... um zu verstehen um was es geht.
Die US-Notenbank kauft Anleihen: Was sind die Folgen dieser Geldschwemme für Anleger?
Die Börsen scheinen sich gegen düstere Wirtschaftsmeldungen imprägniert zu haben. Der Grund sind zweifelhafte Manöver der US-Zentralbank.
Patrick Herger
05.05.2020, 05.30 Uhr
Loretta Mester, Präsidentin und CEO der Cleveland Federal Reserve Bank, sieht Handlungsbedarf für das Fed, wenn stark überbewertete Börsenkurse auch nur um 20% sinken.
Melissa Lyttle / Bloomberg
Am 23. März veröffentlichte die US-Zentralbank Federal Reserve eine Mitteilung, worin sie verschiedene Massnahmen ankündigte, um der Wirtschaft zu helfen. Am Tag darauf legte der S&P 500 um beinahe 10% zu, der Startschuss zu einem beeindruckenden Kursrally. Auch der Swiss-Market-Index (SMI) verzeichnete nach diesem Communiqué steigende Kurse, ebenso wie andere europäische Indizes. Aber was stand genau in dieser Mitteilung?
Wie in der Finanzkrise warf das Fed mit jeder Menge kryptischer Akronyme um sich. MMLF (Money Market Mutual Fund Liquidity Facility), CPFF (Commercial Paper Funding Facility) oder Talf (Term Asset-Backed Securities Loan Facility) lauten einige der Namen von Fazilitäten, welche die Märkte stützen sollten.
Eine neue Fazilität begeistert die Finanzmärkte
Diese Fazilitäten stellen jedoch vor allem entweder Erweiterungen der Massnahmen dar, die auch schon 2008 ergriffen wurden, oder sie beheben Mängel bestehender Hilfsmöglichkeiten. Allerdings führte das Fed auch zwei neue Fazilitäten ein: die Unternehmenskreditfazilität für den Primärmarkt und die Unternehmenskreditfazilität für den Sekundärmarkt (PMCCF und SMCCF). Und es war vor allem die zweite der neuen Fazilitäten, die für Begeisterung an den Börsen sorgte.
Im Prinzip geht es bei PMCCF und SMCCF darum, dass das Fed Unternehmensanleihen im Wert von mehreren Billionen Dollar kauft. Dafür engagiert sich die Zentralbank nicht nur auf dem Primärmarkt, sondern auch auf dem Sekundärmarkt. Im Primärmarkt geht es um die Emission (Erstausgabe) von Obligationen. Das bedeutet, dass das Fed US-Unternehmen direkt finanziert, damit sie die Krise überstehen können.
Auf dem Sekundärmarkt werden Obligationen gehandelt, die bereits in Umlauf sind. Der Handel auf diesem Markt kann zwar den Zinssatz einer Obligation ändern, trägt aber nichts zur Unternehmensfinanzierung bei. Die Sekundärmarkt-Fazilität kann ausserdem nicht nur Unternehmensanleihen kaufen, sondern auch ETF auf US-Unternehmensanleihen.
Hilfe vor allem für wohlhabende US-Bürger
Wenn sich eine Seuche ausbreitet und diese durch einen Lockdown bekämpft wird, können auch eigentlich gesunde Firmen in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Deshalb hat das Fed die PMCCF, die Primärmarkt-Fazilität, geschaffen. Über dieses Vehikel vergibt das Fed Überbrückungskredite an Firmen, die einen momentanen Liquiditätsengpass erleiden. Für diese Kredite kann sich die Notenbank vorrangige Sicherheiten geben lassen, etwa in Form von Pfandrechten oder Sicherheitsübertragungen. Der Steuerzahler, dessen Geld die Fazilitäten finanziert, ist durch diese Sicherheiten vor Verlusten geschützt.
Das ist bei der zweiten neuen Fazilität anders. Denn bei der Sekundärmarkt-Fazilität geht es nicht um Finanzierungen und Kredite. Es geht darum, an den Börsen Anleihen und Anleihen-ETF aufzukaufen. Damit hilft das Fed nicht Unternehmen mit vorübergehenden Liquiditätsengpässen, sondern privaten Investoren. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich zu wissen, dass die wohlhabendsten 10% der US-Amerikaner 94% aller Wertschriften besitzen.
Kurze Zeit nach der Ankündigung vom 23. März ging das Fed sogar noch einen Schritt weiter. Am 9. April gab die US-Zentralbank nicht nur bekannt, dass sie weitere 2,3 Bio. $ an Krediten zur Verfügung stellen will, sie aktualisierte gleichzeitig die Sekundärmarkt-Fazilität dahingehend, dass dieses Vehikel auch Junk-Bonds und Junk-Bond-ETF kaufen darf.
Der Steuerzahler ist nicht vor Verlusten geschützt
Es ist klar, dass es in einer Grosskrise wie der jetzigen einer Fazilität wie der PMCCF zur Unterstützung von Firmen bedarf. Sehr viel schwieriger zu rechtfertigen ist dagegen, warum es darüber hinaus eine Sekundärmarkt-Fazilität braucht, die nicht den Unternehmen, sondern den wohlhabendsten Amerikanern hilft. Noch weniger verständlich ist dieses Vehikel, weil das Fed für das Geld, welches die Sekundärmarkt-Fazilität vergibt, keinerlei Sicherheiten bekommt. Wenn die vom Fed gekauften Anleihen, ETF oder Junk-Bonds an Wert verlieren, erleidet der Steuerzahler einen Verlust.
Das ist nicht ganz unwichtig. Im Zuge der Finanzkrise wurden riesige Finanzmittel ohne Bedingungen an Finanzunternehmen verteilt. Diese nutzten das Geld des Steuerzahlers unter anderem, um Boni ihrer Manager zu bezahlen. Um solche Missbräuche zu verhindern, hat das US-Parlament die entsprechenden Gesetze verschärft, insbesondere den Abschnitt 13(3) der Federal Reserve Act.
Auch unter ungewöhnlichen Umständen ist das Fed bei Hilfspaketen an Auflagen gebunden. Eine der wichtigsten dieser Auflagen lautet, dass Geldmittel nur gegen Sicherheiten vergeben werden dürfen. Ausserdem spezifiziert das Gesetz die als Sicherheit infrage kommenden Wertschriften. Junk-Bonds gehören nicht dazu.
Wie das Fed die Gesetzgebung austrickst
Deshalb umweht die Sekundärmarkt-Fazilität der Hauch des Illegalen. Wenn die US-Zentralbank etwa Anleihen, ETF oder Junk-Bonds kauft, hat sie keine anderen Sicherheiten als ebendiese Anleihen, ETF oder Junk-Bonds. Der Steuerzahler ist damit nicht vor Verlusten geschützt, wie es das Gesetz verlangt. Nun gibt es in der Federal Reserve Act allerdings eine Lücke. Denn das Fed-Gesetz sieht als Hilfsmassnahmen der Zentralbank nur Kredite vor.
Deshalb muss sich das Fed für Wertschriftenkäufe sogenannter Special Purpose Vehicle (SPV) bedienen. Technisch gesehen leiht das Fed dem entsprechenden SPV Geld. Das SPV kauft damit die Wertschriften, welche dann als Sicherheiten gelten. Diese Konstruktion soll dafür sorgen, dass die Buchstaben des Gesetzes eingehalten werden. Aber es ist klar, dass das Fed faktisch keine Sicherheiten für diese Wertschriftenkäufe erhält, auch wenn dank der Zwischenschaltung eines SPV aus juristischer Perspektive die Fiktion einer Kreditsicherung entsteht.
Diese Umgehung von rechtlichen Auflagen ist umso unverfrorener, als der US-Kongress das Fed bezüglich der Corona-Hilfsmassnahmen ganz explizit in die Schranken weisen wollte. Deshalb wurde in der Cares Act, dem Gesetz zu den Corona-Massnahmen, eigens der Abschnitt 4003(b)(3)(B) eingefügt. Dieser Abschnitt bestimmt, dass alle vom Fed zur Verfügung gestellten Fazilitäten die in 13(3) festgehaltenen Anforderungen erfüllen müssen und dass Geldmittel nur gegen Sicherheiten vergeben werden dürfen.
Die Börsen bejubeln die Manöver des Fed
All diese Tatsachen haben die Finanzmärkte natürlich registriert. Es ist also nicht nur so, dass das Fed ihnen zu Hilfe eilt; die Zentralbank tut das, indem sie legitimatorisch suspekte Wege beschreitet. Kein Wunder, sind die Börsen davon überzeugt, dass das Fed ihnen mit allen Mitteln beistehen wird.
Wie entschlossen das Fed ist, den Börsen zu helfen, zeigt sich ausserdem an Aussagen wichtiger Fed-Repräsentanten. Loretta Mester, Präsidentin und CEO der Federal Reserve Bank of Cleveland, sagte etwa zu den Massnahmen des Fed: «Wir müssen diese Dinge tun, damit die Märkte richtig funktionieren.» Und weiter sagte sie: «Deshalb klappt jetzt auch die Preisfindung wieder.»
Das Fed hält nur Überbewertungen für vernünftige Preise
Nun muss man sich kurz die Situation vergegenwärtigen, in der es das Fed für nötig erachtete, einzugreifen. Sowohl die Bewertungen für Aktien als auch die Bewertungen für Anleihen (insbesondere für Junk-Bonds sowie für die niedrigste Stufe von Investment-Grade-Anleihen) waren im Februar nach den zuverlässigsten Einschätzungsmethoden so hoch wie noch nie. Sie waren beispielsweise höher als 1929 und höher als während der Dotcom-Blase. Zugleich war absehbar, dass eine Pandemie die Welt erfasst. Dass diese Situation deutlich tiefere Preise rechtfertigt, scheint ziemlich verständlich.
Allerdings nicht für das Fed. Dieses hält anscheinend nur die jetzigen, bereits wieder stark überbewerteten Kurse für vernünftig. Fallende Kurse führt es auf «nicht funktionierende Preisfindung» zurück. Das freut natürlich die Inhaber von Wertschriften. Und sie hoffen auf mehr. Denn noch ist das Fed nicht «all in» gegangen.
Erstens hat es die Sekundärmarkt-Fazilität noch nicht genutzt (die Kurssteigerungen beruhen also ausschliesslich auf der Signalwirkung). Und zweitens ist es bisher davor zurückgescheut, auch Aktien oder Aktien-ETF zu kaufen. Aber genau das ist es, was sich die Märkte erhoffen. Denn alle Massnahmen des Fed, auch die ETF-Käufe, stammen aus dem «Drehbuch» der japanischen Zentralbank (BoJ). Und seit zehn Jahren kauft die BoJ auch Aktien-ETF. Deshalb ist sie bei vielen japanischen Unternehmen mittlerweile der grösste Aktionär.
Was bedeutet das Gesagte für Privatinvestoren?
Die Aktionen der BoJ müssten den Investoren allerdings zu denken geben. Die unkonventionellen Massnahmen nützen nicht nur der Realwirtschaft nichts, sie bewirken auch schwere Störungen. Aktienkäufe führen zu einer schleichenden Verstaatlichung der grossen Unternehmen. Und sämtliche unkonventionellen Massnahmen bewirken, dass Risiken nicht mehr korrekt bepreist werden. Ausserdem vergrössern sie die Schere zwischen Arm und Reich, indem sie staatliche Mittel an den wohlhabendsten Teil der Bevölkerung verteilen. Der Widerstand gegen diese Massnahmen dürfte in den USA daher zunehmen, auch wenn Bernie Sanders nicht mehr im Rennen um die US-Präsidentschaft ist.
Die Situation ist also folgende: Die Märkte scheinen im Moment mit Gewissheit davon auszugehen, dass das Fed die Kurse trotz der andauernden Krise vor einem erneuten starken Rückgang bewahren kann. Im Prinzip würde das bedeuten, dass es dem Fed dauerhaft gelingt, die Börsen von der Realwirtschaft und den Folgen der Pandemie abzukoppeln. Das jedoch ist höchst unwahrscheinlich. Privatinvestoren sollten sich daher von der Euphorie der letzten Wochen nicht beirren lassen: Die Bewertungen und die Unsicherheiten lassen es ratsam erscheinen, weiterhin sehr defensiv zu bleiben.
www.nzz.ch/finanzen/...ever-der-us-zentralbank-fed-ld.1550112