Ich lese hier schon lange mit und habe viele interessante Beiträge gelesen. Mich interessiert Wirecard, weil ich das Konzept für zukunftsträchtig halte und nicht zuletzt weil ich mir in Europa eher ein führendes deutsches Unternehmen vorstelle, als ein anderes. Das war mir ein kleines Investment wert.
Im Augenblick scheinen hier viele den Kopf zu verlieren.
Panik, Durchhaltewillen, Prognosen, alles schwirrt durcheinander.
Die Empörung über Leerverkäufer ist unnötig, denn die sind nur die Geier, die sich auf Kadavern niederlassen. Wie in der Natur, sind sie in der Finanzwelt notwendig, um aufzuräumen.
Man muss nur im Fog of War den Durchblick haben, ob sie am Lebenden oder doch bereits am Aas nagen...
Und wie krank oder tot ein Unternehmen ist, darüber schwirren bei jeder Krise die Gerüchte und Pseudofakten neben fundierten Analysen und realen Zahlen nur so herum.
Schlag nach bei Clausewitz: "Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen. Was man hier vom Offizier fordern kann, ist ein gewisses Unterscheiden, was nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des Wahrscheinlichen muß ihn leiten. "
Warum ich das zitiere? Nun, so wie Marketing Krieg um den Markt ist, ist Investment Krieg um Geld.
Jeder Krieg läuft darauf hinaus, den maximalen Schmerz zu erzeugen. Wenn man nicht bereit ist, diesen zu ertragen, fängt man keinen an.
Halten wir die Fakten doch fest. Wer sein Investment in Wirecard getätigt hat, ist anteiliger Eigentümer eines Unternehmens mit guten, zukunftsträchtigen Ideen in einem zukunftsträchtigen Markt mit innovativen Angeboten an seine Kunden.
Ich denke, das ist unbestritten.
Nun zur Geschäftsgebarung des Unternehmens und seiner Organisation.
Der jüngste Prüfungsbericht gibt uns hier Einblicke.
Diese sind wenig erfreulich. Wenn ich einen Prüfer beauftrage, dann gebe ich der gesamten Organisation den Befehl, den Prüfer vollinhaltlich zu unterstützen. Vorstand und AR stehen hinter der Prüfung, das AR bekommt wöchentlich Berichte über den Stand der Dinge.
Wie ist es dann möglich, dass laut Bericht Teile oder Personen des Unternehmens nicht mit den Prüfern kooperieren? Alleine auf eine solche Meldung hin, müssen die Verantwortlichen die Kündigung sehen!
Man denke an andere DAX-Unternehmen, denke sich in die Position eines x-beliebigen Abteilungsleiters und überlege kurz, was ihm geschieht, wenn er den vom Vorstand bestellten Prüfern sagt, "Nee, liefere ich nicht."
Daß Prüfer nicht nur Originaldokumente sondern Scans und Kopien erhalten, soll meinethalben sein.
Aber wenn es - wir reden nicht über Pommes-Verkauf an der Bude - mit Geschäftspartnern, über die Millionenbeträge laufen, keine schriftlichen Verträge gibt (wenn es keine unterschriebenen Verträge gibt, gibt es de jure - Vertragsfreiheit hin oder her - gar keine) und wenn es welche gibt, nicht nach diesen vorgegangen wird, dann ist das kein Fintech-Unternehmen im DAX, das sind das Zustände eines mäßig beleumundeten Gebrauchtwagenhändlers!
Wenn Verträge rückdatiert werden, wenn Vorstandbeschlüsse nicht dokumentiert sind oder wenn dokumentiert, dann nicht implementiert, dann ist das schlichtweg ein wirtschaftsorganisatorischer GAU!
Von Treuhandbanken, die aussteigen und dann nicht erreichbar sind, über Konten, deren Geldflüsse nicht lückenlos nachvollziehbar und inkongruent sind, bis zu Verkäufern von denen man Unternehmen erwirbt, aber bei diesen nicht klar ist, wer der wirtschaftliche Nutznießer des Geschäfts ist reden wir lieber gar nicht.
Das sind grosso modo die Fakten, die nach dem Bericht am Tisch liegen.
Ob es nun den einen oder anderen Partner gibt oder nicht mehr sind da nur mehr Randnotizen.
Als weiteres Faktum haben wir die noch immer laufenden behördlichen Ermittlungen in Singapur an der Backe, die bis dato nicht abgeschlossen sind.
Was auch Fakt ist: Wirecard kann keine auch reine Luftbuchung sein, denn das Unternehmen bezahlt offenbar Steuern, liefert von namhaften Wirtschaftsprüfern testierte Abschlüsse und bezahlt auch Mitarbeiter. Seit Jahren. Andererseits nimmt man enorm hohe Schulden auf. Wieso?
Diese Intransparenz - gepaart mit einer Kommunikationspolitik, die diesen Namen nicht verdient - ist der Grund für die katastrophale Performance des Aktienkurses seit über zwei Jahren, denn ebenso lange hat man allen Anwürfen einer (mit Sicherheit teilweise korrupten) Journaille nur windelweich entgegen gewirkt.
Entgegenwirken müssen! Denn interne Abläufe und Dokumente, die jeden dieser Anwürfe im Keim erstickt hätten gab es ja nicht. Warum der AR um DAS festzustellen nun noch die Prüfung gebraucht hat, bleibt rätselhaft.
Zusammengefasst: Der Vorstand war nicht in der Lage, das Unternehmen so zu führen, daß allen Grundsätzen redlichen Wirtschaftens und allen gesetzlichen Anforderungen entsprochen wurde. Der AR hat über zwei Jahre nichts dagegen getan und ist seiner Pflicht ebenfalls nicht nachgekommen.
Es wird zwar Abhilfe versprochen, aber wer nimmt diese Ankündigungen noch ernst? Die Forderung eines Teils der Eigentümer nach radikalen Einschnitten ist nur zu natürlich.
Ob das Entlassen von Braun der richtige Einschnitt ist, ist zu bezweifeln. Ich denke, er hat die Ideen, das Zahlungsabwicklungsgeschäft in neue Dimensionen zu führen.
Organisatorisch kann er es offenbar nicht.
Allerdings: Den Unternehmenswert zu halbieren und enorme Schulden aufzuhäufen haben andere Vorstände (ich denke da an ein deutsches Chemie- und Pharma-Unternehmen) auch ganz locker geschafft, das ist noch kein Grund, ihn zu kündigen.
Andere Unternehmen der selben Branche zeigen jedoch die Performance, die in den neuen Zahlungsmethoden steckt, auch im Aktienkurs. Wirecard nicht. Daran gibt es leider nichts zu deuteln.
In diesem Fog of War sieht man nichts. Aber wenn wir uns von der Wahrscheinlichkeit leiten lassen, dann stehen die Chancen gut, daß an all den Betrugsvorwürfen, wie schon in etlichen Fällen zuvor, nichts dran ist. Auch die Partnerschaften und der Einstieg großer Investoren, die sicher sehr genau hingesehen haben, ehe sie das Geld ihrer Kunden im Garten von Wirecard Gassi führen, sprechen mehr für ein reales Geschäft.
Es besteht aber nach dem Vertrauensverlust auch die Chance, daß der Kurs jahrelang vor sich hindümpelt und nie wieder alte Höhen erreicht, weil andere es einfach besser können...
Warten wir die Zahlen ab und prüfen wir die Meldungen. Wir werden sehen, wann der Punkt des maximalen Schmerzes überwunden ist.