Agenda: Die drei ??? im deutschen Bankensystem
Das Debakel bei der Sachsen LB offenbart die Schwächen der deutschen Bankenkontrolle. Nun soll die Macht der Aufseher neu geordnet werden. Das Hauen und Stechen zwischen BaFin, Bundesbank und Finanzministerium hat begonnen.
Der Schlagabtausch war unerhört - nicht nur für die im Allgemeinen recht gesittete Bankenwelt. Wenn die Aufsicht nicht eingreife, drohe in Deutschland die schlimmste Finanzkrise seit 1931, schwarzmalte Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit Blick auf die Schieflage der IKB -Bank. Bundesbankpräsident Axel Weber hielt prompt dagegen: Der Vergleich der aktuellen Wirtschaftslage mit der Bankenkrise vor dem Zweiten Weltkrieg sei "völlig abwegig", wiegelte er ab.
Die IKB fand bei der staatlichen KfW Unterschlupf, doch die Stimmung zwischen den Finanzwächtern in Bonn (BaFin), Frankfurt (Bundesbank) und Berlin (Bundesfinanzministerium) ist seither nachhaltig gestört. Und spätestens seit dem spektakulären Nacht-und-Nebel-Verkauf der angeschlagenen Sachsen LB an die Landesbank Baden-Württemberg am vergangenen Sonntag ist das Kompetenzgerangel zwischen den Institutionen voll im Gange. Es geht um Macht, Einfluss, Eitelkeiten, darum, wer künftig das Sagen hat bei der Kontrolle der deutschen Kreditwirtschaft.
Laut Gesetz sind BaFin und Bundesbank gemeinsam für die Stabilität des Finanzsystems zuständig. Die Bundesbank übernimmt die laufende Kontrolle der Finanzinstitute. Ihre Prüfer studieren die Bilanzen, zudem sammeln ihre Statistiker Daten über das Kreditgeschäft.
Die BaFin darf darüber hinaus in das Bankgeschäft eingreifen oder gar Sünder bestrafen. Sie wird tätig, wenn Banken geschlossen oder Vorstände ausgetauscht werden und wenn große Sonderprüfungen nötig sind. Nur bei großen Banken, von denen im Krisenfall eine Gefahr für das Finanzsystem ausgeht, ist die BaFin an der laufenden Prüfung beteiligt. Finanzminister Peer Steinbrück schickt einen Vertreter ins Kontrollgremium der Behörde und redet auf diesem Weg ebenfalls mit.
Wirrwarr in der Aufsicht
Die Zweiteilung der Aufsicht wurde beschlossen, als Steinbrücks Amtsvorgänger Hans Eichel die Bundesaufsichtsämter für Kreditwesen, Versicherungswesen und Wertpapierhandel zur BaFin zusammenführte. Damals gab es Pläne, die Bundesbank komplett aus der Aufsicht herauszudrängen. Die Notenbanker setzen sich dagegen erfolgreich zur Wehr. Nun herrscht Wirrwarr.
Die Aufgabe ist nach Ansicht von Experten zu kompliziert für eine einfache Lösung. Sie loben die Arbeitsteilung sogar, denn die Aufsicht komplett bei der Notenbank anzusiedeln, wäre problematisch. Die Schließung einer Bank oder ihre Rettung durch den Einsatz von Steuergeldern ist eine hochpolitische Entscheidung. Die Bundesbank aber ist wie die Europäische Zentralbank einer direkten demokratischen Kontrolle entzogen.
Die Kontrolle allein bei der BaFin zu lassen wäre ebenfalls nicht praktikabel. Denn die Notenbank ist ohnehin stets mit im Boot. Über ihre Zinsentscheidungen und sonstigen Geschäfte hat sie großen Einfluss auf die Stabilität des Bankenwesens. So haben die Zentralbanken in den vergangenen Wochen mehrere Milliarden in das Finanzsystem gepumpt, um ein Ausbreiten der US-Hypothekenkrise zu verhindern.
Wer kontrolliert wann wen - das ist die drängende Frage. Die Eifersüchteleien schwächen die Aufsicht und sorgen für Verdruss. Es sind vorwiegend die kleineren Finanzinstitute und deren Vorstände, die die Doppelaufsicht von BaFin und Bundesbank regelmäßig wütend machen. "Die Bundesbank prüft das Kreditgeschäft, und dann kommt die BaFin mit einer Sonderprüfung und prüft dasselbe noch einmal", sagt ein Betroffener aus dem bayerischen Genossenschaftssektor, der zu den lautesten Kritikern der aktuellen Arbeitsteilung gehört.
Zwar stünde in der Aufsichtsrichtlinie, dass sich die beiden Institutionen eng miteinander abstimmen müssen. Man habe aber nicht einmal das Gefühl, dass der eine Aufseher vorher bei dem anderen nachfragt, ob ein bestimmter Sachverhalt bereits untersucht worden sei.
Bei den größeren Banken wächst sich die Inkompetenz zu einer echten Gefahr aus. Vor allem das Gebaren bei der Prüfung der Sachsen LB führte zu einem Desaster. Schon vor Jahren hatte die BaFin versteckte Risiken bei der Bank entdeckt. 2005 veranlasste sie eine Sonderprüfung des Instituts durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und forderte von Vorstand und Verwaltungsrat mehr Transparenz. Doch sie machte zwei gravierende Fehler: Sie übersah riskante Milliarden-Deals von Tochtergesellschaften. Und sie griff nicht beherzt durch. Weder zwang sie die Bank, die Risiken zu minimieren, noch löste sie den Bankenchef ab. Auf die Frage, warum sie nicht einschritt, sagte eine Sprecherin lapidar, man habe den Bericht der KPMG an die Bundesbank weitergeleitet, die ja ebenfalls für die Aufsicht zuständig sei.
Gegen diese indirekte Schuldzuweisung wehrt man sich in Frankfurt. Bewertungen und Handlungsempfehlungen seien der BaFin damals übermittelt worden. Man könne schließlich nicht in die Geschäftspolitik der Bank eingreifen - anders als die BaFin.
Den Schaden aus dem jüngsten Debakel bei der Sachsen LB trägt die Allgemeinheit. Die anderen öffentlich-rechtlichen Banken mussten 17,3 Mrd. Euro zuschießen, um eine Pleite abzuwenden.
Auch das Hin und Her bei der IKB-Bank hat sich als schädlich erwiesen. Sanio schilderte die Folgen des Zusammenbruchs der Bank ausgesprochen dramatisch. "Er wollte sich als Retter des Finanzsystems inszenieren", sagt ein Insider. Im Ausland allerdings schürten die Aussagen Sorgen über die Stabilität des deutschen Finanzwesens, Sorgen, die die aktuelle Krise, so Experten, durchaus verschärfen könnten. Weber dagegen spielte die Folgen herunter, die Probleme seien "institutsspezifischer Natur" - und musste mitansehen, wie wenige Wochen später mit der Sachsen LB die nächste Bank kollabierte.
Erschwert wird die Lage dadurch, dass die beiden Kontrahenten als Dickköpfe gelten. Legendär ist, wie Jochen Sanio in nächtelangen Sitzungen die deutschen Interessen bei den Eigenkapitalrichtlinien Basel II durchgesetzt hat. Nicht weniger stur widersetzte sich Axel Weber wiederholt dem Griff der Bundesregierung nach den Frankfurter Goldreserven.
In der Bundesregierung herrscht Einigkeit, dass etwas geschehen muss. Bereits im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Union auf eine Reform der Finanzaufsicht verständigt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin wurde mit einer Studie beauftragt. Ergebnis: Die Doppelprüfungen und Kompetenzüberschneidungen schaden der Aufsicht.
Inzwischen hat das Finanzministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt: Alleinherrscher Sanio soll bei der BaFin in ein Führungsgremium eingebunden werden. Zudem will das Ministerium selbst die Finanzmarktaufsicht schärfer kontrollieren. Dazu soll ein Steuerungsausschuss eingerichtet werden, der die Zusammenarbeit von Bundesbank und BaFin koordiniert.
Die Bundesbank läuft Sturm gegen den Vorschlag - vor allem, weil er vorsieht, dass das Ministerium der Notenbank bei der Bankenkontrolle reinreden kann. Sprich: In der Finanzaufsicht muss die Notenbank ihre Unabhängigkeit aufgeben. Der Gesetzentwurf sollte eigentlich am 8. August ins Kabinett. Der Termin wurde vertagt.
Gestritten wird derweil heftig. Die Union hat sich auf die Seite der Bundesbank geschlagen und attackiert Steinbrücks Pläne. Angeführt wird sie dabei von Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber und seinem Kabinettskollegen Kurt Faltlhauser, beides Parteifreunde von Franz-Christoph Zeitler, dem für Bankenaufsicht zuständigen Vorstandsmitglied in der Notenbank. Die SPD stellt sich dagegen hinter ihren Minister. In Gesprächen zwischen dem stellvertretenden Fraktionschef Michael Meister (CDU) und Finanzstaatssekretär Thomas Mirow (SPD) konnte keine Annäherung gefunden werden.
Für den 11. September ist eine Sondersitzung des Finanzausschusses vorgesehen. Geladen sind Sanio, Weber und KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier.
Je mehr die Aufsicht zum Spielball der Parteipolitik wird, desto geringer die Chancen auf eine schnelle und ökonomisch sinnvolle Reform - zumal in das Gesetz nun auch die Lehren aus der US-Immobilienkrise einfließen sollen.
Dabei drängt angesichts der prekären Lage an den Märkten die Zeit. Außerdem müssen zwei offene Direktorenstellen bei der BaFin wieder besetzt werden - das Gesetz soll regeln, was die beiden eigentlich tun sollen.
Egal wie es ausgeht, die beiden Kontrahenten werden noch oft aufeinandertreffen. Axel Weber ist als Bundesbankchef unkündbar, und trotz seines Ärgers über Sanios Ausrutscher plant Ressortchef Steinbrück weiter mit dem BaFin-Chef.
Die Herren der Banken
Jochen Sanio Als Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist Sanio der oberste Finanzwächter in Deutschland. Die BaFin kontrolliert Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte. Nur sie kann in Deutschland eine Bank schließen oder Vorstände austauschen. Zudem hat die BaFin das Recht, Sonderprüfungen eines Instituts zu veranlassen. Wegen eines Betrugsfalls in seiner eigenen Behörde wurde Sanio im vergangenen Jahr scharf attackiert.
Peer Steinbrück Das Bundesfinanzministerium beaufsichtigt die BaFin und ist im Kontrollgremium der Behörde vertreten. Zudem werden in Berlin die gesetzlichen Grundlagen der Finanzaufsicht erstellt. Ein aktueller Gesetzentwurf sieht vor, dass das Ministerium mehr Einfluss auf die BaFin erhalten soll. Dazu soll ein Steuerungsausschuss eingerichtet werden, der die Aufsicht koordiniert. Ferner soll Sanio in ein Führungsgremium eingebunden werden.
Axel Weber Auch die Bundesbank ist an der Finanzaufsicht beteiligt. Ihre Mitarbeiter sind für die laufende Prüfung zuständig und inspizieren die Bilanzen der Institute. In seiner Rolle als Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidet Weber über die Geldpolitik in der Euro-Zone - und übt damit direkt Einfluss auf die Finanzstabilität aus. Zuletzt hat die EZB mehrmals mehrere Milliarden Euro in das Finanzsystem gepumpt, um einen Kollaps zu verhindern.
Von Mark Schieritz, Ute Göggelmann (Frankfurt) und Guido Bohsem (Berlin)
Quelle: Financial Times Deutschland
J.B.