Eine Frau übergibt einen Scheck. (Symbolbild)
Donnerstag, 21.11.2013 16:46 von | Aufrufe: 92

ROUNDUP: Mindestlohn-Reaktionen der Wirtschaft: Schulterzucken und Haareraufen

Eine Frau übergibt einen Scheck. (Symbolbild) © AndreyPopov / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

BERLIN (dpa-AFX) - Der Riss trennt große Konzerne und kleine Betriebe, Ballungsräume und ländliche Regionen, West und Ost. Während die einen dem geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro gelassen entgegensehen und ihn als nicht zu hoch beschreiben, fürchten die anderen um ihre Existenz. Wenn die Lohnuntergrenze schon kommt, dann doch bitte erst in einigen Jahren - so etwa die Hoffnung von Landwirten oder Taxiunternehmen. Union und SPD hatten sich zu Wochenbeginn auf einen gesetzlichen Mindestlohn verständigt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte den Kompromiss am Donnerstag: "Auch ich werde Sachen zustimmen müssen, die ich von Haus aus nicht für richtig gehalten habe", sagte sie bei einem Führungskräftetreffen der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin. Noch offen sind Höhe und Starttermin des verbindlichen unteren Stundenentgelts.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh forderte Kritiker der Pläne zu einem realistischen Blick auf die heutigen Lebenshaltungskosten auf. "Ich finde es vermessen zu sagen, dass wir mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde Arbeitsplätze verlieren", sagte er. Denn selbst 8,50 Euro "wären im Monat rund 1500 Euro brutto - schon damit ist es doch schwer, eine Familie zu ernähren und eine Wohnung samt Nebenkosten zu bezahlen. Mindestlohn ist also wichtig, und 8,50 Euro sind bei weitem nicht zu hoch."

Von den Berliner Plänen sieht sich der Discount-Marktführer Aldi nicht betroffen. Aldi Süd zahle selbst geringfügig Beschäftigten einen internen Mindestlohn von elf Euro pro Stunde. Aldi Nord verwies darauf, dass eine Verkäuferin im ersten Berufsjahr am Tarifbeispiel Nordrhein-Westfalen 11,08 Euro pro Stunde erhalte.

Der Aldi-Konkurrent Lidl erklärte, ein gesetzlicher Mindestlohn zwinge diejenigen Unternehmen auf den Prüfstand, die ihr Geschäftsmodell auf Lohndumping aufbauen. Die Einzelhandelskette habe bereits im März 2010 einen betrieblichen Mindestlohn für alle Mitarbeiter in den Filialen und in den Lagerbetrieben auf zehn Euro festgeschrieben. Stufenweise sei das Entgelt bis August dieses Jahres dann auf elf Euro erhöht worden.

Die Metro Group verwies darauf, dass es im Großhandel mit Sachsen und Sachsen-Anhalt nur noch zwei Tarifgebiete gebe, in denen der unterste tarifliche Lohn derzeit nicht über 8,50 Euro liege.

Die Bäckerei-Kette Kamps gab an, sie halte sich an den Tarifvertrag für Bäckereien. Dessen unterste Stufe sehe einen Lohn von 8,50 Euro vor. Dies gelte jedoch nur für die 440 Mitarbeiter am Hauptsitz in Schwalmtal bei Mönchengladbach. Den als Franchise-Unternehmen geführten Bäckereien sei zwar ein Stundenlohn von 8,50 Euro vorgegeben, allerdings müssten sich die Partner nicht daran halten.

Auch die Gastronomie in Nordrhein-Westfalen fürchtet die 8,50 Euro nicht. Eine Tarifvereinbarung sichere Beschäftigten von der Spülhilfe bis zur Kellnerin bereits jetzt mindestens 8,50 Euro die Stunde zu, sagte Thorsten Hellwig vom Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). "Wir haben jedoch ein grundsätzliches Problem mit einem flächendeckenden Mindestlohn - insbesondere dann, wenn die Politik ihn festlegt." Regionale Begebenheiten erforderten regionale Löhne.

Das sieht auch der Dehoga in Thüringen so: Kneipen- und Restaurantbesucher müssten in dem Land tiefer in die Tasche greifen, sollte der flächendeckende Mindestlohn kommen. "Wir müssten dann nicht nur die Einstiegslöhne für Hilfskräfte anheben, sondern das gesamte Lohngefüge verändern", sagte Verbandsgeschäftsführer Dirk Ellinger. "Die Folge wären Preiserhöhungen von sieben bis zehn Prozent nur durch gestiegene Personalkosten." Die Gastronomen pochten daher auf eine eigene Tarifpolitik.


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Der Präsident des Sächsischen Handwerkstags, Roland Ermer, sprach sich ebenfalls strikt gegen einen vorgeschrieben Mindestlohn aus. Vor allem für kleine Bäckereibetriebe im ländlichen Raum seien die 8,50 Euro ein "schwerer Einschnitt", sagte Ermer, der selbst Bäckermeister ist. "Sie können einer Bäckereiverkäuferin doch nicht mehr bezahlen, als sie mit ihrer Arbeit erwirtschaften kann."

Um ihre Existenz fürchten auch Brandenburgs Landwirte. Bei einem gesetzlichen Stundenlohn von 8,50 Euro würden "vor allem Betriebe für Obst- und Gemüseanbau sowie Zierpflanzen vor dem Aus stehen", sagte der Geschäftsführer des brandenburgischen Landesgartenbauverbands, Andreas Jende. "In der märkischen Branche sind jährlich etwa 5500 Saisonkräfte im Einsatz." Produkte wie Spargel, Gurken oder Äpfel müssten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben.

In Nordrhein-Westfalen hoffen die Landwirte auf mehr Zeit. Wenn Vergütungen für Saisonkräfte oder Erntehelfer ohne Übergangsregelung von derzeit 7,00 Euro auf 8,50 Euro angehoben würden, könnten dies die Sonderkulturbetriebe - das sind zum Beispiel Obstbauern - nicht verkraften, warnte der Rheinische Landwirtschafts-Verband.

Ebenso argumentierte der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband BZP: Ohne eine mindestens zweijährige Übergangsfrist würde ein Mindestlohn die legale Beschäftigung von angestellten Fahrern in vielen Gebieten unmöglich machen. Das bedeute vor allem für Betriebe mit mehreren Autos das Aus. Die Versorgung mit Taxidienstleistungen wäre in vielen Regionen dann nicht mehr gesichert./gra/DP/jkr

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