Montag, 31.05.2021 16:26 von Frankfurter Börsenexperten | Aufrufe: 334

"Die Angst vor der Inflation geht um"

Peeters sieht die Inflation bereits in der Realwirtschaft angekommen, hinterfragt, ob die Aufgeregtheit der Anleger berechtigt ist. 

31. Mai 2021. FRANKFURT (pfp Adisory). Es ist das vielleicht meistdiskutierte Thema in der Anlegerschaft der vergangenen Monate: Kommt die Inflation zurück? Nun, mit jedem Monat, in dem die offiziell ausgewiesenen Teuerungsraten kontinuierlich zunehmen und es bei vielen einzelnen Komponenten mitunter atemberaubende Bewegungen gibt, hat die Debatte ja auch ihre vollste Berechtigung.

Das Phänomen überrascht nicht: Seit vielen Jahren agieren die Notenbanken in bester Verbindung mit der Politik ausgesprochen expansiv: Alleine in den USA wurde nur in 2020 bildlich gesprochen 20 Prozent aller Dollar neu gedruckt. In praktisch allen anderen Industriestaaten ein ähnliches Bild: Neues Geld auf Pump, soweit das Auge reicht. Dass sich diese Massen irgendeinen Weg in die Kapitalmärkte (schon länger zu sehen) und die Realwirtschaft bahnen, ist wenig verwunderlich. Nun geht die Geldschwemme mit einer brummenden Konjunktur einher, dass die Aufregung groß ist.

Spätestens als in den USA unlängst eine 4,2-prozentige Zunahme der Verbraucherpreise für den April im Vergleich zum Vorjahr gemeldet wurde, war es wohl unstrittig, dass das Phänomen nicht mehr nur Ökonomen, sondern auch „Joe Sixpack“ bzw. seinen deutschen Pendant „Max Mustermann“ ganz alltäglich berührt. Und wenn „Joe“ oder „Max“ gerade ein neues Eigenheim bauen und sehen, dass ihnen die explodierenden Preise für Bauholz oder Stahlträger jede noch so vorsichtige Kalkulation durchkreuzen, geht es an die Schmerzgrenze.

Anleger können sich der Relevanz des Themas natürlich ebenfalls nicht entziehen. Man muss nicht bis in die momentan gerne zitierten 70er Jahre zurückgehen, um sich der Brisanz von hohen Inflationsraten für die Börsen bewusst zu werden: Alleine die Erinnerung an das verheerende vierte Quartal 2018, als die Aktienmärkte alleine auf Grund der Sorge, dass es in den USA nun zu einer Zinswende aufgrund erhöhter Inflationssorgen kommen sollte, mahnt, sich der Bedeutung des Niedrigzinsumfeldes für die momentane Börsenlage bewusst zu sein. Bemerkenswert finde ich übrigens gerade vor diesem Hintergrund die geradezu auffallende Gelassenheit der Notenbank-Verantwortlichen. Es scheint überspitzt gesagt fast schon so, dass keine nachhaltige Inflation gesehen wird, weil es keine geben darf. Und tatsächlich ließe die globale Verschuldung Zinsraten wie in den 70er Jahren nicht mal annäherungsweise zu.  

Ob es nun „nur“ wegen der besonderen Umstände bedingt durch Corona mit dem viel zitierten „V“ in der Volkswirtschaft nur um ein temporäres Phänomen handelt oder ob jetzt tatsächlich „eine Unmenge Ketchup aus der Flasche quoll“, wird die Zeit sicher zeigen. Tatsächlich sind manche Indikatoren nicht so eindeutig wie es scheint: Beispielsweise sieht man nicht nur bei den Baugrundstoffen (siehe oben), sondern auch bei zahllosen anderen liquiden Gütern (beispielsweise Gebrauchtwagen und vieles mehr) massive Preisanstiege. Ob diese nun auf einer strukturell und dauerhaft erhöhten Nachfrage beruhen oder ob mit billigem Geld ausgestattete Spekulanten hier massiv einstiegen, um die Waren bald wieder auf den Markt zu geben, wird man sehen.  

Völlig unstrittig indes aus meiner Sicht: Das Thema ist in der Realwirtschaft angekommen, übrigens gänzlich anders, als ich es in den Jahren zuvor erlebt habe. Ich hatte im Mai berufsbedingt Austausch mit dutzenden Lenkern börsennotierter Firmen aus den unterschiedlichsten Sektoren, und Themen wie die Verfügbarkeit von Vorprodukten oder die mögliche Weitergabe von spürbar erhöhten Rohstoffkosten waren stets Standardgesprächsthemen. Und dies eben nicht, weil es gerade vermehrt in den Schlagzeilen ist, sondern weil die Unternehmen damit umgehen müssen. Es bleibt spannend.

Abschließend sollten (Aktien-)Anleger nicht vergessen, dass potenziell steigende Zinsen zwar quasi inhärent die Attraktivität der Alternativanlage in Dividendenpapiere relativ verschlechtern. Im Gegenzug ist jedoch der Besitz von Sachvermögen nun mal auch eine der besten Schutzvorrichtungen vor einer Geldentwertung.

von: Roger Peeters
31. Mai 2021, © pfp Advisory

Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow Fonds (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.


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