwei bis drei Jahren so zu modernisieren und die Bewirtschaftung so zu effektivieren, daß sie der dann nahezu ungebremsten internationalen Konkurrenz standhalten könnte.

3. Die Orientierung auf ein gemischtes Eigentum als hauptsächliche Wirtschaftsform dient wohl auch dazu, die ökonomische Potenzen des Landes über soziale Unterschiede und Gegensätze hinweg zu bündeln, um strategische Zielsetzungen abzusichern.

Verteilung nach Leistung?

In die neue Phase der Reform sind auch die 189 zentral geleiteten staatlichen Unternehmen mit ihren 9,1 Millionen Beschäftigten eingebunden. Vorgesehen ist, die Aktiengesellschaft mit ihren Institutionen Aktionärsversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat und Management auch in diesem Bereich »zur Hauptform für die Realisierung des staatlichen Vermögens in den zentralgeleiteten Unternehmen« zu entwickeln.4) Diese Umgestaltung soll 2004 forciert in Angriff genommen werden. Darin einbezogen sind zunächst auch die Chinesische Bank und die Aufbau-Bank, zwei der vier großen staatlichen Geschäftsbanken.5) In diesem Bereich geht es anscheinend ausschließlich um die Entwicklung von chinesischen »Multis« durch Fusion staatlicher Unternehmen, um Fusionen mit aus- und inländischem Kapital und um die Verflechtung staatlicher Unternehmen durch Aktien. Grundlage dafür ist die Klärung des Vermögens durch die Einschätzung des jährlichen Bewirtschaftungsergebnisses des jeweiligen Unternehmens. Die soll erstmals 2004 erfolgen.

Galt bisher die Zentralregierung als alleiniger Eigentümer der staatlichen Unternehmen, so ist nun die Eigentümerfunktion zwischen Zentralregierung und Provinzregierungen aufgeteilt. Für die zentral unterstellten Unternehmen übt die Zentralregierung weiterhin diese Funktion aus, für alle anderen staatlichen Unternehmen sind (unter normalen Bedingungen) fortan die Provinzregierungen die Eigentümer. Das staatliche Eigentum in der VR China wird also zweigeteilt sein in ein zentrales und in ein regionales Eigentum.

Mit der Durchsetzung der Marktwirtschaft vollziehen sich auch in anderen Bereichen der Produktionsverhältnisse fundamentale Veränderungen. Die primäre Verteilung des erwirtschafteten BIP erfolgt bereits heute zu bedeutenden Teilen über den Markt mit all ihren sozialen Folgen. Bedenklich für eine sozialistische Entwicklung des Landes ist dabei, daß der Staat bei der sekundären Verteilung des BIP nicht imstande ist, die negativen Auswirkungen zumindest erheblich abzuschwächen. Die Entwicklung gesellschaftlicher Wohltätigkeit für soziale Zwecke unter Beteiligung der neuen Bourgeoisie ist hier lediglich der besagte Tropfen auf dem heißen Stein.

Offiziell gilt nach wie vor, daß die Verteilung hauptsächlich nach der geleisteten Arbeit erfolgt. Mit der generellen Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware bestimmt jedoch der Markt immer mehr den jeweiligen Wert der Arbeitskraft. Vor einigen Wochen las ich in der chinesischen Presse, daß ein Unternehmen in der Provinz Síchuan einen erfahrenen Facharbeiter für seine spezifische Produktion suche. Angesichts des Facharbeitermangels wurde ein Jahresgehalt von 300 000 Yuan in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: Ein promovierter Professor an einem zentralen gesellschaftswissenschaftlichen Institut in Peking verdient im Jahresdurchschnitt um die 20 000 Yuan. Das Beispiel mag extrem sein, ist aber typisch. Der Markt übernimmt die Verteilung der Arbeitskräfteressourcen und bestimmt damit den Ausgangswert der Ware Arbeitskraft.

Was ist daran sozialistisch? Die KPCh argumentiert mit der entscheidenden Rolle des Gemeineigentums, das die Marktwirtschaft in China von der in den kapitalistischen Ländern unterscheide. Das ist eine Behauptung, die sich schon heute, zu einem Zeitpunkt, in der die Marktwirtschaft in China noch nicht voll ausgebildet ist, nicht beweisen läßt. Die Partei sieht die hauptsächliche Ursache für negative Auswirkungen der Marktwirtschaft in China darin, daß diese Ordnung noch unvollkommen sei. Das mag in gewissem Grade stimmen. Verglichen mit der Marktwirtschaft kapitalistischer Länder sehe ich jedoch keinen grundsätzlichen Unterschied in der Auswirkung der Marktgesetze. Dazu gehören auch die negativen Seiten: soziale Polarisierung, Korruption, Imitation von Waren, faule Kredite und Anarchie. Neben dem politischen Einfluß entscheidet heute die Position in der Marktwirtschaft maßgeblich über Stellung und Ansehen in der Gesellschaft.

»Neues Gemeineigentum«

Die von der Parteiführung in diesem Zusammenhang gesteuerten theoretischen Diskussionen haben einen zwiespältigen Charakter. Zum einen geht es um das sachliche Erfassen neuer Entwicklungen, vor allem im Bereich der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Darin drückt sich für mich ihre wissenschaftliche Seite aus. Zum anderen sollen sie den Nachweis führen, daß die recht pragmatische Politik der KPCh höchster Ausdruck eines »schöpferisch angewandten Marxismus« sei und eine neue Stufe in der Entwicklung des Marxismus verkörpere. Für mich wird damit der theoretische Anspruch ad absurdum geführt.

Die im Herbst 2003 aufgekommene Theorie über das »neue Gemeineigentum« beruht auf einer neuen Interpretation der Arbeitswerttheorie von Marx. Es wird anerkannt, daß die von Marx mit dieser Theorie getroffenen Aussagen von fundamentaler Bedeutung für die Erkenntnis des ökonomischen Wesens des Kapitalismus und für die gesellschaftlichen Produktivkräfte seiner Zeit sind. Die Bedingungen in China seien jedoch ganz andere. Deshalb gelte es, die Arbeitswerttheorie von Marx »schöpferisch weiterzuentwickeln«.

Die gewaltigen Veränderungen, die sich z. B. in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte vollzogen haben und vollziehen, stellen zweifellos eins solche Aufgabe. Das sehe ich auch als Nicht-Ökonom. Mit dem Fortschritt der wissenschaftlich-technischen Revolution hat sich die Rolle, die die einzelnen Produktionsfaktoren für die Entwicklung der Wirtschaft spielen, spürbar verändert. Geistige Arbeit, wissenschaftlich-technische Tätigkeit, Organisation der modernen Produktion, Rolle der Informationsarbeit u. ä. Faktoren haben in der sogenannten knowledge economy einen vorrangigen Stellenwert erhalten. Hier hat die Diskussion in China viel schöpferisches Denken hervorgebracht. Notwendig ist auch die Kritik an der traditionellen Geringschätzung der geistigen Arbeit und der Tätigkeit im dritten Sektor in der chinesischen Gesellschaft.

Problematisch wird die Diskussion für mich, wenn das eigentliche Anliegen berührt wird – die Bewertung der »Arbeit« des privatkapitalistischen Unternehmers. Ausgangspunkt ist die These: »Wissenschaftlich-technische Arbeit sowie Bewirtschaftung und Leitung, diese beiden Arten hauptsächlicher Arbeitsformen sind die Hauptkraft, um die Entwicklung der Produktivkräfte voranzubringen.«6) Hierauf beruht die uns in diesem Zusammenhang interessierende Aussage: Die Tätigkeit des Privatunternehmers im heutigen China sei eine Form der Bewirtschaftung und Leitung, also eine Form der Arbeit wie alle anderen. Dann beginnt der Eiertanz, um diese Arbeit von der Ausbeutung zu lösen. Ich konnte zwei Linien der »Argumentation« herausfinden. Im ersten Fall wird erst einmal allgemein postuliert, daß mit der ökonomischen Entwicklung auch der persönliche Besitz zunehme (wie ist das in der sozial polarisierten Gesellschaft Chinas?). Deshalb könne man nicht einfach das Vermögen »als Kriterium dafür nehmen, ob der Betreffende fortschrittlich oder rückständig sei«. Entscheidend sei vielmehr sein ideologisches und politisches Verhalten.7) Die objektive ökonomische Analyse wird hier einfach durch eine subjektive politische Wertung ersetzt. Im zweiten Fall wird behauptet, daß der Mehrwert, der unter den Bedingungen legaler ursprünglicher Akkumulation und legaler Bewirtschaftung eines Privatunternehmens erzeugt wurde bzw. wird, kein Produkt der Ausbeutung sei.8) Zwei Methoden, die marxistische Arbeitswerttheorie zu verdrehen, um das Kapital freizusprechen. Marx würde sich im Grabe umdrehen. Im Ergebnis erscheint dann der Privatkapitalist nicht als Ausbeuter, sondern wie der Arbeiter seines Unternehmens als »ein Erbauer des Sozialismus«. Da er über die größeren »ökonomischen Ressourcen« verfügt, wird er aus politischen Gründen in der neuen sozialen Hierarchie weit vor dem Arbeiter, dem Bauern und natürlich erst recht vor dem Arbeitslosen plaziert.

Diese Art Manipulation hat ihre eigentliche Grundlage in der These, daß in China der Transformationsprozeß bereits abgeschlossen sei und eine sozialistische Gesellschaft existiere. Von dieser Grundposition bis zur Theorie über das »neue Gemeineigentum« ist es nur ein logischer Schritt. Neu daran sind die angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital durch die Entwicklung von Aktiengesellschaften und der generelle Übergang zu einem gemischten Eigentum an Produktionsmitteln.

Für die in diesem Zusammenhang entwickelte theoretische Position ist ein Beitrag charakteristisch, der vom Zentrum zur Erforschung der Theorie Deng Xiaopings an der Parteischule des ZK der KPCh verfaßt wurde. »Wir meinen«, schreiben die Autoren, »daß die Wirtschaft des gemischten Eigentums, in der das Aktiensystem, das System der Aktiengenossenschaft u.ä. den Ton angeben, natürlich den Familiennamen ›Gemeinsam‹ (gong) trägt und zur Hauptform des Gemeineigentums im Anfangsstadium des Sozialismus wird.«9) Schon Marx hätte das Aktiensystem als Gemeineigentum angesehen.

Aneignung fremder Mehrarbeit

Das ist eine unbewiesene Behauptung. Marx schreibt: »Das Kapital ... erhält hier (durch die Bildung von Aktiengesellschaften – d. A.) direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital ... Es ist die Aufhebung des Privateigentums innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.« Für Marx ist diese Entwicklung »ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum des Produzenten«. Er betont jedoch zugleich, daß sich dabei der Profit nach wie vor darstellt »als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber dem wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen in der wirklichen Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis hinab zum letzten Tagelöhner.«10) Folglich charakterisierte Marx die Aktiengesellschaft im Kapitalismus keineswegs als eine Art Gemeineigentum, bei dem die Produzenten der betreffenden Wirtschaftseinheit zugleich ihre Eigentümer sind. Das trifft auch für die heute in China angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital in Form von Aktiengesellschaften zu. Diese Aktiengesellschaften können folglich auch keine neue Form des Gemeineigentum sein.

Aus meiner Sicht haben alle diese neuen Theorien der KPCh im Grunde eine Bestimmung. Sie sollen alle Kräfte des Landes bündeln und multiplizieren, um China neben den USA als eine ökonomische und damit auch politische, militärische und kulturelle eigenständige Weltmacht zu etablieren. Das scheint auch das eigentliche Anliegen der Orientierung auf »die Renaissance der chinesischen Nation« zu sein.

Die neue Bourgeoisie
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil III und Schluß)
 
Aus offiziöser soziologischer Sicht gibt es in der Volksrepublik China keine Klassen mehr. Danach gliedert sich die Bevölkerung nach ihren jeweiligen politischen, ökonomischen und kulturellen Ressourcen in zehn neue soziale Schichten. Lange bevor die Theorie von dieser neuen Sozialstruktur der chinesischen Gesellschaft aufkam, hatte die politische Praxis diesen Schritt schon vorweggenommen.1 Der Anteil der Arbeiter und Bauern unter den Mitgliedern der KPCh und den Abgeordneten der Volkskongresse wurde seit den 1990er Jahren immer kleiner, der der politischen Führungskader, der Beamten und Intellektuellen (in der Partei auch die der Privatunternehmer) hingegen immer größer. Vertreter der wissenschaftlich-technischen Intelligenz unter den Parteikadern besetzten fast alle Führungsposten an der Spitze der Partei. Arbeiter und Bauern von der »Graswurzel-Basis« sind dort schon lange nicht mehr zu finden. Die Darstellung in den Dokumenten der Partei, zu ihrer eigentlichen Klassenbasis würden in erster Linie Arbeiter und Bauern gehören, kann deshalb bezweifelt werden.

Privatunternehmer und Millionäre

In der Sprache der KPCh gibt es im heutigen China keine einheimische Bourgeoisie. Privatkapitalistische Unternehmer firmieren in den Dokumenten der Partei und in Veröffentlichungen eines Teils der chinesischen Ökonomen als »Unternehmer aus dem Volke« (minjian qiyejia). Die KPCh versucht in ihrer nationalen Politik offenbar, den dem Privatkapitalismus immanenten Antagonismus zu verschleiern. Diese Position scheint jedoch breiteren Teilen des Volkes, darunter auch Kadern im politischen Apparat, schwer vermittelbar zu sein.

Die heutige Position der KPCh gegenüber dieser neuen sozialen Schicht ist durch aktuelle und weitreichende ökonomische Erfordernisse gesprägt. Nach der fünften nationalen Erhebung über die privatkapitalistischen Unternehmen1 existierten 2001 etwas über zwei Millionen dieser Wirtschaftseinheiten mit 4,6 Millionen Kapitaleignern und einem Privatvermögen von über 85 000 Milliarden Yuan. Sie verfügten im Durchschnitt über ein Kapital von 2,5 Millionen Yuan (plus 66,7 Prozent gegenüber 1999). In den letzten Jahren beschleunigte sich der Konzentrationsprozeß des Kapitals. So wuchs die Zahl der Unternehmen mit einem Kapital von jeweils mehr als 500 Millionen Yuan von 110 im Jahre 1999 auf 378 im Jahre 2001 an.2

Privatkapitalistische Unternehmen dieser Wirtschaftsform finden sich vor allem im produzierenden Gewerbe (darunter in der High-Tech-Industrie), im Immobilienwesen und im Bereich Handel/Gastronomie. In den letzten Jahren haben sie sich verstärkt im neuen Dienstleistungswesen zu entwickeln begonnen, darunter vereinzelt auch schon im Banksektor (Gründung der Bohai-Bank u.a.). Weit über die Hälfte der 400 stärksten Einheiten dieser Wirtschaftsform ballt sich im Raum Jiangsu-Shanghai-Zhejiang zusammen. Rund zwei Drittel aller Unternehmen sind in Mittel- und Kleinstädten angesiedelt.

Nach einer im Oktober 2003 veröffentlichten Analyse über die 100 reichsten Personen in der VR China beträgt das Vermögen der ersten 90 Personen jeweils zwischen knapp 1einer und 7,5 Milliarden Yuan (umgerechnet 110 –915 Mio. US-Dollar). Einige konkrete Beispiele:

1. Platz und reichster Mann der VR China: Ding Lei, 33 Jahre, Provinz Zhejiang, 7,5 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Informationstechnologie;

2. Platz: Rong Zhijian, 61 Jahre, Provinz Jiangsu, 7 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Luftfahrt, Immobilien und Telekommunikation;

50. Platz: Wu Bingxin, 65 Jahre, Provinz Shandong, 1,5 Milliarden Vermögen, Geschäftsbereich: Gesundheits- und Kosmetikindustrie;

100. Platz: Zhang Hongwei, 53 Jahre, Harbin (NO-China), 900 Millionen Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Immobilien, Supermärkte und Banken.

Ein Drittel der hundert reichsten Personen ist bis 40 Jahre alt, 80 stammen aus Ostchina. Die soziale Schicht der neuen Bourgeoisie (ohne das Kleingewerbe) umfaßt heute zusammen mit ihren Familien schätzungsweise etwa 20 Millionen Menschen. Weit über 90 Prozent dürften der unteren und mittleren Bourgeoisie zuzuordnen sein. Die obere Gruppe dieser sozialen Schicht ist zahlenmäßig gering, verfügt jedoch über ein enormes Vermögen.

Auf welchen Wegen konnte diese Spitzengruppe von Kapitaleignern in einer historisch so kurzen Zeit ein so riesiges Vermögen zusammentragen? Mindestens 90 Prozent der privatkapitalistischen Unternehmer sollen aus Familienkreisen heutiger und ehemaliger Führungskader mit gesellschaftlichem Einfluß kommen. Gut fünf Prozent seien bei der ursprünglichen Akkumulation durch Verwandte in Hongkong, Macao und Übersee kräftig unterstützt worden. Nur 4,5 Prozent hätten sich das Vermögen durch eigene Tätigkeit erworben.3 Ein beträchtliches Vermögen nicht weniger privatkapitalistischer Unternehmer dürfte unredlich erworben worden sein. Das war auch der Hintergrund, weshalb in den ersten Monaten des Jahrs 2003 in der Öffentlichkeit die Forderung aufkam zu untersuchen, wie die Unternehmer zu ihrem »ersten Faß Gold« (ursprüngliche Akkumulation) gekommen waren. Die Administration beschränkte sich dann jedoch im wesentlichen darauf, lediglich die Steuersünder zur Kasse zu bitten.

Die chinesische Privatwirtschaft spielt inzwischen eine nicht zu ersetzende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Sie erzeugt heute über ein Drittel des BIP des Landes und schafft die meisten neuen Arbeitsplätze. 20 Prozent ihrer Beschäftigten sind Arbeiter, die aus staatlichen und kollektiveigenen Unternehmen entlassen worden waren. Dieser Teil der chinesischen Wirtschaft entrichtet im Jahr an die 100 Millionen Yuan Steuern. In den wirtschaftlich entwickelten Regionen Südostchinas erbringt er sogar zwei Drittel aller Einnahmen des Fiskus. In nicht wenigen Kreisstädten an der Ostküste bestimmt die Privatwirtschaft die wirtschaftliche Basis mit Anteilen am Bruttosozialprodukt von bis zu über 80 Prozent. Der Anteil dieser Wirtschaftsform am Außenhandel ist zwar noch gering (2002: 55,2 Milliarden US-Dollar = 8,6 Prozent), er weist jedoch einen geradezu sprunghaften Anstieg auf (plus 57 Prozent gegenüber 2001). Die Zusammenarbeit dieser Unternehmen mit dem ausländischen Kapital geht über Anfänge hinaus. Sie erfolgt zu knapp 50 Prozent im produzierenden Gewerbe. Mit gut drei Prozent ihres Kapitals hat die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas auch begonnen, im Ausland Fuß zu fassen. Es war aber auch die politische Unsicherheit, die Vertreter dieser sozialen Schicht veranlaßte, ihr Kapital ins Ausland abfließen zu lassen.

Diese ökonomischen Realitäten üben einen spürbaren und zunehmenden Druck auf die Politik der Kommunistischen Partei gegenüber der privaten Unternehmerschaft aus, dem die Führung des Landes Rechnung trägt. Mit der auf der 2.Tagung des 10. Nationalen Volkskongresses (NVK) zu erwartenden Revision der Verfassung wird der Schutz des privatkapitalistischen Eigentums dem Schutz des Gemeineigentums gleichgestellt werden. Damit wird dann die neue Bourgeoisie in die Kategorie »Volk« ökonomisch und politisch gleichberechtigt integriert sein.

Politische Absicherung angestrebt

Politisch erfolgte dieser Schritt zuvor schon in der Rede des damaligen Generalsekretärs des ZK der KPCh, Jiang Zemin, zum 80. Jahrestag der Gründung der Partei. Und der 16. Parteitag bekräftigte den politischen Platz der Privatunternehmer als »Erbauer des Sozialismus chinesischer Prägung«. Er bestimmte abermals im Nachhinein, daß die »hervorragendsten Vertreter« unter ihnen der KPCh beitreten dürfen. Zhang Houyi, Fachmann für die Erforschung der chinesischen Privatunternehmertums an der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften (CASS), betrachtet die genannte Rede Jiang Zemins nicht ohne Grund als den »historischen Wendepunkt« in der Entwicklung dieser sozialen Schicht der Privatunternehmer.4

Der aufstrebenden Bourgeoisie stehen heute im Grunde vier Wege offen, um ihre Interessen politisch vertreten zu können – als Abgeordnete der Volkskongresse, als Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (Organisation der nationalen Einheitsfront, im folgenden: PKKCV), als Mitglieder der Chinesischen Vereinigung der Industriellen und Händler (CVIH) und der politischen Parteien. 2001 waren 79 Prozent der Privatunternehmer in der Berufsorganisation CVIH organisiert. Unter den politischen Institutionen wird die PKKCV bevorzugt. Als Mitglieder dieser Organisation waren im gleichen Jahr von den Kreiskongressen bis zum nationalen Kongreß insgesamt 35,1 Prozent aller Angehörigen dieser Schicht registriert. Schätzungsweise 17 bis 19 Prozent sind Abgeordnete der Volkskongresse von den Stadtbezirken bzw. ländlichen Xiang an aufwärts. An den ersten Tagungen des X. NVK und der X. PKKCV auf nationaler Ebene im März 2003 nahmen zusammen 65 Privatunternehmer als Abgeordnete des NVK bzw. Mitglieder der PKKCV (in der vorangegangenen Wahlperiode erst fünf Mandate), aber nur 33 Vertreter aus der Wirtschaft des Gemeineigentums teil.

Parteimäßig sind diese Unternehmer vor allem in der KPCh organisiert. Die Zahl der KP-Mitglieder unter ihnen ist mir nicht bekannt. Einen gewissen Aufschluß vermittelt der Vergleich zwischen den befragten Unternehmern in den letzten fünf Erhebungen über die privatkapitalistische Wirtschaft.

Anteil der KP-Mitglieder

unter den befragten Unternehmern (in %)

1993 1995 1997 1999 2001

13,1 17,1 16,6 19,8 29,9

Das starke Ansteigen der Zahl dieser Parteimitglieder 1999-2001 hängt mit der Privatisierung staatlicher und kollektiver Unternehmen in jenen Jahren zusammen. Die Eigentümer einer Reihe von privatisierten Unternehmen waren zuvor oftmals die Leiter der betreffenden Wirtschaftseinheiten. 192 der 2001 befragten Personen waren mit der Privatisierung der Unternehmen noch vor der Rede Jiang Zemins zum 1. Juli 2001 der KPCh beigetreten.

Wenn wir den Anteil der KP-Mitglieder unter den befragten Unternehmern im Jahre 2001 als allgemeine Durchschnittszahl annehmen würden, dann hätte diese soziale Schicht einen Anteil an der Gesamtzahl der Parteimitglieder von etwas mehr als ein Prozent.

Das Motiv für den Beitritt von Unternehmern zur KPCh scheint weit überwiegend utilitaristischer Natur zu sein. So ergaben beispielsweise Untersuchungen des Instituts für Soziologie an der Zhongshan-Universität Guangzhou, daß über 40 Prozent der Befragten der Partei beitraten, um »die Entwicklung ihrer Geschäfte voranzubringen«. Gut 18 Prozent nannten als Grund, »ihre gesellschaftliche Stellung zu erhöhen«. Und fast 14 Prozent wollten damit für sich »eine relative politische Sicherheit erreichen«.5

Nutzt die Bourgeoisie diese neuen Möglichkeiten aus, um ihre Interessen als soziale Schicht offen zu artikulieren und durchzusetzen? Chinesische Forscher sehen das noch unterschiedlich. Einige schätzen ein, daß sie zwar im wesentlichen in die Politik einsteigen, um ihre privaten Geschäfte zu fördern, von einem Schichtbewußtsein aber könne noch nicht gesprochen werden. Andere wiederum wie Chen Guangjin von der CASS gehen etwas weiter. Das »Kollektivbewußtsein dieser Schicht« habe sich zwar noch nicht vollständig herausgebildet. In Fragen wie Steuersenkung, Schutz des Privateigentums u. ä. aber sei ihre Position schon relativ einheitlich. Ökonomisch wie politisch bestehe ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung. Die Diskussionen auf den Tagungen des NVK und der PKKCV im März 2003 bestätigen seine Einschätzung. Die wichtigsten ihrer auf diesen Tagungen erhobenen Forderungen waren: Beseitigung von Hindernissen für die Entwicklung ihrer Unternehmen, Rechte und Behandlung wie die staatlichen Unternehmen bei Krediten, Bodenrequirierung, Bewirtschaftungsrahmen, im Außenhandel u.ä. Chen folgert daraus: »Die Orientierung auf gemeinsame Werte drückt im Unterschied zu anderen Schichten aus, daß diese Schicht bereits zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden ist.«6

Fortschritt oder Rückschritt?

In diesen Jahren sind in der China grundlegende Weichenstellungen zu erwarten. Wird die Orientierung der KPCh auf das Mischeigentum auch die Richtung für die unausweichliche weitere Umgestaltung des politischen Überbaus bestimmen? Könnte sich damit eine Art von Konvergenz mit dem Kapitalismus entwickeln, eine »Konvergenz chinesischer Prägung«? Im Jahre 2002, vor dem 16.Parteitag der KPCh, hatten sich derartige Wortmeldungen gehäuft. So hieß es, daß sich die Ansicht, der privatkapitalistische Unternehmer sei ein Ausbeuter, im Widerspruch zur »heutigen großen Lage« befände. Denn: »In der Tendenz verblassen die Trennlinien zwischen den Ideologien.« Die Völker würden materiellen und geistigen Reichtum genießen wollen. »Auf der Grundlage dieses praktischen Verstandes durchbrechen die Menschen ständig die Grenzen der Systeme und der Kulturen. Als Ausdruck dessen dürfen wir die ›Katzentheorie‹ und die ›Rede zum 1. Juli‹ ansehen.«7 Noch ist nicht klar, ob sich diese Tendenz auch unter der neuen Führung fortsetzen wird oder nicht.

Ist es bei der Einschätzung der chinesischen Entwicklung überhaupt angemessen, den Sozialismus zum Maßstab der chinesischen Dinge zu machen? Nach wie vor ist das Land erheblich davon entfernt, sich den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit seit der Französischen Revolution zu eigen gemacht zu haben. Jeder Schritt zur Verringerung und Überwindung dieses Rückstandes ist in China ein historischer Fortschritt. Das gilt für die materiellen wie für die geistigen Verhältnisse. Wenn das Kapital dazu beiträgt, dann ist es ein Faktor menschlichen Fortschritts. In abgewandelter Form gilt für mich hier die These Lenins, aufgestellt bei der Begründung seiner NÖP: Der Kapitalismus sei ein Segen gegenüber dem Mittelalter, gegenüber dem Sozialismus hingegen ein Übel.8 Auf dem Wege des historischen Fortschritts wäre die Aneignung der zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit in organischer Verbindung mit dem gesellschaftlichen Fortschritt zum Sozialismus die optimale und von Kommunisten zu erkämpfende Perspektive. Wenn sich nun aber auch in China herausstellt, daß das Überspringen der kapitalistischen Entwicklungsstufe eine Utopie ist? Auch dann bleibt für mich jeder Schritt, der die chinesische Gesellschaft aus ihrer historischen Zurückgebliebenheit befreit, ein Fortschritt.

China wird lange, bevor es die Pro-Kopf-Parameter des ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der kapitalistischen Welt erreicht haben wird, auf Grund seiner besonderen nationalen Bedingungen eine ökonomische Weltmacht sein. Welche Farbe es dann tragen wird, ist ungewiß. In jedem Fall wird es ein relativ eigenständiger und sich seiner Stärke bewußter Pol in einer multipolaren Welt sein. Allein schon diese Position Chinas würde für unsere Auseinandersetzung mit den aggressivsten und reaktionärsten Kräften des Imperialismus eine nicht unerhebliche Bedeutung haben.

Helmut Peters
 
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

Wandel und Fortschritt in China

 
01.02.04 13:37
#32
Die schönsten Zeichen ...
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil I)
 
* Vor einem Jahr setzte sich Helmut Peters an dieser Stelle mit der Auffassung der KPCh auseinander, in China würde bereits seit Mitte der 1950er Jahre die sozialistische Gesellschaft bestehen (jW, 24.1.03). Nachfolgende Untersuchungen haben seine Erkenntnis gefestigt: Die chinesische Gesellschaft weist noch keine Elemente und gesellschaftlichen Beziehungen auf, die gegenüber dem Kapitalismus eine höhere historische Qualität verkörpern und begründet als sozialistisch charakterisiert werden können. Wir veröffentlichen seine Analyse in drei Teilen. Prof. Dr. Peters ist Sinologe, arbeitete von 1963 bis 1968 an der DDR-Botschaft in Peking und leitete anschließend bis 1990 den Forschungsbereich China an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED.


Wandel meint hier zunächst einmal Veränderungen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Jüngste Beispiele sind die grundlegende Umgestaltung des staatlichen Wirtschaftssektors und der Beschluß der Kommunistischen Partei (KP), in der Landesverfassung den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln dem Schutz des Gemeineigentums gleichzustellen.

Ist ein solcher Wandel nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt? Trägt unter den konkreten Bedingungen des heutigen China jeder Fortschritt bereits sozialistischen Charakter? Ist hier die Entwicklung kapitalistischer Elemente gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Rückschritt? Was ist, wenn die Vorgabe, Gemeineigentum gleich höhere Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Kapitalismus, nicht erreicht wird? Welche Kriterien sind hier an eine Privatisierung staatlicher Unternehmen anzulegen? In diesen und ähnlichen Fragen prallen die Meinungen unter Linken heftig aufeinander.

Ihr Disput über den Weg der chinesischen Volksrepublik steckt in einer Sackgasse. Einige sehen trotz aller Probleme und Widersprüche unter Verweis auf die Dokumente der KPCh eine anhaltende und stabile sozialistische Entwicklung.1) Andere sprechen von der Liquidierung sozialistischer Errungenschaften und vom Rückschritt in den Kapitalismus. Den Vertretern beider Positionen ist eines gemeinsam: Der Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist nicht die objektive Realität. Die einen stellen die Entwicklung des Landes aus der Sicht der Dokumente der KPCh dar, obwohl sie als Marxisten »die Wahrheit in der Praxis« suchen müßten. Die anderen setzen ihre subjektive Sicht auf China mit den dortigen nationalen Gegebenheiten gleich und vermeinen, damit der Weisheit letzten Schluß zu vertreten. Natürlich ist die Thematik höchst kompliziert, ohne Streit werden wir uns der Wahrheit kaum nähern.


Der Transformationsprozeß

Vielleicht wiederhole ich mich für einen Teil der Leser: Der Anfang der 1950er Jahre in China eingeleitete Übergang zum Sozialismus weist eine grundlegende Besonderheit auf: Es ist der Versuch, aus im wesentlichen vorkapitalistischen und kolonial deformierten Gesellschaftsverhältnissen unter Auslassung des kapitalistischen Entwicklungsstadiums zum Sozialismus zu gelangen. 2)

Über die Möglichkeit eines solchen Weges zum Sozialismus war mit Blick auf die Russische Oktoberrevolution erstmals eine kontroverse Debatte zwischen Lenin und Theoretikern der II. Internationale geführt worden. Bekanntlich hatte auch G.W. Plechanow diese Möglichkeit verneint. Der Untergang der UdSSR und anderer »realsozialistischer« Staaten könnte den Kritikern Lenins nachträglich Recht geben. Die Aussage, die seinerzeit von den in den »realsozialistischen« Ländern regierenden kommunistischen Parteien getroffen worden war, der Sozialismus habe mit dem Abschluß der Übergangsperiode »endgültig gesiegt« und sei damit »unumkehrbar« geworden, wurde von der Geschichte widerlegt. Selbst in der UdSSR war der Sozialismus trotz des Aufstiegs zur zweiten Weltmacht nicht unumkehrbar geworden. Optimistisch formuliert: Die Geschichte hat die Frage, ob es möglich ist, ohne eine durchgängige Entwicklung des Kapitalismus zum Sozialismus zu gelangen, bisher nicht positiv beantwortet.

Die VR China hatte aus weitaus rückständigeren Gesellschaftsverhältnissen als seinerzeit Rußland den Weg zum Sozialismus angetreten. Eineinhalb Jahrzehnte verfehlter Politik (»großer Sprung«, Volkskommune und »Kulturrevolution«) erschütterten diesen historischen Prozeß erheblich und warfen ihn zurück. Noch auf ihrem 13. und 15. Parteitag (1987 und 1997) schätzte die KPCh ein, daß die historische Rückständigkeit des Landes in weiten Bereichen nicht überwunden war. Die historischen Erfahrungen des »realen Sozialismus« und die bisherige Entwicklung in der VR China legen deshalb den Schluß nahe: Die Richtung des historischen Transformationsprozesses, in dem sich die chinesische Gesellschaft befindet, ist nach wie vor offen.

Die VR China ist z. B. noch weit von den ökonomischen Voraussetzungen für eine sozialistischen Gesellschaft entfernt. Bei der Begründung der Naturalsteuer hatte Lenin betont, man wisse nun »viel konkreter als früher«, daß »ohne eine hochstehende Industrie ... vom Sozialismus überhaupt keine Rede sein (kann), erst recht nicht in einem Bauernland«.3) Für ihn war unter den damaligen Bedingungen die Elektrifizierung der Volkswirtschaft das Maß aller Dinge. Heute werden an die ökonomischen Voraussetzungen einer sozialistischen Gesellschaft höhere Anforderungen gestellt. Sie werden durch die wissenschaftlich-technische Revolution bestimmt.

Die KP Chinas scheint mit der angestrebten »sozialistischen Modernisierung« diesen Anforderungen zu entsprechen. Eine andere Frage ist, ob sie dieses Ziel bis Mitte des Jahrhunderts erreichen kann. In den letzten Monaten zeichnet sich in der chinesischen Führung eine neue Weise des Herangehens an diese Problematik ab. Nach dem Beispiel kapitalistischer Länder war bisher das Bruttoinlandsprodukt (BIP) das alleinige Kriterium, an dem das »Einholen« dieser Länder durch China gemessen wurde. Jetzt soll ein ganzes Bündel von Kriterien gelten, um die Fortschritte im Lande anhand der Entwicklung in wichtigen Bereichen zu messen. (Dazu gehören die finanziellen Einnahmen des Staates, das durchschnittliche Prokopfeinkommen der Bevölkerung, die Erschließung von Kapitalquellen, die Entwicklung der drei Sektoren: Schutz der Umwelt, Beschäftigung und soziale Sicherheit, Entwicklung der geistigen Zivilisation, Aufbau der Partei und gesellschaftliche Stabilität.) Das ist eine wesentliche Korrektur. Ob sich damit an der bisherigen Strategie des »Einholens« etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

Ausgangspunkt und wesentlicher Inhalt der Modernisierung Chinas ist die Industrialisierung des Landes. Sie hat bereits eine 50jährige Geschichte. Heute ist jedoch klarer als früher, daß der Grad der Industrialisierung eines Landes nicht allein oder in erster Linie an dem Anteil gemessen werden kann, den die Industrie am gesellschaftlichen Gesamtproduktionswert hat (Stalin). Er ist m.E. vielmehr daran zu messen, inwieweit die Erzeugnisse der jeweiligen modernsten Technologie die Entwicklung aller Branchen der Volkswirtschaft und aller Regionen des Landes bestimmen. In diesem Sinne scheint die umfassende Industrialisierung Chinas bis 2020, welche die noch stark rückständige Landwirtschaft einschließt, eine kaum lösbare Aufgabe zu sein.

Solche Überlegungen mögen manchem Leser, der China in jüngster Zeit besucht hat, nicht recht einleuchten. Er hat doch mit eigenen Augen unglaubliche Erfolge gesehen. Richtig, aber weitgehend nur in den östlichen Regionen. Der Weltraumflug des ersten Taikonauten symbolisiert den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes. Chinesische Wissenschaftler haben zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes beigetragen. In der Biochemie, in Bereichen der Informationstechnik, beim Klonen von Tieren, bei genverändertem Reis und einer Reihe weiterer Forschungsgebiete ist das Land in die Weltspitze aufgerückt. Ich könnte weitere Bereiche aufzählen.


Mao: Armut kann ein Vorzug sein

China kennt aber noch eine andere Welt, in der sich die althergebrachte Produktionsweise noch nicht wesentlich verändert hat. Es genügt, auf die Zurückgebliebenheit und das Wiederaufleben alter Denk- und Verhaltensweisen in weiten Teilen der dörflichen Regionen zu verweisen, in denen heute noch zwei Drittel der chinesischen Bevölkerung leben. In dieser Welt leben rund 80 Millionen Menschen mit einem durchschnittlichen Prokopfeinkommen von etwa 80 US-Dollar im Jahr und weniger. 200 Millionen Menschen suchen Arbeit. Über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zudem hat die Industrialisierung des Landes in den zurückliegenden Jahrzehnten beträchtliche Umweltschäden verursacht.

Sozialismus, dieser Traum aus Europa, ist in China noch keine gesellschaftliche Realität geworden. Die These der KPCh, sie habe bereits Mitte der 1950er Jahre (nach drei Jahren Übergangsperiode!) eine sozialistische Gesellschaft geschaffen, ist eine unbewiesene politische Behauptung. Verstaatlichung des Eigentums, und darum geht es in diesem Zusammenhang, ist noch kein Sozialismus. Der Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Produktivkräfte wird in dieser These vollkommen ausgeblendet. Die Bauern beispielsweise, im damaligen Agrarland China die weit überwiegende Mehrheit der Produzenten, beackerten ihre Felder mit den gleichen Produktionsmitteln und in der gleichen Weise wie ihre Vorfahren in der Han-Zeit vor 2000 Jahren.

Mao Zedong bedauerte, daß die chinesische Revolution später als die russische gesiegt hatte. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 hielt er die Möglichkeit für gegeben, das zu ändern. Er begann das chinesische Volk mit einem »weißen Blatt Papier« zu vergleichen, auf das die schönsten Zeichen geschrieben werden könnten. Er meinte damit, unbelastet vom Kapitalismus; zugleich unterschätzte bzw. idealisierte er die starken Einflüsse jahrtausendealter Feudalgeschichte. Die Armut des Volkes wurde als Vorzug betrachtet – »je ärmer, desto revolutionärer«. Schließlich wurde die Volkskommune als »goldene Brücke in den Kommunismus« propagiert.

In seiner Rede zum 110. Geburtstag Mao Zedongs am 26. Dezember 2003 sah Generalsekretär Hu Jintao darin einen Ausdruck der Unkenntnis über die Gesetzmäßigkeiten beim Aufbau des Sozialismus.4) Das ist schwerlich zu bestreiten, aber nicht die eigentliche Wahrheit. Mao Zedong war ohne jeden Zweifel die herausragende Persönlichkeit in der jüngsten chinesischen Revolutionsgeschichte. Er beging aber auch schwere Fehler, die vielen Millionen Chinesen das Leben oder die Gesundheit kosteten. Die damalige Politik der »drei roten Banner«(Großer Sprung nach vorn, Volkskommune und Neue Generallinie) trug seine Handschrift. In ihr spiegelte sich unübersehbar ein nationalistisches Bestreben, den »historischen Rückstand« der chinesischen Revolution aufzuholen und die Sowjetunion durch einen »Sprung in den Kommunismus« in der historischen Entwicklung zu überholen.


»Nachholende Entwicklung«

China befindet sich in einer Phase des Transformationsprozesses, in der die »nachholende Entwicklung« das zentrale Problem darstellt. Was verstehe ich unter nachholender Entwicklung? Eine kritische Aneignung der materiellen und geistigen Fortschritte der menschlichen Zivilisation im Zeitalter des Kapitalismus seit der Französischen Revolution. Ohne ihre umfassende Aneignung und Weiterentwicklung wird es keinen Sozialismus geben. Diese Erkenntnis findet sich schon bei Marx und Lenin. Leider geriet sie in der kommunistischen Bewegung nach dem Tode Lenins in Vergessenheit. In Teilen der Linken verdrängt die revolutionäre Phraseologie noch heute diesen grundlegenden Gedanken.

Mit ihrer Reform- und Öffnungspolitik begann die KPCh zu dieser Erkenntnis zurückzufinden. Das ist vor allem das Verdienst Deng Xiaopings. Zwei Gedanken standen am Anfang des Reform- und Öffnungsprozesses: China muß sich alles Progressive aus den Kulturen der Menschheit, einschließlich des Kapitalismus, aneignen, und Sozialismus ist ohne Demokratie nicht denkbar. Mitte der 90er Jahre wuchs eine neue Erkenntnis – die Notwendigkeit, auf dieser Basis einen sozialistischen Rechtsstaat aufzubauen. Und vor zwei Jahren erweiterte die Partei diesen Gedanken mit der Orientierung, eine politische Kultur des Sozialismus zu schaffen. Angesichts der Kürze der Zeit ist in diesem Prozeß vor allem in der Gesetzgebung viel geleistet worden. Verabschiedet wurden nicht nur Gesetze, die die Marktwirtschaft regeln sollen, sondern auch Gesetze, die die Rechte der Werktätigen, der Frauen und Kinder, der Behinderten und der Bürger gegenüber dem Staat festschreiben.

Das entscheidende Problem bleibt hierbei jedoch die Durchsetzung der beschlossenen Gesetze. Dem wirken vielfältige Faktoren entgegen. Anders als in Europa hat die Geschichte im chinesischen Volk kein ausgeprägtes Gesetzesbewußtein hinterlassen. In der Familie wie in den Institutionen der politischen Macht wirken noch starke patriarchalische Einflüsse aus der Zeit der Feudalgesellschaft nach. Und einer Regierung des Landes auf der Grundlage der Gesetze steht die jahrzehntelang geübte Praxis im Wege, wonach der, der die politische Macht ausübt, mit seiner »Weisung« auch das Gesetz verkörpert. So geht es in der gegenwärtigen Debatte um die Erhöhung der Autorität der Landesverfassung eigentlich darum, damit Schluß zu machen, daß sich die KPCh und ihre Führungskader über Recht und Gesetz stellen. Schließlich erschwert der Druck des internationalen Kapitals die Aufgabe, die rationellen Bestandteile der politischen Kultur des Kapitalismus für die sozialistische Entwicklung nutzbar zu machen. Ergo: China ist bei der Schaffung einer modernen politischen Kultur offensichtlich erst am Anfang eines wahrscheinlich sehr langen Weges.

»Nachholende Entwicklung« meint nicht eine Kopie früherer Entwicklungen und Entwicklungsstufen des Kapitalismus. Sie vollzieht sich in China erstens unter dem Aspekt des Übergangs zum Sozialismus (zumindest bisher), zweitens wird sie durch die besonderen nationalen Gegebenheiten geprägt und drittens steht sie im Kontext mit der zeitgenössischen internationalen Entwicklung.

Sehen wir uns diese Problematik am Beispiel der Industrialisierung etwas näher an. Die Industrialisierung Chinas wurde 1953 mit dem Ziel eingeleitet, die materiellen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft in etwa 15 Jahren zu schaffen. Diese Industrialisierungspolitik der KPCh war nach dem »Stalinschen Modell« entwickelt worden. Mit dem Einsetzen der Reform- und Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre wurde dieser Prozeß neu orientiert und den nationalen Gegebenheiten angepaßt. Das drückte sich u. a. aus in den drei Schritten der Modernisierungsstrategie, in der betonten Entwicklung des Lebensstandards des Volkes, in der Ausbildung einer pluralen Eigentumsstruktur und in der einsetzenden Nutzung ausländischen Kapitals. Erstmals wurde nun auch versucht, die Modernisierung Ostchinas mit der in Mittel- und Westchina zu verbinden.

Seit den 90er Jahren spielen zwei neue Faktoren eine Rolle: Zum einen begann das ausländisches Kapital nach China zu strömen, verbunden mit der Verlagerung arbeitsintensiver Industrien aus Hongkong, Taiwan sowie Japan, Südkorea, den USA und anderer kapitalistischer Länder in das Niedriglohnland China. Das führte zu einer bis dahin nicht gekannten Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses, in den auch die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas einstieg. Die maßgebliche Rolle, die das Kapital inzwischen für die weitere Industrialisierung (und damit auch für den chinesischen Export!) spielt, hat natürlich seine Kehrseite. Das Kapital strebt nicht nur nach Profitmaximierung. Es sucht auch die sozialistische Richtung des Transformationsprozesses zu schwächen und in seinem Sinne zu verändern.

Zum anderen nahmen jetzt die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution Einfluß auf Inhalt und Verlauf der Industrialisierung. Die KP Chinas sprach deshalb auf ihrem 16. Parteitag (2002) von einem »neuen Typ der Industrialisierung«. Eigentlich ist es mehr. Die Industrialisierung Chinas geht unter diesen Bedingungen in ihrem letzten Entwicklungsabschnitt bereits in einen qualitativ höheren Typ gesellschaftlichen Produktivkräfte über (knowledge economy). Eng verbunden ist damit der Wechsel von einer extensiven zu einer intensiven Produktion und Reproduktion der Volkswirtschaft. Das trifft derzeit allerdings nur auf die ökonomisch fortgeschrittenen Regionen des Landes zu.

»Nachholende Entwicklung« birgt die Gefahr in sich, in den Sog kapitalistischer Entwicklung zu geraten. Diese Gefahr ist für China im Verlaufe des letzten Jahrzehnts unübersehbar geworden. Sie resultiert nicht allein aus dem massiven Druck, den das internationale Kräfteverhältnis und die Chinastrategie des internationalen Kapitals auf das Land ausüben. Bei allen Vorteilen, die der WTO-Beitritt bringt, hat dieser Schritt natürlich auch die internationalen Multis in eine noch günstigere Position gebracht. Diese Gefahr resultiert zugleich aus der Politik der KPCh, sich des Kapitals für die Verwirklichung ihrer langfristigen strategischen Ziele des Kapitals immer umfassender zu bedienen und dafür immer weitergehendere Zugeständnisse an die Marktwirtschaft des Kapitals eingehen zu müssen.

1) Vgl. Rolf Berthold, China 2003, Auf dem Wege zum Sozialismus. Marxistische Blätter, Flugschriften 13, Essen 2003

2) Die von der KPCh vertretene stereotype Auffassung über einen halbfeudalen (und halbkolonialen) Charakter der chinesischen Gesellschaft vor 1949 halte ich für politisch überhöht. Das trifft erst recht die von Mao in den 50er Jahren zeitweilig vertretene These des Übergangs Chinas vom Kapitalismus zum Sozialismus zu.



Marktwirtschaft
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil II)
 
Mit dem »Beschluß über einige Fragen der Vervollkommnung des Systems der sozialistischen Marktwirtschaft« von Oktober 2003 hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) drei grundlegende Aussagen über das derzeitige Wirtschaftssystem in China getroffen: Das System der sozialistischen Marktwirtschaft ist in den Anfängen geschaffen. Das grundlegende Wirtschaftssystem, in dem das Gemeineigentum den Hauptteil bildet und sich die Wirtschaft vielfältiger Eigentumsformen gemeinsam entwickelt, existiert bereits. Und die allseitige und vielschichtige Öffnung des Landes nach außen ist in weiten Bereichen grundlegend ausgebildet.

Staatlicher und kollektiver Sektor als bisheriges Gemeineigentum sollen amtlichen Angaben zufolge weiterhin den größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bestreiten. Das ist wohl zu hinterfragen; denn seit den 90er Jahren sollen allein schon 70 Prozent der kollektiven ländlichen Unternehmen privatisiert worden sein. Zudem hatten chinesische Ökonomen bereits 1998 eingeschätzt, daß die nichtstaatliche Wirtschaft der eigentliche Träger der ökonomischer Entwicklung Chinas geworden war.1) Der heutige Anteil des staatlichen Sektors am BIP dürfte schätzungsweise bei 20 bis 25 Prozent liegen.

Private Investitionen

Charakteristisch für das letzte Jahrzehnt ist überhaupt das rapide Wachstum der Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums. Die privatkapitalistische Wirtschaft z. B. investierte im Anlagevermögen 2002 mit 1860 Milliarden Yuan bereits fast so viel wie der staatliche Sektor (1890 Milliarden Yuan). Die Zahl der Beschäftigten in Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums soll derzeit bei 165 Millionen liegen und damit nahezu doppelt so hoch sein wie im staatlichen und kollektiven Sektor zusammen. Wesentlicher ist, daß die neue Bourgeoisie in ihren Unternehmen nach Ansicht führender chinesischer Ökonomen effektiver wirtschaftet als das im staatlichen und kollektiven Sektor der Fall ist. Nicht zu vergessen sind die Unternehmen mit ausländischem Kapital, die 55 Prozent des chinesischen Exports bestreiten (2002)2). Das heißt: Das Kapital übt bereits einen maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas aus. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie es tatsächlich um das bisherige Gemeineigentum bestellt ist.

Maßgeblichen Einfluß auf die sich verändernde Rolle der verschiedenen Wirtschaftsformen nimmt gegenwärtig die »strategische Regulierung und Reorganisierung« des staatlichen Sektors. Die Überführung der staatlichen Unternehmen in die Bahn einer Marktwirtschaft, die durch den Beitritt zur WTO in den kommenden Jahren bis 2005 abzuschließen ist, ist bisher über erste Schritte nicht hinausgekommen. Ihre Bewirtschaftung ist nach wie vor stark von Institutionen und Methoden der sogenannten Planwirtschaft geprägt. Selbst die seit ein bis zwei Jahrzehnten angestrebte Trennung von Eigentums- und Bewirtschaftungsrecht ist in vielen Bereichen noch nicht erreicht.

Die Administration mischt sich weiterhin in die konkrete Bewirtschaftung der Unternehmen ein. Sie setzt immer noch rund 80 Prozent des Managements ein und agiert damit überwiegend als juristische Person der Unternehmen. Das hat einen Zustand gefördert, bei dem das Eigentum nominell staatlichen Charakter trägt, sich aber so recht niemand um seine effektive Realisierung kümmert. Die Neuorientierung für die Reform des Staatsvermögens im Sinne einer beschleunigten Durchsetzung der Marktwirtschaft und eines Mischeigentums in der chinesischen Wirtschaft soll nun eine Wende herbeiführen.

Diese »strategische Regulierung und Reorganisierung« bedeutet im einzelnen erstens, daß sich die staatlichen Unternehmen aus Bereichen »allgemeinen Konkurrenzcharakters« (durch Privatisierung, Verpachtung, Insolvenz u. ä.) zurückziehen und ihre Position in jenen Bereichen verstärken sollen, die für die Gesamtwirtschaft und Sicherheit des Landes von Bedeutung sind. Ihr Anteil am BIP soll sich insgesamt weiter verringern. Einen Höhepunkt der Privatisierung staatlicher wie kollektiveigener Unternehmen brachten die Jahre 2000–2002. Von den Unternehmen, die während der 5. Erhebung zur privatkapitalistischen Wirtschaft 2001 befragt worden sind, waren 25,7 Prozent vor ihrer Privatisierung Unternehmen des Gemeineigentums.

Die Neuorientierung bedeutet zweitens, ein Unternehmenssystem in Gestalt von Aktiengesellschaften zu schaffen und eine Pluralisierung der Eigentumsstruktur der Unternehmen anzustreben. Hierin einbezogen sind auch die zentral geleiteten Unternehmen bis auf jene Bereiche wie die militärische Industrie, in denen diese Schritte – wie es heißt – schwerlich zu realisieren sind.

Sie bedeutet drittens, die Unternehmen durch innerbetriebliche Reformen der Marktwirtschaft anzupassen und eine exakte, straffe Buchhaltung einzuführen. Damit soll erreicht werden, daß kein Staatseigentum mehr in private Taschen fließt, beim Verkauf von Unternehmen kein staatliches Vermögen verschleudert wird und die Unternehmen effektiv bewirtschaftet werden können.

Die Privatisierung staatlicher Unternehmen dürfte danach lediglich selektiv sein und vor allen in jenen Bereichen erfolgen, aus denen sich die staatliche Wirtschaft zurückziehen soll. Offenbar ist daran gedacht, zumindest einen Teil der Erlöse aus dem Verkauf staatlichen Vermögens in Form von Aktien wieder in den Unternehmen des Mischeigentums anzulegen, die profitable Aussichten bieten. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte es dann vier Arten von Aktiengesellschaften geben: 1. Unternehmen, deren Aktien unter verschiedenen staatlichen Unternehmen/Institutionen verstreut sind, 2. Unternehmen, bei denen der Staat die Aktienmehrheit besitzt; 3. Unternehmen, bei denen der staatliche Aktienanteil unter 50 Prozent liegt; und 4. Unternehmen, an denen der Staat nicht mit Aktien beteiligt ist.

Was veranlaßte die KPCh zu diesem grundlegenden Richtungswechsel in der Entwicklung der Eigentumsstruktur? Ich sehe drei Gründe:

1. Die Modernisierung der staatlichen Unternehmen erfordert enorme Mittel, die der Staat allein – zumal in kürzester Zeit – nicht aufzubringen vermag. Nach einer chinesischen Schätzung werden dafür rund 3 000 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa 366 Mrd. US-Dollar) veranschlagt.3)

2. Die übergroße Mehrheit der staatlichen Unternehmen ist augenscheinlich nicht in der Lage, sich in den nächsten zwei bis drei Jahren so zu modernisieren und die Bewirtschaftung so zu effektivieren, daß sie der dann nahezu ungebremsten internationalen Konkurrenz standhalten könnte.

3. Die Orientierung auf ein gemischtes Eigentum als hauptsächliche Wirtschaftsform dient wohl auch dazu, die ökonomische Potenzen des Landes über soziale Unterschiede und Gegensätze hinweg zu bündeln, um strategische Zielsetzungen abzusichern.

Verteilung nach Leistung?

In die neue Phase der Reform sind auch die 189 zentral geleiteten staatlichen Unternehmen mit ihren 9,1 Millionen Beschäftigten eingebunden. Vorgesehen ist, die Aktiengesellschaft mit ihren Institutionen Aktionärsversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat und Management auch in diesem Bereich »zur Hauptform für die Realisierung des staatlichen Vermögens in den zentralgeleiteten Unternehmen« zu entwickeln.4) Diese Umgestaltung soll 2004 forciert in Angriff genommen werden. Darin einbezogen sind zunächst auch die Chinesische Bank und die Aufbau-Bank, zwei der vier großen staatlichen Geschäftsbanken.5) In diesem Bereich geht es anscheinend ausschließlich um die Entwicklung von chinesischen »Multis« durch Fusion staatlicher Unternehmen, um Fusionen mit aus- und inländischem Kapital und um die Verflechtung staatlicher Unternehmen durch Aktien. Grundlage dafür ist die Klärung des Vermögens durch die Einschätzung des jährlichen Bewirtschaftungsergebnisses des jeweiligen Unternehmens. Die soll erstmals 2004 erfolgen.

Galt bisher die Zentralregierung als alleiniger Eigentümer der staatlichen Unternehmen, so ist nun die Eigentümerfunktion zwischen Zentralregierung und Provinzregierungen aufgeteilt. Für die zentral unterstellten Unternehmen übt die Zentralregierung weiterhin diese Funktion aus, für alle anderen staatlichen Unternehmen sind (unter normalen Bedingungen) fortan die Provinzregierungen die Eigentümer. Das staatliche Eigentum in der VR China wird also zweigeteilt sein in ein zentrales und in ein regionales Eigentum.

Mit der Durchsetzung der Marktwirtschaft vollziehen sich auch in anderen Bereichen der Produktionsverhältnisse fundamentale Veränderungen. Die primäre Verteilung des erwirtschafteten BIP erfolgt bereits heute zu bedeutenden Teilen über den Markt mit all ihren sozialen Folgen. Bedenklich für eine sozialistische Entwicklung des Landes ist dabei, daß der Staat bei der sekundären Verteilung des BIP nicht imstande ist, die negativen Auswirkungen zumindest erheblich abzuschwächen. Die Entwicklung gesellschaftlicher Wohltätigkeit für soziale Zwecke unter Beteiligung der neuen Bourgeoisie ist hier lediglich der besagte Tropfen auf dem heißen Stein.

Offiziell gilt nach wie vor, daß die Verteilung hauptsächlich nach der geleisteten Arbeit erfolgt. Mit der generellen Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware bestimmt jedoch der Markt immer mehr den jeweiligen Wert der Arbeitskraft. Vor einigen Wochen las ich in der chinesischen Presse, daß ein Unternehmen in der Provinz Síchuan einen erfahrenen Facharbeiter für seine spezifische Produktion suche. Angesichts des Facharbeitermangels wurde ein Jahresgehalt von 300 000 Yuan in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: Ein promovierter Professor an einem zentralen gesellschaftswissenschaftlichen Institut in Peking verdient im Jahresdurchschnitt um die 20 000 Yuan. Das Beispiel mag extrem sein, ist aber typisch. Der Markt übernimmt die Verteilung der Arbeitskräfteressourcen und bestimmt damit den Ausgangswert der Ware Arbeitskraft.

Was ist daran sozialistisch? Die KPCh argumentiert mit der entscheidenden Rolle des Gemeineigentums, das die Marktwirtschaft in China von der in den kapitalistischen Ländern unterscheide. Das ist eine Behauptung, die sich schon heute, zu einem Zeitpunkt, in der die Marktwirtschaft in China noch nicht voll ausgebildet ist, nicht beweisen läßt. Die Partei sieht die hauptsächliche Ursache für negative Auswirkungen der Marktwirtschaft in China darin, daß diese Ordnung noch unvollkommen sei. Das mag in gewissem Grade stimmen. Verglichen mit der Marktwirtschaft kapitalistischer Länder sehe ich jedoch keinen grundsätzlichen Unterschied in der Auswirkung der Marktgesetze. Dazu gehören auch die negativen Seiten: soziale Polarisierung, Korruption, Imitation von Waren, faule Kredite und Anarchie. Neben dem politischen Einfluß entscheidet heute die Position in der Marktwirtschaft maßgeblich über Stellung und Ansehen in der Gesellschaft.

»Neues Gemeineigentum«

Die von der Parteiführung in diesem Zusammenhang gesteuerten theoretischen Diskussionen haben einen zwiespältigen Charakter. Zum einen geht es um das sachliche Erfassen neuer Entwicklungen, vor allem im Bereich der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Darin drückt sich für mich ihre wissenschaftliche Seite aus. Zum anderen sollen sie den Nachweis führen, daß die recht pragmatische Politik der KPCh höchster Ausdruck eines »schöpferisch angewandten Marxismus« sei und eine neue Stufe in der Entwicklung des Marxismus verkörpere. Für mich wird damit der theoretische Anspruch ad absurdum geführt.

Die im Herbst 2003 aufgekommene Theorie über das »neue Gemeineigentum« beruht auf einer neuen Interpretation der Arbeitswerttheorie von Marx. Es wird anerkannt, daß die von Marx mit dieser Theorie getroffenen Aussagen von fundamentaler Bedeutung für die Erkenntnis des ökonomischen Wesens des Kapitalismus und für die gesellschaftlichen Produktivkräfte seiner Zeit sind. Die Bedingungen in China seien jedoch ganz andere. Deshalb gelte es, die Arbeitswerttheorie von Marx »schöpferisch weiterzuentwickeln«.

Die gewaltigen Veränderungen, die sich z. B. in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte vollzogen haben und vollziehen, stellen zweifellos eins solche Aufgabe. Das sehe ich auch als Nicht-Ökonom. Mit dem Fortschritt der wissenschaftlich-technischen Revolution hat sich die Rolle, die die einzelnen Produktionsfaktoren für die Entwicklung der Wirtschaft spielen, spürbar verändert. Geistige Arbeit, wissenschaftlich-technische Tätigkeit, Organisation der modernen Produktion, Rolle der Informationsarbeit u. ä. Faktoren haben in der sogenannten knowledge economy einen vorrangigen Stellenwert erhalten. Hier hat die Diskussion in China viel schöpferisches Denken hervorgebracht. Notwendig ist auch die Kritik an der traditionellen Geringschätzung der geistigen Arbeit und der Tätigkeit im dritten Sektor in der chinesischen Gesellschaft.

Problematisch wird die Diskussion für mich, wenn das eigentliche Anliegen berührt wird – die Bewertung der »Arbeit« des privatkapitalistischen Unternehmers. Ausgangspunkt ist die These: »Wissenschaftlich-technische Arbeit sowie Bewirtschaftung und Leitung, diese beiden Arten hauptsächlicher Arbeitsformen sind die Hauptkraft, um die Entwicklung der Produktivkräfte voranzubringen.«6) Hierauf beruht die uns in diesem Zusammenhang interessierende Aussage: Die Tätigkeit des Privatunternehmers im heutigen China sei eine Form der Bewirtschaftung und Leitung, also eine Form der Arbeit wie alle anderen. Dann beginnt der Eiertanz, um diese Arbeit von der Ausbeutung zu lösen. Ich konnte zwei Linien der »Argumentation« herausfinden. Im ersten Fall wird erst einmal allgemein postuliert, daß mit der ökonomischen Entwicklung auch der persönliche Besitz zunehme (wie ist das in der sozial polarisierten Gesellschaft Chinas?). Deshalb könne man nicht einfach das Vermögen »als Kriterium dafür nehmen, ob der Betreffende fortschrittlich oder rückständig sei«. Entscheidend sei vielmehr sein ideologisches und politisches Verhalten.7) Die objektive ökonomische Analyse wird hier einfach durch eine subjektive politische Wertung ersetzt. Im zweiten Fall wird behauptet, daß der Mehrwert, der unter den Bedingungen legaler ursprünglicher Akkumulation und legaler Bewirtschaftung eines Privatunternehmens erzeugt wurde bzw. wird, kein Produkt der Ausbeutung sei.8) Zwei Methoden, die marxistische Arbeitswerttheorie zu verdrehen, um das Kapital freizusprechen. Marx würde sich im Grabe umdrehen. Im Ergebnis erscheint dann der Privatkapitalist nicht als Ausbeuter, sondern wie der Arbeiter seines Unternehmens als »ein Erbauer des Sozialismus«. Da er über die größeren »ökonomischen Ressourcen« verfügt, wird er aus politischen Gründen in der neuen sozialen Hierarchie weit vor dem Arbeiter, dem Bauern und natürlich erst recht vor dem Arbeitslosen plaziert.

Diese Art Manipulation hat ihre eigentliche Grundlage in der These, daß in China der Transformationsprozeß bereits abgeschlossen sei und eine sozialistische Gesellschaft existiere. Von dieser Grundposition bis zur Theorie über das »neue Gemeineigentum« ist es nur ein logischer Schritt. Neu daran sind die angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital durch die Entwicklung von Aktiengesellschaften und der generelle Übergang zu einem gemischten Eigentum an Produktionsmitteln.

Für die in diesem Zusammenhang entwickelte theoretische Position ist ein Beitrag charakteristisch, der vom Zentrum zur Erforschung der Theorie Deng Xiaopings an der Parteischule des ZK der KPCh verfaßt wurde. »Wir meinen«, schreiben die Autoren, »daß die Wirtschaft des gemischten Eigentums, in der das Aktiensystem, das System der Aktiengenossenschaft u.ä. den Ton angeben, natürlich den Familiennamen ›Gemeinsam‹ (gong) trägt und zur Hauptform des Gemeineigentums im Anfangsstadium des Sozialismus wird.«9) Schon Marx hätte das Aktiensystem als Gemeineigentum angesehen.

Aneignung fremder Mehrarbeit

Das ist eine unbewiesene Behauptung. Marx schreibt: »Das Kapital ... erhält hier (durch die Bildung von Aktiengesellschaften – d. A.) direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital ... Es ist die Aufhebung des Privateigentums innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.« Für Marx ist diese Entwicklung »ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum des Produzenten«. Er betont jedoch zugleich, daß sich dabei der Profit nach wie vor darstellt »als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber dem wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen in der wirklichen Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis hinab zum letzten Tagelöhner.«10) Folglich charakterisierte Marx die Aktiengesellschaft im Kapitalismus keineswegs als eine Art Gemeineigentum, bei dem die Produzenten der betreffenden Wirtschaftseinheit zugleich ihre Eigentümer sind. Das trifft auch für die heute in China angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital in Form von Aktiengesellschaften zu. Diese Aktiengesellschaften können folglich auch keine neue Form des Gemeineigentum sein.

Aus meiner Sicht haben alle diese neuen Theorien der KPCh im Grunde eine Bestimmung. Sie sollen alle Kräfte des Landes bündeln und multiplizieren, um China neben den USA als eine ökonomische und damit auch politische, militärische und kulturelle eigenständige Weltmacht zu etablieren. Das scheint auch das eigentliche Anliegen der Orientierung auf »die Renaissance der chinesischen Nation« zu sein.



Die neue Bourgeoisie
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil III und Schluß)
 
Aus offiziöser soziologischer Sicht gibt es in der Volksrepublik China keine Klassen mehr. Danach gliedert sich die Bevölkerung nach ihren jeweiligen politischen, ökonomischen und kulturellen Ressourcen in zehn neue soziale Schichten. Lange bevor die Theorie von dieser neuen Sozialstruktur der chinesischen Gesellschaft aufkam, hatte die politische Praxis diesen Schritt schon vorweggenommen.1 Der Anteil der Arbeiter und Bauern unter den Mitgliedern der KPCh und den Abgeordneten der Volkskongresse wurde seit den 1990er Jahren immer kleiner, der der politischen Führungskader, der Beamten und Intellektuellen (in der Partei auch die der Privatunternehmer) hingegen immer größer. Vertreter der wissenschaftlich-technischen Intelligenz unter den Parteikadern besetzten fast alle Führungsposten an der Spitze der Partei. Arbeiter und Bauern von der »Graswurzel-Basis« sind dort schon lange nicht mehr zu finden. Die Darstellung in den Dokumenten der Partei, zu ihrer eigentlichen Klassenbasis würden in erster Linie Arbeiter und Bauern gehören, kann deshalb bezweifelt werden.

Privatunternehmer und Millionäre

In der Sprache der KPCh gibt es im heutigen China keine einheimische Bourgeoisie. Privatkapitalistische Unternehmer firmieren in den Dokumenten der Partei und in Veröffentlichungen eines Teils der chinesischen Ökonomen als »Unternehmer aus dem Volke« (minjian qiyejia). Die KPCh versucht in ihrer nationalen Politik offenbar, den dem Privatkapitalismus immanenten Antagonismus zu verschleiern. Diese Position scheint jedoch breiteren Teilen des Volkes, darunter auch Kadern im politischen Apparat, schwer vermittelbar zu sein.

Die heutige Position der KPCh gegenüber dieser neuen sozialen Schicht ist durch aktuelle und weitreichende ökonomische Erfordernisse gesprägt. Nach der fünften nationalen Erhebung über die privatkapitalistischen Unternehmen1 existierten 2001 etwas über zwei Millionen dieser Wirtschaftseinheiten mit 4,6 Millionen Kapitaleignern und einem Privatvermögen von über 85 000 Milliarden Yuan. Sie verfügten im Durchschnitt über ein Kapital von 2,5 Millionen Yuan (plus 66,7 Prozent gegenüber 1999). In den letzten Jahren beschleunigte sich der Konzentrationsprozeß des Kapitals. So wuchs die Zahl der Unternehmen mit einem Kapital von jeweils mehr als 500 Millionen Yuan von 110 im Jahre 1999 auf 378 im Jahre 2001 an.2

Privatkapitalistische Unternehmen dieser Wirtschaftsform finden sich vor allem im produzierenden Gewerbe (darunter in der High-Tech-Industrie), im Immobilienwesen und im Bereich Handel/Gastronomie. In den letzten Jahren haben sie sich verstärkt im neuen Dienstleistungswesen zu entwickeln begonnen, darunter vereinzelt auch schon im Banksektor (Gründung der Bohai-Bank u.a.). Weit über die Hälfte der 400 stärksten Einheiten dieser Wirtschaftsform ballt sich im Raum Jiangsu-Shanghai-Zhejiang zusammen. Rund zwei Drittel aller Unternehmen sind in Mittel- und Kleinstädten angesiedelt.

Nach einer im Oktober 2003 veröffentlichten Analyse über die 100 reichsten Personen in der VR China beträgt das Vermögen der ersten 90 Personen jeweils zwischen knapp 1einer und 7,5 Milliarden Yuan (umgerechnet 110 –915 Mio. US-Dollar). Einige konkrete Beispiele:

1. Platz und reichster Mann der VR China: Ding Lei, 33 Jahre, Provinz Zhejiang, 7,5 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Informationstechnologie;

2. Platz: Rong Zhijian, 61 Jahre, Provinz Jiangsu, 7 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Luftfahrt, Immobilien und Telekommunikation;

50. Platz: Wu Bingxin, 65 Jahre, Provinz Shandong, 1,5 Milliarden Vermögen, Geschäftsbereich: Gesundheits- und Kosmetikindustrie;

100. Platz: Zhang Hongwei, 53 Jahre, Harbin (NO-China), 900 Millionen Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Immobilien, Supermärkte und Banken.

Ein Drittel der hundert reichsten Personen ist bis 40 Jahre alt, 80 stammen aus Ostchina. Die soziale Schicht der neuen Bourgeoisie (ohne das Kleingewerbe) umfaßt heute zusammen mit ihren Familien schätzungsweise etwa 20 Millionen Menschen. Weit über 90 Prozent dürften der unteren und mittleren Bourgeoisie zuzuordnen sein. Die obere Gruppe dieser sozialen Schicht ist zahlenmäßig gering, verfügt jedoch über ein enormes Vermögen.

Auf welchen Wegen konnte diese Spitzengruppe von Kapitaleignern in einer historisch so kurzen Zeit ein so riesiges Vermögen zusammentragen? Mindestens 90 Prozent der privatkapitalistischen Unternehmer sollen aus Familienkreisen heutiger und ehemaliger Führungskader mit gesellschaftlichem Einfluß kommen. Gut fünf Prozent seien bei der ursprünglichen Akkumulation durch Verwandte in Hongkong, Macao und Übersee kräftig unterstützt worden. Nur 4,5 Prozent hätten sich das Vermögen durch eigene Tätigkeit erworben.3 Ein beträchtliches Vermögen nicht weniger privatkapitalistischer Unternehmer dürfte unredlich erworben worden sein. Das war auch der Hintergrund, weshalb in den ersten Monaten des Jahrs 2003 in der Öffentlichkeit die Forderung aufkam zu untersuchen, wie die Unternehmer zu ihrem »ersten Faß Gold« (ursprüngliche Akkumulation) gekommen waren. Die Administration beschränkte sich dann jedoch im wesentlichen darauf, lediglich die Steuersünder zur Kasse zu bitten.

Die chinesische Privatwirtschaft spielt inzwischen eine nicht zu ersetzende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Sie erzeugt heute über ein Drittel des BIP des Landes und schafft die meisten neuen Arbeitsplätze. 20 Prozent ihrer Beschäftigten sind Arbeiter, die aus staatlichen und kollektiveigenen Unternehmen entlassen worden waren. Dieser Teil der chinesischen Wirtschaft entrichtet im Jahr an die 100 Millionen Yuan Steuern. In den wirtschaftlich entwickelten Regionen Südostchinas erbringt er sogar zwei Drittel aller Einnahmen des Fiskus. In nicht wenigen Kreisstädten an der Ostküste bestimmt die Privatwirtschaft die wirtschaftliche Basis mit Anteilen am Bruttosozialprodukt von bis zu über 80 Prozent. Der Anteil dieser Wirtschaftsform am Außenhandel ist zwar noch gering (2002: 55,2 Milliarden US-Dollar = 8,6 Prozent), er weist jedoch einen geradezu sprunghaften Anstieg auf (plus 57 Prozent gegenüber 2001). Die Zusammenarbeit dieser Unternehmen mit dem ausländischen Kapital geht über Anfänge hinaus. Sie erfolgt zu knapp 50 Prozent im produzierenden Gewerbe. Mit gut drei Prozent ihres Kapitals hat die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas auch begonnen, im Ausland Fuß zu fassen. Es war aber auch die politische Unsicherheit, die Vertreter dieser sozialen Schicht veranlaßte, ihr Kapital ins Ausland abfließen zu lassen.

Diese ökonomischen Realitäten üben einen spürbaren und zunehmenden Druck auf die Politik der Kommunistischen Partei gegenüber der privaten Unternehmerschaft aus, dem die Führung des Landes Rechnung trägt. Mit der auf der 2.Tagung des 10. Nationalen Volkskongresses (NVK) zu erwartenden Revision der Verfassung wird der Schutz des privatkapitalistischen Eigentums dem Schutz des Gemeineigentums gleichgestellt werden. Damit wird dann die neue Bourgeoisie in die Kategorie »Volk« ökonomisch und politisch gleichberechtigt integriert sein.

Politische Absicherung angestrebt

Politisch erfolgte dieser Schritt zuvor schon in der Rede des damaligen Generalsekretärs des ZK der KPCh, Jiang Zemin, zum 80. Jahrestag der Gründung der Partei. Und der 16. Parteitag bekräftigte den politischen Platz der Privatunternehmer als »Erbauer des Sozialismus chinesischer Prägung«. Er bestimmte abermals im Nachhinein, daß die »hervorragendsten Vertreter« unter ihnen der KPCh beitreten dürfen. Zhang Houyi, Fachmann für die Erforschung der chinesischen Privatunternehmertums an der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften (CASS), betrachtet die genannte Rede Jiang Zemins nicht ohne Grund als den »historischen Wendepunkt« in der Entwicklung dieser sozialen Schicht der Privatunternehmer.4

Der aufstrebenden Bourgeoisie stehen heute im Grunde vier Wege offen, um ihre Interessen politisch vertreten zu können – als Abgeordnete der Volkskongresse, als Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (Organisation der nationalen Einheitsfront, im folgenden: PKKCV), als Mitglieder der Chinesischen Vereinigung der Industriellen und Händler (CVIH) und der politischen Parteien. 2001 waren 79 Prozent der Privatunternehmer in der Berufsorganisation CVIH organisiert. Unter den politischen Institutionen wird die PKKCV bevorzugt. Als Mitglieder dieser Organisation waren im gleichen Jahr von den Kreiskongressen bis zum nationalen Kongreß insgesamt 35,1 Prozent aller Angehörigen dieser Schicht registriert. Schätzungsweise 17 bis 19 Prozent sind Abgeordnete der Volkskongresse von den Stadtbezirken bzw. ländlichen Xiang an aufwärts. An den ersten Tagungen des X. NVK und der X. PKKCV auf nationaler Ebene im März 2003 nahmen zusammen 65 Privatunternehmer als Abgeordnete des NVK bzw. Mitglieder der PKKCV (in der vorangegangenen Wahlperiode erst fünf Mandate), aber nur 33 Vertreter aus der Wirtschaft des Gemeineigentums teil.

Parteimäßig sind diese Unternehmer vor allem in der KPCh organisiert. Die Zahl der KP-Mitglieder unter ihnen ist mir nicht bekannt. Einen gewissen Aufschluß vermittelt der Vergleich zwischen den befragten Unternehmern in den letzten fünf Erhebungen über die privatkapitalistische Wirtschaft.

Anteil der KP-Mitglieder

unter den befragten Unternehmern (in %)

1993 1995 1997 1999 2001

13,1 17,1 16,6 19,8 29,9

Das starke Ansteigen der Zahl dieser Parteimitglieder 1999-2001 hängt mit der Privatisierung staatlicher und kollektiver Unternehmen in jenen Jahren zusammen. Die Eigentümer einer Reihe von privatisierten Unternehmen waren zuvor oftmals die Leiter der betreffenden Wirtschaftseinheiten. 192 der 2001 befragten Personen waren mit der Privatisierung der Unternehmen noch vor der Rede Jiang Zemins zum 1. Juli 2001 der KPCh beigetreten.

Wenn wir den Anteil der KP-Mitglieder unter den befragten Unternehmern im Jahre 2001 als allgemeine Durchschnittszahl annehmen würden, dann hätte diese soziale Schicht einen Anteil an der Gesamtzahl der Parteimitglieder von etwas mehr als ein Prozent.

Das Motiv für den Beitritt von Unternehmern zur KPCh scheint weit überwiegend utilitaristischer Natur zu sein. So ergaben beispielsweise Untersuchungen des Instituts für Soziologie an der Zhongshan-Universität Guangzhou, daß über 40 Prozent der Befragten der Partei beitraten, um »die Entwicklung ihrer Geschäfte voranzubringen«. Gut 18 Prozent nannten als Grund, »ihre gesellschaftliche Stellung zu erhöhen«. Und fast 14 Prozent wollten damit für sich »eine relative politische Sicherheit erreichen«.5

Nutzt die Bourgeoisie diese neuen Möglichkeiten aus, um ihre Interessen als soziale Schicht offen zu artikulieren und durchzusetzen? Chinesische Forscher sehen das noch unterschiedlich. Einige schätzen ein, daß sie zwar im wesentlichen in die Politik einsteigen, um ihre privaten Geschäfte zu fördern, von einem Schichtbewußtsein aber könne noch nicht gesprochen werden. Andere wiederum wie Chen Guangjin von der CASS gehen etwas weiter. Das »Kollektivbewußtsein dieser Schicht« habe sich zwar noch nicht vollständig herausgebildet. In Fragen wie Steuersenkung, Schutz des Privateigentums u. ä. aber sei ihre Position schon relativ einheitlich. Ökonomisch wie politisch bestehe ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung. Die Diskussionen auf den Tagungen des NVK und der PKKCV im März 2003 bestätigen seine Einschätzung. Die wichtigsten ihrer auf diesen Tagungen erhobenen Forderungen waren: Beseitigung von Hindernissen für die Entwicklung ihrer Unternehmen, Rechte und Behandlung wie die staatlichen Unternehmen bei Krediten, Bodenrequirierung, Bewirtschaftungsrahmen, im Außenhandel u.ä. Chen folgert daraus: »Die Orientierung auf gemeinsame Werte drückt im Unterschied zu anderen Schichten aus, daß diese Schicht bereits zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden ist.«6

Fortschritt oder Rückschritt?

In diesen Jahren sind in der China grundlegende Weichenstellungen zu erwarten. Wird die Orientierung der KPCh auf das Mischeigentum auch die Richtung für die unausweichliche weitere Umgestaltung des politischen Überbaus bestimmen? Könnte sich damit eine Art von Konvergenz mit dem Kapitalismus entwickeln, eine »Konvergenz chinesischer Prägung«? Im Jahre 2002, vor dem 16.Parteitag der KPCh, hatten sich derartige Wortmeldungen gehäuft. So hieß es, daß sich die Ansicht, der privatkapitalistische Unternehmer sei ein Ausbeuter, im Widerspruch zur »heutigen großen Lage« befände. Denn: »In der Tendenz verblassen die Trennlinien zwischen den Ideologien.« Die Völker würden materiellen und geistigen Reichtum genießen wollen. »Auf der Grundlage dieses praktischen Verstandes durchbrechen die Menschen ständig die Grenzen der Systeme und der Kulturen. Als Ausdruck dessen dürfen wir die ›Katzentheorie‹ und die ›Rede zum 1. Juli‹ ansehen.«7 Noch ist nicht klar, ob sich diese Tendenz auch unter der neuen Führung fortsetzen wird oder nicht.

Ist es bei der Einschätzung der chinesischen Entwicklung überhaupt angemessen, den Sozialismus zum Maßstab der chinesischen Dinge zu machen? Nach wie vor ist das Land erheblich davon entfernt, sich den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit seit der Französischen Revolution zu eigen gemacht zu haben. Jeder Schritt zur Verringerung und Überwindung dieses Rückstandes ist in China ein historischer Fortschritt. Das gilt für die materiellen wie für die geistigen Verhältnisse. Wenn das Kapital dazu beiträgt, dann ist es ein Faktor menschlichen Fortschritts. In abgewandelter Form gilt für mich hier die These Lenins, aufgestellt bei der Begründung seiner NÖP: Der Kapitalismus sei ein Segen gegenüber dem Mittelalter, gegenüber dem Sozialismus hingegen ein Übel.8 Auf dem Wege des historischen Fortschritts wäre die Aneignung der zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit in organischer Verbindung mit dem gesellschaftlichen Fortschritt zum Sozialismus die optimale und von Kommunisten zu erkämpfende Perspektive. Wenn sich nun aber auch in China herausstellt, daß das Überspringen der kapitalistischen Entwicklungsstufe eine Utopie ist? Auch dann bleibt für mich jeder Schritt, der die chinesische Gesellschaft aus ihrer historischen Zurückgebliebenheit befreit, ein Fortschritt.

China wird lange, bevor es die Pro-Kopf-Parameter des ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der kapitalistischen Welt erreicht haben wird, auf Grund seiner besonderen nationalen Bedingungen eine ökonomische Weltmacht sein. Welche Farbe es dann tragen wird, ist ungewiß. In jedem Fall wird es ein relativ eigenständiger und sich seiner Stärke bewußter Pol in einer multipolaren Welt sein. Allein schon diese Position Chinas würde für unsere Auseinandersetzung mit den aggressivsten und reaktionärsten Kräften des Imperialismus eine nicht unerhebliche Bedeutung haben.



Helmut Peters
 
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
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01.02.04 13:43
#33
Die schönsten Zeichen ...
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil I)
 
* Vor einem Jahr setzte sich Helmut Peters an dieser Stelle mit der Auffassung der KPCh auseinander, in China würde bereits seit Mitte der 1950er Jahre die sozialistische Gesellschaft bestehen (jW, 24.1.03). Nachfolgende Untersuchungen haben seine Erkenntnis gefestigt: Die chinesische Gesellschaft weist noch keine Elemente und gesellschaftlichen Beziehungen auf, die gegenüber dem Kapitalismus eine höhere historische Qualität verkörpern und begründet als sozialistisch charakterisiert werden können. Wir veröffentlichen seine Analyse in drei Teilen. Prof. Dr. Peters ist Sinologe, arbeitete von 1963 bis 1968 an der DDR-Botschaft in Peking und leitete anschließend bis 1990 den Forschungsbereich China an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED.


Wandel meint hier zunächst einmal Veränderungen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Jüngste Beispiele sind die grundlegende Umgestaltung des staatlichen Wirtschaftssektors und der Beschluß der Kommunistischen Partei (KP), in der Landesverfassung den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln dem Schutz des Gemeineigentums gleichzustellen.

Ist ein solcher Wandel nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt? Trägt unter den konkreten Bedingungen des heutigen China jeder Fortschritt bereits sozialistischen Charakter? Ist hier die Entwicklung kapitalistischer Elemente gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Rückschritt? Was ist, wenn die Vorgabe, Gemeineigentum gleich höhere Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Kapitalismus, nicht erreicht wird? Welche Kriterien sind hier an eine Privatisierung staatlicher Unternehmen anzulegen? In diesen und ähnlichen Fragen prallen die Meinungen unter Linken heftig aufeinander.

Ihr Disput über den Weg der chinesischen Volksrepublik steckt in einer Sackgasse. Einige sehen trotz aller Probleme und Widersprüche unter Verweis auf die Dokumente der KPCh eine anhaltende und stabile sozialistische Entwicklung.1) Andere sprechen von der Liquidierung sozialistischer Errungenschaften und vom Rückschritt in den Kapitalismus. Den Vertretern beider Positionen ist eines gemeinsam: Der Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist nicht die objektive Realität. Die einen stellen die Entwicklung des Landes aus der Sicht der Dokumente der KPCh dar, obwohl sie als Marxisten »die Wahrheit in der Praxis« suchen müßten. Die anderen setzen ihre subjektive Sicht auf China mit den dortigen nationalen Gegebenheiten gleich und vermeinen, damit der Weisheit letzten Schluß zu vertreten. Natürlich ist die Thematik höchst kompliziert, ohne Streit werden wir uns der Wahrheit kaum nähern.


Der Transformationsprozeß

Vielleicht wiederhole ich mich für einen Teil der Leser: Der Anfang der 1950er Jahre in China eingeleitete Übergang zum Sozialismus weist eine grundlegende Besonderheit auf: Es ist der Versuch, aus im wesentlichen vorkapitalistischen und kolonial deformierten Gesellschaftsverhältnissen unter Auslassung des kapitalistischen Entwicklungsstadiums zum Sozialismus zu gelangen. 2)

Über die Möglichkeit eines solchen Weges zum Sozialismus war mit Blick auf die Russische Oktoberrevolution erstmals eine kontroverse Debatte zwischen Lenin und Theoretikern der II. Internationale geführt worden. Bekanntlich hatte auch G.W. Plechanow diese Möglichkeit verneint. Der Untergang der UdSSR und anderer »realsozialistischer« Staaten könnte den Kritikern Lenins nachträglich Recht geben. Die Aussage, die seinerzeit von den in den »realsozialistischen« Ländern regierenden kommunistischen Parteien getroffen worden war, der Sozialismus habe mit dem Abschluß der Übergangsperiode »endgültig gesiegt« und sei damit »unumkehrbar« geworden, wurde von der Geschichte widerlegt. Selbst in der UdSSR war der Sozialismus trotz des Aufstiegs zur zweiten Weltmacht nicht unumkehrbar geworden. Optimistisch formuliert: Die Geschichte hat die Frage, ob es möglich ist, ohne eine durchgängige Entwicklung des Kapitalismus zum Sozialismus zu gelangen, bisher nicht positiv beantwortet.

Die VR China hatte aus weitaus rückständigeren Gesellschaftsverhältnissen als seinerzeit Rußland den Weg zum Sozialismus angetreten. Eineinhalb Jahrzehnte verfehlter Politik (»großer Sprung«, Volkskommune und »Kulturrevolution«) erschütterten diesen historischen Prozeß erheblich und warfen ihn zurück. Noch auf ihrem 13. und 15. Parteitag (1987 und 1997) schätzte die KPCh ein, daß die historische Rückständigkeit des Landes in weiten Bereichen nicht überwunden war. Die historischen Erfahrungen des »realen Sozialismus« und die bisherige Entwicklung in der VR China legen deshalb den Schluß nahe: Die Richtung des historischen Transformationsprozesses, in dem sich die chinesische Gesellschaft befindet, ist nach wie vor offen.

Die VR China ist z. B. noch weit von den ökonomischen Voraussetzungen für eine sozialistischen Gesellschaft entfernt. Bei der Begründung der Naturalsteuer hatte Lenin betont, man wisse nun »viel konkreter als früher«, daß »ohne eine hochstehende Industrie ... vom Sozialismus überhaupt keine Rede sein (kann), erst recht nicht in einem Bauernland«.3) Für ihn war unter den damaligen Bedingungen die Elektrifizierung der Volkswirtschaft das Maß aller Dinge. Heute werden an die ökonomischen Voraussetzungen einer sozialistischen Gesellschaft höhere Anforderungen gestellt. Sie werden durch die wissenschaftlich-technische Revolution bestimmt.

Die KP Chinas scheint mit der angestrebten »sozialistischen Modernisierung« diesen Anforderungen zu entsprechen. Eine andere Frage ist, ob sie dieses Ziel bis Mitte des Jahrhunderts erreichen kann. In den letzten Monaten zeichnet sich in der chinesischen Führung eine neue Weise des Herangehens an diese Problematik ab. Nach dem Beispiel kapitalistischer Länder war bisher das Bruttoinlandsprodukt (BIP) das alleinige Kriterium, an dem das »Einholen« dieser Länder durch China gemessen wurde. Jetzt soll ein ganzes Bündel von Kriterien gelten, um die Fortschritte im Lande anhand der Entwicklung in wichtigen Bereichen zu messen. (Dazu gehören die finanziellen Einnahmen des Staates, das durchschnittliche Prokopfeinkommen der Bevölkerung, die Erschließung von Kapitalquellen, die Entwicklung der drei Sektoren: Schutz der Umwelt, Beschäftigung und soziale Sicherheit, Entwicklung der geistigen Zivilisation, Aufbau der Partei und gesellschaftliche Stabilität.) Das ist eine wesentliche Korrektur. Ob sich damit an der bisherigen Strategie des »Einholens« etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

Ausgangspunkt und wesentlicher Inhalt der Modernisierung Chinas ist die Industrialisierung des Landes. Sie hat bereits eine 50jährige Geschichte. Heute ist jedoch klarer als früher, daß der Grad der Industrialisierung eines Landes nicht allein oder in erster Linie an dem Anteil gemessen werden kann, den die Industrie am gesellschaftlichen Gesamtproduktionswert hat (Stalin). Er ist m.E. vielmehr daran zu messen, inwieweit die Erzeugnisse der jeweiligen modernsten Technologie die Entwicklung aller Branchen der Volkswirtschaft und aller Regionen des Landes bestimmen. In diesem Sinne scheint die umfassende Industrialisierung Chinas bis 2020, welche die noch stark rückständige Landwirtschaft einschließt, eine kaum lösbare Aufgabe zu sein.

Solche Überlegungen mögen manchem Leser, der China in jüngster Zeit besucht hat, nicht recht einleuchten. Er hat doch mit eigenen Augen unglaubliche Erfolge gesehen. Richtig, aber weitgehend nur in den östlichen Regionen. Der Weltraumflug des ersten Taikonauten symbolisiert den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes. Chinesische Wissenschaftler haben zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes beigetragen. In der Biochemie, in Bereichen der Informationstechnik, beim Klonen von Tieren, bei genverändertem Reis und einer Reihe weiterer Forschungsgebiete ist das Land in die Weltspitze aufgerückt. Ich könnte weitere Bereiche aufzählen.


Mao: Armut kann ein Vorzug sein

China kennt aber noch eine andere Welt, in der sich die althergebrachte Produktionsweise noch nicht wesentlich verändert hat. Es genügt, auf die Zurückgebliebenheit und das Wiederaufleben alter Denk- und Verhaltensweisen in weiten Teilen der dörflichen Regionen zu verweisen, in denen heute noch zwei Drittel der chinesischen Bevölkerung leben. In dieser Welt leben rund 80 Millionen Menschen mit einem durchschnittlichen Prokopfeinkommen von etwa 80 US-Dollar im Jahr und weniger. 200 Millionen Menschen suchen Arbeit. Über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zudem hat die Industrialisierung des Landes in den zurückliegenden Jahrzehnten beträchtliche Umweltschäden verursacht.

Sozialismus, dieser Traum aus Europa, ist in China noch keine gesellschaftliche Realität geworden. Die These der KPCh, sie habe bereits Mitte der 1950er Jahre (nach drei Jahren Übergangsperiode!) eine sozialistische Gesellschaft geschaffen, ist eine unbewiesene politische Behauptung. Verstaatlichung des Eigentums, und darum geht es in diesem Zusammenhang, ist noch kein Sozialismus. Der Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Produktivkräfte wird in dieser These vollkommen ausgeblendet. Die Bauern beispielsweise, im damaligen Agrarland China die weit überwiegende Mehrheit der Produzenten, beackerten ihre Felder mit den gleichen Produktionsmitteln und in der gleichen Weise wie ihre Vorfahren in der Han-Zeit vor 2000 Jahren.

Mao Zedong bedauerte, daß die chinesische Revolution später als die russische gesiegt hatte. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 hielt er die Möglichkeit für gegeben, das zu ändern. Er begann das chinesische Volk mit einem »weißen Blatt Papier« zu vergleichen, auf das die schönsten Zeichen geschrieben werden könnten. Er meinte damit, unbelastet vom Kapitalismus; zugleich unterschätzte bzw. idealisierte er die starken Einflüsse jahrtausendealter Feudalgeschichte. Die Armut des Volkes wurde als Vorzug betrachtet – »je ärmer, desto revolutionärer«. Schließlich wurde die Volkskommune als »goldene Brücke in den Kommunismus« propagiert.

In seiner Rede zum 110. Geburtstag Mao Zedongs am 26. Dezember 2003 sah Generalsekretär Hu Jintao darin einen Ausdruck der Unkenntnis über die Gesetzmäßigkeiten beim Aufbau des Sozialismus.4) Das ist schwerlich zu bestreiten, aber nicht die eigentliche Wahrheit. Mao Zedong war ohne jeden Zweifel die herausragende Persönlichkeit in der jüngsten chinesischen Revolutionsgeschichte. Er beging aber auch schwere Fehler, die vielen Millionen Chinesen das Leben oder die Gesundheit kosteten. Die damalige Politik der »drei roten Banner«(Großer Sprung nach vorn, Volkskommune und Neue Generallinie) trug seine Handschrift. In ihr spiegelte sich unübersehbar ein nationalistisches Bestreben, den »historischen Rückstand« der chinesischen Revolution aufzuholen und die Sowjetunion durch einen »Sprung in den Kommunismus« in der historischen Entwicklung zu überholen.


»Nachholende Entwicklung«

China befindet sich in einer Phase des Transformationsprozesses, in der die »nachholende Entwicklung« das zentrale Problem darstellt. Was verstehe ich unter nachholender Entwicklung? Eine kritische Aneignung der materiellen und geistigen Fortschritte der menschlichen Zivilisation im Zeitalter des Kapitalismus seit der Französischen Revolution. Ohne ihre umfassende Aneignung und Weiterentwicklung wird es keinen Sozialismus geben. Diese Erkenntnis findet sich schon bei Marx und Lenin. Leider geriet sie in der kommunistischen Bewegung nach dem Tode Lenins in Vergessenheit. In Teilen der Linken verdrängt die revolutionäre Phraseologie noch heute diesen grundlegenden Gedanken.

Mit ihrer Reform- und Öffnungspolitik begann die KPCh zu dieser Erkenntnis zurückzufinden. Das ist vor allem das Verdienst Deng Xiaopings. Zwei Gedanken standen am Anfang des Reform- und Öffnungsprozesses: China muß sich alles Progressive aus den Kulturen der Menschheit, einschließlich des Kapitalismus, aneignen, und Sozialismus ist ohne Demokratie nicht denkbar. Mitte der 90er Jahre wuchs eine neue Erkenntnis – die Notwendigkeit, auf dieser Basis einen sozialistischen Rechtsstaat aufzubauen. Und vor zwei Jahren erweiterte die Partei diesen Gedanken mit der Orientierung, eine politische Kultur des Sozialismus zu schaffen. Angesichts der Kürze der Zeit ist in diesem Prozeß vor allem in der Gesetzgebung viel geleistet worden. Verabschiedet wurden nicht nur Gesetze, die die Marktwirtschaft regeln sollen, sondern auch Gesetze, die die Rechte der Werktätigen, der Frauen und Kinder, der Behinderten und der Bürger gegenüber dem Staat festschreiben.

Das entscheidende Problem bleibt hierbei jedoch die Durchsetzung der beschlossenen Gesetze. Dem wirken vielfältige Faktoren entgegen. Anders als in Europa hat die Geschichte im chinesischen Volk kein ausgeprägtes Gesetzesbewußtein hinterlassen. In der Familie wie in den Institutionen der politischen Macht wirken noch starke patriarchalische Einflüsse aus der Zeit der Feudalgesellschaft nach. Und einer Regierung des Landes auf der Grundlage der Gesetze steht die jahrzehntelang geübte Praxis im Wege, wonach der, der die politische Macht ausübt, mit seiner »Weisung« auch das Gesetz verkörpert. So geht es in der gegenwärtigen Debatte um die Erhöhung der Autorität der Landesverfassung eigentlich darum, damit Schluß zu machen, daß sich die KPCh und ihre Führungskader über Recht und Gesetz stellen. Schließlich erschwert der Druck des internationalen Kapitals die Aufgabe, die rationellen Bestandteile der politischen Kultur des Kapitalismus für die sozialistische Entwicklung nutzbar zu machen. Ergo: China ist bei der Schaffung einer modernen politischen Kultur offensichtlich erst am Anfang eines wahrscheinlich sehr langen Weges.

»Nachholende Entwicklung« meint nicht eine Kopie früherer Entwicklungen und Entwicklungsstufen des Kapitalismus. Sie vollzieht sich in China erstens unter dem Aspekt des Übergangs zum Sozialismus (zumindest bisher), zweitens wird sie durch die besonderen nationalen Gegebenheiten geprägt und drittens steht sie im Kontext mit der zeitgenössischen internationalen Entwicklung.

Sehen wir uns diese Problematik am Beispiel der Industrialisierung etwas näher an. Die Industrialisierung Chinas wurde 1953 mit dem Ziel eingeleitet, die materiellen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft in etwa 15 Jahren zu schaffen. Diese Industrialisierungspolitik der KPCh war nach dem »Stalinschen Modell« entwickelt worden. Mit dem Einsetzen der Reform- und Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre wurde dieser Prozeß neu orientiert und den nationalen Gegebenheiten angepaßt. Das drückte sich u. a. aus in den drei Schritten der Modernisierungsstrategie, in der betonten Entwicklung des Lebensstandards des Volkes, in der Ausbildung einer pluralen Eigentumsstruktur und in der einsetzenden Nutzung ausländischen Kapitals. Erstmals wurde nun auch versucht, die Modernisierung Ostchinas mit der in Mittel- und Westchina zu verbinden.

Seit den 90er Jahren spielen zwei neue Faktoren eine Rolle: Zum einen begann das ausländisches Kapital nach China zu strömen, verbunden mit der Verlagerung arbeitsintensiver Industrien aus Hongkong, Taiwan sowie Japan, Südkorea, den USA und anderer kapitalistischer Länder in das Niedriglohnland China. Das führte zu einer bis dahin nicht gekannten Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses, in den auch die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas einstieg. Die maßgebliche Rolle, die das Kapital inzwischen für die weitere Industrialisierung (und damit auch für den chinesischen Export!) spielt, hat natürlich seine Kehrseite. Das Kapital strebt nicht nur nach Profitmaximierung. Es sucht auch die sozialistische Richtung des Transformationsprozesses zu schwächen und in seinem Sinne zu verändern.

Zum anderen nahmen jetzt die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution Einfluß auf Inhalt und Verlauf der Industrialisierung. Die KP Chinas sprach deshalb auf ihrem 16. Parteitag (2002) von einem »neuen Typ der Industrialisierung«. Eigentlich ist es mehr. Die Industrialisierung Chinas geht unter diesen Bedingungen in ihrem letzten Entwicklungsabschnitt bereits in einen qualitativ höheren Typ gesellschaftlichen Produktivkräfte über (knowledge economy). Eng verbunden ist damit der Wechsel von einer extensiven zu einer intensiven Produktion und Reproduktion der Volkswirtschaft. Das trifft derzeit allerdings nur auf die ökonomisch fortgeschrittenen Regionen des Landes zu.

»Nachholende Entwicklung« birgt die Gefahr in sich, in den Sog kapitalistischer Entwicklung zu geraten. Diese Gefahr ist für China im Verlaufe des letzten Jahrzehnts unübersehbar geworden. Sie resultiert nicht allein aus dem massiven Druck, den das internationale Kräfteverhältnis und die Chinastrategie des internationalen Kapitals auf das Land ausüben. Bei allen Vorteilen, die der WTO-Beitritt bringt, hat dieser Schritt natürlich auch die internationalen Multis in eine noch günstigere Position gebracht. Diese Gefahr resultiert zugleich aus der Politik der KPCh, sich des Kapitals für die Verwirklichung ihrer langfristigen strategischen Ziele des Kapitals immer umfassender zu bedienen und dafür immer weitergehendere Zugeständnisse an die Marktwirtschaft des Kapitals eingehen zu müssen.

1) Vgl. Rolf Berthold, China 2003, Auf dem Wege zum Sozialismus. Marxistische Blätter, Flugschriften 13, Essen 2003

2) Die von der KPCh vertretene stereotype Auffassung über einen halbfeudalen (und halbkolonialen) Charakter der chinesischen Gesellschaft vor 1949 halte ich für politisch überhöht. Das trifft erst recht die von Mao in den 50er Jahren zeitweilig vertretene These des Übergangs Chinas vom Kapitalismus zum Sozialismus zu.



Marktwirtschaft
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil II)
 
Mit dem »Beschluß über einige Fragen der Vervollkommnung des Systems der sozialistischen Marktwirtschaft« von Oktober 2003 hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) drei grundlegende Aussagen über das derzeitige Wirtschaftssystem in China getroffen: Das System der sozialistischen Marktwirtschaft ist in den Anfängen geschaffen. Das grundlegende Wirtschaftssystem, in dem das Gemeineigentum den Hauptteil bildet und sich die Wirtschaft vielfältiger Eigentumsformen gemeinsam entwickelt, existiert bereits. Und die allseitige und vielschichtige Öffnung des Landes nach außen ist in weiten Bereichen grundlegend ausgebildet.

Staatlicher und kollektiver Sektor als bisheriges Gemeineigentum sollen amtlichen Angaben zufolge weiterhin den größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bestreiten. Das ist wohl zu hinterfragen; denn seit den 90er Jahren sollen allein schon 70 Prozent der kollektiven ländlichen Unternehmen privatisiert worden sein. Zudem hatten chinesische Ökonomen bereits 1998 eingeschätzt, daß die nichtstaatliche Wirtschaft der eigentliche Träger der ökonomischer Entwicklung Chinas geworden war.1) Der heutige Anteil des staatlichen Sektors am BIP dürfte schätzungsweise bei 20 bis 25 Prozent liegen.

Private Investitionen

Charakteristisch für das letzte Jahrzehnt ist überhaupt das rapide Wachstum der Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums. Die privatkapitalistische Wirtschaft z. B. investierte im Anlagevermögen 2002 mit 1860 Milliarden Yuan bereits fast so viel wie der staatliche Sektor (1890 Milliarden Yuan). Die Zahl der Beschäftigten in Wirtschaftsformen außerhalb des Gemeineigentums soll derzeit bei 165 Millionen liegen und damit nahezu doppelt so hoch sein wie im staatlichen und kollektiven Sektor zusammen. Wesentlicher ist, daß die neue Bourgeoisie in ihren Unternehmen nach Ansicht führender chinesischer Ökonomen effektiver wirtschaftet als das im staatlichen und kollektiven Sektor der Fall ist. Nicht zu vergessen sind die Unternehmen mit ausländischem Kapital, die 55 Prozent des chinesischen Exports bestreiten (2002)2). Das heißt: Das Kapital übt bereits einen maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas aus. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie es tatsächlich um das bisherige Gemeineigentum bestellt ist.

Maßgeblichen Einfluß auf die sich verändernde Rolle der verschiedenen Wirtschaftsformen nimmt gegenwärtig die »strategische Regulierung und Reorganisierung« des staatlichen Sektors. Die Überführung der staatlichen Unternehmen in die Bahn einer Marktwirtschaft, die durch den Beitritt zur WTO in den kommenden Jahren bis 2005 abzuschließen ist, ist bisher über erste Schritte nicht hinausgekommen. Ihre Bewirtschaftung ist nach wie vor stark von Institutionen und Methoden der sogenannten Planwirtschaft geprägt. Selbst die seit ein bis zwei Jahrzehnten angestrebte Trennung von Eigentums- und Bewirtschaftungsrecht ist in vielen Bereichen noch nicht erreicht.

Die Administration mischt sich weiterhin in die konkrete Bewirtschaftung der Unternehmen ein. Sie setzt immer noch rund 80 Prozent des Managements ein und agiert damit überwiegend als juristische Person der Unternehmen. Das hat einen Zustand gefördert, bei dem das Eigentum nominell staatlichen Charakter trägt, sich aber so recht niemand um seine effektive Realisierung kümmert. Die Neuorientierung für die Reform des Staatsvermögens im Sinne einer beschleunigten Durchsetzung der Marktwirtschaft und eines Mischeigentums in der chinesischen Wirtschaft soll nun eine Wende herbeiführen.

Diese »strategische Regulierung und Reorganisierung« bedeutet im einzelnen erstens, daß sich die staatlichen Unternehmen aus Bereichen »allgemeinen Konkurrenzcharakters« (durch Privatisierung, Verpachtung, Insolvenz u. ä.) zurückziehen und ihre Position in jenen Bereichen verstärken sollen, die für die Gesamtwirtschaft und Sicherheit des Landes von Bedeutung sind. Ihr Anteil am BIP soll sich insgesamt weiter verringern. Einen Höhepunkt der Privatisierung staatlicher wie kollektiveigener Unternehmen brachten die Jahre 2000–2002. Von den Unternehmen, die während der 5. Erhebung zur privatkapitalistischen Wirtschaft 2001 befragt worden sind, waren 25,7 Prozent vor ihrer Privatisierung Unternehmen des Gemeineigentums.

Die Neuorientierung bedeutet zweitens, ein Unternehmenssystem in Gestalt von Aktiengesellschaften zu schaffen und eine Pluralisierung der Eigentumsstruktur der Unternehmen anzustreben. Hierin einbezogen sind auch die zentral geleiteten Unternehmen bis auf jene Bereiche wie die militärische Industrie, in denen diese Schritte – wie es heißt – schwerlich zu realisieren sind.

Sie bedeutet drittens, die Unternehmen durch innerbetriebliche Reformen der Marktwirtschaft anzupassen und eine exakte, straffe Buchhaltung einzuführen. Damit soll erreicht werden, daß kein Staatseigentum mehr in private Taschen fließt, beim Verkauf von Unternehmen kein staatliches Vermögen verschleudert wird und die Unternehmen effektiv bewirtschaftet werden können.

Die Privatisierung staatlicher Unternehmen dürfte danach lediglich selektiv sein und vor allen in jenen Bereichen erfolgen, aus denen sich die staatliche Wirtschaft zurückziehen soll. Offenbar ist daran gedacht, zumindest einen Teil der Erlöse aus dem Verkauf staatlichen Vermögens in Form von Aktien wieder in den Unternehmen des Mischeigentums anzulegen, die profitable Aussichten bieten. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte es dann vier Arten von Aktiengesellschaften geben: 1. Unternehmen, deren Aktien unter verschiedenen staatlichen Unternehmen/Institutionen verstreut sind, 2. Unternehmen, bei denen der Staat die Aktienmehrheit besitzt; 3. Unternehmen, bei denen der staatliche Aktienanteil unter 50 Prozent liegt; und 4. Unternehmen, an denen der Staat nicht mit Aktien beteiligt ist.

Was veranlaßte die KPCh zu diesem grundlegenden Richtungswechsel in der Entwicklung der Eigentumsstruktur? Ich sehe drei Gründe:

1. Die Modernisierung der staatlichen Unternehmen erfordert enorme Mittel, die der Staat allein – zumal in kürzester Zeit – nicht aufzubringen vermag. Nach einer chinesischen Schätzung werden dafür rund 3 000 Milliarden Yuan (umgerechnet etwa 366 Mrd. US-Dollar) veranschlagt.3)

2. Die übergroße Mehrheit der staatlichen Unternehmen ist augenscheinlich nicht in der Lage, sich in den nächsten zwei bis drei Jahren so zu modernisieren und die Bewirtschaftung so zu effektivieren, daß sie der dann nahezu ungebremsten internationalen Konkurrenz standhalten könnte.

3. Die Orientierung auf ein gemischtes Eigentum als hauptsächliche Wirtschaftsform dient wohl auch dazu, die ökonomische Potenzen des Landes über soziale Unterschiede und Gegensätze hinweg zu bündeln, um strategische Zielsetzungen abzusichern.

Verteilung nach Leistung?

In die neue Phase der Reform sind auch die 189 zentral geleiteten staatlichen Unternehmen mit ihren 9,1 Millionen Beschäftigten eingebunden. Vorgesehen ist, die Aktiengesellschaft mit ihren Institutionen Aktionärsversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat und Management auch in diesem Bereich »zur Hauptform für die Realisierung des staatlichen Vermögens in den zentralgeleiteten Unternehmen« zu entwickeln.4) Diese Umgestaltung soll 2004 forciert in Angriff genommen werden. Darin einbezogen sind zunächst auch die Chinesische Bank und die Aufbau-Bank, zwei der vier großen staatlichen Geschäftsbanken.5) In diesem Bereich geht es anscheinend ausschließlich um die Entwicklung von chinesischen »Multis« durch Fusion staatlicher Unternehmen, um Fusionen mit aus- und inländischem Kapital und um die Verflechtung staatlicher Unternehmen durch Aktien. Grundlage dafür ist die Klärung des Vermögens durch die Einschätzung des jährlichen Bewirtschaftungsergebnisses des jeweiligen Unternehmens. Die soll erstmals 2004 erfolgen.

Galt bisher die Zentralregierung als alleiniger Eigentümer der staatlichen Unternehmen, so ist nun die Eigentümerfunktion zwischen Zentralregierung und Provinzregierungen aufgeteilt. Für die zentral unterstellten Unternehmen übt die Zentralregierung weiterhin diese Funktion aus, für alle anderen staatlichen Unternehmen sind (unter normalen Bedingungen) fortan die Provinzregierungen die Eigentümer. Das staatliche Eigentum in der VR China wird also zweigeteilt sein in ein zentrales und in ein regionales Eigentum.

Mit der Durchsetzung der Marktwirtschaft vollziehen sich auch in anderen Bereichen der Produktionsverhältnisse fundamentale Veränderungen. Die primäre Verteilung des erwirtschafteten BIP erfolgt bereits heute zu bedeutenden Teilen über den Markt mit all ihren sozialen Folgen. Bedenklich für eine sozialistische Entwicklung des Landes ist dabei, daß der Staat bei der sekundären Verteilung des BIP nicht imstande ist, die negativen Auswirkungen zumindest erheblich abzuschwächen. Die Entwicklung gesellschaftlicher Wohltätigkeit für soziale Zwecke unter Beteiligung der neuen Bourgeoisie ist hier lediglich der besagte Tropfen auf dem heißen Stein.

Offiziell gilt nach wie vor, daß die Verteilung hauptsächlich nach der geleisteten Arbeit erfolgt. Mit der generellen Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware bestimmt jedoch der Markt immer mehr den jeweiligen Wert der Arbeitskraft. Vor einigen Wochen las ich in der chinesischen Presse, daß ein Unternehmen in der Provinz Síchuan einen erfahrenen Facharbeiter für seine spezifische Produktion suche. Angesichts des Facharbeitermangels wurde ein Jahresgehalt von 300 000 Yuan in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: Ein promovierter Professor an einem zentralen gesellschaftswissenschaftlichen Institut in Peking verdient im Jahresdurchschnitt um die 20 000 Yuan. Das Beispiel mag extrem sein, ist aber typisch. Der Markt übernimmt die Verteilung der Arbeitskräfteressourcen und bestimmt damit den Ausgangswert der Ware Arbeitskraft.

Was ist daran sozialistisch? Die KPCh argumentiert mit der entscheidenden Rolle des Gemeineigentums, das die Marktwirtschaft in China von der in den kapitalistischen Ländern unterscheide. Das ist eine Behauptung, die sich schon heute, zu einem Zeitpunkt, in der die Marktwirtschaft in China noch nicht voll ausgebildet ist, nicht beweisen läßt. Die Partei sieht die hauptsächliche Ursache für negative Auswirkungen der Marktwirtschaft in China darin, daß diese Ordnung noch unvollkommen sei. Das mag in gewissem Grade stimmen. Verglichen mit der Marktwirtschaft kapitalistischer Länder sehe ich jedoch keinen grundsätzlichen Unterschied in der Auswirkung der Marktgesetze. Dazu gehören auch die negativen Seiten: soziale Polarisierung, Korruption, Imitation von Waren, faule Kredite und Anarchie. Neben dem politischen Einfluß entscheidet heute die Position in der Marktwirtschaft maßgeblich über Stellung und Ansehen in der Gesellschaft.

»Neues Gemeineigentum«

Die von der Parteiführung in diesem Zusammenhang gesteuerten theoretischen Diskussionen haben einen zwiespältigen Charakter. Zum einen geht es um das sachliche Erfassen neuer Entwicklungen, vor allem im Bereich der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Darin drückt sich für mich ihre wissenschaftliche Seite aus. Zum anderen sollen sie den Nachweis führen, daß die recht pragmatische Politik der KPCh höchster Ausdruck eines »schöpferisch angewandten Marxismus« sei und eine neue Stufe in der Entwicklung des Marxismus verkörpere. Für mich wird damit der theoretische Anspruch ad absurdum geführt.

Die im Herbst 2003 aufgekommene Theorie über das »neue Gemeineigentum« beruht auf einer neuen Interpretation der Arbeitswerttheorie von Marx. Es wird anerkannt, daß die von Marx mit dieser Theorie getroffenen Aussagen von fundamentaler Bedeutung für die Erkenntnis des ökonomischen Wesens des Kapitalismus und für die gesellschaftlichen Produktivkräfte seiner Zeit sind. Die Bedingungen in China seien jedoch ganz andere. Deshalb gelte es, die Arbeitswerttheorie von Marx »schöpferisch weiterzuentwickeln«.

Die gewaltigen Veränderungen, die sich z. B. in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte vollzogen haben und vollziehen, stellen zweifellos eins solche Aufgabe. Das sehe ich auch als Nicht-Ökonom. Mit dem Fortschritt der wissenschaftlich-technischen Revolution hat sich die Rolle, die die einzelnen Produktionsfaktoren für die Entwicklung der Wirtschaft spielen, spürbar verändert. Geistige Arbeit, wissenschaftlich-technische Tätigkeit, Organisation der modernen Produktion, Rolle der Informationsarbeit u. ä. Faktoren haben in der sogenannten knowledge economy einen vorrangigen Stellenwert erhalten. Hier hat die Diskussion in China viel schöpferisches Denken hervorgebracht. Notwendig ist auch die Kritik an der traditionellen Geringschätzung der geistigen Arbeit und der Tätigkeit im dritten Sektor in der chinesischen Gesellschaft.

Problematisch wird die Diskussion für mich, wenn das eigentliche Anliegen berührt wird – die Bewertung der »Arbeit« des privatkapitalistischen Unternehmers. Ausgangspunkt ist die These: »Wissenschaftlich-technische Arbeit sowie Bewirtschaftung und Leitung, diese beiden Arten hauptsächlicher Arbeitsformen sind die Hauptkraft, um die Entwicklung der Produktivkräfte voranzubringen.«6) Hierauf beruht die uns in diesem Zusammenhang interessierende Aussage: Die Tätigkeit des Privatunternehmers im heutigen China sei eine Form der Bewirtschaftung und Leitung, also eine Form der Arbeit wie alle anderen. Dann beginnt der Eiertanz, um diese Arbeit von der Ausbeutung zu lösen. Ich konnte zwei Linien der »Argumentation« herausfinden. Im ersten Fall wird erst einmal allgemein postuliert, daß mit der ökonomischen Entwicklung auch der persönliche Besitz zunehme (wie ist das in der sozial polarisierten Gesellschaft Chinas?). Deshalb könne man nicht einfach das Vermögen »als Kriterium dafür nehmen, ob der Betreffende fortschrittlich oder rückständig sei«. Entscheidend sei vielmehr sein ideologisches und politisches Verhalten.7) Die objektive ökonomische Analyse wird hier einfach durch eine subjektive politische Wertung ersetzt. Im zweiten Fall wird behauptet, daß der Mehrwert, der unter den Bedingungen legaler ursprünglicher Akkumulation und legaler Bewirtschaftung eines Privatunternehmens erzeugt wurde bzw. wird, kein Produkt der Ausbeutung sei.8) Zwei Methoden, die marxistische Arbeitswerttheorie zu verdrehen, um das Kapital freizusprechen. Marx würde sich im Grabe umdrehen. Im Ergebnis erscheint dann der Privatkapitalist nicht als Ausbeuter, sondern wie der Arbeiter seines Unternehmens als »ein Erbauer des Sozialismus«. Da er über die größeren »ökonomischen Ressourcen« verfügt, wird er aus politischen Gründen in der neuen sozialen Hierarchie weit vor dem Arbeiter, dem Bauern und natürlich erst recht vor dem Arbeitslosen plaziert.

Diese Art Manipulation hat ihre eigentliche Grundlage in der These, daß in China der Transformationsprozeß bereits abgeschlossen sei und eine sozialistische Gesellschaft existiere. Von dieser Grundposition bis zur Theorie über das »neue Gemeineigentum« ist es nur ein logischer Schritt. Neu daran sind die angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital durch die Entwicklung von Aktiengesellschaften und der generelle Übergang zu einem gemischten Eigentum an Produktionsmitteln.

Für die in diesem Zusammenhang entwickelte theoretische Position ist ein Beitrag charakteristisch, der vom Zentrum zur Erforschung der Theorie Deng Xiaopings an der Parteischule des ZK der KPCh verfaßt wurde. »Wir meinen«, schreiben die Autoren, »daß die Wirtschaft des gemischten Eigentums, in der das Aktiensystem, das System der Aktiengenossenschaft u.ä. den Ton angeben, natürlich den Familiennamen ›Gemeinsam‹ (gong) trägt und zur Hauptform des Gemeineigentums im Anfangsstadium des Sozialismus wird.«9) Schon Marx hätte das Aktiensystem als Gemeineigentum angesehen.

Aneignung fremder Mehrarbeit

Das ist eine unbewiesene Behauptung. Marx schreibt: »Das Kapital ... erhält hier (durch die Bildung von Aktiengesellschaften – d. A.) direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital ... Es ist die Aufhebung des Privateigentums innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.« Für Marx ist diese Entwicklung »ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum des Produzenten«. Er betont jedoch zugleich, daß sich dabei der Profit nach wie vor darstellt »als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber dem wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen in der wirklichen Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis hinab zum letzten Tagelöhner.«10) Folglich charakterisierte Marx die Aktiengesellschaft im Kapitalismus keineswegs als eine Art Gemeineigentum, bei dem die Produzenten der betreffenden Wirtschaftseinheit zugleich ihre Eigentümer sind. Das trifft auch für die heute in China angestrebte Umwandlung des Privatkapitals in gesellschaftliches Kapital in Form von Aktiengesellschaften zu. Diese Aktiengesellschaften können folglich auch keine neue Form des Gemeineigentum sein.

Aus meiner Sicht haben alle diese neuen Theorien der KPCh im Grunde eine Bestimmung. Sie sollen alle Kräfte des Landes bündeln und multiplizieren, um China neben den USA als eine ökonomische und damit auch politische, militärische und kulturelle eigenständige Weltmacht zu etablieren. Das scheint auch das eigentliche Anliegen der Orientierung auf »die Renaissance der chinesischen Nation« zu sein.



Die neue Bourgeoisie
 
Wandel und Fortschritt in China (Teil III und Schluß)
 
Aus offiziöser soziologischer Sicht gibt es in der Volksrepublik China keine Klassen mehr. Danach gliedert sich die Bevölkerung nach ihren jeweiligen politischen, ökonomischen und kulturellen Ressourcen in zehn neue soziale Schichten. Lange bevor die Theorie von dieser neuen Sozialstruktur der chinesischen Gesellschaft aufkam, hatte die politische Praxis diesen Schritt schon vorweggenommen.1 Der Anteil der Arbeiter und Bauern unter den Mitgliedern der KPCh und den Abgeordneten der Volkskongresse wurde seit den 1990er Jahren immer kleiner, der der politischen Führungskader, der Beamten und Intellektuellen (in der Partei auch die der Privatunternehmer) hingegen immer größer. Vertreter der wissenschaftlich-technischen Intelligenz unter den Parteikadern besetzten fast alle Führungsposten an der Spitze der Partei. Arbeiter und Bauern von der »Graswurzel-Basis« sind dort schon lange nicht mehr zu finden. Die Darstellung in den Dokumenten der Partei, zu ihrer eigentlichen Klassenbasis würden in erster Linie Arbeiter und Bauern gehören, kann deshalb bezweifelt werden.

Privatunternehmer und Millionäre

In der Sprache der KPCh gibt es im heutigen China keine einheimische Bourgeoisie. Privatkapitalistische Unternehmer firmieren in den Dokumenten der Partei und in Veröffentlichungen eines Teils der chinesischen Ökonomen als »Unternehmer aus dem Volke« (minjian qiyejia). Die KPCh versucht in ihrer nationalen Politik offenbar, den dem Privatkapitalismus immanenten Antagonismus zu verschleiern. Diese Position scheint jedoch breiteren Teilen des Volkes, darunter auch Kadern im politischen Apparat, schwer vermittelbar zu sein.

Die heutige Position der KPCh gegenüber dieser neuen sozialen Schicht ist durch aktuelle und weitreichende ökonomische Erfordernisse gesprägt. Nach der fünften nationalen Erhebung über die privatkapitalistischen Unternehmen1 existierten 2001 etwas über zwei Millionen dieser Wirtschaftseinheiten mit 4,6 Millionen Kapitaleignern und einem Privatvermögen von über 85 000 Milliarden Yuan. Sie verfügten im Durchschnitt über ein Kapital von 2,5 Millionen Yuan (plus 66,7 Prozent gegenüber 1999). In den letzten Jahren beschleunigte sich der Konzentrationsprozeß des Kapitals. So wuchs die Zahl der Unternehmen mit einem Kapital von jeweils mehr als 500 Millionen Yuan von 110 im Jahre 1999 auf 378 im Jahre 2001 an.2

Privatkapitalistische Unternehmen dieser Wirtschaftsform finden sich vor allem im produzierenden Gewerbe (darunter in der High-Tech-Industrie), im Immobilienwesen und im Bereich Handel/Gastronomie. In den letzten Jahren haben sie sich verstärkt im neuen Dienstleistungswesen zu entwickeln begonnen, darunter vereinzelt auch schon im Banksektor (Gründung der Bohai-Bank u.a.). Weit über die Hälfte der 400 stärksten Einheiten dieser Wirtschaftsform ballt sich im Raum Jiangsu-Shanghai-Zhejiang zusammen. Rund zwei Drittel aller Unternehmen sind in Mittel- und Kleinstädten angesiedelt.

Nach einer im Oktober 2003 veröffentlichten Analyse über die 100 reichsten Personen in der VR China beträgt das Vermögen der ersten 90 Personen jeweils zwischen knapp 1einer und 7,5 Milliarden Yuan (umgerechnet 110 –915 Mio. US-Dollar). Einige konkrete Beispiele:

1. Platz und reichster Mann der VR China: Ding Lei, 33 Jahre, Provinz Zhejiang, 7,5 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Informationstechnologie;

2. Platz: Rong Zhijian, 61 Jahre, Provinz Jiangsu, 7 Milliarden Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Luftfahrt, Immobilien und Telekommunikation;

50. Platz: Wu Bingxin, 65 Jahre, Provinz Shandong, 1,5 Milliarden Vermögen, Geschäftsbereich: Gesundheits- und Kosmetikindustrie;

100. Platz: Zhang Hongwei, 53 Jahre, Harbin (NO-China), 900 Millionen Yuan Vermögen, Geschäftsbereich: Immobilien, Supermärkte und Banken.

Ein Drittel der hundert reichsten Personen ist bis 40 Jahre alt, 80 stammen aus Ostchina. Die soziale Schicht der neuen Bourgeoisie (ohne das Kleingewerbe) umfaßt heute zusammen mit ihren Familien schätzungsweise etwa 20 Millionen Menschen. Weit über 90 Prozent dürften der unteren und mittleren Bourgeoisie zuzuordnen sein. Die obere Gruppe dieser sozialen Schicht ist zahlenmäßig gering, verfügt jedoch über ein enormes Vermögen.

Auf welchen Wegen konnte diese Spitzengruppe von Kapitaleignern in einer historisch so kurzen Zeit ein so riesiges Vermögen zusammentragen? Mindestens 90 Prozent der privatkapitalistischen Unternehmer sollen aus Familienkreisen heutiger und ehemaliger Führungskader mit gesellschaftlichem Einfluß kommen. Gut fünf Prozent seien bei der ursprünglichen Akkumulation durch Verwandte in Hongkong, Macao und Übersee kräftig unterstützt worden. Nur 4,5 Prozent hätten sich das Vermögen durch eigene Tätigkeit erworben.3 Ein beträchtliches Vermögen nicht weniger privatkapitalistischer Unternehmer dürfte unredlich erworben worden sein. Das war auch der Hintergrund, weshalb in den ersten Monaten des Jahrs 2003 in der Öffentlichkeit die Forderung aufkam zu untersuchen, wie die Unternehmer zu ihrem »ersten Faß Gold« (ursprüngliche Akkumulation) gekommen waren. Die Administration beschränkte sich dann jedoch im wesentlichen darauf, lediglich die Steuersünder zur Kasse zu bitten.

Die chinesische Privatwirtschaft spielt inzwischen eine nicht zu ersetzende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Sie erzeugt heute über ein Drittel des BIP des Landes und schafft die meisten neuen Arbeitsplätze. 20 Prozent ihrer Beschäftigten sind Arbeiter, die aus staatlichen und kollektiveigenen Unternehmen entlassen worden waren. Dieser Teil der chinesischen Wirtschaft entrichtet im Jahr an die 100 Millionen Yuan Steuern. In den wirtschaftlich entwickelten Regionen Südostchinas erbringt er sogar zwei Drittel aller Einnahmen des Fiskus. In nicht wenigen Kreisstädten an der Ostküste bestimmt die Privatwirtschaft die wirtschaftliche Basis mit Anteilen am Bruttosozialprodukt von bis zu über 80 Prozent. Der Anteil dieser Wirtschaftsform am Außenhandel ist zwar noch gering (2002: 55,2 Milliarden US-Dollar = 8,6 Prozent), er weist jedoch einen geradezu sprunghaften Anstieg auf (plus 57 Prozent gegenüber 2001). Die Zusammenarbeit dieser Unternehmen mit dem ausländischen Kapital geht über Anfänge hinaus. Sie erfolgt zu knapp 50 Prozent im produzierenden Gewerbe. Mit gut drei Prozent ihres Kapitals hat die privatkapitalistische Wirtschaft Chinas auch begonnen, im Ausland Fuß zu fassen. Es war aber auch die politische Unsicherheit, die Vertreter dieser sozialen Schicht veranlaßte, ihr Kapital ins Ausland abfließen zu lassen.

Diese ökonomischen Realitäten üben einen spürbaren und zunehmenden Druck auf die Politik der Kommunistischen Partei gegenüber der privaten Unternehmerschaft aus, dem die Führung des Landes Rechnung trägt. Mit der auf der 2.Tagung des 10. Nationalen Volkskongresses (NVK) zu erwartenden Revision der Verfassung wird der Schutz des privatkapitalistischen Eigentums dem Schutz des Gemeineigentums gleichgestellt werden. Damit wird dann die neue Bourgeoisie in die Kategorie »Volk« ökonomisch und politisch gleichberechtigt integriert sein.

Politische Absicherung angestrebt

Politisch erfolgte dieser Schritt zuvor schon in der Rede des damaligen Generalsekretärs des ZK der KPCh, Jiang Zemin, zum 80. Jahrestag der Gründung der Partei. Und der 16. Parteitag bekräftigte den politischen Platz der Privatunternehmer als »Erbauer des Sozialismus chinesischer Prägung«. Er bestimmte abermals im Nachhinein, daß die »hervorragendsten Vertreter« unter ihnen der KPCh beitreten dürfen. Zhang Houyi, Fachmann für die Erforschung der chinesischen Privatunternehmertums an der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften (CASS), betrachtet die genannte Rede Jiang Zemins nicht ohne Grund als den »historischen Wendepunkt« in der Entwicklung dieser sozialen Schicht der Privatunternehmer.4

Der aufstrebenden Bourgeoisie stehen heute im Grunde vier Wege offen, um ihre Interessen politisch vertreten zu können – als Abgeordnete der Volkskongresse, als Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (Organisation der nationalen Einheitsfront, im folgenden: PKKCV), als Mitglieder der Chinesischen Vereinigung der Industriellen und Händler (CVIH) und der politischen Parteien. 2001 waren 79 Prozent der Privatunternehmer in der Berufsorganisation CVIH organisiert. Unter den politischen Institutionen wird die PKKCV bevorzugt. Als Mitglieder dieser Organisation waren im gleichen Jahr von den Kreiskongressen bis zum nationalen Kongreß insgesamt 35,1 Prozent aller Angehörigen dieser Schicht registriert. Schätzungsweise 17 bis 19 Prozent sind Abgeordnete der Volkskongresse von den Stadtbezirken bzw. ländlichen Xiang an aufwärts. An den ersten Tagungen des X. NVK und der X. PKKCV auf nationaler Ebene im März 2003 nahmen zusammen 65 Privatunternehmer als Abgeordnete des NVK bzw. Mitglieder der PKKCV (in der vorangegangenen Wahlperiode erst fünf Mandate), aber nur 33 Vertreter aus der Wirtschaft des Gemeineigentums teil.

Parteimäßig sind diese Unternehmer vor allem in der KPCh organisiert. Die Zahl der KP-Mitglieder unter ihnen ist mir nicht bekannt. Einen gewissen Aufschluß vermittelt der Vergleich zwischen den befragten Unternehmern in den letzten fünf Erhebungen über die privatkapitalistische Wirtschaft.

Anteil der KP-Mitglieder

unter den befragten Unternehmern (in %)

1993 1995 1997 1999 2001

13,1 17,1 16,6 19,8 29,9

Das starke Ansteigen der Zahl dieser Parteimitglieder 1999-2001 hängt mit der Privatisierung staatlicher und kollektiver Unternehmen in jenen Jahren zusammen. Die Eigentümer einer Reihe von privatisierten Unternehmen waren zuvor oftmals die Leiter der betreffenden Wirtschaftseinheiten. 192 der 2001 befragten Personen waren mit der Privatisierung der Unternehmen noch vor der Rede Jiang Zemins zum 1. Juli 2001 der KPCh beigetreten.

Wenn wir den Anteil der KP-Mitglieder unter den befragten Unternehmern im Jahre 2001 als allgemeine Durchschnittszahl annehmen würden, dann hätte diese soziale Schicht einen Anteil an der Gesamtzahl der Parteimitglieder von etwas mehr als ein Prozent.

Das Motiv für den Beitritt von Unternehmern zur KPCh scheint weit überwiegend utilitaristischer Natur zu sein. So ergaben beispielsweise Untersuchungen des Instituts für Soziologie an der Zhongshan-Universität Guangzhou, daß über 40 Prozent der Befragten der Partei beitraten, um »die Entwicklung ihrer Geschäfte voranzubringen«. Gut 18 Prozent nannten als Grund, »ihre gesellschaftliche Stellung zu erhöhen«. Und fast 14 Prozent wollten damit für sich »eine relative politische Sicherheit erreichen«.5

Nutzt die Bourgeoisie diese neuen Möglichkeiten aus, um ihre Interessen als soziale Schicht offen zu artikulieren und durchzusetzen? Chinesische Forscher sehen das noch unterschiedlich. Einige schätzen ein, daß sie zwar im wesentlichen in die Politik einsteigen, um ihre privaten Geschäfte zu fördern, von einem Schichtbewußtsein aber könne noch nicht gesprochen werden. Andere wiederum wie Chen Guangjin von der CASS gehen etwas weiter. Das »Kollektivbewußtsein dieser Schicht« habe sich zwar noch nicht vollständig herausgebildet. In Fragen wie Steuersenkung, Schutz des Privateigentums u. ä. aber sei ihre Position schon relativ einheitlich. Ökonomisch wie politisch bestehe ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung. Die Diskussionen auf den Tagungen des NVK und der PKKCV im März 2003 bestätigen seine Einschätzung. Die wichtigsten ihrer auf diesen Tagungen erhobenen Forderungen waren: Beseitigung von Hindernissen für die Entwicklung ihrer Unternehmen, Rechte und Behandlung wie die staatlichen Unternehmen bei Krediten, Bodenrequirierung, Bewirtschaftungsrahmen, im Außenhandel u.ä. Chen folgert daraus: »Die Orientierung auf gemeinsame Werte drückt im Unterschied zu anderen Schichten aus, daß diese Schicht bereits zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden ist.«6

Fortschritt oder Rückschritt?

In diesen Jahren sind in der China grundlegende Weichenstellungen zu erwarten. Wird die Orientierung der KPCh auf das Mischeigentum auch die Richtung für die unausweichliche weitere Umgestaltung des politischen Überbaus bestimmen? Könnte sich damit eine Art von Konvergenz mit dem Kapitalismus entwickeln, eine »Konvergenz chinesischer Prägung«? Im Jahre 2002, vor dem 16.Parteitag der KPCh, hatten sich derartige Wortmeldungen gehäuft. So hieß es, daß sich die Ansicht, der privatkapitalistische Unternehmer sei ein Ausbeuter, im Widerspruch zur »heutigen großen Lage« befände. Denn: »In der Tendenz verblassen die Trennlinien zwischen den Ideologien.« Die Völker würden materiellen und geistigen Reichtum genießen wollen. »Auf der Grundlage dieses praktischen Verstandes durchbrechen die Menschen ständig die Grenzen der Systeme und der Kulturen. Als Ausdruck dessen dürfen wir die ›Katzentheorie‹ und die ›Rede zum 1. Juli‹ ansehen.«7 Noch ist nicht klar, ob sich diese Tendenz auch unter der neuen Führung fortsetzen wird oder nicht.

Ist es bei der Einschätzung der chinesischen Entwicklung überhaupt angemessen, den Sozialismus zum Maßstab der chinesischen Dinge zu machen? Nach wie vor ist das Land erheblich davon entfernt, sich den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit seit der Französischen Revolution zu eigen gemacht zu haben. Jeder Schritt zur Verringerung und Überwindung dieses Rückstandes ist in China ein historischer Fortschritt. Das gilt für die materiellen wie für die geistigen Verhältnisse. Wenn das Kapital dazu beiträgt, dann ist es ein Faktor menschlichen Fortschritts. In abgewandelter Form gilt für mich hier die These Lenins, aufgestellt bei der Begründung seiner NÖP: Der Kapitalismus sei ein Segen gegenüber dem Mittelalter, gegenüber dem Sozialismus hingegen ein Übel.8 Auf dem Wege des historischen Fortschritts wäre die Aneignung der zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit in organischer Verbindung mit dem gesellschaftlichen Fortschritt zum Sozialismus die optimale und von Kommunisten zu erkämpfende Perspektive. Wenn sich nun aber auch in China herausstellt, daß das Überspringen der kapitalistischen Entwicklungsstufe eine Utopie ist? Auch dann bleibt für mich jeder Schritt, der die chinesische Gesellschaft aus ihrer historischen Zurückgebliebenheit befreit, ein Fortschritt.

China wird lange, bevor es die Pro-Kopf-Parameter des ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der kapitalistischen Welt erreicht haben wird, auf Grund seiner besonderen nationalen Bedingungen eine ökonomische Weltmacht sein. Welche Farbe es dann tragen wird, ist ungewiß. In jedem Fall wird es ein relativ eigenständiger und sich seiner Stärke bewußter Pol in einer multipolaren Welt sein. Allein schon diese Position Chinas würde für unsere Auseinandersetzung mit den aggressivsten und reaktionärsten Kräften des Imperialismus eine nicht unerhebliche Bedeutung haben.



Helmut Peters
 
China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

sorry wegen 3-fach-posting

 
01.02.04 13:44
#34
liegt an dem genialen editor
China - Eine Supermacht öffnet die Tore flamingoe
flamingoe:

uff - langer schwer überschaubarer Text !

 
01.02.04 22:54
#35

den hebe ich mir für morgen auf...vielleicht ;-)

China - Eine Supermacht öffnet die Tore hjw2
hjw2:

Rasanter Aufschwung in China: Eine neue Blase?

 
08.02.04 10:14
#36


Erste Stimmen warnen vor einem abrupten Ende der China-Euphorie. Doch die Basis des rasanten Aufschwungs ist nach wie vor solide
von Frank Stocker

 
   
Alle Menschen sind klug, sagt ein chinesisches Sprichwort - die einen vorher, die anderen nachher. Die einen investieren nun in das neue Wirtschaftswunderland. Die anderen sehen eine neue, große Spekulationsblase und warten darauf, dass sie platzt.


Manche Blüte, die der Boom in China treibt, legt den Gedanken an eine Übertreibung nahe. Am Freitag hatte Shanghai Forte, der größte Immobilienentwickler der Stadt, sein Debüt auf dem Hongkonger Parkett. Die Aktien waren 480fach überzeichnet - und das, obwohl dasselbe Unternehmen vor einem Jahr die Emission noch abblasen musste. Damals hielten die Investoren das Konzept für zu riskant. Nun legte der Kurs am ersten Tag gleich um zehn Prozent zu.


Vor diesem Hintergrund bekundeten bei einer Umfrage unter europäischen Fondsmanagern durch die Fonds-Rating-Agentur Morningstar 88 Prozent, dass sie das Risiko einer Blase an den Börsen in Asien (außer Japan) sehen.


Allerdings: 83 Prozent der Fondsmanager halten diese Gefahr für "begrenzt". Sie sehen zwar, dass der Aufschwung in einigen Bereichen zu Übertreibungen führt, die auch vereinzelt zu Kurseinbrüchen führen können. "Die deutliche Korrektur der Aktien in Hongkong im Januar ist aber weniger auf psychologisch geprägten Verkaufsdruck zurückzuführen", sagt Richard Wong, Manager des HSBC Chinese Equity-Fonds. "Es ist vielmehr eine gesunde Korrektur zuvor stark gestiegener Titel." In der Tat waren vor allem die Gewinner der letzten zwölf Monate, wie Ölwerte und Internet-Titel, betroffen. So brach die Aktie des Portalbetreibers Sina in den vergangenen Tagen zwar um rund zehn Prozent ein. In den zwölf Monaten zuvor hatte sie sich jedoch verachtfacht.


"In einzelnen Teilbereichen gibt es Übertreibungen", sagt auch Klaus Martini, Chef-Anlagestratege für die Privatkunden der Deutschen Bank. "Grundsätzlich glaube ich jedoch nicht an eine Blase." Er rät den Anlegern daher, in Asien und insbesondere in China zu investieren. "Wenn nicht unvorhersehbare Dinge passieren, wird China bald zu den wirtschaftliche Machtzentren der Welt gehören", so Martini. Er ist soeben von einer Reise durch das Land der Mitte zurückgekehrt und zeigt sich begeistert.


Anlass dazu gibt es genug. Die Wachstumsrate betrug im vierten Quartal des vergangenen Jahres 9,9 Prozent. Im Gesamtjahr wuchs die Wirtschaft um 9,1 Prozent - und das trotz Sars-Krise. Seit 1978 stieg das Bruttoinlandsprodukt jährlich um neun Prozent und hat sich seither versechsfacht. Bis 2008 dürfte die chinesische Wirtschaft größer sein als die deutsche.


Gleichzeitig ist das Land in den vergangenen zehn Jahren weitgehend unbemerkt zum Weltmarktführer bei einer ganzen Reihe von Produkten aufgestiegen. 1990 noch war China nur bei Baumwolltextilien und Fernsehgeräten führend. Inzwischen ist es beispielsweise auch weltgrößter Produzent von Kühlschränken, Kameras, PC, DVD-Spielern oder Handys.


Und die nächste Stufe der Entwicklung bereitet sich schon vor. Zwischen 2001 und 2003 hat sich die Zahl der Techniker und Ingenieure, die an den Universitäten des Landes ihren Abschluss machen, verdoppelt. Sie werden nicht für 50 Dollar im Monat am Fließband arbeiten, sondern mit den westlichen Industriestaaten um die Führung im High-Tech-Bereich ringen.

Rasanter Aufschwung in China: Eine neue Blase? (2)

Entscheidend für die nächsten Jahre wird jedoch, dass Chinas Wachstum nicht mehr allein vom Export abhängt. "Die interne Nachfrage muss gestärkt werden und sie muss die Exportnachfrage ablösen", sagt Deutschbanker Martini.


Doch auch dies zeichnet sich bereits ab. Die Chinesen fangen an, die Lust am Konsum zu entdecken. Davon zeugen nicht nur Indoor-Skihallen vor den Toren Shanghais oder Golfplätze auf den Dächern der Wolkenkratzer. Auch die Zahl der verkauften Autos verdoppelte sich in den letzten zwölf Monaten. Und angesichts einer Sparquote von 40 Prozent haben die Chinesen viel Geld auf der hohen Kante, das sie bei steigendem Wohlstand auch auszugeben bereit sind.


Der Boom in China hat also eine gute Basis und gründet nicht - wie einst die Internet-Blase - auf Wunschvorstellungen und Luftschlössern. Die große Frage ist jedoch, wie man als Anleger an diesem Aufschwung teilhaben kann.


Das Problem der chinesischen Börsen von Shanghai und Shenzhen ist nach wie vor, dass die Marktkapitalisierung relativ klein ist. Zudem sind von den dort gelisteten knapp 1300 Firmen nur ganze 70 gewinnorientierte Privatunternehmen. Der Rest sind Staatsbetriebe, die oft auch noch mit Verlust arbeiten.


"Wir profitieren lieber indirekt", sagt daher auch Murdo Murchison, Manager des Templeton Growth Fonds (siehe Interview auf der nächsten Seite). Vor allem in Hongkong findet er Aktien, die westlichen Standards entsprechen. Klaus Martini erinnert auch daran, dass Chinas Nachbarn zu den größten Profiteuren des Booms gehören, und daher auch dort viele interessante Aktien zu finden sind.


Privatanlegern rät er jedoch, lieber auf Fonds oder Zertifikate zu setzen. Zu unübersichtlich ist der Aktienmarkt in Asien für die meisten deutschen Anleger. Zudem sind die Schwankungen sehr hoch, und hie und da drohen durchaus Rückschläge. Doch generell wird der Aufschwung weitergehen. "China setzt auf die Olympischen Spiele 2008 und möchte bei diesem Ereignis bestens gerüstet sein", gibt sich Klaus Martini überzeugt. "Dann will auch Chinas Wirtschaft auf den vorderen Plätzen stehen."


Artikel erschienen am 8. Feb 2004
wams
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Die Lage der chinesischen Arbeiterklasse

 
#37
21.02.2004  
 
Liu Shi
 
Auf dem Buckel der Produzenten
 
Die Lage der chinesischen Arbeiterklasse
 
* Liu Shi ist Funktionär des Chinesischen Gewerkschaftsbundes. Bis 2002 war er dessen stellvertretender Vorsitzender.

Chinas Arbeiterklasse hat eine entscheidende Rolle für die ökonomische Entwicklung und die sozialen Fortschritte gespielt, die wir seit den Reformen von 1978 erreicht haben. Arbeiter produzieren heute 72,1 Prozent des chinesischen Bruttoinlandprodukts.

1978 gab es 120 Millionen Arbeiter, im Jahre 2000 waren es 270 Millionen. Rechnet man die 70 Millionen Bauern hinzu, die in die Städte gezogen sind und dort eine langfristige Lohnarbeit gefunden haben, so umfaßt Chinas Arbeiterklasse etwa 350 Millionen Menschen, was der Hälfte der arbeitenden Bevölkerung entspricht.

Das kulturelle, wissenschaftliche und technische Niveau der Arbeiterklasse hat sich erhöht und der Lebensstandard des überwiegenden Teils der Arbeiter ist gestiegen. Die Arbeiterklasse und insbesondere die Industriearbeiterschaft hat große Veränderungen erfahren, seit die Reformen vor über 20 Jahren begannen.


I. Ausbreitung der Lohnarbeit

Derzeit sind mehr als 100 Millionen Arbeiter im nichtstaatlichen Sektor beschäftigt. Der 13. Parteitag stellte fest, daß Arbeiter, die in privaten Unternehmen arbeiten, als Lohnarbeiter anzusehen sind.

Wie sieht es im staatlichen Sektor aus? Staatliche Unternehmen wurden zwei Arten von Reformen unterworfen: Die kleinen hat man verkauft und die großen in gemischte Aktiengesellschaften umgewandelt. Ein Teil der kleinen und mittleren Betriebe wurde an private Besitzer verkauft und in private Unternehmen umgewandelt, während bei einem anderen Teil ein bedeutender Teil der Aktien des Unternehmens an das Management vergeben wurde.

Am 7. August 2002 veröffentlichte die Zhejiang Tageszeitung einen Artikel eines Xinhua-Reporters über umgewandelte kleine und mittlere Staatsbetriebe. Lokale Behörden und Unternehmen, heißt es da, sehen in der Überschreibung der Unternehmen auf das Management eine effektive Sanierungsstrategie. Der Artikel zeigt, wie viele Unternehmensleiter auf verschiedensten Wegen »über Nacht« zu Besitzern von Aktienpaketen wurden, die meist etliche Millionen Euro wert sind, und eine neue Gruppe von Bossen bilden. Gezahlt werden die Anteile entweder mit Krediten, mit eigenem Geld, mit Hypotheken oder mit geborgtem Geld von Freunden. Einige lokale Behörden leihen sogar den Managern zum Zweck des Aktienerwerbs Geld, und einige belohnen das Management mit »Technologie-« und »Management«-Anteilen, das heißt Manager können in den Besitz von Aktien ihres Unternehmens kommen, ohne dafür Geld ausgegeben zu haben. Einige Manager nutzen auch Mittel des betrieblichen Lohnfonds, um Aktien für sich zu erwerben.

Wenn hingegen größere Staatsbetriebe in gemischte Aktiengesellschaften umgewandelt werden, kaufen zumeist in- und ausländische Unternehmen Anteile auf, während betont wird, daß die Manager die staatlichen Anteile vertreten. Dafür erhalten sie ein eigenes Aktienpaket und ein Jahresgehalt, das das Zehn- und manchmal auch das Hundertfache dessen ausmacht, was der durchschnittliche Arbeiter in dem betreffenden Unternehmen verdient. Die Arbeiter in diesen gemischten Aktiengesellschaften sind nun Lohnarbeiter.


II. Verarmung

Im Vergleich zu den Besitzern privater Unternehmen, ausländischen Investoren, Freiberuflern und Intellektuellen ist die Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiterklasse sehr begrenzt geblieben, und die relative Armut, das heißt der Abstand zu den anderen Gruppen, hat zugenommen.

2001 gab es 2 028 500 private Unternehmen, während es zu Beginn der Reformen 1978 kein einziges gab. Diese Unternehmen verfügen über ein registriertes Kapital von 1,8 Billionen Yuan (ca. 177 Millionen Euro). 23 000 davon haben jeweils über zehn Millionen Yuan und die 383 größten Unternehmen verfügen jeweils über mehr als 100 Millionen Yuan.

Unbezahlte Arbeit ist offensichtlich eine wichtige Quelle für das akkumulierte Kapital privater und ausländischer Firmen. Dem kürzlich veröffentlichten »Bericht über Ausbildungs- und Fachkräfteprobleme in China« ist zu entnehmen, daß zwischen 1995 und 1999 die durchschnittlichen jährlichen Kosten eines Arbeiters im verarbeitenden Gewerbe 729 US-Dollar (ca. 580 Euro) betrugen. In den USA waren die Kosten 40mal so hoch, in Japan 13mal und in Südkorea fünfmal. Selbst in Indien sind die Arbeitskosten deutlich höher. Andere Statistiken zeigen, daß der durchschnittliche Stundenlohn in der verarbeitenden Industrie weniger als 60 US-Cent beträgt. Einer der Hauptgründe dafür, daß sich die privaten Unternehmen entwickeln können und ausländische Firmen interessiert sind, in China zu investieren, sind die geringen Arbeitskosten.

Arbeiter sind im Verhältnis zu anderen Gruppen nicht nur ärmer geworden, auch ihre Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert. Einige Privatunternehmen lassen länger als zehn Stunden am Tag arbeiten und zahlen niedrige Löhne, die manchmal spät und manchmal gar nicht kommen. Nicht selten werden Arbeiter erniedrigt und ihre Freiheit eingeschränkt. (Besonders in den Sonderwirtschaftszonen unterhalten viele Unternehmen Sammelunterkünfte für die meist sehr jungen Arbeiterinnen und Arbeiter. – W. P.) Schlechte oder fehlende Schutzeinrichtungen führen zu zahlreichen Arbeitsunfällen, nicht selten mit Todesfolge. Viele Unternehmen, die Bauern anstellen (d. h. Wanderarbeiter aus ländlichen Regionen – W.P.), muten ihren Arbeitern grausame Arbeits- und Lebensbedingungen zu. In den Worten dieser Arbeiter: »Wir stehen früher als die Hühner auf, arbeiten härter als Ochsen und essen schlechter als Schweine.«

Ein Teil der chinesischen Arbeiterklasse lebt in absoluter Armut. Das Abrutschen in die Armut kann für gewöhnlich auf zweierlei Wegen beginnen: Zum einen, wenn die Arbeiterin bzw. der Arbeiter ihren Erwerb verlieren und das Familieneinkommen nur noch aus dem von der Regierung garantierten Mindesteinkommen besteht. Zum anderen, wenn das Einkommen zwar den Mindestlohn übersteigt, aber im Falle von Krankheit oder anderen Unglücken familiäre Verpflichtungen den Lebensstandard unter die Armutsgrenze sinken lassen. Es gibt keine gesicherten Informationen darüber, wie viele Menschen zu dieser Kategorie gehören. 20,5 Millionen Arbeiter bezogen im Jahre 2002 Unterstützung von der Regierung in Form des garantierten Mindesteinkommens, doch viele, die es bekommen sollten, haben keinen legalen Anspruch. Für diese Arbeiter ist es schwierig, sich drei Mahlzeiten am Tag zu leisten, die Kinder zur Schule zu schicken (die in China Gebühren kosten – W.P.), die Arztrechnung und die Miete zu bezahlen. Nicht selten verkaufen Arbeiter ihr Blut oder begehen Selbstmord.

Vor allem der Anstieg der Arbeitslosigkeit hat in den vergangenen Jahren zu wachsender Armut geführt. Seit 1998 wurden 27 Millionen Arbeiter aus staatlichen Betrieben entlassen. Andere sind zwar nominell noch beschäftigt, doch haben ihre Betriebe die Produktion deutlich reduziert oder ganz eingestellt. Die Zahl der Arbeitslosen, die keine neue Arbeit finden können, nimmt zu. (Viele der heute aus Staatsbetrieben Entlassenen gehören zur Generation der über 40jährigen, deren Bildung und Ausbildung in den Wirren der Kulturrevolution auf der Strecke blieb – W.P.)

Man sollte die in den letzten Jahren verfolgte Politik überdenken, nach der man die Belegschaften verkleinert, um die Effizienz zu steigern. Wie kann es effizient sein, wenn Arbeiter entlassen werden und nicht arbeiten können? Diese Art der Effizienz bezieht sich nur auf die Produktivität der beschäftigten Arbeiter und wird nicht selten auf Kosten des Lohnes und der Wohlfahrt erreicht. Aber Arbeitslose müssen auch leben, sie müssen wieder Arbeit finden, und die soziale Stabilität muß aufrecht erhalten werden. Dafür bedarf es Investitionen. Die Entlassungen vergrößern also die Last, die die Regierung und die Gesellschaft zu tragen haben.

Wenn also die Effizienz gesteigert werden soll, darf man die Arbeiter nicht entlassen, sondern muß ihnen eine andere Beschäftigung geben. Einige Unternehmen haben das in den letzten Jahren versucht und gezeigt, daß dies möglich ist. Ein Forstamt in der Provinz Heilongjiang (ganz im Nordosten an der Grenze zu Rußland – W.P.) hat alle Wälder in seinem Bezirk abgeholzt und die Arbeiter mit neuen Anpflanzungen beschäftigt. Die lokalen Behörden nutzten außerdem ihre Wasser- und Weideressourcen, um landwirtschaftliche Betriebe aufzubauen. Auch in der Bauwirtschaft und der Industrieproduktion wurde investiert, so daß nahezu alle ehemaligen Arbeiter der Forstbetriebe wieder einen Arbeitsplatz bekamen.

Es gibt drei Bedingungen für eine sozialistische Marktwirtschaft: Erstens, daß das System des staatlichen Eigentums Vorrang behält; zweitens, daß das Einkommen vor allem auf Arbeit basiert; drittens, daß der Staat die makroökönomische Kontrolle behält. Aber eine andere Bedingung sollte hinzugefügt werden: Wer arbeiten kann, dem sollte Arbeit gegeben werden. Der Slogan: »Zerschlagt die eiserne Reisschale!« (Damit wird eine garantierte Grundversorgung umschrieben – W.P.) ist unangemessen und hat schwerwiegende negative Konsequenzen. So lange, wie wir einen sozialistischen Pfad einschlagen, können wir nicht wie der Kapitalismus eine große Reservearmee von Arbeitslosen schaffen. Der Staat muß das Recht seiner Bürger auf Arbeit schützen.


III. Die Erosion der Rechte

Heutzutage werden Arbeiter als »ökonomisch benachteiligt« bezeichnet, und in bezug auf ihre politische und soziale Rolle nennt man sie eine »benachteiligte Gruppe«.

Arbeiter sind sich durchaus bewußt, wieweit sie am Management der Betriebe beteiligt sind, in denen sie arbeiten. In der Vergangenheit waren die Räte der Arbeitervertreter zwar vor allem formale Körperschaften, aber sie spielten ihre Rolle. Heute ist diese Rolle noch formaler geworden, und viele Räte treten gar nicht mehr zusammen. Arbeiter sind insbesondere von Entscheidungen über die Arbeitsbeziehungen und betriebliche Umstrukturierungen ausgeschlossen.

Bei der letzten Tagung des Nationalen Volkskongresses waren von 2 984 Delegierten 511 Arbeiter- und Bauernvertreter, das sind 18,46 Prozent. Einige meinen, daß Arbeiter und Bauern nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen und daher nicht als Delegierte gewählt werden sollten. Die Partei veranstaltet regelmäßig Konferenzen und informelle Treffen, um sich beraten zu lassen, aber Arbeitervertreter sucht man auf diesen Veranstaltungen vergebens. Auch in den Medien wird selten über Arbeiterthemen berichtet, außer wenn über Arbeitslosigkeit diskutiert wird. Der Beitrag der Arbeiter zu wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Fortschritt wird kaum erwähnt.

Die Chinesische Akademie der Gesellschaftswissenschaften hat kürzlich einen »Forschungsbericht über die sozialen Schichten im zeitgenössischen China« veröffentlicht, der unter anderem Informationen über die Zusammensetzung der Kommunistischen Partei enthält. In nebenstehender Tabelle sind die Anteile von Unternehmern und Arbeitern in ausgewählten Kreisen wiedergegeben (siehe Tabelle).

Der Bericht zeigt klar, daß die Zahl der Unternehmer in der Partei zunimmt. 1993 waren 13,1 Prozent der Privatunternehmer und Manager Mitglieder der Partei. 1995 betrug dieser Anteil 17,1 Prozent und im Jahre 2000 waren es 19,8 Prozent, das heißt nahezu jeder fünfte Unternehmer ist Parteimitglied. Das politische Gewicht dieser Gruppe wächst also, während das der Industriearbeiter stark abgenommen hat. Heute gibt es nur noch wenige Verbindungen zwischen den Arbeitern und den Parteiorganisationen. Ihre Beziehungen zur Partei sind zunehmend belastet.


IV. Fragmentierung

Die Arbeiterklasse ist aufgrund ihrer Sozialisierung im Produktionsprozeß die am besten organisierte und die disziplinierteste Gruppe in der Gesellschaft. In China sind die Arbeiter gewöhnlich entsprechend der Betriebszugehörigkeit organisiert. Das Verhältnis zwischen Arbeitern und den Unternehmen ist ablesbar am Arbeitsvertrag. Verglichen mit den Arbeitgebern befinden sich Arbeiter immer in der schwächeren, in der abhängigen Position. Wer heute noch die Arbeiter als die »Herren des Unternehmens« bezeichnet, zieht vor allem Unwillen auf sich. Wenn der Arbeitsvertrag ausläuft oder gekündigt wird, sind die Arbeiter gezwungen, sich nach anderer Beschäftigung umzusehen, wobei sie sich auf wenig außer sich selbst verlassen können. Oftmals müssen sie selbst kleine Unternehmen starten oder Teilzeitarbeit annehmen.

In der Vergangenheit waren chinesische Betriebe ökonomische, soziale, politische und Parteiorganisationen. Heute wird nur noch der ökonomische Aspekt hervorgehoben, dennoch bestehen die alten organisatorischen Beziehungen fort: Wenn der Arbeitsvertrag endet, ist der Arbeiter nicht mehr Teil einer Organisation. Selbst die Verbindung zur Partei geht oftmals verloren.

Von Chinas 350 Millionen Arbeitern sind nur 130 Millionen Mitglied einer Gewerkschaft. Viele Arbeiter in privaten und kollektiven Unternehmen treten nicht den Gewerkschaften bei und die meisten Wanderarbeiter haben keine.

Da es wenig sozialistische und kollektive Bildung in China gibt, greift jetzt bürgerlicher Individualismus auch in der Arbeiterklasse um sich. Dort, wo Arbeiter sich organisieren, um ihre Rechte zu verteidigen, richtet sich dies meist gegen die Partei und gegen die Gewerkschaft. Wir müssen uns daher vor den Versuchen der USA und anderer westlicher Mächte in acht nehmen, sogenannte »Organisationen für Arbeiterrechte« zu unterstützen, um damit Kräfte zu stärken, die gegen Partei und Regierung opponieren.

In den 20 Jahren der Reformen ist die politische und wirtschaftliche Rolle der Arbeiter Schritt für Schritt geschrumpft. Soziale Widersprüche haben stark zugenommen. Um das gegenwärtige schwere Los der Arbeiter von Grund auf zu verbessern, schlägt der Gewerkschaftsbund folgendes vor:

1. Wir bestätigen die Richtlinie des »sich rückhaltlos auf die Arbeiterklasse stützen«. Sie berührt die Natur der Partei, der Nation, der Gesellschaft und die Frage der reibungslosen Umsetzung der sozialistischen Modernisierung. Es handelt sich dabei um eine grundlegende Richtschnur unserer Partei. Wir sollten das Programm anwenden, das im Parteistatut und im Bericht an den 16. Parteitag festgehalten ist: »Die Klassenbasis der Partei stärken und die Massenbasis ausweiten.« Und: »Das öffentliche Eigentum als die Hauptstütze der Wirtschaft erhalten und gleichzeitig verschiedene Formen der Besitzverhältnisse erlauben, sich nebeneinander zu entwickeln, während das Einkommen aus Arbeit weiter die wichtigste Rolle spielen soll, aber auch andere Formen des Einkommens zugelassen werden.«

2. Basierend auf den Untersuchungen und Meinungen des Politbüros des Zentralkomitees sollten wir die Politik des »sich rückhaltlos auf die Arbeiterklasse stützen« diskutieren und umsetzen. Das sollte durch politische und wirtschaftliche Reformen geschehen.

3. Wir müssen den Gewerkschaften ein Rückgrat geben. Wir müssen lernen, die Arbeitermassen im Rahmen von Chinas sozialistischer Marktwirtschaft zu organisieren. Besondere Beachtung sollte dabei den Wanderarbeitern und dem privaten Sektor geschenkt werden. Wir müssen lernen, die Arbeitermassen wirklich zu vertreten und ihre legalen Rechte aufrichtig zu verteidigen. Die Ansätze unserer Untersuchungen müssen umfassend und historisch sein und unsere Lösungsvorschläge praktisch und wegweisend. Wir müssen die Führung der Gewerkschaften durch die Partei ändern und den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern erlauben, ihre Bedingungen zu diskutieren sowie juristische und ordentliche Kämpfe zu führen.

4. Der Propagandaapparat der Partei sollte eine historisch-materialistische Perspektive beibehalten und den enormen Beitrag, den die Arbeiter, Bauern und Intellektuellen zu Chinas Revolution und Aufbau geleistet haben, entsprechend würdigen. Genauso sollte deutlich gemacht werden, welche Bedeutung die kreative Arbeit von Arbeitern, Bauern und Intellektuellen für die sozialistische Modernisierung Chinas hat. Die Partei sollte jene kritisieren, die die Arbeit und die Arbeiterklasse herabwürdigen, sie sollte klar die Rechte der Arbeiter schützen und alle Aktionen und Propaganda, die den Interessen der Arbeiterklasse schaden, öffentlich angreifen.

* Aus: Alternative China Review; www.chinastudygroup.de

(Übersetzung aus dem Englischen: Wolfgang Pomrehn


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