...John Connally, der Finanzminister des Skandalpräsidenten Richard Nixon, im Jahr 1971 seinen europäischen Kollegen entgegenhielt: „Der Dollar ist zwar unsere Währung, aber euer Problem.“ So richteten die Fed-Direktoren ihre Politik ausschließlich an der Lage der amerikanischen Binnenwirtschaft aus. Kippte die Konjunktur, warfen sie die Notenpresse an und nahmen eine Dollarabwertung in Kauf, auch wenn das für ihre Lieferanten aus aller Welt gravierende Einbußen brachte. Drohte Inflation, trieben sie Zinsen und Dollarkurs nach oben, auch wenn das viele Entwicklungsländer mit Auslandsschulden in den Ruin trieb. Am Status des Dollars als Leitwährung änderte sich nichts. Im Gegenteil, jede Krise trieb noch mehr Anleger in den als „sicheren Hafen“ angesehenen US-Kapitalmarkt.
Doch seit der Jahrhundertwende hat sich das Machtgefüge im globalen Währungssystem grundlegend verschoben. Die Hüter des Dollars haben überzogen, ihre Schuldenmaschine läuft heiß und sie verlieren die Kontrolle. Schuld daran ist nicht zuletzt der legendäre ungekrönte König des Greenback, Alan Greenspan. Als der damalige Fed- Chef im Jahr 2001 mit Negativzinsen Amerikas Wirtschaft wieder auf Touren brachte, bedachte er nicht, dass China, der größte Handelspartner der USA, sich mit aller Macht einer Abwertung des Dollars entgegenstellen würde. Die Staatskapitalisten in Peking hatten schon früh erkannt, dass nichts das Turbowachstum ihres Landes besser auf Touren hielt als ein stabiler Wechselkurs. Wo mehr als die Hälfte der Volkswirtschaft vom Außenhandel abhängig ist, gibt der Fixkurs den Unternehmen langfristige Sicherheit. Genauso hatten es einst die Aufsteiger Südkorea und Taiwan gehalten und auch das deutsche Wirtschaftswunder beruhte ganz wesentlich auf dem bis 1973 geltenden Festkursregime der westlichen Welt.
Diesem Beispiel folgend setzt Chinas Zentralbank seit 1995 mit eiserner Hand einen stabilen Kurs des Yuan zum Dollar durch, ganz gleich, wie die US-Währung im Rest der Welt gehandelt wird. Die strikte Kontrolle des Kapitalverkehrs schützte das Land zunächst gegen die Asienkrise und dann gegen Greenspans Dollar-Vulkan. Als dieser die US-Währung per Billigzins auf Abwärtskurs setzte, begann die Zentralbank in Peking alle hereinströmenden Dollars zum Festkurs gegen Yuan zu tauschen und vorwiegend in US-Staatsanleihen anzulegen. Entsprechend wuchsen Chinas Handelsüberschuss mit den USA und die Reserven. Mit jetzt schon 1800 Milliarden Dollar hält das Reich der Mitte mittlerweile den größten Devisenschatz aller Zeiten.
Ein ähnliches Phänomen spielt sich in den Ölstaaten ab. Weil Erdöl zu Dollarpreisen gehandelt wird, haben auch die Ölexporteure am persischen Golf ihre Währungen an den Dollar gekoppelt. Entsprechend explosiv wuchsen ihre Dollarvermögen inzwischen auf annähernd die gleiche Summe wie in China. Gemeinsam drücken die Staaten des informellen Dollar-Blocks aus Nah- und Fernost so mit dem Kauf von US-Anleihen die Zinsen auf dem amerikanischen Kapitalmarkt. Damit trugen sie nicht nur dazu bei, dass die US-Bürger mehr konsumierten und mehr Häuser bauten, als sie sich leisten konnten und Amerika bei der Auslandsverschuldung nun weit vor Brasilien liegt. Zugleich geriet die US-Wirtschaft in tiefe Abhängigkeit von den Entscheidungen der Wirtschaftslenker in Peking und am arabischen Golf. Würden diese auch nur ihre Käufe von US-Wertpapieren einstellen, würde aus der jetzigen Krise ein Dollar-Crash.
Die Konsequenzen wären verheerend. Der schlechter verdienende Teil der US-Bevölkerung würde regelrecht verarmen, weil Importgüter aller Art, vom Benzin bis zu Elektrogeräten, drastisch teurer würden. Der Nachfrageeinbruch würde automatisch in Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und ein rapide steigendes Staatsdefizit münden. Die Folgen würden kein Land unbehelligt lassen. Schließlich ist rund die Hälfte aller Wertpapiere der Welt in Dollar ausgewiesen. Vermögensverwalter würden überall gleichzeitig panikartig Dollarpapiere auf den Markt werfen, Bank- und Fondspleiten würden folgen und das ganze Gefüge der globalen Produktionsketten und Kapitalbeteiligungen käme ins Rutschen. Spätestens dann wäre die Krise auch politisch nicht mehr beherrschbar. Antiglobalisten aller Couleur könnten in vielen Staaten an die Macht drängen und ähnlich wie während der Großen Depression mit nationaler Abschottung das globale Handels- und Finanzsystem zerstören.
Das Gute an diesem Szenario ist: Kein Staat der Welt hat ein Interesse daran, es so weit kommen zu lassen. Die Dollarbombe ist scharf, aber niemand wird sie mit Absicht zünden. Keine der beteiligten Zentralbanken wird ohne Not einen Crash auslösen. Es wäre nur zu ihrem eigenen Schaden. Der Harvard-Ökonom Lawrence Summers nannte diese Konstellation deshalb das „Gleichgewicht des finanziellen Schreckens“. Nur leider ist das kein Grund zur Beruhigung. Denn nun stellt die US-Regierung das fragile Gleichgewicht selbst massiv in Frage. Indem sie die Krise, die aus Greenspans Politik des billigen Geldes entstand, mit noch mehr billigem Geld bekämpft, riskiert sie eine massive Entwertung des Dollars und brüskiert ihre Gläubiger. Die Ironie der Geschichte will es, dass es nicht renditehungrige Spekulanten sind, die Amerikas Überkonsum finanzieren, sondern staatliche Akteure, die Stabilität auf dem wichtigsten Absatzmarkt für ihre Exporte wollen. Darum blieb der große Absturz des Dollars bisher aus.
Doch auch die Geduld der Wirtschaftslenker in Peking, Riad oder Dubai hat Grenzen. Wenn ihre gigantischen Dollarvermögen entwertet werden, müssen sie reagieren. Die beste Möglichkeit, ihre Verluste auszugleichen, wäre eine offene Tür für Investitionen. Könnten Unternehmen aus China und den Öl-Staaten mit den Dollars ihrer Zentralbanken unbehindert produktive US-Unternehmen kaufen, müssten sie die Inflation nicht fürchten. Eben diesen Ausweg hat der US-Kongress aber weitgehend versperrt, weil sich mit der China- Angst oder der Denunziation arabischer Investoren als Sicherheitsrisiko viele Wählerstimmen fangen lassen. Darum scheiterte selbst der Verkauf der drittklassigen Ölfirma Unocal nach China oder der Erwerb von ein paar Hafenbetrieben durch ein Unternehmen aus Dubai.
Nur: Wer die Hand aufhalten muss, kann nicht ungestraft gleichzeitig die Faust ballen. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Amerikas Gläubiger nach einer Alternative suchen. Weil Chinas Regenten gerne langfristig planen, wird das vermutlich nicht von heute auf morgen geschehen. Aber mit der Aufwertung des Yuan in kleinen Schritten haben die Planer in Peking begonnen, sich aus der Abhängigkeit vom Export in die USA zu befreien. Die Öl-Staaten wiederum stoßen an die Grenzen ihres Währungsmanagements. Je länger sie sich mit Dollarkäufen gegen die Aufwertung ihrer Währungen stemmen, umso mehr eigenes Geld setzen sie in Umlauf, die Inflationsraten am Golf nähern sich darum schon dem zweistelligen Bereich. Früher oder später werden daher alle Ölexporteure dem Beispiel Kuwaits folgen und den Kurs ihrer Währungen an einem Korb aus Devisen aller Art ausrichten. Wenn es gut läuft, wird sich dieser Prozess über viele Jahre hinziehen und Amerikas Volkswirtschaft Zeit zur Anpassung lassen. Doch gleich ob es per Crash oder langsamer Erosion geschieht, eines erscheint jetzt schon sicher: Die Zeit des US-Dollar als einzige globale Handelswährung geht ihrem Ende entgegen. Der Euro, der japanische Yen und vielleicht sogar der chinesische Yuan werden alsbald einen ähnlichen Rang einnehmen und die US-Wirtschaft wird mit weit weniger Subventionen vom Rest der Welt auskommen müssen als bisher. So haben die Hasardeure der Wall Street nicht nur ihre Banken verspielt, sondern auch Amerikas kostbarstes Privileg.
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