Selbst wenn der europäische Erdgasverbrauch nach dem Kohle- und Atomausstieg nicht steigen sollte, müsste die 2022 auslaufende niederländische Gasförderung kompensiert werden. Dann etwa mit teurerem Flüssiggas? Dessen Umweltbilanz bleibt wegen der Schiffstransportwege und der aufwendigen Kühlung und Verflüssigung umstritten.
Umweltaspekte sprechen für Nord Stream 2
Im Falle US-amerikanischen Gases sind die Folgen des Fracking-Verfahrens zu berücksichtigen. Gerade die Umweltseite spricht für Nord Stream 2: Gegen den Austritt von Gas ist diese moderne Pipeline besser geschützt als ältere Pipelines. Und dank des modernen Stahls kann Nord Stream 2 sogar bis zu 70 Prozent mit Wasserstoff gefüllt werden.
Die gegenwärtige Kältewelle lässt momentan den Füllstand der deutschen Gasspeicher sinken und unterstreicht die Bedeutung einer verlässlichen Gasversorgung. Gerade auf dem Wärmemarkt spielt Gas eine wachsende Rolle. Nord Stream 2 ist der direkteste Weg zu den Feldern in Nord-Sibirien und damit ein wichtiger Baustein zur Sicherung der deutschen und europäischen Gasversorgung.
Für den Industriestandort Deutschland wäre es fatal, jetzt auch noch günstiges Pipelinegas künstlich zu verknappen, bevor Alternativen zur Verfügung stehen. Die Folgen wären überhöhte Gas- und Strompreise für die Verbraucher und der Verlust von Arbeitsplätzen. Wer die deutsche Wirtschaft schwächt, trifft am Ende auch die EU: Wo sollen denn die Steuereinnahmen für die Corona-Rettungspakete und wo die Investitionen für den Green Deal sonst herkommen?
Politiker, die gültige Baugenehmigungen für Nord Stream 2 und damit Rechtsgrundsätze der politischen Großwetterlage unterordnen, begeben sich auf dünnes Eis und riskieren milliardenschwere Schadensersatzforderungen – übrigens auch aus Russland. Die Bundesregierung tritt deshalb aus einer klugen Abwägung heraus für die Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 und gegen eine Politisierung europäischer Regeln ein.
Sanktionsdruck ist völkerrechtswidrig
Mit der neuen Regierung Biden in den USA gibt es eine Chance, den völkerrechtswidrigen Sanktionsdruck zu überwinden und eine Lösung für die Ukraine zu finden, sollte diese finanzielle Einbußen erleiden. Auch nach dem Auslaufen des Gastransitvertrages Ende 2024 bleibt das Land dank seiner riesigen Speicher eine unverzichtbare europäische Reserve.
Außerdem bietet sich Europas größter Flächenstaat als Produzent von Wasserstoff und grünem Strom an und sollte integraler Bestandteil des Green Deals werden. Wertschöpfungsketten im eigenen Land anstelle russischer Transitalimente – dies wäre die nachhaltigere Wirtschaftsperspektive für die Ukraine. Die deutsche Wirtschaft steht hier für intensive Kooperationen bereit.
Der Autor ist Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.
amp2.handelsblatt.com/meinung/...en-mittelstand/26902236.html