von Martin Virtel und Oliver Wihofszki, Hamburg
Der Computerkonzern IBM wird nach Ansicht von Branchenbeobachtern auf Abfindungsangebote setzen, um den angekündigten Umbau des Europageschäfts schnell umzusetzen. Dennoch hatte der Konzern es in der Vergangenheit versäumt, sein Kerngeschäft mit Computerdienstleistungen profitabler zu machen.Ein Mitarbeiter des IT-Konzerns IBM pfeift während einer Protestkundgebung vor der IBM-Hauptverwaltung in Stuttgart-Vaih"IBMhat den besten Ruf der Branche, wenn es um den Umgang mit dem Personal geht", sagte Ian Wesley von der Marktforschungsfirma Ovum. "Ich erwarte, dass sie hier großzügig sind - vermutlich sogar etwas zu großzügig."
IBM hatte es in der Vergangenheit versäumt, sein Kerngeschäft mit Computerdienstleistungen profitabler zu machen. In der vergangenen Woche hatte der Konzern die Streichung von bis zu 13.000 Stellen und einen Umbau des Europageschäftes angekündigt.
Finanzvorstand Mark Loughridge hatte in der vergangenen Woche gesagt, dass ein Großteil von IBMs Zielen in Europa durch die freiwillige Auflösung von Arbeitsverträgen erreicht werden könne. Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern machten "sehr gute Fortschritte". In den USA, wo Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertreter in der IT-Branche keine Rolle spielen, werden die fälligen Kürzungen mit Hilfe von Kündigungen umgesetzt.
"Golden handshake" macht die Runde
Nach Informationen der FTD hat IBM in Hannover und Schweinfurt die Abfindungsangebote bis Ende Mai verlängert. Beide Standorte werden bis Ende September geschlossen, 580 Stellen fallen weg. Nach Ansicht von Gewerkschaftsvertretern sind in Deutschland bis zu 2500 Stellen bei IBM bedroht. IBM macht selbst keine länderspezifischen Angaben zu den Kürzungen.
Im Konzern macht das Abfindungsprogramm auch als "golden handshake", also als goldener Handschlag, die Runde. Rechnet man die vom Konzern veranschlagten Kosten von maximal 1,7 Mrd. $ auf die geplanten 13.000 Entlassungen herunter, ergibt das pro Arbeitsplatz rund 130.000 $, etwas mehr als 100.000 Euro.
Bei IBM Deutschland wird davon ausgegangen, dass das Forschungszentrum in Böblingen kaum von den Kürzungen betroffen sein wird. "Da werden die kaum rangehen. Der Schwerpunkt wird in der Sparte Global Services liegen", sagte ein IBM-Mitarbeiter aus der Deutschlandzentrale. Böblingen ist mit 1700 Mitarbeitern aus über 30 Nationen eines der größten IBM-Forschungszentren weltweit.
Auch an anderen Standorten ist die Lage vergleichsweise entspannt: Ende Mai wird IBM Deutschland ein hochmodernes Rechenzentrum in Frankfurt eröffnen - von dort aus sollen die Deutsche Bank und andere Kunden aus der Finanzdienstleistungsbranche bedient werden.
Der seit September des vergangenen Jahres amtierende IBM-Deutschlandchef Johann Weihen äußerte sich bislang nicht zum hier zu Lande drohenden Stellenabbau. Innerhalb IBMs gilt Weihen als Chef, der sich fast ausschließlich um das operative Geschäft kümmert. "Nach außen hin redet er eigentlich nur mit Kunden", heißt es über Weihen.
Er ist mit diesem Selbstverständnis ein Vertreter der "neuen" IBM, die Finanzvorstand Loughridge vergangene Woche als Ergebnis der Renovierung von IBM in Europa skizziert hatte. Die Mitarbeiter sollen sich stärker als bisher direkt mit dem Kunden engagieren
IBM ködert Mitarbeiter mit Abfindungen
von Martin Virtel und Oliver Wihofszki, Hamburg
Von Martin Virtel
Mit der Entlassungswelle räumt IBM auch eine angestaubte Struktur aus den 1960er Jahren beiseite: Im Pariser Büroviertel La Défense war in der IBM-Europazentrale ein Wasserkopf entstanden, der für die Koordination der Geschäfte in Europa, im Nahen Osten und in Afrika zuständig war. Nach der englischen Abkürzung werden diese Regionen auch unter dem Kürzel EMEA zusammengefasst. Dieses Konstrukt wird nun abgeschafft.
Statt mit sich selbst sollen sich die EMEA-Hierarchien künftig stärker mit den Kunden beschäftigen und damit für mehr Umsatz sorgen. Zwei schlankere Bürokratien mit jeweils rund 200 Mitarbeitern in Madrid und Zürich werden die Koordinationsaufgaben der knapp 900 Mann starken EMEA-Truppe übernehmen.
Die administrative Teilung Europas und die Verschlankung der Koordination ist überfällig. SAP hat diese Wandlung bereits vor IBM gestartet. Andere Technologiekonzerne wie Microsoft oder Hewlett-Packard werden folgen und Kompetenzen dorthin verlagern, wo das Geschäft gemacht wird. Technologien wie E-Mail, Internet oder Mobilfunk erleichtern die Koordination unabhängig von Ort und Zeit - die Technologiebranche lebt davon, dass sie anderen Firmen solche Konzepte verkauft. Jetzt ist sie selber dran.