Donnerstag, 18.04.2019 14:04 von Alexander Coenen | Aufrufe: 953

Exklusives Vorstandsinterview mit der Lenzing AG

VORSTANDSINTERVIEW MIT DR. STEFAN DOBOCZKY, VORSTANDSVORSITZENDER DER LENZING AG (18.04.2019)

Die Lenzing Gruppe ist ein Weltmarktführer mit Sitz in Österreich und Produktionsstätten in allen wichtigen Märkten sowie einem weltweiten Netz an Verkaufs- und Marketingbüros. Lenzing setzt mit Qualität und Innovationskraft Standards auf dem Gebiet der holzbasierten Cellulosefasern. Mit über 75 Jahren Erfahrung in der Faserproduktion ist die Lenzing Gruppe der einzige Hersteller weltweit, der alle drei Generationen von Cellulosefasern - von der klassischen Viscose- über die Modal- bis zur Lyocell-Faser TENCEL® - produziert. Lenzing versorgt die globalen Textil- und Vlies-Branchen. Die Palette der erzeugten Produkte reicht von Faserzellstoff über Standardfasern bis zu innovativen Spezialfasern.

 

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53,8 Prozent des Grundkapitals gehören der B&C Privatstiftung und der Oberbank AG. Dabei wurde die B & C Privatstiftung im Jahr 2000 von Bank Austria AG und Creditanstalt AG gegründet. Sie verfolgt als Stiftungszweck die Förderung des österreichischen Unternehmertums sowie die Sicherung des wirtschaftlichen Fortbestandes und des Wachstums jener Unternehmen, an denen die Privatstiftung unmittelbar und mittelbar Beteiligungen hält oder erwirbt. Woher kommt diese interessante Aktionärsstruktur und wieviel Prozent des Grundkapitals werden durch Organe der Gesellschaft gehalten?

 

Dr. Stefan Doboczky

Das ist historisch bedingt so entstanden.  Der frühere Kernaktionär war die Bank Austria, die im Jahr 2000 zusammen mit der Creditanstalt ihre Aktien an die neu gegründete B&C Holding, der Tochter einer Stiftung zur Förderung des österreichischen Unternehmertums, übertrug. Diese Förderung erfolgt insbesondere durch langfristig orientierte Beteiligung an österreichischen Industrieunternehmen.

Von den Lenzing Organen hält der Vorstandsvorsitzende Stefan Doboczky 2000 Aktien.

 

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Das abgelaufene Geschäftsjahr war das viertbeste Geschäftsjahr der Unternehmensgeschichte. Der Aktienkurs der Gesellschaft hat sich von seinem Höchststand im Mai 2017 bei rund 180 Euro nunmehr aber nahezu halbiert. Darüber hinaus geben auch die meisten Analysten deutlich höhere Kursziele. Die Erste Group beziffert den Fair Value der Aktie beispielsweise auf 115,50 Euro. Baader Helvea spricht von 115 Euro.  Worauf führen Sie diesen Abschlag zurück und was sind die Maßnahmen die im Bereich der Investor Relations für das laufende Jahr geplant sind?

 

Dr. Stefan Doboczky

Die Lenzing AG hat im Jahr 2015 ihre Strategie sCore TEN formuliert, die auf werthaltiges, langfristiges Wachstum ausgerichtet ist. Dies bedeutet eine langfristige Transformation der Firma hin zu einem internationalen Unternehmen mit Fokus auf Spezialitäten, Innovation und Nachhaltigkeit.  Dieser Transformationsprozess wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. 

Die Aufgabe von Investor Relations ist es, laufend und transparent über die Geschäftsentwicklung der Gesellschaft zu berichten, und den Transformationsprozess zu erklären. Darauf wird IR auch in den kommenden Quartalen den Fokus richten.

 

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Betrachtet man die Profitabilität der Lenzing Gruppe, so sanken sowohl EBITDA- als auch EBIT-Marge von 2017 auf 2018 von 22,2% auf 17,6% (EBITDA) beziehungsweise von 16,4% auf 10,9% (EBIT). Worauf ist dieser Rückgang zurückzuführen, wo liegt die Lenzing Gruppe hier im Vergleich zu den Mitbewerbern und welche Margen sind perspektivisch denkbar?

 

Dr. Stefan Doboczky

Im Vergleich zum Jahr 2017 haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert.  Nach zwei Jahren nur sehr geringen Ausbaus und temporärer Schließungen, sind neue Viskosekapazitäten auf den Markt gekommen, die zu einem Preisrückgang geführt haben. Andererseits haben sich Rohstoffe massiv verteuert und damit die Ergebnisentwicklung belastet. Dies betrifft das Standardgeschäft der Lenzing AG.  Ein wichtiger Faktor zur Stabilisierung der Ergebnisentwicklung ist der Ausbau unserer Spezialitäten. Die Preisentwicklung hat sich von der Entwicklung der Standardviskosepreise abgekoppelt.  Der Anteil der Spezialfasern am Umsatz wurde 2018 weiter erhöht.  Daher sehen wir uns auf einem guten Weg, im Jahr 2020 unseren Zielspezialitätenanteil von 50% zu erreichen.  Spezialitäten sind ein wichtiger Baustein, um unsere Ergebnisentwicklung langfristig zu verbessern.

 

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Ebenfalls auffällig ist der Anstieg der Nettofinanzverschuldung von 2017 auf 2018 um 228,5% auf 219,4 Millionen Euro. Worauf ist dieser Anstieg zurückzuführen und wie werden diese Finanzschulden verzinst?

 

Dr. Stefan Doboczky

Die Lenzing AG weist eine sehr solide Bilanzstruktur mit einer Eigenkapitalquote von 59% aus. Das Verhältnis von Nettofinanzverschuldung zum EBITDA lag Ende 2018 bei 0,6 Prozent. Unsere strategische Vorgabe ist es, unter 2,5 zu bleiben. Die Prozentzahl täuscht, da sie von einer niedrigen Basis gerechnet ist. Die Verzinsung entsprach den allgemein üblichen Konditionen, da darin keine Großprojekte enthalten waren, die anderen Konditionen unterliegen.

 

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Seit mehr als 80 Jahren stellt Lenzing Fasern aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz her.  Hierbei bezeichnet sich Lenzing selbst als Innovationsführer der Branche der eine effiziente Verwendung und Verarbeitung aller Rohstoffe in Richtung Kreislaufwirtschaft anstrebt. Gibt es für dieses Vorhaben eigentlich staatliche Fördergelder oder Erleichterungen auf steuerlicher Seite? Gibt es nennenswerte Preise und Auszeichnungen die Lenzing AG in diesem Bereich gewonnen hat?

 

Dr. Stefan Doboczky

Unsere Innovationskraft ist eine wichtige Säule unserer erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Daher bekommen wir auch für bestimmte Projekte Forschungsförderung, sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene. Lenzing erhält auch Forschungsprämien, bei denen eine Steuergutschrift erteilt wird. Einer der letzten Innovationspreise war der österreichische Staatspreis für „Smart packaging“ für nachhaltige Mehrwegnetzte als Alternative zu Plastiksäcken, die vom VPZ Verpackungszentrum GmbH, Graz, aus Lenzing™ Modalfasern hergestellt werden. Diese werden inzwischen in den Filialen der REWE-Gruppe angeboten.

 

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Wie weit reichen die Umsatz- und Ertragsprognosen, wie sehen diese aus und in welchem Bereich erwarten Sie das stärkste Wachstum?

 

Dr. Stefan Doboczky

Die Wachstumsaussichten für holzbasierte Fasern, vor allem unserer Spezialitäten wie Lyocell, sind hervorragend. Die Bevölkerung und das Einkommen wachsen, besonders in den für Lenzing wichtigen Märkten in Asien, zeigt sich der Trend zu hochwertiger, komfortabler und vor allem nachhaltiger Mode. Nachhaltigkeit ist ein sehr wichtiger Megatrend, wie die aktuelle Plastikdiskussion und die Demonstrationen für Klimaschutz zeigen.  Die Textilindustrie ist eine sehr konservative, traditionelle Industrie, die in Bezug auf nachhaltige Produktion und Wiederverwendbarkeit von Kleidung noch keine Antworten hat. 

Lenzing bietet mit ihren aus umweltfreundlichem Holz biologisch abbaubaren Fasern eine Lösung zur Abfallvermeidung. Mit den Lyocellfasern auf Basis der REFIBRA™ Technologie haben wir eine recycelte holzbasierte Faser entwickelt, die einen ersten Schritt in Richtung einer Kreislaufwirtschaft darstellt.

Die Lyocellfaser ist eine echte ‚Powerfaser‘, denn sie ist aufgrund ihrer Eigenschaften anderen Fasertypen in vielen Anwendungsbereichen überlegen. Lenzing bietet innovative nachhaltige Produkte auch im Bereich der Vliesstoffe und technischer Anwendungen an. Das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft.

 

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Stichwort Produktmix: Wie verteilt sich der Umsatz auf die einzelnen Produkte, wie sind die jeweiligen Margen und welche Produkte könnten eventuell noch in den Produktmix aufgenommen werden? Könnten hier Übernahmen eine Rolle spielen? Könnte eventuell zusätzliches Eigen-/ Fremdkapital benötigt werden?

 

Dr. Stefan Doboczky

Standardfasern haben einen Umsatzanteil von 39,7 Prozent, Spezialfasern liegen bereits bei 45,5 Prozent und andere Geschäftsfelder machen 14,9 Prozent aus. Wie erwähnt, ist es unser Ziel, den Spezialitätenanteil bis 2020 auf 50 Prozent zu steigern. Das Textilgeschäft liegt bei ca. zwei Dritteln Anteil, das Vliesstoffgeschäft bei ca. einem Drittel. Zukünftig wird der Anteil der technischen Anwendungen weiter zunehmen. Schon heute bieten wir innovative Lösungen zum Beispiel in den Bereichen Automotive, Landwirtschaft und Berufskleidung an.

Lenzing setzt auf organisches Wachstum. Unser Schwerpunkt liegt auf der Lyocelltechnologie, die in großindustriellem Maßstab bisher nur von der Lenzing AG zur Herstellung von Produkten eingesetzt wird. Daher spielen Übernahmen keine Rolle.

 

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Geografisch gesehen, wo sehen Sie die Zukunft der Lenzing Gruppe, was sind die tragenden Regionen und in welchen der noch nicht erschlossenen Länder würde einen Einstieg lohnen?

 

Dr. Stefan Doboczky

Rund zwei Drittel unseres Umsatzes erzielen wir in Asien, dort sitzt auch der Großteil unserer Kunden, die Spinnereien. Aber auch die großen Markenhersteller, mit denen wir an innovativen Produkten arbeiten, sind dort stark vertreten. Wir wollen daher zunächst in Thailand unsere Lyocellfaserkapazitäten ausbauen. Daher wird Asien weiter an Bedeutung zunehmen. Südamerika und hier Brasilien wird von der Versorgungsseite mit Faserzellstoff wichtig werden. Wir planen dort, ein 450 kt Zellstoffwerk zusammen mit unserem lokalen Partner Duratex zu bauen.

Österreich bleibt nach wie vor ein wichtiger Standort. Lenzing ist weltweit aufgrund der Integration von Zellstoff- und Faserproduktion der kostengünstigste Standort der Faserproduktion. Außerdem befindet sich ein großer Teil unserer Forschung und Entwicklung hier. Langfristig wird sicherlich auch der Afrikanische Kontinent ein Zielmarkt.

 

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Welche Meilensteine möchten Sie in dem laufenden und den kommenden 2 bis 3 Jahren erreichen?

 

Dr. Stefan Doboczky

Die konsequente Umsetzung unserer sCore TEN –Strategie hat weiterhin oberste Priorität. Wir haben seit 2015 schon viel geschafft. So wurde die Organisation stärker international ausgerichtet, um die Kundennähe zu verstärken.

Eines der wichtigsten Ziele ist die Umsetzung unserer Expansionspläne. Es gibt zwei Großprojekte, die dieses Jahr zur Entscheidung stehen. Wir werden voraussichtlich im Sommer dieses Jahres eine Entscheidung zum Bau einer 90 kt Lyocellproduktion in Thailand treffen. Das Land haben wir erworben. Mittelfristig ist der Bau von weiteren zwei, eventuell drei Linien geplant. Das zweite Projekt ist der Bau eines 450 kt Faserzellstoffwerks in Brasilien. Eine Entscheidung fällt voraussichtlich Ende 2019. 

Weiters werden wir unsere Markenstrategie weiter ausbauen. Unser Ziel ist es, dass die Marken Tencel ™, Veocel ™ und LENZING ™ bis zum Endverbraucher als anerkannter ‚ingredient brand‘ ähnlich dem Qualitätsversprechen ‚Intel inside‘ als Synonym für hochwertige, nachhaltige Produkte wahrgenommen werden. Wir liegen nach einem Jahr bei Tencel ™ bereits bei 25 Prozent. Unser Ziel sind 40 Prozent.

 

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Nennen Sie uns doch abschließend noch drei gute Gründe für ein Investment in die Aktien der Lenzing AG.

 

Dr. Stefan Doboczky

Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Geschäfts- und Innovationstreiber. Unser Geschäft basiert erstens zu 100 Prozent auf dem Modell der Kreislaufwirtschaft. Angefangen vom Rohstoff Holz, der aus nachhaltigen Quellen bezogen wird, über Produktionsverfahren, die höchste Standards in der holzbasierten Faserindustrie setzen bis zur biologischen Abbaubarkeit der Produkte.

 

Zweitens schauen wir über unseren Tellerrand, denn wir tragen zur Ökologisierung der Wertschöpfungskette bei. Im textilen Bereich bieten wir mit der Faser ECOVERO ™ nicht nur die umweltfreundlichste Viskosefaser an, sondern diese Faser ist aufgrund eines speziellen Verfahrens auch noch im Endprodukt nachweisbar. Dies bietet Transparenz vom Anfang bis zum fertigen Produkt.

 

Drittens treiben wir den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in der Welt durch Partnerschaften voran. Lenzing unterstützt neben vielen anderen beispielsweise die Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals, SDG). Lenzing ist außerdem Nr. 1 im „Hot Button Report“ von Canopy.

 

Capital Lounge GmbH

Herzlichen Dank für das Interview!

 

 

 


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Capital Lounge GmbH
Alexander Coenen begann seine Karriere im Bereich der Unternehmensbewertung. Namhafte Anlegermagazine kürten ihn mehrfach zum Small-Cap-Experten Deutschlands. Heute ist er im Bereich der Aktienanalyse und der Durchführung von Börsengängen tätig.
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