Jesse Livermore im Jahr 1940.
Montag, 03.12.2018 14:50 von | Aufrufe: 5455

Jesse Livermore: Der König der Börsenspekulation

Jesse Livermore im Jahr 1940. - © AP photo, 1940 Boy wonder of Wall Street shoots himself, Zuschnitt von ARIVA.DE, CC BY-SA 4.0

Jesse Livermore ist das, was man heutzutage einen Trendfollower nennen würde, denn er machte sein Vermögen, indem er an der Börse einfach dem Trend der Marktpreise folgte. Er wählte eine bestimmte Anlage aus, um sie zu kaufen oder zu shorten. Seine Strategie brachte ihm im Laufe seiner Karriere sehr hohe Gewinne ein, doch so richtig berühmt machte ihn erst seine Short Selling-Strategie, mit der er die Börsencrashs 1907 und 1929 für sich ausnutzen konnte. Nach dem großen Crash im Jahr 1929 besaß er ein Vermögen von rund 100 Millionen US-Dollar.

König der Spekulanten: Erfolge und Rückschläge

Jesse Lauriston Livermore wurde 1877 in Massachusetts als Kind einer Farmerfamilie geboren, sodass er bereits im Kindesalter die harte Arbeit auf den Feldern kennenlernte. Schon in der Schule zeigte der junge Jesse vor allem in Mathematik herausragende Leistungen. Da er kein Leben als Farmer führen wollte, verließ er bereits im Alter von 14 Jahren das Elternhaus und zog nach Boston, wo er bei einer Brokerfirma anfing als Kurstafelschreiber zu arbeiten. Seine ersten konkreten Erfahrungen mit dem Wertpapierhandel machte Jesse Livermore 1892: Der damals 15-jährige kaufte fünf U.S. Steel-Aktien zu einem Kurs von zehn US-Dollar. Nur zwei Tage später verkaufte er seine Anteile wieder und machte dabei einen Reingewinn von drei Dollar. Durch seinen Job entwickelte er seine Leidenschaft für das Trading und legte so den Grundstein für seine atemberaubende Karriere. Während der Arbeit schrieb er sich seine Vorahnungen zu zukünftigen Marktpreisen auf, um sie später auf deren Richtigkeit zu überprüfen. Sein Gespür für den Markt machte er sich in sogenannten „Bucket Shops“ zunutze, bei denen es sich um Wettbüros für Aktien handelte. Dort erzielte er herausragende Erfolge, da er stets gegen das Haus gewann. Er war damit so erfolgreich, dass er letztendlich aus den „Bucket Shops“ verbannt wurde. Für Jesse Livermore bedeutete das allerdings nur, dass es langsam Zeit wurde Boston zu verlassen und das große Geld an der New Yorker Wall Street zu machen.

Es stellte sich allerdings heraus, dass Livermore eine neue Trading-Strategie benötigte, um den Markt zu schlagen. Insofern waren seine ersten Schritte an der Börse in New York noch nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Von Verlusten ließ sich der junge Börsenspekulant jedoch nicht unterkriegen. Vielmehr nahm er dies als Anreiz, um weiter an seiner Anlagestrategie zu feilen und sie zu perfektionieren. Einen ersten großen Erfolg brachte ihm die Finanzkrise von 1907 ein. Bereits ein Jahr zuvor spürte Livermore die Überhitzung des Marktes und begann auf große Shortpositionen zu setzen. 1907 stürzte dann auf einen Schlag der Dow Jones ab und es brach Panik an der Börse aus. Es heißt sogar, dass J.P. Morgan selbst Jesse Livermore in dieser schwierigen Zeit bat, das Shorten der Aktien zu stoppen. Prompt kaufte der Trader seine Aktien zurück und der Handel konnte wieder anlaufen. Livermore brachte diese Aktion über eine Million US-Dollar ein. Allerdings folgte er selbst nicht immer den eigenen Ratschlägen. So hörte er auch einmal auf den Ratschlag eines Freundes, der ihm vorschlug, seine Positionen in Baumwolle von Short auf Long umzuwandeln. Dies erwies sich als einer von vielen Fehlern, durch die Livermore viel Geld verlor und zwischenzeitlich sogar bankrott ging. Er fand trotzdem den Weg zurück an die Börse, gerade rechtzeitig, um 1929 seinen großen Wurf zu machen. Zu dieser Zeit entwickelte sich der Markt wieder sehr gut und auch jetzt witterte Livermore seine Chance: Wieder wechselte er auf die Short-Seite und es folgte der große Börsencrash 1929. Am sogenannten „schwarzen Montag“, den 24. Oktober 1929, sowie dem darauffolgenden Tag verlor der US-Leitindex 25 Prozent seines Wertes. Die Shortinvestments von Livermore brachten im letztendlich ein millionenschweres Vermögen ein.

Geld alleine macht nicht glücklich

So erfolgreich Jesse Livermore auch an der Börse handelte, privat sah es für ihn ganz anders aus. Depressionen brachten ihn emotional aus dem Gleichgewicht und verstärkten sich nach der Trennung von seiner zweiten Frau und diversen Frauenbekanntschaften sogar noch. Ausgerechnet Livermore, der das riskante Wechselspiel zwischen Angst und Gier eigentlich im Schlaf beherrschte und als Motor für Kursbewegungen erkennen konnte, wurde letztendlich Opfer seiner eigenen Gefühlslage. Im November 1940 erschoss sich der Börsenspekulant in einem New Yorker Hotel. Zum Zeitpunkt seines Todes betrug sein Vermögen noch mehrere Millionen Dollar. Dennoch konnte er das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nicht wiedergewinnen, sodass stattdessen eine klinische Depression seine letzten Lebensjahre bestimmte.

Was Trader vom Trendfollower lernen können

Bei seinen Trades wählte Livermore immer eine bestimmte Anlage aus, die es zu kaufen oder zu shorten galt. Dabei setzte er meist auf zunächst kleine Startpositionen. Brachten diese Gewinn ein, erhöhte er seinen Anteil, trat das Gegenteil ein, verkaufte er sie. Im Grunde genommen verfolgte Livermore einen Top-Down-Ansatz, er analysierte also im ersten Schritt eine Industriegruppe und suchte erst im zweiten Schritt nach aussichtsreichen Aktien innerhalb dieser Gruppe. Heutzutage würde man den „Boy Plunger“ als Trendfollower bezeichnen, da er stets mit dem Trend handelte. Er kaufte Aktien, sobald diese ein neues 52-Wochenhoch erreicht hatten und anschließend konsolidierten. Bei einem Trade hielt sich Livermore immer an einen einfachen Grundsatz: Verlustbringer wurden verkauft und Gewinnbringer aufgestockt. Es ist kennzeichnend für Trendfollower wie Jesse Livermore, Gewinne so lange laufen zu lassen, bis sie ausgestoppt werden. Das bedeutet zum einen, dass der Stopp permanent nachgezogen werden muss und zum anderen, dass auf eine Trendwende geachtet werden sollte. Für Livermore handelte es sich dann um eine Trendwende, wenn der Kurs um mehr als zehn Prozent korrigierte.

Jesse Livermore war nicht nur irgendein US-amerikanischer Spekulant, sondern gilt auch heute noch für viele Anleger als einer der größten Spekulanten aller Zeiten. Nicht umsonst ist „Das Spiel der Spiele“ aus dem Jahre 1923, ein Buch von Edwin Lefèvre über Jesse Livermore, fester Bestandteil der klassischen Börsenliteratur. Short Selling ist nach wie vor eine beliebte Tradingmethode und das Beispiel Jesse Livermore zeigt, dass man damit durchaus erfolgreich sein kann – wenn man bereit ist, das Risiko von Verlusten einzugehen. Zwar ist die Livermore-Strategie im Grunde genommen recht simpel, allerdings erfordert sie auch eine gewisse Erfahrung, ein Gespür für den Markt und starke Nerven. Short Selling mag daher sicher nicht für jeden der richtige Weg sein. Trotzdem kann jeder Anleger zumindest eine Sache von der Legende Jesse Livermore lernen: Der Meister der Börsenspekulation hat nie aufgegeben und sich auch nach Totalverlusten stets wieder aufgerappelt. Womöglich ist das auch sein eigentliches Erfolgsgeheimnis.


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