(Beitrag aus der WamS: Herr von Weizsäcker äußert sich emotionslos und realistisch)
Carl Christian von Weizsäcker über die deutsche Misere, das wirtschaftspolitische Chaos von Rot-Grün und die trübe Zukunft dieses Landes - Interview
WELT am SONNTAG: Herr von Weizsäcker, höhere Steuern und Sozialabgaben bei geringem Wachstum. Mehr Arbeitslose und Riesenlöcher in den öffentlichen Kassen. Ökonomen schlagen vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. Können Sie noch ein Konzept erkennen?
Carl Christian von Weizsäcker: Das, was die Schröder-Regierung derzeit tut, ist eine Ansammlung von Notmaßnahmen. Die werden jetzt ergriffen, weil die wahren Probleme nicht angefasst werden. Die Koalition versucht, den gegenwärtigen Status, der sich durch die schlechte Finanzlage allmählich als unhaltbar erweist, noch durch einige Flickmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Aber das ist natürlich keine langfristige Perspektive und damit auch kein Konzept.
WamS: Flickschusterei ist nicht gerade das, was man von einer frisch ins Amt gewählten Regierung erwartet. Wo ist der Dritte Weg, wo die Neue Mitte? Sind die Herren der Regierung nicht nur konzeptlos, sondern auch ahnungslos bei dem, was sie derzeit anrichten?
Von Weizsäcker: Das, was wir erleben, entspricht sozialdemokratischen Vorstellungen, nämlich ein hoher Staatsanteil, insbesondere im Sinne dessen, was man das Soziale nennt. Wir leben in diesem Land mittlerweile mit einer Staatstätigkeit, die nicht mehr finanzierbar ist. Der Staat redet überall rein. Diese Programmatik hat sich in Deutschland durchgesetzt. Und jede Änderung daran wäre aus dieser sozialdemokratischen Perspektive nur ein Rückschritt.
WamS: Das ist doch die Rhetorik der Linken. Schröder galt einst als Genosse der Bosse ...
Von Weizsäcker: Man muss sich eines ganz klar machen: Die SPD und die Gewerkschaften finden das gut und richtig, wie wir leben. Wir haben einen komfortabel ausgebauten Wohlfahrtsstaat. Wir haben eine Arbeitsmarktverfassung, die den Gewerkschaften passt - da ist die Regierung weit davon entfernt, mit großem Feuereifer Reformen anpacken zu wollen. Deshalb ist die Koalitionsvereinbarung auch so entsetzlich langweilig zu lesen.
WamS: Noch mal. Sie sprechen von der SPD. Was ist mit dem "modernen Kanzler Schröder"?
Von Weizsäcker: Gerhard Schröder hat sich davon verabschiedet. Natürlich weiß er, dass es so nicht weitergehen kann. Aber er will sich die Hände nicht schmutzig machen mit schmerzhaften Maßnahmen. Da setzt er lieber Kommissionen ein, wie jetzt die zur Reform der Renten- und Krankenversicherung unter Bert Rürup, damit er die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen abladen kann.
WamS: Kann man einen Industriestaat wie Deutschland von Kommissionen regieren lassen?
Von Weizsäcker: Es ist offenbar Schröders Idee von Politik, große Runden diskutieren und sich auf ein Reformkonzept einigen zu lassen. Er hat das mit dem Bündnis für Arbeit probiert, das gescheitert ist. Jetzt versucht er es auf dem Kommissionsweg. Den Stier selbst bei den Hörnern zu packen, das traut er sich nicht.
WamS: Sie beobachten diese Republik schon seit langem. Haben Sie jemals eine Phase erlebt, in der weder Regierung noch Opposition eine Idee hatten, wie es weitergehen soll?
Von Weizsäcker: Nein. Die Parteien wollen Wahlen gewinnen. Da ständig Wahlkampf ist, vermeiden die Parteien den Streit mit den Interessenverbänden. Das gilt auch für die Union. Sie ist jetzt wohl der Meinung, dass es besser ist, möglichst wenig davon zu reden, was da an unpopulären Maßnahmen auf uns zukommt, weil sie im Februar in Hessen und Niedersachsen die Wahlen gewinnen will.
WamS: Wollen die Deutschen unfähige Politiker?
Von Weizsäcker: Sicher nicht. Ich denke, es gibt eine ganze Menge von Leuten im Land, die wissen, dass es so nicht weitergehen kann, und die auch bereit wären, massive Einschränkungen auf sich zu nehmen. Der durchschnittliche Handwerksmeister und das durchschnittliche Gewerkschaftsmitglied sind durchaus vernünftige Leute. Aber die Vernunft, die beim Einzelnen da ist, verpufft in den Verbänden, weil die gegen jede Veränderung kämpfen. Jeder gute Krankenhaus-Manager weiß, dass wir eigentlich jedes zweite Krankenhaus im Land schließen könnten, aber die Verbände setzen durch, dass kein einziges geschlossen wird.
WamS: Die Lobbyisten drücken nur ihre Partikularinteressen durch. Die Parteien saugen diese nur gierig auf - wo driftet Deutschland in diesem Vakuum hin?
Von Weizsäcker: Politik ist wichtig, aber sie ist nicht das Wichtigste im Leben. Es werden Selbstkorrekturmechanismen in Gang kommen, nicht so sehr durch die Politik, sondern indem man einfach Vorschriften ignoriert. Die Schwarzarbeit wird sich ausdehnen, und man wird einfach trotz entgegenlaufender Bestimmungen der Gewerbeaufsicht Betriebe aufrechterhalten. In den mediterranen Ländern funktioniert das seit langem. Das wird auch bei uns kommen. Wenn der Staat sich nicht zurücknimmt, gleiten die Bürger durch zunehmende Missachtung der Gesetze und der Tarifverträge allmählich dem Staatsapparat und den Gewerkschaften aus den Händen.
WamS: Wo wird Deutschland 2006 nach noch mal vier Jahren Schröder stehen?
Von Weizsäcker: Es wird uns schlechter gehen als jetzt. Das ist sicher. Aber wir müssen gar nicht so weit vorgreifen. Wenn wir nichts tun, werden wir sehr viel schneller als 2006 in einer krisenhaften Situation sein. Die Kapitalmärkte werden sich von Deutschland abwenden. Kein Fonds in London investiert noch in deutsche Aktien. Und wenn sich in der Welt erst einmal herumspricht, dass die Stadt Berlin pleite ist und nur durch den Bund gerettet werden könnte, dass aber Herr Eichel noch nicht mal das Geld hat, Berlin zu retten, dann wird man sich fragen, ob man Deutschland eigentlich noch Geld leihen möchte. Das "Rating" für Bundesanleihen verschlechtert sich. Dann müssen Bund, Länder und Gemeinden höhere Zinsen zahlen. Dann setzt eine Spirale nach unten ein, an deren Ende die Regierung vielleicht doch gegen den Widerstand der Gewerkschaften die nötigen Reformen durchsetzen kann.
WamS: Wir sind doch schon ganz schön weit unten auf der Spirale.
Von Weizsäcker: Die Lage war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so kritisch wie jetzt, aber ich bin trotzdem optimistisch.
WamS: Na ...?
Von Weizsäcker: China zum Beispiel wird in 30 Jahren ein reiches Land sein und Deutschland überholen. Das Gleiche gilt für Indien. Die USA sind dann immer noch das reichste Land der Welt. Unser Lebensstandard wird nicht weitersteigen. Die Löhne werden sinken ...
WamS: Wo sehen Sie da Optimismus?
Von Weizsäcker: Wir können vom Reichtum der anderen profitieren. Die Chinesen und Inder kommen dann hierher und besichtigen den Kölner Dom oder den Reichstag in Berlin, und wir sind dann Reiseführer, wenn wir schon keine Maschinen mehr verkaufen können, weil unser Bildungssystem nicht funktioniert und ehrgeizige deutsche Ingenieure wettbewerbsfähige Innovationen im Ausland hervorbringen. Deutschland wird durch die Globalisierung gehalten werden. Die Weltwirtschaft wird sehr gut laufen. In deren Schatten leben wir dann ohne Ehrgeiz, bedeutungslos, gastfreundlich, aber nicht unglücklich.
Das Gespräch führte Sonja Banze.
Carl Christian von Weizsäcker über die deutsche Misere, das wirtschaftspolitische Chaos von Rot-Grün und die trübe Zukunft dieses Landes - Interview
WELT am SONNTAG: Herr von Weizsäcker, höhere Steuern und Sozialabgaben bei geringem Wachstum. Mehr Arbeitslose und Riesenlöcher in den öffentlichen Kassen. Ökonomen schlagen vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. Können Sie noch ein Konzept erkennen?
Carl Christian von Weizsäcker: Das, was die Schröder-Regierung derzeit tut, ist eine Ansammlung von Notmaßnahmen. Die werden jetzt ergriffen, weil die wahren Probleme nicht angefasst werden. Die Koalition versucht, den gegenwärtigen Status, der sich durch die schlechte Finanzlage allmählich als unhaltbar erweist, noch durch einige Flickmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Aber das ist natürlich keine langfristige Perspektive und damit auch kein Konzept.
WamS: Flickschusterei ist nicht gerade das, was man von einer frisch ins Amt gewählten Regierung erwartet. Wo ist der Dritte Weg, wo die Neue Mitte? Sind die Herren der Regierung nicht nur konzeptlos, sondern auch ahnungslos bei dem, was sie derzeit anrichten?
Von Weizsäcker: Das, was wir erleben, entspricht sozialdemokratischen Vorstellungen, nämlich ein hoher Staatsanteil, insbesondere im Sinne dessen, was man das Soziale nennt. Wir leben in diesem Land mittlerweile mit einer Staatstätigkeit, die nicht mehr finanzierbar ist. Der Staat redet überall rein. Diese Programmatik hat sich in Deutschland durchgesetzt. Und jede Änderung daran wäre aus dieser sozialdemokratischen Perspektive nur ein Rückschritt.
WamS: Das ist doch die Rhetorik der Linken. Schröder galt einst als Genosse der Bosse ...
Von Weizsäcker: Man muss sich eines ganz klar machen: Die SPD und die Gewerkschaften finden das gut und richtig, wie wir leben. Wir haben einen komfortabel ausgebauten Wohlfahrtsstaat. Wir haben eine Arbeitsmarktverfassung, die den Gewerkschaften passt - da ist die Regierung weit davon entfernt, mit großem Feuereifer Reformen anpacken zu wollen. Deshalb ist die Koalitionsvereinbarung auch so entsetzlich langweilig zu lesen.
WamS: Noch mal. Sie sprechen von der SPD. Was ist mit dem "modernen Kanzler Schröder"?
Von Weizsäcker: Gerhard Schröder hat sich davon verabschiedet. Natürlich weiß er, dass es so nicht weitergehen kann. Aber er will sich die Hände nicht schmutzig machen mit schmerzhaften Maßnahmen. Da setzt er lieber Kommissionen ein, wie jetzt die zur Reform der Renten- und Krankenversicherung unter Bert Rürup, damit er die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen abladen kann.
WamS: Kann man einen Industriestaat wie Deutschland von Kommissionen regieren lassen?
Von Weizsäcker: Es ist offenbar Schröders Idee von Politik, große Runden diskutieren und sich auf ein Reformkonzept einigen zu lassen. Er hat das mit dem Bündnis für Arbeit probiert, das gescheitert ist. Jetzt versucht er es auf dem Kommissionsweg. Den Stier selbst bei den Hörnern zu packen, das traut er sich nicht.
WamS: Sie beobachten diese Republik schon seit langem. Haben Sie jemals eine Phase erlebt, in der weder Regierung noch Opposition eine Idee hatten, wie es weitergehen soll?
Von Weizsäcker: Nein. Die Parteien wollen Wahlen gewinnen. Da ständig Wahlkampf ist, vermeiden die Parteien den Streit mit den Interessenverbänden. Das gilt auch für die Union. Sie ist jetzt wohl der Meinung, dass es besser ist, möglichst wenig davon zu reden, was da an unpopulären Maßnahmen auf uns zukommt, weil sie im Februar in Hessen und Niedersachsen die Wahlen gewinnen will.
WamS: Wollen die Deutschen unfähige Politiker?
Von Weizsäcker: Sicher nicht. Ich denke, es gibt eine ganze Menge von Leuten im Land, die wissen, dass es so nicht weitergehen kann, und die auch bereit wären, massive Einschränkungen auf sich zu nehmen. Der durchschnittliche Handwerksmeister und das durchschnittliche Gewerkschaftsmitglied sind durchaus vernünftige Leute. Aber die Vernunft, die beim Einzelnen da ist, verpufft in den Verbänden, weil die gegen jede Veränderung kämpfen. Jeder gute Krankenhaus-Manager weiß, dass wir eigentlich jedes zweite Krankenhaus im Land schließen könnten, aber die Verbände setzen durch, dass kein einziges geschlossen wird.
WamS: Die Lobbyisten drücken nur ihre Partikularinteressen durch. Die Parteien saugen diese nur gierig auf - wo driftet Deutschland in diesem Vakuum hin?
Von Weizsäcker: Politik ist wichtig, aber sie ist nicht das Wichtigste im Leben. Es werden Selbstkorrekturmechanismen in Gang kommen, nicht so sehr durch die Politik, sondern indem man einfach Vorschriften ignoriert. Die Schwarzarbeit wird sich ausdehnen, und man wird einfach trotz entgegenlaufender Bestimmungen der Gewerbeaufsicht Betriebe aufrechterhalten. In den mediterranen Ländern funktioniert das seit langem. Das wird auch bei uns kommen. Wenn der Staat sich nicht zurücknimmt, gleiten die Bürger durch zunehmende Missachtung der Gesetze und der Tarifverträge allmählich dem Staatsapparat und den Gewerkschaften aus den Händen.
WamS: Wo wird Deutschland 2006 nach noch mal vier Jahren Schröder stehen?
Von Weizsäcker: Es wird uns schlechter gehen als jetzt. Das ist sicher. Aber wir müssen gar nicht so weit vorgreifen. Wenn wir nichts tun, werden wir sehr viel schneller als 2006 in einer krisenhaften Situation sein. Die Kapitalmärkte werden sich von Deutschland abwenden. Kein Fonds in London investiert noch in deutsche Aktien. Und wenn sich in der Welt erst einmal herumspricht, dass die Stadt Berlin pleite ist und nur durch den Bund gerettet werden könnte, dass aber Herr Eichel noch nicht mal das Geld hat, Berlin zu retten, dann wird man sich fragen, ob man Deutschland eigentlich noch Geld leihen möchte. Das "Rating" für Bundesanleihen verschlechtert sich. Dann müssen Bund, Länder und Gemeinden höhere Zinsen zahlen. Dann setzt eine Spirale nach unten ein, an deren Ende die Regierung vielleicht doch gegen den Widerstand der Gewerkschaften die nötigen Reformen durchsetzen kann.
WamS: Wir sind doch schon ganz schön weit unten auf der Spirale.
Von Weizsäcker: Die Lage war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so kritisch wie jetzt, aber ich bin trotzdem optimistisch.
WamS: Na ...?
Von Weizsäcker: China zum Beispiel wird in 30 Jahren ein reiches Land sein und Deutschland überholen. Das Gleiche gilt für Indien. Die USA sind dann immer noch das reichste Land der Welt. Unser Lebensstandard wird nicht weitersteigen. Die Löhne werden sinken ...
WamS: Wo sehen Sie da Optimismus?
Von Weizsäcker: Wir können vom Reichtum der anderen profitieren. Die Chinesen und Inder kommen dann hierher und besichtigen den Kölner Dom oder den Reichstag in Berlin, und wir sind dann Reiseführer, wenn wir schon keine Maschinen mehr verkaufen können, weil unser Bildungssystem nicht funktioniert und ehrgeizige deutsche Ingenieure wettbewerbsfähige Innovationen im Ausland hervorbringen. Deutschland wird durch die Globalisierung gehalten werden. Die Weltwirtschaft wird sehr gut laufen. In deren Schatten leben wir dann ohne Ehrgeiz, bedeutungslos, gastfreundlich, aber nicht unglücklich.
Das Gespräch führte Sonja Banze.