Kreditmärkte
Subprimes sind nur der Anfang
Von Matthew Goldstein und David Henry
Bear Stearns steckt in Schwierigkeiten
03. August 2007
Der im Finanzsektor wütende Virus hat den amerikanischen Aktienmarkt seit Jahresbeginn mehr als 200 Milliarden Dollar gekostet, und die Anleger fragen sich, wie weit er sich noch ausbreitet.
Am 31. Juli setzte der Aktienmarkt die eine Woche zuvor begonnene Talfahrt fort, und auch diesmal wurde die Verkaufswelle von schlechten Nachrichten eines Finanzunternehmens ausgelöst. Aktien von American Home Mortgage Investment stürzten im freien Fall um 88 Prozent, nachdem der Hypothekenfinanzierer davor warnte, dass er mit schwerwiegenden Liquiditätsengpässen kämpfe und möglicherweise vor dem Aus stehe.
Risikoreiche Finanzierungen
Im bisherigen Jahresverlauf hat der viel beachtete KBW-Bank-Index der 24 größten Kreditgeber hauptsächlich infolge der Krise bei Subprime-Hypotheken zehn Prozent an Wert verloren. Und da Finanztitel mit 20 Prozent den größten Anteil am S&P-500-Aktienindex ausmachen, haben sich die Probleme fortgepflanzt. Ohne Finanztitel hätte der S&P-500 bis Juli 2007 5,6 Prozent anstelle der aktuell mageren 2,6 Prozent im Plus gelegen.
Als wären die Bedingungen für Finanzdienstleister nicht bereits schwierig genug, deuten sich für die kommenden Monate Zeichen weiterer Probleme an - Probleme, die sich für den breiteren Aktienmarkt als zusätzliche Belastung erweisen könnten.
Die Turbulenzen auf dem Subprime-Markt haben die Grenzen der Hypothekenbranche bereits weit überschritten. Fünf Hedge-Fonds sind bis dato kollabiert. Aktuell geht die Angst um, dass sich der jüngste Rückgang der Märkte für Unternehmenskredite und Risikoanleihen verstärken könnte und das Geschäft mit kreditfinanzierten Übernahmen - den Goldesel der Investmentbanken - gefährden könnte. Zudem wachsen die Befürchtungen, dass Banken einen Teil der 300 Milliarden Dollar schweren Darlehenszusagen für bereits in Vorbereitung befindliche Übernahmen in den Kamin schreiben können.
Investmentbanken unter Druck
Die Stimmung hat sich dermaßen eingetrübt, dass Derivatehändler inzwischen darauf wetten, dass die von großen Investmentbanken ausgegebenen Anleihen bis in die Nähe der Niveaus von Junkbonds absacken könnten. Nach einer von Moody's Credit Strategies Group erstellten Analyse gehandelter Derivate wird die Kreditwürdigkeit von Goldman Sachs Group und Lehman Brothers derzeit auf Augenhöhe mit jener des Kasinobetreibers Caesars Entertainment gewertet.
Ganz so schlimm dürfte die Lage für die größten amerikanischen Investmentbanken und Broker allerdings nicht sein. Die Rating-Agenturen Moody's und Standard & Poor's halten an ihren Bonitätseinstufungen der meisten Finanzunternehmen fest. Peter Nerby, Senior Vice-President von Moody's, erinnert daran, dass Investmentbanken das Risikomanagement beherrschen und über reichliche Ressourcen verfügen, um Durststrecken zu überstehen. „Beim Risikomanagement kommt es vor allem darauf an, schwere Treffer und Schocks zu vermeiden, weshalb eine hohe Liquidität angestrebt wird“, so Nerby.
Turbulenzen und ihre Opfer
Über der Wall Street haben sich dunkle Wolken zusammengezogen. Fast zwei Dutzend bedeutende Finanzierungsvorhaben für schwebende Transaktionen sind zum Stillstand gekommen, darunter die bereits verschobenen Emissionen zur Finanzierung der Übernahmen von Chrysler und Allison Transmission (der Getriebesparte von General Motors).
Die Wall Street vertraut derweil darauf, dass sich der Himmel über den Kreditmärkten im September aufhellen wird, wenn große institutionelle Investoren aus ihrem Sommerurlaub zurückkehren. Ein wenig Gottvertrauen gehört wohl dazu. „Investmentbanker und [Private-Equity-]Finanziers sagen: 'Sobald der Tag der Arbeit (in den Vereinigten Staaten der erste Montag im September) hinter uns ist, wird alles gut. Nachdem wir uns alle ein wenig abgekühlt haben, geht es wieder in alter Frische ans Werk'“, so Martin Fridson, Vorstandschef von FridsonVision, einem auf Hochzinsanleihen spezialisierten Analysehaus. „Doch angesichts der auf den Markt tretenden neuen Probleme steht diese Hoffnung auf tönernen Füßen“, fügt er hinzu.
Wenn Fremdkapitalinvestoren weiterhin skeptisch bleiben, wird den Banken nichts anderes übrig bleiben, als die Darlehen und Hochzinsanleihen mit höheren Zinssätzen auszustatten und die Differenz auf die eigenen Bücher zu nehmen. Michael Mayo, Analyst bei der Deutschen Bank, geht davon aus, dass Kreditgeber allein auf diese Weise bis zu sechs Milliarden Dollar verlieren könnten.
Gewinnbelastungen in der zweiten Jahreshälfte möglich
Es sei durchaus wahrscheinlich, dass einige schwebende kreditfinanzierte Übernahmen nicht ausgeführt werden, behaupten Analysten. Dies wäre für Investmentbanken auch aus einem anderen Grund problematisch: Sie erhalten ihre Beratergebühren für Fusionen und Übernahmen erst nach Transaktionsabschluss.
Nach Angaben des Informationsdienstleisters Dealogic zahlten Private-Equity-Gesellschaften in der ersten Jahreshälfte 2007 die Rekordsumme von insgesamt 9,6 Milliarden Dollar in Form von Investment-Banking-Gebühren, ein Anstieg von 35 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum. Für die Unternehmen an der Wall Street könnten Teile dieser Einnahmen wegbrechen. „Der Wall Street wird in der zweiten Jahreshälfte in punkto Gewinne ein rauer Wind ins Gesicht wehen“, sagt Brad Hintz, Analyst bei Sanford C. Bernstein.
Die Turbulenzen auf den Kreditmärkten könnten wahrscheinlich weitere Opfer unter amerikanischen und ausländischen Hedge-Fonds fordern. Im Juni kollabierten zwei große Hedge-Fonds der Investmentbank Bear Stearns, ein dritter geriet Ende Juli in Schieflage. Der von James Pallotta verwaltete 11 Milliarden Dollar schwere Raptor Global Fund verzeichnete zwischenzeitlich in nur einem Monat einen Verlust von neun Prozent, während zwei Hedge-Fonds der australischen Macquarie Bank im bisherigen Jahresverlauf 25 Prozent an Wert einbüßten.
„Übermäßige Liquidität“
Sowood Capital Management wirft derweil das Handtuch. Der einst drei Milliarden Dollar mächtige Fonds verlor in den jüngsten Monaten fast die Hälfte seines Werts infolge von Fehlspekulationen mit „Credit Spreads“ - der Renditedifferenz zwischen einer Unternehmensanleihe und einer risikolosen Staatsanleihe gleicher Laufzeit.
Die größte Sorge ist, dass die Malaise der Märkte für Hochzinsanleihen auf den traditionellen Unternehmensanleihemarkt übergreift, eine massive Kreditklemme auslöst und damit die Wirtschaft schwächt. Dieses Szenario erscheint durchaus wahrscheinlich.
Nach Zahlen von Dealogic ging die Emission von Investment-Grade-Unternehmensanleihen im Juli um 72 Prozent gegenüber dem Vormonat und um 34 Prozent gegenüber Juli 2006 zurück. Einige sehen die Lage auf den Märkten für Subprime-Hypotheken und Übernahmekredite als Vorboten für sich weiter ausbreitende Probleme auf den Kreditmärkten. Greg Jensen, Co-Chief Investment Officer beim Vermögensverwalter Bridgewater Associate, schrieb am 31. Juli in einer Kundenmitteilung: „Beide Probleme sind lediglich Symptome einer [...] signifikanten finanziellen Anfälligkeit, die durch übermäßige Liquidität über einen zu großen Zeitraum entstanden ist.“
Subprimes sind nur Anfang
„Rosige Zeiten währen nicht ewig. Wir haben lange in einer rosigen Welt mit Renditedifferenzen auf historisch engem Niveau gelebt. Diese Zeiten scheinen nun zu Ende zu gehen“, ergänzt Leslie Rahl, Vorsitzender von Capital Market Risk Advisors und ehemaliger Co-Leiter der Derivateabteilung der Citibank.
Der Kollaps von American Home Mortgage Investment führt uns vor Augen, dass der Hypothekenmarkt weiterhin eine ernste Bedrohung darstellt. Die Kunden des Unternehmens waren letztlich Kreditnehmer mit im Allgemeinen relativ guter Bonität - ein Indiz dafür, dass das Hypothekendebakel nicht länger allein auf den Bereich der riskanten Subprime-Kreditnehmer beschränkt ist.
Im verbleibenden Jahr und Anfang des kommenden Jahres wird eine große Zahl variabel verzinslicher Hypotheken auf höhere Zinssätze umgestellt werden. Die gestiegenen monatlichen Zahlungen könnten dann selbst Kreditnehmer mit guter Bonität in Bedrängnis bringen und eine neue Runde bei Hypothekenausfällen einläuten.
All das könnte den Finanzsektor - und den breiteren Aktienmarkt - weiter belasten. „Der Aktienmarkt hat den Ernst der Lage bislang noch nicht erkannt“, warnt Warns Bradley Golding, leitender Geschäftsführer von Christofferson, Robb & Co, einem Vermögensverwalter mit Schwerpunkt auf Investitionen in Anleihen.
Matthew Goldstein ist Mitherausgeber von BusinessWeek und befasst sich mit den Themen Hedge-Fonds und Finanzierung. David Henry ist leitender Redakteur bei BusinessWeek. Unter Mitarbeit von Aaron Pressman in Boston.
Text: Business Week Online