„Blockchain? Keine Priorität“ – Die deutschen Banken verschlafen die Zukunft
Mehr als die Hälfte der Topmanager hält Blockchain für eine relevante Technologie – aber nur drei Prozent experimentieren mit ihr.
Bitcoin-Produktion in Kanada
Viele Firmen verdienen an Blockchain-Anwendungen, kommen meist aber nicht aus Deutschland.
Wohin steuert der Bitcoin, und mit ihm die vielen anderen Kryptowährungen? Einschätzungen, Hintergründe und Anekdoten gibt es jede Woche von den Handelsblatt-Redakteuren Astrid Dörner, Felix Holtermann und Frank Wiebe in unserer neuen Krypto-Kolumne „Coin & Co.“.
Heute Teil 24: Wunsch und Wirklichkeit beim Thema Blockchain.
Die deutsche Finanzindustrie könnte eine wichtige Zukunftsentwicklung verschlafen. Wie aus einer neuen Studie des Beratungsunternehmens PWC hervorgeht, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, hält mehr als die Hälfte aller befragten Topmanager das Thema Blockchain für wichtig. Praktische Schlüsse ziehen die Finanzexperten daraus jedoch nicht.
52 Prozent der Führungskräfte deutscher Finanzdienstleister stufen die Datenbank-Technik demnach als „für das Geschäft relevant“ ein, 46 Prozent geben an, mit der Blockchain „mindestens moderat“ vertraut zu sein. Fast zwei Drittel glauben, dass sie ihr Geschäftsmodell in den kommenden zehn Jahren mindestens „in mittlerem Umfang“ beeinflussen wird.
Sich darauf einzustellen, halten die Manager von Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern jedoch offenbar nicht für nötig. Drei Viertel der Befragten investieren praktisch kein Geld in das Thema. Für zwei Drittel ist die Blockchain kein Teil der Unternehmensstrategie. Die Technologie taucht also weder in Zukunftsplänen auf, noch werden mögliche Partnerschaften geprüft oder Testläufe initiiert. Nur drei Prozent der deutschen Finanzdienstleister setzen sie bereits ein oder wollen das zeitnah tun.
„Wir wollten wissen, handelt es sich bei der Technologie nur um einen Hype oder steckt mehr dahinter“, erklärt PWC-Direktor Thomas Schönfeld. Dass sich Banken, Versicherer und Vermögensverwalter lange mit einer Beobachterrolle begnügten, hält er für „durchaus nachvollziehbar“. Schließlich könne niemand exakt vorhersagen, wohin die Entwicklung gehe. Doch nun sei es Zeit für einen Kurswechsel.
„Die Untersuchung bestätigt die Befürchtung, dass die Unternehmen ein wichtiges Zukunftsthema verschlafen könnten.“ Zwar sei die Zahl derjenigen, die die Blockchain-Technik für irrelevant halten, im Vergleich zur ersten Untersuchung leicht gesunken. Aber: „Immer noch wird viel zu wenig Geld in die Umsetzung investiert. Die Diskrepanz zur zugeschriebenen Bedeutung der Blockchain ist eklatant.“
Nur zwei Prozent der Befragten hat ein Budget von mehr als 100.000 Euro bereitgestellt – und will zu den ersten am Markt gehören, die die Technik einsetzen. Die erdrückende Mehrheit aber will sich keinen Startvorteil gegenüber den Wettbewerbern erarbeiten: Drei Viertel wollen die Blockchain sogar erst dann einsetzen, wenn sie bereits am Markt etabliert ist. Dann könnte es jedoch zu spät sein, warnt Schönfeld: „Die Blockchain wird die Finanzindustrie verändern. Wer in fünf Jahren mit dabei sein will, muss jetzt die strategischen Weichen für das Blockchain-Zeitalter stellen.“
Welche Anwendungen werden bald Realität? Drei Viertel der befragten Manager glaubt, dass die Blockchain bei Anwendungen zur Informationssicherheit und in der Betrugsverhinderung zum Einsatz kommen könnte. Mehr als die Hälfte sieht ihre Stärken in effizienterer Beglaubigung, Dokumentation und Prozessprüfung. Knapp die Hälfte glaubt an einen Durchbruch von Kryptowährungen wie Bitcoin und virtuellen Börsengängen (ICOs) und geht davon aus, dass diese Blockchain-Anwendungen schon in den kommenden fünf Jahren die Finanzindustrie beeinflussen werden. Selbst engagieren wollen sich hier jedoch nur sieben Prozent.
Professor Philipp Sandner, Leiter des Blockchain Center der Frankfurt School of Finance and Management, hält das gemütliche Tempo der deutschen Manager für problematisch.
„Die deutsche Finanzindustrie produziert große Versprechungen und viele Pressemitteilungen. Der echte Einsatz lässt auf sich warten“, sagt er. Zwar brauche es fünf bis zehn Jahre, bis sich eine neue Technologie in der Breite durchsetze. Doch schon heute müsste der Einsatz der Blockchain-Technik durchgespielt werden, bevor andere das Feld besetzten, warnt Sandner.
Der Forscher hat nachgezählt: Seiner Rechnung zufolge, die zu großen Teilen auf bestätigten Zahlen beruht, arbeiten in den 30 deutschen Dax-Unternehmen rund 500 Vollzeitmitarbeiter an Blockchain-Anwendungen. In Beratungsfirmen wie Accenture oder Capgemini sind es in Deutschland noch einmal rund 200. „Ist das viel?“, fragt Sandner. „Ja und nein.“
„Die eigentliche Aktivität findet außerhalb unserer Wahrnehmung statt, und zwar weltweit in Tausenden Start-ups, die längst eigene Projekte vorantreiben. Nicht nur die deutsche Finanzbranche droht, abgehängt zu werden“, so seine Warnung. Während zum Beispiel bei der Deutschen Bank von knapp 100.000 Mitarbeitern rund um den Globus weniger als 20 in Vollzeit am Blockchain-Thema arbeiteten, beschäftige allein das weitgehend unbekannte südkoreanische Start-up Glosfer rund 85 Entwickler. Schon heute arbeiten weltweit etwa 150.000 Entwickler an Anwendungen auf der zweitgrößten Blockchain-Plattform Ethereum. Viele kommen aus Asien, sind jung und gut ausgebildet. Zwar seien darunter auch Teilzeitkräfte und Autodidakten, gibt Sandner zu bedenken. „Aber allein dieser Gegensatz – 500 Mitarbeiter versus 150.000 Entwickler – zeigt doch, wohin die Reise geht.“
Die Haltung mancher deutscher Manager, die die Bedeutung der Technik betonen, aber kaum in entsprechende Talente und Testläufe investieren, fasst Sandner provokant so zusammen: „Diese Manager sagen nichts anderes als: Wir möchten die Technologie gerne einsetzen. Aber wir akzeptieren, dass sie anderswo entwickelt wird. Und zahlen in Zukunft für Softwarelizenzen, möglicherweise aus Asien.“
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