von Ingo Narat
An den Börsen macht sich neuer Optimismus breit. Doch abseits des von Banken angeführten Lagers der Bullen gib es eine Reihe unabhängiger Querdenker, die der neuen Zuversicht nicht trauen. Sie erwarten meist hohe Inflation, einen Rentenmarktcrash, teilweise wieder abstürzende Aktienkurse und einen weiter kollabierenden US-Immobilienmarkt.
FRANKFURT. Selten hat sich ein solcher Abgrund aufgetan zwischen kurzfristigen Börsenaussichten und langfristigen Perspektiven. Traditionelle Analysten erkennen Licht am Ende des Konjunkturtunnels und heben sogar ihre Börsenprognosen an. Einige unabhängige Denker mit unterschiedlichen Analyseansätzen sehen jedoch längerfristig schwarz, wie eine Umfrage des Handelsblatts ergab.
Die Befragten erwarten meist hohe Inflation, einen Rentenmarktcrash, teilweise wieder abstürzende Aktienkurse und einen weiter kollabierenden US-Immobilienmarkt (siehe unten). Viele verweisen auf die langfristigen Gefahren durch die Billionen an Rettungsgeldern, die Regierungen und Notenbanken zur Krisenbekämpfung in die Wirtschaften pumpen. Ultralockere Geldpolitik in Verbindung mit explodierender Staatsverschuldung ist hier das entscheidende Argument. Wichtig dürfte hier sein, wie Anleger und Marktakteure die aktuellen Kommentare von US-Notenbankchef Ben Bernanke zur Lage aufnehmen werden.
Düstere Stimmung scheint so gar nicht zu den letzten guten Meldungen zu passen. Die US-Banken glänzen mit sehr guten Zahlen, auch viele andere Firmen überraschen die Analysten, die drohende Pleite des großen US-Mittelstandsfinanzierers CIT ist abgewendet. Das belohnen die Aktienmärkte mit steigenden Kursen. Der US-Index S & P 500 hat sein mittelfristiges Hoch vom Juni wieder erreicht, beim Deutschen Aktienindex Dax sieht es ähnlich gut aus.
Mit dieser Rückendeckung wagen sich renommierte Finanzhäuser nach vorne. Goldman Sachs hat soeben seine Prognose für US-Aktien nach oben gesetzt. Credit Suisse trommelt ebenfalls wieder für Aktien. Genug Geld für Investments ist da, denn vorsichtige Anleger haben in der Krise viel Kapital in kurzfristigen Anlagen zwischengeparkt.
Auch unabhängige Querdenker erkennen die bessere Stimmung, wollen sich davon aber nicht aus der Reserve locken lassen. Das gilt beispielsweise für Ex-Banker Heribert Müller, der in seiner eigenen Gesellschaft Prognosen aus massenpsychologisch bedingten Wellenbewegungen von Kursen ableitet. „An entscheidenden Wendepunkten ist die allgemeine Marktstimmung immer konträr zu unserer Sicht“, sagt er. Ihn interessieren sehr langfristige Trends, etwa der am US-Immobilienmarkt: „Er ist reif für ein Desaster. Es müssen 35 Jahre Bullenmarkt korrigiert werden, das geht bis 2014.“
Eine schlechte Meinung zum US-Immobilienmarkt, an dem die Finanzkrise vor zwei Jahren begann, hat auch Claus Vogt. Der Researchleiter der unabhängigen Quirin Bank wittert hier ebenfalls weiteres Ungemach. „Je größer die Spekulationsblase, desto größer die anschließende Katastrophe“, sagt er. Kopfschmerzen machen ihm die Geldfluten der Staaten und Notenbanken. Das muss seiner Meinung nach in einer großen Inflation münden. „Ich möchte keine Bankmanager in Schutz nehmen, aber bei dem ganzen Desaster geht es eigentlich um geld- und fiskalpolitisches Versagen“, sagt er.
Vogt ist in guter Gesellschaft. Auch Conrad Mattern, Vorstand der Analysegesellschaft Conquest Investment Advisory, vertritt die Inflationshypothese. Die schärfste Formulierung fand wohl der international bekannte Vermögensverwerwalter Marc Faber. Der Querdenker aus Hongkong sorgte jüngst mit der Bemerkung für Aufsehen, er erwarte in den Vereinigten Staaten eine Hyperinflation wie in Simbabwe.
Solche Ausreißer im Meinungsspektrum finden Anleger meist nur bei unabhängigen Adressen. „Wir müssen die Welt nicht schön reden“, sagt Vogt. Anders sei das bei großen Finanzinstitutionen: „Die müssen Produkte verkaufen.“ Das funktioniere bei Schönwetterprognosen eben besser. „Und wenn ich dort mit einer Rezessionsprognose daneben liege, riskiere ich einen Karriereknick.“