Montag, 04.04.2016 13:40 von Armin Brack | Aufrufe: 516

Wie gefährlich sind ETFs im Krisenfall?

Lieber Geldanleger,

der Siegeszug der passiv gemanagten, täglich börsengehandelten Fonds ist ungebrochen. Im renommierten Economist-Magazin gab es vor kurzem einen Artikel über das Phänomen, dass es bei aktiv gemanagten Fonds anhaltend massive Mittelabflüsse gibt.

Das ist nicht verwunderlich, denn 90 Prozent aller aktiv gemanagten Fonds performen schlechter als ihre Benchmark. Das belegen Studien immer wieder von neuem. Warum,also einen teuren Fondsmanager bezahlen, wenn der seine Aufgabe (Outperformance) mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht erfüllt?

Dann doch lieber auf Outperformance verzichten, dafür aber auch Sicherheit vor einer Underperformance haben. Genau das bieten ETFs mit denen sich die Entwicklung eines Index 1:1 nachvollziehen lässt, abzüglich relativ geringe Kosten von ca. 0,3 Prozent per anno.

Doch sind ETFs wirklich so sicher wie immer wieder behauptet wird? Lesen Sie nachfolgend, wo es im Krisenfall Probleme geben könnte.

Nochmal zurück zu den aktiv gemanagten Fonds. Neben den hohen Kosten werden hier im Economist-Artikel vor allem "veraltete" Analyse- und Stock-Picking-Methoden als Gründe für den Misserfolg genannt. Konkret wird die fehlende Verwendung von digitalen und softwaregesteuerten Analyse- und Stock Picking-Methoden bemängelt. Stattdessen werde auf Bauchgefühl und angebliche Erfahrung vertraut.

Als Gegenbeispiel wird der Bridgewater-Hedgefonds von Ray Dalio mit sagenhaften Assets Under Management (AUM)-Zuflüssen und einer überragenden Performance genannt. Im Hause Dalio werden alle Selektions- und Entscheidungsprozesse computer- und softwaregesteuert getroffen. Sogenannte i-Robots, investierende Roboter, erobern mehr und mehr die Finanzwelt.

Als Privatanleger dürften Sie kaum in den Pure Alpha Fund, das Flaggschiff von Dalio, investieren können. Die Mindestanlagesumme liegt bei 100 Millionen US-Dollar. Unabhängig davon sollten wir uns aber auch nicht von derartigen Ausreißern blenden lassen. Diese können zu einem großen Teil auch zufallsbedingt sein und unter dem Strich war die Performance der Hedgefonds in den letzten Jahren alles andere als berauschend.

In den USA wurde beispielsweise der Mythos um die Hedgefonds-Stars David Einhorn und Bill Ackman zuletzt böse zerpflückt. Beide mussten massive Verluste hinnehmen durch große Wetten auf Aktien wie SunEdison (inzwischen insolvenzgefährdet), Consol Energy bei Einhorn und im Falle Ackman auf Valeant Pharma oder die missglückte Shortspekulation auf Herbalife.

Vor allem Anleger, die sich nicht groß um ihre Aktien kümmern möchten (allen anderen sei der Trend-Trader ans Herz gelegt), landen daher am Ende immer wieder bei ETFs.

Neben der relativen Sicherheit, damit zumindest die Performance des jeweiligen Vergleichsindex abbilden zu können, lockt auch eine weitere Art von Sicherheit, die eben in dieser Form nur Fonds bieten können: Die Tatsache, dass Fonds immer Sondervermögen sind und ihre Fondsanteile (und damit ihr Kapital) selbst im Falle der Insolvenz der Fondsmanagementgesellschaft vor dem Zugriff derselbigen geschützt sind.

Gegenüber herkömmlichen Fonds bei denen meist nur einmal täglich der Kurswert ermittelt wird, werden ETFs fortlaufend wie Einzelaktien an der Börse gehandelt und können jederzeit ge- und verkauft werden.

Doch sind ETFs auch im Krisenfall wirklich zu 100 Prozent sicher?

Die kritischen Stimmen mehren sich: Heike Schwerdtfeger, Wirtschaftskorrespondentin der Wirtschaftswoche in Frankfurt, hat bereits 2011 in einem leider viel zu wenig beachteten Artikel die Risiken aufgezeigt. Hintergrund ist der Konkurrenzdruck unter den verschiedenen ETF-Anbietern.

Weil sich die Fonds selbst ja von der Ausrichtung her relativ wenig bis gar nicht unterscheiden, tendieren Anleger dazu, die Fonds zu wählen, die das günstigste Kostenprofil haben. Also wird im Zweifelsfall ein ETF, der eine Total Expense Ratio (TER) von 0,3 Prozent hat gegenüber einem ETF mit 0,4 Prozent bevorzugt.

Im Prinzip ist das ja eine für die Anlegerschaft sehr erfreuliche Entwicklung, vielleicht vergleichbar mit der Einführung von Discount-Lebensmittelhändlern. Weniger Kosten bedeuten am Ende mehr Rendite für die Anleger. Das Problem besteht darin, dass - ähnlich wie bei Lebensmitteln - das Produkt selbst unter dem Einfluss des Kostendrucks an Qualität verlieren kann.

Wie das? Nun, was bei ETFs Kosten verursacht ist das tägliche hin und her handeln, um die verschiedenen Indizes exakt nachzubilden. Mittelzuflüsse müsse ja beispielsweise beim marktkapitalisierungsgewichteten DAX exakt entsprechend der Gewichtung der einzelnen Werte im DAX investiert werden, um Performanceabweichungen zu verhindern. Das es immer mehr ETFs gibt, ist es entsprechend aufwendig wenn jeder Anbieter für sich versucht, jeden einzelnen Index bzw. Basiswert auf dem der jeweilige ETF beruht, exakt abzubilden.

Bei bestimmte Indizes, wie dem MSCI Welt-Aktienindex mit 1.660 Einzeltiteln, ist eine exakte Nachbildung fast nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht sinnvoll.

Um Kosten zu Sparen nutzen die Investmentbanker Swap-Geschäfte: Schwerdtfeger erklärt die Funktionsweise in ihrem damaligen Artikel sehr gut:

Ein Swap ist eine Art Tauschhandel, an dem der ETF-Anbieter und üblicherweise seine Mutterbank beteiligt sind. Die Mutter zahlt dem ETF dabei die Gewinne oder Verluste aus der Entwicklung des Index und erhält dafür die Erträge aus den im Fonds enthaltenen Aktien – Kurs- und Währungsgewinne plus Dividenden.

Welche Aktien diese Gewinne bringen, ist letztlich egal und Sache der Bank. Es können eben auch japanische Aktien sein. Das Risiko, dass die Japaner nicht die erwarteten Gewinne bringen, sichert die Bank wiederum ab, an Terminbörsen oder bei anderen Banken, womöglich wiederum über Swaps.

Die Banken können so Kosten sparen, die ETFs aber auch für eigene Handelsgeschäfte "missbrauchen". Nochmals Schwerdtfeger: Die Bank, die Papiere in ihren Büchern hat, die sie gerne abgeben würde, verkauft sie an den ETF als Sicherheit, kassiert die Renditen aus dem Aktienkorb, der im Sondervermögen steckt und garantiert im Gegenzug, dass der Anleger eins zu eins an der Index-Wertentwicklung teilhat.

ETFs sind also nur scheinbar einfach. Sie können durch den Inhalt des Sondervermögens und die Ausfallrisiken bei den Beteiligten komplizierter und risikoreicher sein als viele traditionellen Wertpapierfonds. Die wenigsten graben so tief, dass sie die Konstruktionen verstehen, die Banken bei diesen so genannten synthetisch replizierenden ETFs aufgebaut haben.

In einem aktuelleren Artikel sieht Daniel Eckert von "Die Welt" vor allem Risiken darin, dass die Mittelzuflüsse in ETFs unvermindert anhalten. Inzwischen stecken drei Billionen Dollar in Indexfonds. Hier eine Graphik aus "Die Welt":

Er bezieht sich auch auf die Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aus dem Jahr 2011, die die Diskussion um die Sicherheit von ETFs damals ins Rollen gebracht hat. Damals lag das verwaltete Volumen der ETFs noch bei rund 1.200 Milliarden US-Dollar.

Probleme können vor allem entstehen, wenn die Börsen abstürzen und viele Anleger auf einmal verkaufen möchten. Im Gegensatz zu den meisten aktiv gemanagten Fonds, die bis zu zehn Prozent Liquidität bereithalten, sind ETFs immer quasi voll investiert (nur so können sie ja die Indexperformance nachbilden).

Ziehen Anleger dann auf einmal massenweise ihr Geld ab und die Anbieter müssen in einen stark fallenden Markt weiter hineinkaufen, können die Marktturbulenzen sich rasant verschärfen. Das letzte Mal passierte dies am 24. August 2015 beim Flash Crash als der ETF auf den NASDAQ 100 innerhalb von Sekunden nach Handelsbeginn im Tief um fast zehn Prozent einbrach und sich danach wieder schnell erholte.

Die Anbieter besinnen sich

Betrachtet man nur das immer größer werdende ETF-Volumen in Kombination mit den Swap-Risiken könnte man schnell voreilige Schlussfolgerungen ziehen und das Produkt verteufeln. Bei allem nötigen Risikobewusstsein wäre das aber meiner Meinung nach eine Überreaktion und falsch.

Denn seit 2011 hat sich auch in Punkto Risikobegrenzung einiges getan. Zunächst einmal dürfen selbst synthetisch replizierende ETFs maximal zehn Prozent des Fondsvolumens über Swaps abdecken. Im Ernstfall stehen also auch nur diese zehn Prozent "im Feuer". Hinzu kommt, dass Swapgeschäfte monatlich geschlossen werden. Das heißt, Gewinne und Verluste mit dem Kontrahenten werden ausgeglichen. Dem Ausfallrisiko ist damit immer nur der monatliche Gewinn eines ETFs ausgesetzt.

Und schließlich ist unter den Anbietern ein Trend hin zur physischen Nachbildung (Replikation) feststellbar. Die Anleger selbst haben diesen ausgelöst als sie während der Finanzkrise in großem Stil derivatebasierte ETFs verkauft und physische gekauft, eben weil sie sich der Gefahren bewusst waren. Als großer Gewinner ging damals der Marktführer iShares hervor, der auf eine physische Abbildung setzt.

Die Deutsche Bank mit ihren X-Trackers ETFs sowie Luxor folgten. Die Deutsche Bank hat sogar im großen Stil Produkte von derivativer Indexabbildung auf eine tatsächliche Abbildung mit Indexbestandteilen umgestellt.

Die nachfolgende Graphik der Fonds-Ratingagentur Morningstar zeigt die Trendwende bei der Replizierungstechnik. Zum Stichtag 30.September 2014 war der Marktanteil der physisch replizierenden ETFs weiter gestiegen, und zwar auf über 70 Prozent:

Diese Entwicklung hat sich seither weiter fortgesetzt. So meldete beispielsweise Lyxor Ende 2015, man führe die Umstellung auf physisch replizierende ETFs fort. Die Tochtergesellschaft der Societé Générale hält mittlerweile mehr als 50 Prozent seiner Vermögenswerte (rund 25 Milliarden Euro) in physischen ETFs.

Was sind die Alternativen?

Trotzdem bleiben aber natürlich Risiken bestehen. Wer ganz auf Nummer sicher gehen möchte, der kommt wohl auch jetzt noch nicht um den Kauf von Einzelaktien herum. Durch immer weiter sinkende Transaktionsgebühren kann das inzwischen auch bei nicht ganz so großen Anlagesummen schon Sinn machen.

Wenn Sie beispielsweise in den DAX investieren möchten können Sie dann ja auch einfach die 30 Werte einzeln kaufen, entsprechend ihrer Gewichtung würden Sie dann eben ein paar Stücke mehr von Schwergewichten wie Siemens oder der Deutschen Telekom kaufen und weniger von Leichtgewichten wie ThyssenKrupp oder Infineon.

Wenn Sie es sich einfacher machen möchten, können Sie auch einfach alle Werte gleich gewichten und beispielsweise je 1.000 Euro in jede DAX-Aktie investieren, wenn Sie 30.000 Euro anlegen möchten.

Inzwischen veranstalten verschiedene Broker (u.a. ING-Diba und CortalConsors) sogar den "Tag der Aktie" in dessen Rahmen Sie über den Börsenplatz Frankfurt alle DAX-Aktien (und auch DAX-ETFs) komplett gebührenfrei kaufen können.

Ihnen erscheint ein derartiges Sicherheitsdenken übertrieben? Vielleicht haben Sie ja Recht, aber wenn man sich die Historie des deutschen Aktienmarkts mal näher betrachtet, und dabei wirklich weit zurückgeht (und mit weit meine ich bis zu den Anfängen vor 1870), bekommt man eine neue Perspektive.

Deutschland hat in den letzten 100 Jahren zwei Währungsreformen und Kriege hinter sich. Teilweise wurden bis zu 90 Prozent des Aktienvermögens auf einen Schlag vernichte. Ganze Generationen erlebten nur Zeiten fallender Aktienkurse oder komplett geschlossener Börsen.

Natürlich hoffen wir alle, dass diese Zeiten hinter uns liegen und nie mehr zurückkommen, aber wissen tun wir das nicht. Und wenn es wirklich ernst werden sollte wäre mir, wohler, wenn ich via Aktie Direkt-Miteigentümer einer Auswahl der größten und solidesten deutschen Unternehmen bin (am besten via Namensaktien), als Anteile an einem Indexfonds zu halten, dessen Emittent es dann unter Umständen gar nicht mehr gibt. Das gilt auch im Hinblick auf nachfolgende Generationen, die meinen Aktienbestand dann eventuell einmal erben werden.

Klar, letztlich weiß keiner, was sich der Staat in einer solchen Situation an Maßnahmen einfallen lassen würde, um an Geld zu kommen. Je linker die dann amtierende Regierung, umso größer würde meiner Meinung nach dann auch die Gefahr von Enteignungen. Historisch neu wäre das auch in Deutschland nicht. Aber das führt zu weit weg vom heutigen Thema.

Wenn Sie sich näher mit der Thematik und der langfristigen historischen Entwicklung deutscher Aktien beschäftigen möchten, empfehle ich Ihnen die Lektüre des Buches "Können Aktienkurse noch steigen" von Gregor Gielen. Der etwas "platte" Titel des Werks spiegelt nicht die lesenswerte Überblicksdarstellung der deutschen Aktiengeschichte sowie die akribische Langfrist-Performance-Berechnung für deutsche Aktien wider.

MEIN FAZIT:

Durch die immer weiter steigende Beliebtheit von Indexfonds können sich im Falle von Marktturbulenzen Ungleichgewichte im Markt verstärken. Im Extremfall können die absolut betrachtet immer noch relativ hohen Summen, die in synthetisch replizierenden ETFs investiert sind (Absicherungsgeschäfte mit Swaps) für Verwerfungen sorgen, wenn einer der Swap-Partner (also der Investmentbank) ausfällt, was eine Kettenreaktion nach sich ziehen könnte.

Umgekehrt geht aktuell aber der Trend weg von synthetischen ETFs hin zu ETFs, die den Basiswert tatsächlich physisch nachbilden. Für die Nutzung von Swaps wurde zudem eine Obergrenze von 10 Prozent des verwalteten Vermögens eines ETFs eingeführt. Die Emittenten sind also dabei, das Risiko zu minimieren.

Wer ganz auf Nummer sicher gehen will hat aber weiter die Möglichkeit beispielsweise beim DAX statt eines DAX-ETF einfach die einzelnen DAX-Werte zu kaufen und so den Index nachzubauen. Durch die immer weiter fallenden Transaktionskosten ist das inzwischen auch schon bei relativ kleinen Anlagesummen sinnvoll, weil die Kosten prozentual zum investierten Kapital sinken.


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Armin Brack ist seit Jahren als Aktien-Profi bekannt. Er gehört zum Team der Trading Group, die kostenfreie und kostenpflichtige Börsendienste anbietet. Dabei bietet die Trading Group ein breites Spektrum von Aktien, Devisen, Rohstoffen usw. an. Informieren Sie sich jetzt auf www.trading-group.de oder tragen Sie sich für den kostenfreien Geldanlage-Report (www.geldanlage-report.de) bzw. Trading-Brief (www.trading-brief.de) ein.
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