Aus der Zeit:
In der Grande Nation gibt es eine lange Ammentradition. Vom 17. Jahrhundert an bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es bei den wohlhabenden Familien üblich, die Neugeborenen kurz nach der Geburt aufs Land zu einer Amme zu geben. Der Hauptgrund: Die Mutter sollte rasch wieder schwanger werden, das empfängnisverzögernde Stillen störte da. Die Eltern besuchten ihre Kinder kaum und holten sie erst nach zwei, drei Jahren wieder zu sich. "Die frühe Fremdbetreuung ist über mehrere Generationen so selbstverständlich geworden, dass sie auch heute niemand infrage stellt", sagt Serban. "Selbst Kinderpsychologen und Kinderpsychiater haben sich bis vor Kurzem kaum Gedanken über die psychischen Folgen gemacht." Und auf die Frage, weshalb französische Mütter oft drei oder vier Kinder bekommen, sagt der Kinderarzt: "Sie bekommen so viele Kinder, gerade weil sie sich nicht um sie kümmern müssen!"
Familien mit drei und mehr Kindern zahlen in Frankreich fast keine Steuern mehr. Zu den Betreuungskosten in Krippen, Kindergärten oder bei der Tagesmutter schießt der Staat kräftig zu. Dagegen wird ein Kindergeld erst ab dem zweiten Kind gezahlt. Und Anreize für Männer, einige "Papa-Monate" in ihre Karriere einzuschieben, gibt es keine. Überhaupt übernehmen die französischen Väter nur in den wenigsten Fällen wirklich Verantwortung für die Betreuung ihrer Kinder. Sie verlassen sich darauf, dass ihnen diese Aufgabe von den Institutionen abgenommen wird, den Rest überlassen sie meist ihren Frauen.
Die französische Frau als Heldin, die Beziehung, Kinder und Beruf problemlos unter einen Hut bekommt. Die Frau als "Superwoman". Dieser Mythos entstand im Windschatten der Frauenbewegung in den 1980er Jahren. Fast alle der heute 20- bis 40-jährigen Französinnen sind früher selbst in einer Fremdbetreuung untergebracht gewesen und folgen jetzt demselben Prinzip. Über 60 Prozent der Mütter, die Kinder unter sechs Jahren haben, arbeiten Vollzeit. In Deutschland sind es nur gute zwölf Prozent. "Ich und alle meine Freundinnen sind Töchter solcher Supermütter", sagt Maryline Jury. "Um die Fassade zu wahren, haben wir es so gemacht wie sie. Denn sonst sähe es so aus, als wären wir weniger befreit!"
Ein Vollzeitjob für beide Eltern bedeutet jedoch zwangsläufig, dass die Kinder oft neun Stunden oder mehr weggegeben werden müssen. Vor allem in den französischen Städten ist es üblich, dass abends eine assistante maternelle die Kinder von der Betreuung abholt, weil papa et maman noch keine Zeit haben.