Theresa Mays Ankündigung, man werde eine eigene Einwanderungspolitik nicht zugunsten des Zugangs zum gemeinsamen Markt opfern, hat die Erwartungen über den Ausgang der Austrittsverhandlungen mit der EU deutlich verändert. Während viele Ökonomen bislang auf einen den Freihandel erhaltenden Deal gesetzt haben, scheint jetzt ein Hard Brexit unvermeidlich. Das Pfund reagierte prompt. Mit einem Verlust von rund 15 Prozent gegenüber US-Dollar und Euro seit Juni dieses Jahres liegt die Währung fast wieder auf dem historisch niedrigen Niveau bei Ausbruch der Finanzkrise Ende 2008.
Was haben die beiden Ereignisse gemeinsam? In beiden Fällen steht der britische Finanzsektor im Mittelpunkt. Ausgehend von der massiven Deregulierung Mitte der 1980er (Big Bang) haben Skaleneffekte im Finanzsektor die City of London zu einem globalen Finanzdienstleister gemacht, der mittlerweile einen beträchtlichen Anteil am Außenhandel sowie des Sozialprodukts im Königreich hält. Skaleneffekte bedeutet hier, dass Finanzdienstleistungen umso billiger werden, je mehr bereits davon produziert werden. Das liegt daran, dass zum Beispiel die Zusammenballung von Finanzdienstleistern Geschäfte vereinfachte und London für Fachkräfte attraktiver machte.
Was in den vergangenen Jahren zu einem ständigen Wachstum der Finanzbranche geführt hat, kann sich aus demselben Grund nun umkehren. In Erwartung steigender Handelskosten mit der EU beginnen Banken, ihr Geschäft auf den Kontinent zu verlagern. Mit dieser Schrumpfung verliert London sukzessive seinen Kostenvorteil und weitere Abwanderungen sind die Folge. Die Skaleneffekte im Finanzsektor machen also eine moderate Anpassung eher unwahrscheinlich und sind perspektivisch genauso dramatisch wie die Finanzkrise 2008. Kein Wunder, dass die Bank of England jetzt die Gemüter zu beruhigen versucht.
Was folgt daraus für die britische Wirtschaft? Zunächst einmal könnte man vermuten, dass das gesunkene Pfund für britische Exporteure von Vorteil ist. Dagegen spricht jedoch, dass zum einen auch hier höhere Handelskosten mit der EU zu Buche schlagen werden. Zum anderen ist der Außenhandel sehr stark vom intra-industriellen Handel geprägt, in dem Unternehmen Teil einer komplexen Produktionskette sind. Die Neuorientierung britischer Unternehmen zu anderen Zulieferketten außerhalb der EU wird deshalb Zeit benötigen und nicht sofort für Ausgleich sorgen.
Für den internationalen Kapitalanleger scheint die Situation nun etwas klarer zu sein: Der ehemals sichere Hafen für Aktien, Staatsanleihen oder Immobilien ist zum Wackelkandidaten geworden. Die massive Abwertung des Pfund kann aus dieser Perspektive als Risikoprämie verstanden werden, die Anleger nun für das Halten dieser Assets verlangen. Ob die Risiken damit ausreichend eingepreist sind, wird sich noch zeigen. Die gesunkenen Kurse und Immobilienpreise haben die Briten aber bereits jetzt ärmer gemacht. Das ist der Preis für geschlossene Grenzen.
Über den Autor:
Prof. Dr. Stefan Reitz forscht und lehrt am Institut für Quantitative Betriebs- und Volkswirtschaftliche Forschung (QBER) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Reitz ist Experte für Internationale Finanzmärkte, Marktmikrostrukturen und empirische Analysen von nichtlinearen Prozessen. Nach seiner Habilitation in Gießen war Reitz sechs Jahre lang im Zentralbereich Volkswirtschaft für die Deutsche Bundesbank tätig. 2011 wurde er als Professor für Volkswirtschaftslehre an die Uni Kiel berufen.
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