Morgan-Stanley-Chefvolkswirt Roach erwartet eine doppelte Talfahrt der US-Konjunktur - Interview
Zu Beginn des World Economic Forum (WEF) in New York kommt Optimismus über die amerikanische Konjunktur und die Lage der Weltwirtschaft auf. Die amerikanische Wirtschaft ist im vierten Quartal 2001 um 0,2 Prozent gewachsen; Wall Street und Ökonomen hatten einen Rückgang um mehr als ein Prozent vorhergesagt. Doch der renommierte Chefvolkswirt des Bankhauses Morgan Stanley, Stephen Roach, warnt im Interview mit dieser Zeitung vor Euphorie: Die Talfahrt gehe weiter. Sowohl an der Börse als auch in der Industrie seien weitere Rückschläge zu erwarten. Mit Roach (55) - einem der provozierendsten Redner beim Forum in New York - sprach Martin Halusa.
DIE WELT: Die US-Wirtschaft ist Ende 2001 zur Überraschung aller gewachsen . . .
Stephen Roach: Erstaunlich, nicht wahr? Um 0,2 Prozent . . .
DIE WELT: Ist die Rezession nun vorbei?
Roach: Das ist das klassische Zeichen für eine doppelte Talfahrt. Das Wachstum wird nicht anhalten; es war angetrieben durch einen Anstieg der Verbraucherausgaben um 5,4 Prozent. Die Wirtschaft profitierte von Gewinnen, die eigentlich im ersten Halbjahr dieses Jahres angefallen wären. Die Nachfrage wird nachlassen, deshalb dauert der Aufschwung nur kurz an - meine Prognose: Die amerikanische Wirtschaft wird wieder in eine Rezession gleiten.
DIE WELT: Was genau erwarten Sie für das Jahr 2002?
Roach: Ganz klar - einen Rückfall in die Rezession; eine doppelte Delle, einen "double dip".
DIE WELT: Präsident Bush hat in seiner Rede zur Lage der Nation weitere Steuersenkungen versprochen. Die meisten Ökonomen widersprechen: Dies sei kontraproduktiv. Gehören Sie diesem Lager an?
Roach: Da ich glaube, dass die Talfahrt weitergehen wird, unterstütze ich weitere Senkungen der Steuern. In diesem Punkt stehe ich hinter dem Präsidenten.
DIE WELT: Das heißt, ohne Konjunkturprogramm werden sich die USA nicht erholen?
Roach: Die USA haben mit einer Erholung der Konjunktur schwer zu kämpfen. Ein Konjunkturpaket, wie es jetzt diskutiert wird, wird jedoch allenfalls die Folgen der Talfahrt begrenzen. Eine umfassende Garantie für eine baldige Erholung ist dies nicht.
DIE WELT: Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für eine weitere Talfahrt?
Roach: Unser Land kommt gerade aus der längsten Phase einer Übertreibung in den letzten Jahrzehnten. Es gab eine Blase an der Börse, besonders an der High-Tech-Börse Nasdaq, sowie eine Blase, was die Verbraucherausgaben angeht. Wir haben die Exzesse noch nicht verdaut - schon gar nicht durch eine zwei Quartale anhaltende, leichte Rezession.
DIE WELT:: Bislang - nach elf Zinssenkungen - lag die Hoffnung auf dem Verbraucher; doch auch der kann die Talfahrt jetzt nicht mehr aufhalten?
Roach: Die amerikanischen Konsumenten haben keinerlei Ersparnisse, dafür aber eine Menge Schulden. Das Wachstum der Einkommen ist unter Druck, die Unternehmen leiden unter zu hohen Kapazitäten. Und die USA haben das größte Leistungsbilanzdefizit in ihrer Geschichte. Dies ist die Lage, in der wir nun versuchen, eine wirtschaftliche Erholung zu erreichen. So einfach ist das, das sind die Probleme.
DIE WELT:: In letzter Zeit ist Alan Greenspan heftig kritisiert worden, weil er zu spät auf die Talfahrt reagiert habe; manche fordern seinen Kopf. Was halten Sie von der Kritik?
Roach: Greenspan ist ein großartiger Zentralbanker. Er ist voller Energie, vollkommen auf seine Arbeit fokussiert. Es gibt keinen Anlass dafür, dass er zurücktreten sollte.
DIE WELT: Was bedeuten die Probleme in den USA für den Rest der Welt?
Roach. Die Welt befindet sich derzeit im seltenen Zustand einer global synchronisierten Talfahrt; es gibt - abgesehen von den USA - keine andere Wachstumslokomotive. Wenn es Amerika schlecht geht, dann folgen mit zeitlichem Abstand auch die anderen Industrieländer. Der Rest der Welt sollte sich überlegen, wie er seine Volkswirtschaft von den USA entkoppeln und wie er selbst wachsen kann. Und das heißt: Reformen und mehr Kreativität bei Konjunkturprogrammen - in Japan und in Europa.
DIE WELT: In Europa gibt es seit vier Wochen eine gemeinsame Währung. Doch der Kurs des Euro zum Dollar hat sich kaum verändert; wie lange wird dies so bleiben?
Roach: Die Schwäche des Euro liegt derzeit eher an der Stärke des Dollar. Aber der Dollar wird in diesem Jahr unter Druck kommen, der Euro wird steigen.
DIE WELT: Bis zur Parität?
Roach: Ja, wahrscheinlich. Denn Europa war an den Übertreibungen nicht so sehr beteiligt, wie es in den USA während der neunziger Jahre der Fall war.
DIE WELT: Bezieht sich Ihr Pessimismus auch auf die Börse?
Roach: Der Markt wird den Ende September erzielten Tiefpunkt bald erneut testen, und zwar noch während des ersten Halbjahres 2002.
DIE WELT: Welche Bedeutung messen Sie der Pleite des Energiekonzerns Enron bei?
Roach: Es besteht die Gefahr, dass die Regulierung wieder zunehmen wird. Hinzu kommt: Investoren werden künftig wissen wollen, ob Gewinne wirklich real und nicht künstlich hergestellt sind.
DIE WELT: Wird man den Zahlen, die Unternehmen und ihre Wirtschaftsprüfer vorlegen, je wieder glauben können?
Roach: Der Tag wird kommen, an dem wir ihnen wieder Glauben schenken können. Derzeit ist dies nicht der Fall.
DIE WELT
Zu Beginn des World Economic Forum (WEF) in New York kommt Optimismus über die amerikanische Konjunktur und die Lage der Weltwirtschaft auf. Die amerikanische Wirtschaft ist im vierten Quartal 2001 um 0,2 Prozent gewachsen; Wall Street und Ökonomen hatten einen Rückgang um mehr als ein Prozent vorhergesagt. Doch der renommierte Chefvolkswirt des Bankhauses Morgan Stanley, Stephen Roach, warnt im Interview mit dieser Zeitung vor Euphorie: Die Talfahrt gehe weiter. Sowohl an der Börse als auch in der Industrie seien weitere Rückschläge zu erwarten. Mit Roach (55) - einem der provozierendsten Redner beim Forum in New York - sprach Martin Halusa.
DIE WELT: Die US-Wirtschaft ist Ende 2001 zur Überraschung aller gewachsen . . .
Stephen Roach: Erstaunlich, nicht wahr? Um 0,2 Prozent . . .
DIE WELT: Ist die Rezession nun vorbei?
Roach: Das ist das klassische Zeichen für eine doppelte Talfahrt. Das Wachstum wird nicht anhalten; es war angetrieben durch einen Anstieg der Verbraucherausgaben um 5,4 Prozent. Die Wirtschaft profitierte von Gewinnen, die eigentlich im ersten Halbjahr dieses Jahres angefallen wären. Die Nachfrage wird nachlassen, deshalb dauert der Aufschwung nur kurz an - meine Prognose: Die amerikanische Wirtschaft wird wieder in eine Rezession gleiten.
DIE WELT: Was genau erwarten Sie für das Jahr 2002?
Roach: Ganz klar - einen Rückfall in die Rezession; eine doppelte Delle, einen "double dip".
DIE WELT: Präsident Bush hat in seiner Rede zur Lage der Nation weitere Steuersenkungen versprochen. Die meisten Ökonomen widersprechen: Dies sei kontraproduktiv. Gehören Sie diesem Lager an?
Roach: Da ich glaube, dass die Talfahrt weitergehen wird, unterstütze ich weitere Senkungen der Steuern. In diesem Punkt stehe ich hinter dem Präsidenten.
DIE WELT: Das heißt, ohne Konjunkturprogramm werden sich die USA nicht erholen?
Roach: Die USA haben mit einer Erholung der Konjunktur schwer zu kämpfen. Ein Konjunkturpaket, wie es jetzt diskutiert wird, wird jedoch allenfalls die Folgen der Talfahrt begrenzen. Eine umfassende Garantie für eine baldige Erholung ist dies nicht.
DIE WELT: Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für eine weitere Talfahrt?
Roach: Unser Land kommt gerade aus der längsten Phase einer Übertreibung in den letzten Jahrzehnten. Es gab eine Blase an der Börse, besonders an der High-Tech-Börse Nasdaq, sowie eine Blase, was die Verbraucherausgaben angeht. Wir haben die Exzesse noch nicht verdaut - schon gar nicht durch eine zwei Quartale anhaltende, leichte Rezession.
DIE WELT:: Bislang - nach elf Zinssenkungen - lag die Hoffnung auf dem Verbraucher; doch auch der kann die Talfahrt jetzt nicht mehr aufhalten?
Roach: Die amerikanischen Konsumenten haben keinerlei Ersparnisse, dafür aber eine Menge Schulden. Das Wachstum der Einkommen ist unter Druck, die Unternehmen leiden unter zu hohen Kapazitäten. Und die USA haben das größte Leistungsbilanzdefizit in ihrer Geschichte. Dies ist die Lage, in der wir nun versuchen, eine wirtschaftliche Erholung zu erreichen. So einfach ist das, das sind die Probleme.
DIE WELT:: In letzter Zeit ist Alan Greenspan heftig kritisiert worden, weil er zu spät auf die Talfahrt reagiert habe; manche fordern seinen Kopf. Was halten Sie von der Kritik?
Roach: Greenspan ist ein großartiger Zentralbanker. Er ist voller Energie, vollkommen auf seine Arbeit fokussiert. Es gibt keinen Anlass dafür, dass er zurücktreten sollte.
DIE WELT: Was bedeuten die Probleme in den USA für den Rest der Welt?
Roach. Die Welt befindet sich derzeit im seltenen Zustand einer global synchronisierten Talfahrt; es gibt - abgesehen von den USA - keine andere Wachstumslokomotive. Wenn es Amerika schlecht geht, dann folgen mit zeitlichem Abstand auch die anderen Industrieländer. Der Rest der Welt sollte sich überlegen, wie er seine Volkswirtschaft von den USA entkoppeln und wie er selbst wachsen kann. Und das heißt: Reformen und mehr Kreativität bei Konjunkturprogrammen - in Japan und in Europa.
DIE WELT: In Europa gibt es seit vier Wochen eine gemeinsame Währung. Doch der Kurs des Euro zum Dollar hat sich kaum verändert; wie lange wird dies so bleiben?
Roach: Die Schwäche des Euro liegt derzeit eher an der Stärke des Dollar. Aber der Dollar wird in diesem Jahr unter Druck kommen, der Euro wird steigen.
DIE WELT: Bis zur Parität?
Roach: Ja, wahrscheinlich. Denn Europa war an den Übertreibungen nicht so sehr beteiligt, wie es in den USA während der neunziger Jahre der Fall war.
DIE WELT: Bezieht sich Ihr Pessimismus auch auf die Börse?
Roach: Der Markt wird den Ende September erzielten Tiefpunkt bald erneut testen, und zwar noch während des ersten Halbjahres 2002.
DIE WELT: Welche Bedeutung messen Sie der Pleite des Energiekonzerns Enron bei?
Roach: Es besteht die Gefahr, dass die Regulierung wieder zunehmen wird. Hinzu kommt: Investoren werden künftig wissen wollen, ob Gewinne wirklich real und nicht künstlich hergestellt sind.
DIE WELT: Wird man den Zahlen, die Unternehmen und ihre Wirtschaftsprüfer vorlegen, je wieder glauben können?
Roach: Der Tag wird kommen, an dem wir ihnen wieder Glauben schenken können. Derzeit ist dies nicht der Fall.
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