Einen Tag bevor Giuseppe Conte die Vertrauensabstimmung am Mittwoch im Senat gewann, hatte Italiens neuer Ministerpräsident davon gesprochen, dass er einer „Regierung des Wandels“ vorsitzen wolle. Und was er sonst noch sagte, klang zum Teil ganz anders als das, was die beiden Regierungsparteien der 5-Sterne-Bewegung und der rechtsgerichteten Lega in der jüngsten Vergangenheit von sich gegeben hatten. „Das Geschäft mit der Einwanderung“ müsse beendet werden, forderte Conte ebenso wie eine fairere Verteilung der Flüchtlinge. Die Schulden des Landes seien vollkommen untragbar, weshalb sie durch Wirtschaftswachstum verringert werden müssten, konstatierte er. Und Wachstum müsse über Haushaltspolitik und öffentliche Ausgaben sichergestellt werden. Ach ja, und Italien verortete er weiter im Herzen Europas, das die Regierung stärken und gerechter machen wolle. „Europa ist unser Zuhause“, betonte Conte, der am Euro festhalten will, was im Gegensatz zu den Thesen des rechtsgerichteten Lega-Führers Matteo Salvini steht. Auch ein Austritt aus dem Euro, mit dem Salvini immer wieder kokettiert hatte, ist für den Ministerpräsidenten kein Thema. Allerdings will er die europäischen Fiskalregeln neu verhandeln.
Was dies alles in der Praxis zu bedeuten hat, ist nicht ganz klar, weshalb während seiner Rede wohl auch die Börse in Mailand ins Minus gerutscht ist. Denn einerseits bekennt sich Conte zum Schuldenabbau eines Landes, das eine Staatsverschuldung von 132% seines BIPs aufweist. Aber andererseits wendet er sich von „Maßnahmen energischer Sparpolitik“ ab und will Schuldenabbau „mit dem Wachstum unseres Reichtums“ erreichen. Was soll das heißen? Schließlich propagieren die beiden Regierungsparteien, die ihn tragen, die Einführung teurer öffentlicher Programme, die ein Grundeinkommen für arme Italiener und einen „würdigen" Mindestlohn vorsehen.
Sicher bietet der Neue in Rom Ansatzpunkte für eine Zusammenarbeit mit Berlin und Brüssel. Aber aufgrund der Unberechenbarkeit der ihn stützenden Parteien dürfte die italienische Politik zunächst ein Unsicherheitsfaktor innerhalb der EU bleiben. Dennoch, wenn der politische Novize radikale Veränderungen, insbesondere in der Schulden- und Asylpolitik, ankündigt, sollten die Bundesrepublik und die EU-Kommission diesen Faden konstruktiv aufgreifen. Inwieweit dann die Koalition in Rom hinter dem Juristen Conte stehen wird, muss man sehen.
Genau beobachtet wird die italienische Regierung auch von den Ratingagenturen, wie man am Beispiel Moody’s sieht. So prüft diese nach Bekanntgabe der Ausgaben- und Steuerkürzungspläne der Regierung eine mögliche Herabstufung der Bonität des Landes. Wie Moody's mitteilte, sehe man ein „beträchtliches Risiko“ einer deutlichen Verschlechterung der Finanzlage Italiens. Derzeit wird das Land mit einer befriedigenden Bonität von „Baa2“ bewertet.
Angesichts der Sorgen um die italienische Volkswirtschaft war der Euro am Dienstag um einen halben Cent auf 1,1660 US-Dollar gedrückt worden. Inzwischen hat sich die Gemeinschaftswährung aber wieder auf über 1,18 US-Dollar erholt, was allerdings mit der Spekulation auf eine Straffung der Geldpolitik durch die EZB zurückging. Die Renditedifferenz zehnjähriger italienischer Staatsanleihen ist gegenüber Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit im Zuge der politischen Situation in Rom seit vergangener Woche von rund 1,2 Prozentpunkten (PP) auf über 2,9 PP gestiegen. Und dieser Wert, der das Schuldenmachen für Rom noch teurer macht, beläuft sich aktuell auf ca. 2,3PP und ist immer noch einer der verlässlichsten Krisenindikatoren an den Finanzmärkten. Conte ist zwar unter dem Jubel vieler Senatoren in Rom gewählt worden. Sein Land aber bleibt im Krisenmodus.
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