Thomas Fricke - Obama goes Oskar
von Thomas Fricke
Amerika wird wahrscheinlich einen Präsidenten wählen, dessen Wirtschaftsprogramm hierzulande nur die Linkspartei bietet. Nach gängiger hiesiger Lehre der Untergang, aber für die USA womöglich die Rettung.
In den USA müssen Ölkonzerne künftig einen Teil ihrer Gewinne opfern, um Familien zu stützen. Die Reichen müssen mehr Steuern zahlen. Dafür werden Firmen bestraft, die Jobs im Ausland schaffen - oder sich nicht an Sozialstandards halten. Der Staat soll mehr für Infrastrukturprojekte ausgeben, der Mindestlohn einfach automatisch mit der Inflation steigen. Und Gewerkschafter werden besser geschützt, wenn sie ihre Firma bestreiken wollen.
Sie haben recht: Das klingt so, als würden die Amerikaner nächsten Dienstag Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wählen. Was natürlich Quatsch ist. Das würden die Amerikaner nicht tun. Kein Quatsch ist, dass die Vorschläge bei Barack Obama im Wahlprogramm stehen. Das tun sie. Und den wollen die Amerikaner am Dienstag tatsächlich wählen, wenn Umfragen und Experten nicht völlig danebenliegen.
Die Frage ist, ob das für die USA den endgültigen Untergang bedeutet, wie es nach herrschender Lehre in Deutschland der Fall wäre. Oder ob Obamas Paradigmenwechsel dazu beiträgt, dass die US-Wirtschaft unter dem neuen Präsidenten sogar schneller über ihre Krise hinwegkommt. Was nicht unplausibel ist.
Mehr Geld gegen einstürzende Brücken
Natürlich ist es ökonomisch zweifelhaft, Firmen für mangelnden Patriotismus zu bestrafen oder Mindestlöhne an die Inflation zu binden. In Spanien hat das gerade zu einer Spirale aus steigenden Ölpreisen, Löhnen und mehr Inflation geführt. Alle Versprechen zusammen würden wohl auch so viel kosten, dass man damit noch die Banken der Milchstraße retten könnte. Selbst Obama hat daher schon gesagt, dass er für das ein oder andere Vorhaben womöglich erst mal den Zustand der Staatsfinanzen checken muss.
Was übrig bleibt, dürfte zum Paradigmenwechsel dennoch reichen - einem Wechsel, den prominente US-Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Larry Summers oder der frisch designierte Nobelpreisträger Paul Krugman seit Jahren gedanklich vorbereitet haben.
Wenn Obama dreistellige Milliardenbeträge für Straßen, Brücken oder Schienen ausgeben will, hat das mit Verpulvern wenig zu tun - sondern auch mit 30 Jahren Staatsschelte aus der Reagonomics-Mottenkiste, nach denen in Amerika gern mal eine Brücke zusammenbricht oder Flutwellen Städte zertrümmern. David Milleker, Chefökonom bei Union Investment, zufolge wird der Nachholbedarf staatlicher Infrastrukturinvestitionen auf bis zu 1500 Mrd. $ geschätzt. Ähnliches gilt nach acht Jahren Bush-Klemme für Investitionen ins Klima.
Als ökonomisch sinnvoll könnte sich auch Obamas Großplan erweisen, in den USA eine staatliche Krankenversicherung zu etablieren. Studien von Verhaltensökonomen lassen am Dogma der Reagan-Bush-Hartz-Zeit zweifeln, wonach es Menschen ganz toll motiviert, wenn sie sozial möglichst wenig abgesichert sind. Für die USA könnte heute eher zutreffen, dass allzu viel Angst im Hirn irgendwann blockiert - oder zu wundersamen Versuchen animiert, etwa über Subprime-Kredite reich zu werden.
Obama mag versuchen, die Stimmung im Land zu treffen, wenn er mehr Steuern für Reiche oder Entlastung für die Mittelschicht preist (was nicht schlecht sein muss). Es könnte auch zur ökonomischen Antwort auf das akute Desaster werden. Derzeit platzt die naive Vorstellung der Angebotslehre, dass möglichst stark auseinanderdriftende Einkommen per se den Arbeitsanreiz steigern. Ebenso wie die Vorstellung, dass Finanzmärkte nur genügend liberalisiert sein müssen, damit alles gut wird.
Beide Dogmen zusammen haben dazu beigetragen, dass am Ende absurde 40 Prozent aller Gewinne in der US-Wirtschaft von Banken, Hedge-Fonds und anderen Finanzjongleuren gemacht wurden - obwohl die Branche nur für acht Prozent der Wirtschaftsleistung steht. Das hat desaströs gewirkt: weil die Finanzindustrie ihre Gewinne immer mehr mit sich selbst gemacht hat - und das Geld dafür weniger in reale Investitionen und Realeinkommen für den Rest Amerikas floss. Das Wirtschaftsmodell habe seit Reagan darauf gebaut, dass die Amerikaner auf höhere Löhne verzichten, trotzdem aber mehr konsumieren und dafür zur Bank gehen, unkt Milleker. "Was jetzt crasht, ist ein Modell, das auf Kreditwachstum gesetzt hat", so Véronique Riches-Flores von der Société Générale.
Möglich, dass Obama da genau richtig kommt. Nach dem Schrumpfen der Finanzwelt wird es künftig wieder mehr auf reale Ausgaben statt auf virtuelle Akrobatik ankommen - und darauf, dass möglichst viele vom Wachstum profitieren, weil sie dann mehr Geld zum Ausgeben haben. Da hilft es, die Wirtschaft mit modernerer Infrastruktur auszustatten - statt im Irak jede Woche Milliarden Dollar zu verpulvern. Da hilft es auch, Steuern für die Mittelschicht zu senken, um wieder mehr kreditfreien Konsum zu ermöglichen - oder um Kredite abzubezahlen, ohne dafür auf Konsum verzichten zu müssen.
Der neue US-Präsident wird erst mal verhindern müssen, dass aus der latenten Rezession eine tiefe Depression wird. Das nächste Konjunkturpaket kommt bestimmt, alles andere wäre auch fahrlässig. Vielleicht wird Amerika schließlich sogar überraschend gut aus der Finanzkrise kommen. Immerhin sinkt schon jetzt das jahrelang beklagte US-Außendefizit drastisch - von einst sieben auf voraussichtlich nur noch drei Prozent der Wirtschaftsleistung 2009. Das ist kein Drama mehr, so Milleker. Mit jedem weiteren Einbruch am Immobilienmarkt naht der Moment, wo auch die US-Immobilienblase weg ist - eine zweite Hauptursache der Krise.
Wenn am Dienstag dann noch ein Präsident gewählt wird, dessen Programm bei maßvoll überarbeiteter Umsetzung zu einem solideren Wachstumsmodell beiträgt, könnten die USA nach vier Jahren Obama weit besser dastehen, als es die aktuelle Krise vermuten lässt.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder
www.ftd.de/meinung/leitartikel/...Obama-goes-Oskar/432941.html
von Thomas Fricke
Amerika wird wahrscheinlich einen Präsidenten wählen, dessen Wirtschaftsprogramm hierzulande nur die Linkspartei bietet. Nach gängiger hiesiger Lehre der Untergang, aber für die USA womöglich die Rettung.
In den USA müssen Ölkonzerne künftig einen Teil ihrer Gewinne opfern, um Familien zu stützen. Die Reichen müssen mehr Steuern zahlen. Dafür werden Firmen bestraft, die Jobs im Ausland schaffen - oder sich nicht an Sozialstandards halten. Der Staat soll mehr für Infrastrukturprojekte ausgeben, der Mindestlohn einfach automatisch mit der Inflation steigen. Und Gewerkschafter werden besser geschützt, wenn sie ihre Firma bestreiken wollen.
Sie haben recht: Das klingt so, als würden die Amerikaner nächsten Dienstag Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wählen. Was natürlich Quatsch ist. Das würden die Amerikaner nicht tun. Kein Quatsch ist, dass die Vorschläge bei Barack Obama im Wahlprogramm stehen. Das tun sie. Und den wollen die Amerikaner am Dienstag tatsächlich wählen, wenn Umfragen und Experten nicht völlig danebenliegen.
Die Frage ist, ob das für die USA den endgültigen Untergang bedeutet, wie es nach herrschender Lehre in Deutschland der Fall wäre. Oder ob Obamas Paradigmenwechsel dazu beiträgt, dass die US-Wirtschaft unter dem neuen Präsidenten sogar schneller über ihre Krise hinwegkommt. Was nicht unplausibel ist.
Mehr Geld gegen einstürzende Brücken
Natürlich ist es ökonomisch zweifelhaft, Firmen für mangelnden Patriotismus zu bestrafen oder Mindestlöhne an die Inflation zu binden. In Spanien hat das gerade zu einer Spirale aus steigenden Ölpreisen, Löhnen und mehr Inflation geführt. Alle Versprechen zusammen würden wohl auch so viel kosten, dass man damit noch die Banken der Milchstraße retten könnte. Selbst Obama hat daher schon gesagt, dass er für das ein oder andere Vorhaben womöglich erst mal den Zustand der Staatsfinanzen checken muss.
Was übrig bleibt, dürfte zum Paradigmenwechsel dennoch reichen - einem Wechsel, den prominente US-Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Larry Summers oder der frisch designierte Nobelpreisträger Paul Krugman seit Jahren gedanklich vorbereitet haben.
Wenn Obama dreistellige Milliardenbeträge für Straßen, Brücken oder Schienen ausgeben will, hat das mit Verpulvern wenig zu tun - sondern auch mit 30 Jahren Staatsschelte aus der Reagonomics-Mottenkiste, nach denen in Amerika gern mal eine Brücke zusammenbricht oder Flutwellen Städte zertrümmern. David Milleker, Chefökonom bei Union Investment, zufolge wird der Nachholbedarf staatlicher Infrastrukturinvestitionen auf bis zu 1500 Mrd. $ geschätzt. Ähnliches gilt nach acht Jahren Bush-Klemme für Investitionen ins Klima.
Als ökonomisch sinnvoll könnte sich auch Obamas Großplan erweisen, in den USA eine staatliche Krankenversicherung zu etablieren. Studien von Verhaltensökonomen lassen am Dogma der Reagan-Bush-Hartz-Zeit zweifeln, wonach es Menschen ganz toll motiviert, wenn sie sozial möglichst wenig abgesichert sind. Für die USA könnte heute eher zutreffen, dass allzu viel Angst im Hirn irgendwann blockiert - oder zu wundersamen Versuchen animiert, etwa über Subprime-Kredite reich zu werden.
Obama mag versuchen, die Stimmung im Land zu treffen, wenn er mehr Steuern für Reiche oder Entlastung für die Mittelschicht preist (was nicht schlecht sein muss). Es könnte auch zur ökonomischen Antwort auf das akute Desaster werden. Derzeit platzt die naive Vorstellung der Angebotslehre, dass möglichst stark auseinanderdriftende Einkommen per se den Arbeitsanreiz steigern. Ebenso wie die Vorstellung, dass Finanzmärkte nur genügend liberalisiert sein müssen, damit alles gut wird.
Beide Dogmen zusammen haben dazu beigetragen, dass am Ende absurde 40 Prozent aller Gewinne in der US-Wirtschaft von Banken, Hedge-Fonds und anderen Finanzjongleuren gemacht wurden - obwohl die Branche nur für acht Prozent der Wirtschaftsleistung steht. Das hat desaströs gewirkt: weil die Finanzindustrie ihre Gewinne immer mehr mit sich selbst gemacht hat - und das Geld dafür weniger in reale Investitionen und Realeinkommen für den Rest Amerikas floss. Das Wirtschaftsmodell habe seit Reagan darauf gebaut, dass die Amerikaner auf höhere Löhne verzichten, trotzdem aber mehr konsumieren und dafür zur Bank gehen, unkt Milleker. "Was jetzt crasht, ist ein Modell, das auf Kreditwachstum gesetzt hat", so Véronique Riches-Flores von der Société Générale.
Möglich, dass Obama da genau richtig kommt. Nach dem Schrumpfen der Finanzwelt wird es künftig wieder mehr auf reale Ausgaben statt auf virtuelle Akrobatik ankommen - und darauf, dass möglichst viele vom Wachstum profitieren, weil sie dann mehr Geld zum Ausgeben haben. Da hilft es, die Wirtschaft mit modernerer Infrastruktur auszustatten - statt im Irak jede Woche Milliarden Dollar zu verpulvern. Da hilft es auch, Steuern für die Mittelschicht zu senken, um wieder mehr kreditfreien Konsum zu ermöglichen - oder um Kredite abzubezahlen, ohne dafür auf Konsum verzichten zu müssen.
Der neue US-Präsident wird erst mal verhindern müssen, dass aus der latenten Rezession eine tiefe Depression wird. Das nächste Konjunkturpaket kommt bestimmt, alles andere wäre auch fahrlässig. Vielleicht wird Amerika schließlich sogar überraschend gut aus der Finanzkrise kommen. Immerhin sinkt schon jetzt das jahrelang beklagte US-Außendefizit drastisch - von einst sieben auf voraussichtlich nur noch drei Prozent der Wirtschaftsleistung 2009. Das ist kein Drama mehr, so Milleker. Mit jedem weiteren Einbruch am Immobilienmarkt naht der Moment, wo auch die US-Immobilienblase weg ist - eine zweite Hauptursache der Krise.
Wenn am Dienstag dann noch ein Präsident gewählt wird, dessen Programm bei maßvoll überarbeiteter Umsetzung zu einem solideren Wachstumsmodell beiträgt, könnten die USA nach vier Jahren Obama weit besser dastehen, als es die aktuelle Krise vermuten lässt.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder
www.ftd.de/meinung/leitartikel/...Obama-goes-Oskar/432941.html